Ein neuer Abschied

Wie schön es ist, so spontan doch noch mehr Zeit zu haben! Finde ich super! Wir treffen Rani und Sadaff und fahren zusammen mit ihrem neuen Gast Emily aus Australien in die Berge und übernachten nochmal bei einer Familie dort. Es ist windig. Da ich meinen Wollmantel verschenkt hatte, habe ich nun garkeine Klamotten mehr für Temperaturen unter gefühlt 25°, sodass ich eine Sweatshirtjacke von Prachit bekommen habe. Sie ist schwarz und schaut etwas aus, wie Schaffell. Wir legen uns aufs Plateau und schauen noch lange in den Himmel. Es ist neblig und etwas bewölkt, sodass die Sterne kaum sichtbar sind. Und trotzdem ist es so schön friedlich. Wir hören nur den Wind. Ich habe das Gefühl, dass ich Teil dieser Ruhe bin und ich bin einfach zufrieden mit der Welt. Als ich schließlich aufstehe, hängt der halbe Berg an meiner Jacke. Das mit dem Hinlegen war wohl nur bedingt eine gute Idee. Außerdem stelle ich mit der Taschenlampe fest, dass ich direkt neben Kuhkacke lag. Manchmal ist es besser, nicht so genau zu wissen, was um einen rum ist.

Dann gehen wir die letzten Meter in die Hütte unserer Gastgeber. Die Hütten haben meist einen Kern von 2-4 Zimmern, welche die Aufenthaltsräume sind. Die sind größtenteils leer und beinhalten lediglich 1-2 Regale mit Kochutensilien oder anderem. Sie liegen ein wenig höher und haben Lehmboden. In der Nacht werden hier Plastikmatten (wie Bastmatten) aufgeschlagen und hier schläft die Familie. Nach außen hin sind dann auf jeder Seite ein großer Raum, in denen die Büffel übernachten und gefüttert werden. Außerdem leben die Kälbchen hier. Teils gibt es noch etwas erhöhten Vorraum, auf dem wir dann Abendessen und die Büffel ihr Fressen bekommen. Nachdem wir gegessen haben, wird ein Kartenspiel ausgepackt. Nur 1 m neben uns stehen die Büffel und käuen genüsslich wieder. Das ist ein Anblick, den ich süß finde, gleichzeitig aber auch skurril. Man lebt hier mit den Tieren zusammen. Ab und an haben sich ein paar Hühner in die Küche geschlichen und müssen verscheucht werden. Gekocht hat die 18-jährige Tochter mit der Mutter über einem offenen Feuer auf dem Lehmboden. Ich fühle mich wie in einem anderen Zeitalter. Wie unterschiedlich doch so ein Alltag an unterschiedlichen Orten der Welt ausschauen kann. Wenn ich koche, drücke ich auf ein paar Knöpfe, mit denen ich die Temperatur meiner Töpfe ziemlich genau steuern kann. Ich verwende viele verarbeitete Produkte, wie Nussbutter, Sojasauce, Kokosmilch, passierte Tomaten, Kichererbsen aus dem Glas. Hier sehe ich lediglich frische und getrocknete Produkte in der Küche. Getrocknete Kichererbsen, Linsen und Bohnen, Reis, Gewürze, frisches Gemüse. Kochen ist allein dadurch schon viel aufwändiger. Allein die Hülsenfrüchte einzuweichen und selber zu kochen. Und dann natürlich die Vielfalt an Dingen in einer Mahlzeit. Es gibt immer Reis mit Dal und dann noch ein Gemüse dazu, außerdem Chapati oder ähnliches Brot aus Reismehl. Da die Bauern in den Bergen ihre eigenen Reisfelder haben, schätze ich, dass ich hier meistens Brot aus Reismehl statt Weizen gegessen habe. Ich liebe das Essen. Es wäre mir viel zu umständlich, jede Mahlzeit so aufwändig zu kochen. Allein die Chapatis. Da verstehe ich schon, weshalb die Frauen oft Hausfrauen sind. Man kommt ja zu kaum was, wenn man allein 3x täglich mit aufwändigem Kochen beschäftigt ist. Und dann gibt es ja noch mehr Haushalt.

Am Dienstag fahren wir zu Ranis Eltern etwa 50 km entfernt Richtung Meer. Die Fahrt ist wie immer wunderschön. Ich bin mittlerweile großer Fan von Motorrädern! Prachits Familie hat 6 Stück und wir fahren die Tage mit einem anderen, das cooler ausschaut, aber leider etwas unbequemer zum Sitzen ist. Dafür hat es mehr Power. Prachit und ich hatten relativ schnell festgestellt, dass unser Musikgeschmack große Überschneidungen hat und so ist mein Job, Musik vom Handy abzuspielen. Wir singen lauthals mit und ich strecke die Arme in den Wind aus. Anfangs habe ich mich noch hinten festgehalten, weil ich etwas befürchtet hatte, bei einem Geschwindigkeitsbrecher (und die sind tückisch!) oder an Stellen mit schlechter Straßenqualität (auch davon gibt es einige) runterkatapultiert zu werden. Mittlerweile fühle ich mich auch ohne festhalten sicher. Es ist ein Gefühl großer Freiheit. Bei den Temperaturen ist der Fahrtwind einfach angenehm. Helme trägt man hier nicht und während der Fahrt zu telefonieren ist auch völlig normal. In Mumbai und Goa aber zB. trägt der Fahrer immer einen Helm, weil man sonst Strafe zahlen muss. Es hängt also von der Region ab.

Auf dem Weg zu Ranis Eltern erzählt sie uns, dass sie Hochzeitstag haben (34.) und wir besorgen noch eine kleine Torte zum Feiern. Bei ihnen angekommen freuen sich Mutter und Vater übermäßig, dass ihre Tochter so viele Gäste mitgebracht hat. Kurz später kommt auch der Bruder und es gibt Abendessen. Wir sitzen auf Plastikmatten auf dem Boden in einer großen Runde. Es gibt Fisch und Shrimps (?) und die Mutter hat nur für mich 2 Gemüsegerichte gekocht. Da bekomme ich schon ein schlechtes Gewissen, Rani bestätigt aber, dass das völlig normal und in Ordnung ist, etwas extra zu kochen. Zum Thema essen: wenn ich erwähne, dass ich Softdrinks nicht so gerne mag, weil die so extrem süß sind, dass mir auch der Tee zu süß ist, andererseits ohne Zucker aber nicht schmeckt und ich nicht so viel fettiges essen mag, bekomme ich oft erstaunte und bewundernde Aussagen. Darauf zu achten, sich gesund zu ernähren, ist hier meiner Erfahrung nach noch nicht so verbreitet. Prachit hat mir ein paar Tage nach unserem Miniaufenthalt in Mumbai erzählt, dass einer seiner beiden Cousins jetzt auch versuchen möchte, darauf zu achten. Für ihn war das offenbar ein neues Konzept. Das fand ich irgendwie schön. Auch Reis und Weizen zum Beispiel wird hier als sehr gesund gesehen und wenn die Leute erfahren, dass ich nicht ansatzweise täglich Reis konsumiere und das unter anderem damit begründe, dass wir in Deutschland glauben, dass weißer Reis nicht so gesund ist, sind die meisten erstaunt.

Anschließend wird die Torte angeschnitten und zur Feier des Tages singen wir Happy Birthday. Dann füttern wir uns gegenseitig mit kleinen Stücken (ich bin dann heute wohl vegetarisch unterwegs). Da Emily und Rani sehr müde sind, bereiten wir schon das Wohnzimmer mit den Plastikmatten vor und ich gehe mit Ranis Bruder Viki, dem Vater und Prachit noch eine kleine Runde spazieren. Viki hat vor ein paar Jahren das Vogel beobachten für sich entdeckt und macht uns ab und an auf bestimmte Rufe aufmerksam. Wir sehen mehrere Jackel (?), Tiere, die wie Wölfe in Fuchsgröße aussehen, einen Frosch und einen Flughund. Da Rani und Viki hobbymäßig Schlangen retten, bedauert Viki sehr, dass wir keine Schlange gesehen haben. Da kann ich glaub ganz gut mit leben.

Am Donnerstag gehen wir den Tag gemütlich an und unterhalten uns in der großen Runde. Ich singe irgendwann was vor, weil ich hier immer als Sängerin vorgestellt werde (seit ich erwähnt habe, dass ich gerne singe) und hier mittlerweile so oft vorgesungen habe, dass ich mich dabei nicht mehr unwohl fühle. Der Vater sagt, dass er gerne tanzt, spielt Musik vom Handy ab und tanzt uns spontan was vor. Das finde ich richtig schön hier. Man hat hier viel weniger Scham. Weder der Vater noch ich sind auch nur ansatzweise professionell und dennoch ist es für alle schön, wenn wir vorführen, was wir können. Zum Thema singen kommt mir gerade noch: einmal war ich mit Prachit auf dem Weg irgendwohin, als wir an einer Gruppe junger Männer vorbeigekommen sind, die er kennt und einer von ihnen hat erzählt, dass ein Junge heute Geburtstag hat. Da er auch den Jungen (8 Jahre alt) zu kennen scheint, machen wir spontan einen kleinen Abstecher, um zu gratulieren. Auf dem Weg kommt von ihm dann „kannst du mir bitte einen Gefallen tun und dem Jungen Happy Birthday singen?“ Ja, warum nicht. Die ganze Aufmerksamkeit ist dem Jungen offensichtlich noch unangenehmer, als mir das Singen vor der ganzen Familie einschließlich einiger Nachbarn, die neugierig rüberschauen. Das liste ich dann mal in der Reihe „Dinge, die ich im Alltag nicht tun würde “ mit auf 🙂

Am Nachmittag fahren wir nochmal ans Meer. Juhu! Wir schauen den Sonnenuntergang wieder von der gleichen Stelle aus an, wo ich auch letzte Woche mit Prachit war. Ich kletter ein wenig über die Felsen und irgendwann brechen wir dann auf und machen uns nach mehreren Zwischenstopps auf den Heimweg. Ab etwa 10 Uhr abends ist es dann doch ziemlich kalt und ich friere trotz der Schafjacke und Mütze. Zum Glück sitze ich hinten und bin dadurch noch geschützter. Prachit versteht nicht, wie ich frieren kann. Er friert nicht und ich komme aus Deutschland, da haben wir ja auch deutlich niedrigere Temperaturen. Seiner Meinung nach sollte ich die Temperaturen demnach noch angenehm finden. Dieses Rätsel wird sich in diesem Leben wohl nicht mehr lösen.  Wir essen alle gemeinsam bei Prachits Eltern Abend, mittlerweileist es schon halb 2 Uhr nachts. Um das abzuklären hat er 4x mit dem Vater telefoniert auf der Fahrt. Generell wirkt er mit seinen ganzen Telefonaten ein wenig wie ein Callcenterbetreiber auf mich. Ich erwähne irgendwann, dass er am Tag mehr mit seinen Eltern telefoniert, als ich in einer Woche. Dabei wohnt er ja bei ihnen (wenn er nicht gerade zur Arbeit in Mumbai ist). Dass ich so selten mit meinen Eltern telefoniere, beunruhigt Prachits Vater. Er fragt öfter mal, ob ich heute schon mit meinen Eltern telefoniert habe? Und wenn ich nein sage und erwähne, dass wir das auch nicht vorhaben und es völlig ok ist, hält er das für bedenklich. Täglich fragt er, wie es ihnen geht. Ja keine Ahnung, vor 2 Tagen ging es ihnen noch gut und falls sich das grundlegend ändert, werde ich es schon mitbekommen 🙂 Als er in einem spontanen Telefonat mit Papa und Oma die beidem zu Augen bekommt, ist er sehr beruhigt. Er bestätigt Papa immer wieder, dass der sich nicht um mich sorgen muss, weil er als mein indischer Vater gut auf mich aufpasse und sagt, dass ich eine gute Tochter sei. Ich mag ihn. Seine Eltern haben beide des öfteren gesagt, dass sie sich freuen, dass ich da bin, weil sie jetzt neben 2 Söhnen auch endlich eine Tochter hätten. Ich fühle mich so wohl hier. Generell unterhalte ich mich viel mit dem Vater. Er ist sehr wissbegierig und möchte mir gleichzeitig viel über seine Umgebung erzählen. Und es wird auch immer besser mit der Verständigung! Das freut mich wirklich.

Als ich am frühen Abend eine Runde spazieren gehen möchte, sind die Eltern irritiert. Warum ich denn nicht schlafen mag? Stattdessen auch noch laufen? Das finden sie suspekt. Heute ist mein letzter Tag in Indien. Ich habe heute früh mit Prachit den Sonnenaufgang am Stausee angeschaut, wir waren in der Innenstadt und nun fährt er Rani ins Krankenhaus, da ihr Bruder einen Motorradunfall hatte. Ich habe den Eltern versprochen, dass ich noch etwas für sie kochen werde, aber das hat noch Zeit. Die Landschaft ist so schön, dass ich einfach nochmal gerne eine Runde laufen würde. Nachdem mich die Mutter nicht von meinem Plan abbbringen kann, bietet mir der Vater an, mich zu begleiten. Das war eigentlich nicht der Plan. Gerade wäre ich gerne etwas alleine. Ich habe Tränen in den Augen und trage daher schon drinnen meine Sonnenbrille mit Kopftuch. Dass es hier so normal ist, sich auf diese Art vor der Sonne zu schützen, mag ich.  Manchmal kann man sich so auch etwas verstecken. Ich kann ihn leider nicht davon abbringen, mich zu begleiten und da er wohl nicht so viel laufen möchte, schlägt er fröhlich vor, mich auf dem Motorrad zu fahren. Ok, dann halt so. Immerhin kann ich dabei nicht mit ihm reden, da wir zumindest Gestiken für die Verständigung brauchen. Und ich brauche gerade Zeit zum Überlegen und zum Beruhigen. Prachit zählt mittlerweile zu meinen Freunden und wir sind auf einer Wellenlänge, weshalb ich es genieße, Zeit mit ihm und den anderen einschließlich seiner Familie zu verbringen. Aber womit ich mich noch immer schwer tue ist sein Zeitmanagement. Den Sonnenaufgang hätten wir zum Beispiel verpasst, wäre nicht ein Berg im Weg gewesen. Den ersten Flug hätte ich wegen ihm beinah verpasst. Generell ist er so ziemlich das Gegenteil und plant nicht gerne, sondern lässt die Dinge auf sich zukommen und schaut dann, was Sache ist. Das mag ich ja im Urlaub auch, aber halt auch nur begrenzt. Wegen der Sache mit dem ersten Flug erwartet sein Vater, dass mich Prachit zum Flughafen bringt. Dass ich mich um nichts kümmern muss. Was unheimlich lieb gemeint ist, macht mich aber ziemlich nervös. Mal wieder.  Mein Wissensstand: unser Nachtbus fährt um 21 Uhr und Prachit ist gerade mit Rani weggefahren und meint, er kommt in 2-3 h gegen 19-20 Uhr wieder. Die Bustickets habe er noch nicht (dabei hatte ich ihn so verstanden, dass er sie schon vor Tagen besorgt hatte). Er wisse, dass mich das jetzt vermutlich stresse und dass ich ihm bitte vertrauen soll, es würde alles geregelt. Ja das fällt mir schwer. Ich komme hier nicht alleine weg, ich habe hier mit meinem Netzbetreiber keinen Empfang und der Hotspot vom Handy seiner Mutter ist auch nur sehr mäßig hilfreich. Ich weiß, dass es mehrere Busse gibt und zur Not auch noch Züge, die bis 2 Uhr morgens nach Mumbai fahren. Es ist also auch noch Puffer vorhanden. Was mich fast noch nervöser macht, weil der dreiviertel Tag Puffer, den ich zuletzt geplant hatte ja auch voll ausgeschöpft wurde. Vor meinem inneren Auge verpasse ich den Flug. Aber es ist noch genug Zeit. Das versuche ich mir einzureden. Ich steige aufs Motorrad des Vaters auf und mir fällt ein, dass Prachit erzählt hat, dass er aufgrund irgendwelcher Medikamente nur noch 15% Sehkraft hat. Das trägt jetzt nicht so viel zu meiner Beruhigung bei. Bis wir nach Erreichen der Geschwindigkeit von geschätzten 15 km/h (die Tachos hier gehen alle nicht) nicht weiter beschleunigen und ich lachen muss, weil ich beinah fragen möchte, ob ich anschieben soll. Es ist also eher eine gemütliche Fahrt. Beinah könnte man Kaffee auf einer Tasse dabei trinken. Wir fahren gerade so schnell, dass wir nicht umkippen. An 3 Stellen halten wir und laufen ein paar Schritte. Jedes mal, wenn jemand vorbeikommt, stellt er wieder erstaunt fest, wie neugierig mich die Leute anschauen. Das nehme ich schon lange garnicht mehr wahr. Auf dem Rückweg sagt er, wir wären jetzt schon wieder ganz nah daheim und ich kenne den Weg. Ich sage, dass ich dann zumindest das letzte Stück laufen würde. Bis ich verstehe, weshalb er darauf beharrt, mich zu begleiten: er hat Angst, dass mir etwas passiert. Er sagt, hier in Indien ist er für mich verantwortlich, meine Elterm sind weit weg und deshalb passt er als zweiter Vater auf mich auf. Und die Leute schauen ja schon alle so, das sei ihm nicht geheuer. Ich sage, dass schauen kein Problem sei aber er lässt sich nicht abbringen. Ich bin gerührt. Und ein bisschen genervt. Eine gute Mischung aus beidem. Ich fühle mich in meiner Adoptivfamilie so wohl und bin extrem dankbar dafür, wie sie mich aufnehmen. Andererseits ist da noch der Teil in mir, der ein starkes Unabhängigkeitsbedürfnis hat. Da bin ich tausende Kilometer gereist, lebe in einer Familie, die ich vor kurzem nicht einmal gekannt habe, weiß nicht einmal wo ganz genau und dann soll ich nicht spazieren gehen, weil das zu gefährlich sei. Ein bissl grotesk das ganze. Der Teil in mir, der gerührt ist, überwiegt aber deutlich. Es ist einfach Balsam für meine Seele zu wissen, dass sich Menschen um mich sorgen. Und das sogar auch am gefühlt anderen Ende der Welt. In Schrittgeschwindigkeit fahren wir wieder zurück nach Hause. Und so bin ich doch froh, diesen kleinen Ausflug mit dem Vater gemacht zu haben. Unsere Unterhaltungen während der Spaziereinlagen haben mich abgelenkt und ich fühle mich wieder gut.

Es wird immer später, ich habe mittlerweile meinen Quinoasalat fertig vorbereitet und wir warten mit dem Essen auf Prachit. Ab etwa halb 9 sagt mir sein Vater immer mal wieder, dass er auf dem Weg sei. Das ist ja nett zu wissen, aber mich würde eher interessieren, wann er ankommt und wann wir weiterfahren. Ich bin angespannt. Ich bin nervös. Ich habe Prachit darin vertraut, meine Rückreise zu organisieren. Groß eine andere Wahl blieb mir auch nicht, denn ich komme nur mit einem Fahrzeug von hier weg. Außerdem beruhigt mich, dass der Vater sehr stark darauf bedacht ist, dass ich am besten schon am Mittwoch losfahre, um den Flug am Freitag zu bekommen. Er macht Prachit Druck. Es ist also wieder die gleiche Situation, ich weiß nichts und ich bin einfach nur wütend auf mich selbst, dass ich mich darauf eingelassen habe. Vielleicht, weil es bequem ist, sich um nichts zu kümmern, aber auch, um meiner Familie zu zeigen, dass ich ihnen vertraue und ihre Bemühungen um mich wertzuschätzen weiß. Mein Problem: laut meiner Info fährt der Bus um 9, wir haben noch keine Tickets (warum auch immer), ich weiß nicht, von wo die Busse fahren, weil sie an in meinen Augen willkürlichen Orten an der Autobahn halten, ich kann nicht nachschauen, wann Busse oder Züge fahren, weil ich kein Netz habe und der Hotspot gerade so für WhatsApp Nachrichten ausreicht. Ich kann mir kein Taxi rufen, weil ich weder eine Telefonnummer habe, noch marati spreche. Mir wird hier nur gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen, alles wäre geklärt und ich würde meinen Flug bekommen. Ich versuche rauszufinden, was es ganz genau ist, das mich so verzweifeln lässt. Keine Kontrolle zu haben? Die völlige Abhängigkeit? Das Gefühl, dass ich nicht hätte vertrauen sollen? Dass hier jedes und alles wichtiger ist, als meine Bedürfnisse (das ist natürlich stark übertrieben)? Angst, den Flug zu verpassen habe ich keine, es wäre kein Weltuntergang. Es wäre ein finanzieller Nachteil, den ich mittlerweile wirklich vermeiden möchte, aber es wäre machbar. Das ist also nicht das eigentliche Problem. Ich kann es selbst nicht ganz ausmachen. Es ist 22:10 Uhr und da wir vorher am Bahnhof waren kenne ich den Weg dorthin. Ich schätze, es wird mich 2-3 h kosten, hinzulaufen, aber ich sehe das gerade als einzige Möglichkeit, wegzukommen. Die Mutter fragt, ob ich schonmal etwas essen möge. Ich bin wütend, ich bin angespannt und ich heule fast, nein. Essen möchte ich gerade wirklich nicht. Sie hat eines meiner Lieblingsgerichte gekocht, Kichererbsencurry. Sie weiß, dass ich Kichererbsen liebe und ist aufgebracht, weil ich nichts essen möchte. Ich übersetze über den Google Übersetzer in marati, dass es mir Leid tue, so zu gehen, aber ich gehe jetzt zum Bahnhof. Meine Taschen habe ich gepackt und ich bin der festen Überzeugung, dass dies der einzige Weg für mich ist, heute noch wegzukommen. Der Vater beteuert lachend, dass das nicht nötig wäre, Prachit komme ja gleich und dann bringe uns eine Autoriksha zum Bus. Da ich keine Maratitastatur habe beschränkt sich unsere Kommunikation wieder auf die verbale Ebene mit Gestik. Jetzt schaffe ich es nicht mehr, an mich zu halten und sage in meinen spärlichen Hindikenntmissen gemischt mit englisch mit laufenden Tränen, dass Prachit schon um 8 dasein wollte und jetzt 10 sei. Außerdem haben wir keine Bustickets. Der Vater versteht meinen Ausbruch nicht so sehr, die Mutter versucht derweil, mich zum Essen zu überreden und versteht auch nicht, was mit mir los ist. Ich solle mir keine Sorgen machen, es sei alles geklärt. Kein Problem. Ich zähle ihm auf, dass für mich das fehlende Busticket, der verpasste Bus, die Abwesenheit der Person, die mir versprochen hat, mich zum Flughafen zu bringen sowie meine fehlenden Maratikenntnisse ein Problem wären. Außerdem habe ich nicht mehr genug Bargeld, um ein Ticket zu kaufen und weiß nicht, wo die nächste Bank ist. Er ruft Prachit erneut an und sagt, dass dieser in 10 min da sei und dann fahren wir los. Da sie beide mit Pooja (dem Mädchen, das im Haushalt hilft) zusammen und mittlerweile auch dem Bruder auf mich einreden und mich zu beruhigen versuchen, beschließe ich, genau 10 min zu warten und dann zu gehen. Und tatsächlich kommt Prachit nach wenigen Minuten, die Autoriksha auch und wir fahren mit dem Vater zusammen zum Bus. Scheinbar haben wir doch Tickets und kommen 10 Sekunden vor dem Bus irgendwo mitten auf der Straße an. Es ist ein fancy Bus, wir haben Liegeplätze und bis auf meinen Ausbruch an Emotionen ist alles gut. Ich bekomme den Flieger locker, Prachit besorgt mir auf dem Weg noch etwa 10 kg Obst als Mitbringsel, weil er starken Mitleid mit uns Deutschen hat, mit dem kleinen Obstangebot.

Es ist schon irgendwie komisch, wie die Dinge kommen. Meine Überlegungen zur letzten Woche in Indien waren eigentlich, dass ich etwas Zeit alleine verbringe und spontan schaue, worauf ich gerade so Lust habe. Weil ich in Varanasi mit Priyankas Hochzeit busy war, in Delhi war der Christkindelsmarkt und in Goa fand ich es mit Mili schon auch anstrengend. Da habe ich mich darauf gefreut, die letzten Tage einfach noch mein Ding zu machen, ohne zu schauen, was andere von mir erwarten und für mich Dinge ohne Abstimmung organisieren. Das ist ja jetzt doch etwas anders. Genauer betrachtet ist es sogar so ziemlich das Gegenteil. Ich habe mich mit Rani, Sadaff und Prachit angefreundet und bin sogar eine Woche bei Prachit eingezogen und habe mit ihm nicht nur einen Freund, sondern mit seinen Eltern auch gleich eine Familie dazu gewonnen. Vor ein paar Jahren hätte ich mich vermutlich für verrückt erklärt, einfach spontan bei Leuten einzuziehen, die ich erst 2x getroffen habe. Aufs Land, wo ich darauf angewiesen bin, dass sie mich mit dem Motorrad mit irgendwohin nehmen, weil ich sonst erstmal eine Stunde in den Ort laufen müsste oder 2-3 h in die nächste Innenstadt. Ich glaube, dass ich besonders wegen solcher Erfahrungen so gerne nach Indien reise. Es gibt immer wieder schöne Überraschungen, die jede Reise aufs neue besonders machen. Und umso schwerer fällt es mir auch, das Land wieder zu verlassen und zurück ich meinen Alltag in Deutschland einzutauchen.

Ich bin pünktlich zu Weihnachten wieder in Deutschland und habe irgendwie doch einen kleinen Kulturschock. Ich treffe Freunde und verbringe Zeit mit der Familie. Schöne Dinge. Und doch fühle ich mich fehl am Platz.

Das war es erstmal wieder hier 🙂 danke fürs mitlesen und alles Liebe!

Julia

Planänderung

Ich sehe das Meer nicht, aber ich höre es rauschen. Eine Geräuschkulisse, von der ich mir nicht vorstellen kann, dass ich mir derer jemals satt höre. Es ist Freitag Abend, mein letzter richtiger Tag hier in Indien. Ich weiß nicht, wo ich bin, ich weiß nicht, wann ich zurück zum Homestay komme, ich weiß nicht, wie ich zur Bushaltestelle kommen werde und ich habe noch kein Busticket. Wann die Busse fahren, weiß ich auch nicht. Ziemlich viele unbekannte Variablen für meinen Geschmack. Das einzige, das ich weiß ist, dass ich heute Nacht mit dem Schlafbus nach Mumbai fahren möchte. Morgen Abend muss ich dann schon zum Flughafen und in der Nacht auf Sonntag geht es auf den Weg zurück nach Hause. Die deutsche Julia ist ganz schön tapfer, denn eigentlich liebt sie es, alles zu planen, zu wissen, wann was passiert und sie ist vor allem unabhängig. Die Julia in Indien sitzt hier in einem Restaurant irgendwo zwischen Goa und Mumbai am Meer, hat keinen Empfang, ist mit Prachit mit dem Roller hierher gekommen und ist demnach völlig davon abhängig, dass er und meine Gastgeber vom Homestay meine Rückreise ordentlich organisieren. Eigentlich würde ich jetzt sagen schwierig. Ich hätte eigentlich gerne mehr Kontrolle. Aber hier ist alles gut, so wie es läuft. Irgendwie werde ich schon nach Mumbai kommen, einen dreiviertel Tag Puffer habe ich und der sollte ja durchaus reichen.

Aber jetzt dazu, wie ich überhaupt hierher gekommen bin. Prachit (Fahrer meines Vertrauens) und seine Eltern gehören mittlerweile auf die Liste meiner Freunde. Eine sehr herzliche Familie. Gestern Abend hatte Rani mir mitgeteilt, dass sie alle bei Prachits Eltern übernachten wollen und ob das für mich passe? Wir würden in 30 min aufbrechen. Ich freue mich über die klare und frühzeitige Frage/Info und sage natürlich zu. Ich mag Prachits Eltern. Die Kommunikation ist nur sehr schwierig, weil sie ausschließlich marati sprechen und das ist zwar ähnlich wie hindi, aber mit meinem hindi kann ich jetzt auch keine Stunde an Konversation füllen. Trotzdem schaffen der Vater und ich es irgendwie, uns 3 h lang zu unterhalten. Mit der Zeit wird es immer besser. Da Rani und Sardaff noch etwas arbeiten müssen, nehme ich Prachits Angebot, mich mit ans Meer zu nehmen, sehr gerne an. Wir fahren etwa 2 h mit dem Roller die ca. 40 km zum Meer. Die Fahrt ist schön. Mit dem Wind ist es richtig angenehm und durch Wälder und an Palmen vorbei ist auch die Aussicht toll.

Es ist Montag, 13 Uhr und ich habe gerade Mittag gegessen bei meinen neuen Adoptiveltern. Ich bin in Chiplun, wieder. Überraschung! Den Flug gestern habe ich also nicht genommen. Ich bin sehr glücklich. Manchmal ändern sich Pläne und diesmal war es sehr spontan. Das ist eigentlich garnicht mein Ding. Ich mag Pläne und ich mag besonders, wenn meine Pläne aufgehen. Diesmal war mein Plan, am Freitag nach Mumbai aufzubrechen, Samstag etwas Puffer und außerdem Zeit zum Geschenke shoppen haben und in der Nacht auf Sonntag den Flieger zu nehmen. Der Plan hinkte allerdings gewaltig, denn ich habe mich nicht eigenständig auf den Weg gemacht, sondern zusammen mit Prachit. Da er oft hin und her fährt und wir außerdem von seinen Eltern aus los wollen, verlasse ich mich darauf und bin nun vollkommen auf ihn angewiesen und das war für die Umsetzung meines Plans wenig vorteilhaft. Als wir abends gegen halb 12 vom Meer zurück kommen, müssen wir natürlich erstmal Abend essen. Dann muss er packen, wir müssten nochmal beim Homestay vorbei und meinen Rucksack holen und dann zur Bushaltestelle. Wird also etwas spät. Prachit fragt mich, ob wir nicht lieber hier bei seinen Eltern übernachten und am nächsten Morgen früh aufbrechen. Da melde ich Bedenken an und wiederhole, dass ich noch Geschenke besorgen möchte und daher gerne frühzeitig in Mumbai wäre. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass wir vor 12 wegkommen. Wir entscheiden uns, Sonntag früh aufbrechen. Sonntag um 11:22 Uhr kommen wir im Homestay an, sollten jedoch Snacks mitbringen, die wir gemeinsam essen und bis wir aufbrechen, ist es 12:10 Uhr. Dann stehen wir etwas später an der Autobahn, wo uns der Bus aufsammeln sollte. Der hat Verspätung und leider mag uns auch kein Anhalter die ca. 250 km mitnehmen. Sein Vater kommt mit dem Motorrad vorbei und leistet uns Gesellschaft. Ich bin genervt. Nicht vom Vater, aber von Prachits Trödelei. Da ihm einfällt, dass ich die Tage noch Kokosnusswasser trinken wollte, schlägt er vor, das jetzt zu machen und mit dem Motorrad in die Innenstadt zu fahren. Das Gepäck können wir ja beim Vater lassen, der kommt ohne sein Motorrad eh nicht weit. Der Bus würde erst in einer Stunde kommen. Der Fahrkartenkontrolleur des Vorbusses habe gewusst, dass der Bus 1,5 h Verspätung hat. Was aber, wenn er nicht Recht hat und wir dann den Bus verpassen? Klingt nach einer bescheuerten Idee. Also fahren wir los. Eine halbe Stunde später haben wir einen Kokosnussverkäufer gefunden und meine Stimmung ist etwa 3% besser. Dann fahren wir zurück und warten. In der prallen Sonne direkt an der Autobahn. Zwischendurch ruft Papa an, er hat ein besonders gutes timing erwischt, denn zumindest Empfang habe ich hier gut. Und an Zeit mangelt es mir aktuell ja auch nicht unbedingt. Kurz nach 3 steigen wir dann endlich in den Bus ein.

5 h brauche der laut Prachit. Das bezweifel ich aber, denn der Zug braucht planmäßig 6 h. Wir haben den vermutlich vorsichtigsten Busfahrer Indiens erwischt und ich bin mir unsicher, wie ich dazu stehen soll. Etwas mehr Tempo wäre schon auch nicht schlecht. Mittlerweile ist meine Genervtheit in Übermut umgeschwungen und ich habe aus mir selbst unerfindlichen Gründen beste Laune. Vielleicht hat mir das Kokosnusswasser doch gut getan. Wird schon. Das ist Indien. Hier laufen die Dinge nun mal anders.

Gegen 21 Uhr fängt Prachit an, sich Sorgen zu machen. Aber auch das kann mich nicht aus der Ruhe bringen. Ich überlege derweil, was ich mache, wenn ich den Flug verpassen sollte und schaue, was es kostet, wenn ich in der gleichen Nacht noch einen anderen Flug buche. Ca. 370 €. Hmmm. Dafür, dass Vorweihnachtszeit ist und die Buchung ja extrem spontan wäre, garnicht mal so viel. Das beruhigt mich noch mehr und ich lasse auf mich zukommen, wie es wohl kommen wird. Da relativ klar ist, dass meine Shoppingtour flach fallen wird, schickt er seine Cousins los. Per Videotelefonie kann ich so entscheiden, was ich möchte. Ein bisschen wie online shopping. Dann denke ich darüber nach, wie gut es mir hier gefällt und dass wenn ich eh einen neuen Flug buchen würde, könnte ich den ja auch ein paar Tage später nehmen. Wirklich wichtige Termine habe ich keine. Gegen 11 Uhr kommen wir in Panvel an und steigen in den Zug um. Mumbai ist noch ca. 42 km entfernt, der Zug fährt jedoch schneller. Von dort müssen wir allerdings noch 3x umsteigen bis zum Flughafen. Der Flieger geht um 2:50 Uhr. Bis Mumbai dauert es etwa eine Stunde, dann je nach Umsteigezeiten nochmal 1-2h.

Ich bin verwirrt. Ich könnte den Flieger noch bekommen, aber will ich das? Soll ich den einfach trotzdem verpassen und einen neuen Rückflug buchen? Einerseits etwas rausgeschmissenes Geld. Andererseits hätte ich noch ein paar Tage länger hier. Außerdem habe ich heute einen Batzen an Steuerrückzahlungen erhalten. Geld, mit dem ich nicht gerechnet hatte. In einem der ganzen Züge entscheide ich, den Flug nicht zu nehmen.

Ich fahre mit Prachit in seine Wohnung, die er mit den beiden Shopping queen Cousins teilt und übernachte dort. Einer der Cousins und Prachit haben in der Nacht ein Fotoshooting, weshalb sie nach dem Abendessen gegen 2 Uhr morgens aufbrechen. Dann ist auch schon Sonntag und wir beschließen, den Nachtbus zurück nach Chiplun zu nehmen. Er ruft seine Eltern an und die fordern ihn direkt auf, mich mit zu ihnen zu nehmen und ich könne bei ihnen wohnen. Wie lieb. Meine neuen Adoptiveltern. Und hier bin ich wieder. Schneller zurück, als erwartet!

Hitler und ein Roadtrip in den Bergen

Gegen halb 10 wache ich von Klopfen auf. Es hat schon ein paarmal geklopft und ich öffne die Tür. Da ist niemand. Mir wird bewusst, dass das Klopfen auch eher nach Klopfen auf Glas klang. Also hat vielleicht jemand vom umlaufenden Balkon gegen mein Fenster geklopft? Aber auch da ist niemand. Ich lege mich wieder hin und kurz später geht das Klopfen wieder los. Es ist ein Vogel, der auf einer Gitterstange vor meinem verspiegelten Fenster sitzt und sich selbst sieht. Da hat ein so kleines Tier einen ziemlich effektiven Weg gefunden, mich wach zu bekommen. Gut, dann stehe ich wohl mal auf. Meine Unterkunft wird von einer NGO betrieben und einer der Freunde muss zum Arzt gebracht werden. Sie fragen, ob ich mitkommen mag und da ich nichts anderes vorhabe, sage ich zu. Wir setzen ihn mit einem anderen Freund ab und dann fährt Prachit mit mir weiter zu seinen Eltern. Es ist eine schöne Fahrt, die Landschaft ist schön und ich darf DJ spielen. Ich liebe es. Mein Hals nicht so sehr, denn ich kann mich kaum zurückhalten und singe etwas mit. Dafür werde ich morgen ohne Stimme aufwachen. Aber ok, das ist es wohl wert 🙂

Mein kleiner, effektiver Wecker:

Prachit darf bei seinen Eltern Dolmetscher spielen, denn sie sprechen marati und da verstehe ich garnichts. Über meine spärlichen Hindikenntnisse freuen sie sich aber übermäßig. Das wiederum freut mich sehr 🙂 das Haus liegt sehr abseits der Zivilisation (gefühlt zumindest) und mittendrin in der wunderschönen Natur. Ich stehe lange vor dem offenen Fenster und schaue einfach nur den Vögeln zu. Irgendwann werden wir angerufen und holen die anderen beiden wieder ab. Am Abend fahren wir dann zusammen in die Berge, hier sehen wir den Sonnenuntergang und besuchen dann eine Familie, welche in sehr einfachen Verhältnissen ab vom Schuss lebt. Im Rahmen der NGO haben Rani und Sardaff (meine Gastgeber) Kontakt zu ihnen und besuchen sie ab und an. Da ich kein Wort verstehe, ist der Besuch für mich weniger interessant, dafür genieße ich die Aussicht in den Bergen ganz besonders:

Dann geht es wieder zurück und ich freue mich sehr aufs Bett! Bis ich gegen 9 wieder von meinen kleinen, fliegenden Freunden geweckt werde. Meine Gastgeber sind unterwegs und ich beschließe irgendwann, zum Markt zu gehen, um etwas Essen zu besorgen. Ich kaufe etwas Gemüse für einen Salat, außerdem Obst (es ist Guavasaison! Wundervoll!) und esse in einem Laden einen Vada Pav. Das ist im Prinzip wie ein Burgerbrötchen mit frittiertem Bratling drin und einer süß-sauren Sauce zum Dippen. Mein Obstverkäufer gibt mir ein Stück Guava zum Probieren, nachdem ich auf die hellgrünen zeige und er versucht, mich von den anderen Früchten zu überzeugen, die ich nicht kenne. Es sind Guavas, die innen rot sind und auch von außen etwas anders ausschauen. Kurzerhand schenkt er mir die ganze Guava. Er hat sich damit zu meiner 4. liebsten Person in Shirgaon hochgearbeitet. Ich mag ihn. Ich kaufe Guavas und noch ein paar Chikus, bevor ich mich auf den Rückweg mache. Mir fällt kurz auf, dass ich relativ indiskret angestarrt werde, lasse mich davon aber nicht weiter stören. Seit meine Guava aufgegessen ist, habe ich mir eh wieder das Tuch um den Kopf gebunden, sodass es kaum mehr was spannendes zu sehen gibt. Als ich zurück bin, beschließe ich, einen Mittagsschlaf zu machen. Das scheint mir bei der Hitze nur sinnvoll zu sein.

Am Nachmittag möchte ich dann aber doch nochmal raus und finde auf Google Maps einen See in 7,5 km Entfernung und mache mich auf den Weg. Als ich das Grundstück verlasse und gerade abbiege, kommt einer der Hunde angerannt und begleitet mich. Awww! Eine Viertel Stunde läuft sie etwa neben mir her, bis sie erst stehen bleibt und schließen zurück läuft. Ich laufe durch ein Dorf, irgendwann scheine ich im Zentrum zu sein: eine Straße hat viele Shops. Dann kommt lange kein Haus mehr und ich bin nur noch von Bäumen und Büschen umgeben. Ab und an fährt ein Motorrad vorbei. Es ist schön. Ich genieße den Spaziergang, laufen tu ich ja eh sehr gerne. Und ganz besonders natürlich, wenn die Natur um mich rum so schön ist. Irgendwann bekomme ich eine Nachricht von Prachit, ich soll mich fertig machen, wir fahren gleich in die Berge. Wir vereinbaren, dass er mich abholt, da ich ein ganzes Stück entfernt bin. Ich laufe ihm entgegen und als wir im Homestay ankommen, erfahre ich nebenbei, dass wir in den Bergen übernachten werden. Ah. Klingt super, aber prinzipiell werde ich über solche Kleinigkeiten auch gerne informiert. Bin ich aber ja jetzt, also auf geht es! Diesmal mit einem kleinen, grünen Auto (sorry aber genauer kann ich das nicht beschreiben ^^). Wir fahren zwar nicht weit, aber dennoch laufen wir den Großteil der Strecke. Unser kleines grünes Auto stirbt nämlich einige male ab und muss so mache Aufstiege 4 mal (oder auch öfter) nehmen, um den staubigen Weg zu beschreiten. Das ist ohne uns drin einfacher. Ich mache also auch noch eine Wanderung heute und viel sportlicher wird es bei mir in nächster Zeit wohl erstmal nicht mehr werden.

Unser Auto:

Als wir oben ankommen, ist es schon komplett dunkel und während sich im Haus einige Nachbarn versammeln, setze ich mich raus und schaue auf die Berge und den Sternenhimmel. Ich habe hier den besseren Deal, finde ich.   Irgendwann gibt es Abendessen. Ich werde gefragt, ob es mir zu scharf sei. Ich antworte wahrheitsgemäß, dass ich es zwar scharf, aber nicht zu scharf finde und stelle erst nach dem Essen fest, wie sehr mein Mund brennt. Puh. Irgendwas Süßes wäre jetzt wirklich gut. Aber auch ohne hört das Brennen irgendwann auf. Ich gehe auf Toilette – und den Begriff Toilette verwende ich in dem Fall stellvertretend für einen Ort, an dem man sich erleichtert. In dem spezifischen Fall hinter einem Busch etwa 20 m vom Haus entfernt. Ich gehe mit Rani zusammen da sie mir erklärt, dass es alleine im Dunkeln gefährlich sein kann durch die Tiere. Vor ein paar Tagen zum Beispiel hätte ein Leopard eine Ziege des Nachbarn gerissen. Und als ich mir vorstelle, wie ich beim Pinkeln von ein Leoparden getötet werde, finde ich das doch relativ würdelos und freue mich über die Begleitung von Rani. Schlafen gehen wir dann auf einer Plastikmatte, die auf dem Lehmboden des Hauses ausgelegt wird. Gut, dass ich harte Matratzen bevorzuge und keine super weiche Matratze gewöhnt bin.

Am nächsten Morgen werde ich von den Geräuschen der Familie geweckt, in deren Haus wir schlafen. Ich setze mich auf, da ich eh nicht mehr schlafen kann und werde vom etw 3-jährigen Sohn angestarrt. Hallo, Kind. Ich lächel, aber das ändert nichts an seiner starren Miene. Ok. Er setzt sich direkt vor mich auf die Matte, auf der wir schlafen und starrt mich weiterhin unverändert an. Hmm. Gibt angenehmeres. Aber ok. Nach einer gefühlt sehr langen Weile wird es doch recht unangenehm und ich fange an, Grimassen zu ziehen – endlich ändern sich auch seine Gesichtszüge und ich bringe ihn sogar zum Lachen. Mein Tag ist damit schon gerettet. Irgendwann stehen auch die anderen auf und nach dem Frühstück mache ich einen kleinen Spaziergang. Auf dem Rückweg kommt mir Prachit mit ein paar Bauern aus der Gegend entgegen, ihm war nicht so recht, dass ich so unbeschwert spazieren gehe, wo es doch ein paar gefährliche Tiere gibt. Vermutlich bin ich da einfach zu blauäugig. Die Bauern wollen wissen, wo ich herkomme und fragen Prachit über mich aus. Da ihnen der Begriff Germany nichts sagt, erwähnt er den Namen Hitler und schon nicken sie wissend. Vielleicht hat Prachit ihnen gerade erzählt, dass ich eine Freundin Hitlers sei, keine Ahnung. Aber er grinst mich dabei an und sagt „see?“. Bei der Dorfversammlung wurde auch immer wieder aufs neue erzählt, woher ich komme und da Deutschland niemand kannte, wurde einfach Amerika gesagt. Prachit meinte, Amerika wäre zumindestein bekannter Begriff. Bin seeehr unsicher, wie ich dazu stehe. Dann ist er allerdings auf die Idee mit Hitler gekommen. Ein Name, der wirklich jedem ein Begriff ist und plötzlich fand ich es doch garnicht mehr so schlimm, mit Amerika assoziiert zu werden. Ich schätze, jede Alternative ist besser als Hitler. Aber den werde ich gerade nicht los.

Wir rollen. Juhu! Es holpert ziemlich, aber wir bewegen uns in die richtige Richtung also läuft es doch eigentlich ganz gut. Ab und an müssen wir aussteigen und schieben. Unser Auto hat heute leider beschlossen, vollends den Geist aufzugeben und da der Großteil unserer Rückreise in den Ort bergab geht (großer Vorteil, wenn man einen Ausflug in die Bergen macht), beschließen wir, so weit es geht zurück zu „fahren“. Ich bin in Indien (immernoch), wir haben zwar Winter, aber trotzdem 35° C, die Sonne prallt nur so herunter und ich verbringe meinen Urlaub damit, ein Auto zu schieben. Wieder eines der Dinge, die nicht geplant waren und die ich im Urlaub deutlich unterhaltsamer und akzeptabler finde, als im Alltag. Die Piste, die wir runtertollen, ist natürlich keine befestigte Straße, sondern ein Erdweg mit einigen kleinen und großen Steinen. Irgendwann sehe ich, wie Rani sich ihrer Tür zuwendet und eine Hand am Griff hält. Daraufhin frage ich, ob wir gerade planen, im Notfall rauszuspringen? Und bitte sie zudem, mir solch lebensverändernde Pläne mitzuteilen, da ich sie auf marati nicht verstehe und gegebenenfalls allein im Auto zurück bleibe und sterbe. Daraufhin muss sie lachen und verspricht, mir im Fall der Fälle rechtzeitig Bescheid zu geben. Kurz später fragt Prachit, Fahrer meines Vertrauens, was ich mache (ich sage aus Spaß „beten“) und er antwortet nur: falsch, schwitzen. Ja, das stimmt. Schwitzen tun wir alle und der Windzug, der bei steileren Abschnitten durch die Fenster kommt, ist wirklich angenehm. Dann kommt wieder ein Stück, welches leicht bergauf geht und lang genug ist, sodass unser Schwung nicht bis zur nächsten Abfahrt ausreicht. Aussteigen, mein Tuch um die Hände wickeln (das Auto ist ganz schön heiß!), schieben. Einsteigen, Tür durch Fenster von außen schließen, da sie sonst nicht verriegelt und aufspringt (den TÜV hätte unser Auto dieses Jahr wohl nicht bekommen), lachen, durchatmen, wieder von vorne. XXXX  Das ist mit Abstand die witzigste Autofahrt, an die ich mich erinnern kann. Zum Glück ist das Auto klein und leicht. Wobei es sowieso ironisch ist, dass wir bisher mit einem SUV über befestigte (keine guten, aber immerhin größtenteils asphaltierte) Straßen gefahren sind und ausgerechnet diese Fahrt mit dem kleinen Auto angetreten haben. Aber eigentlich garnicht schlecht, denn sonst wäre es vermutlich nur eine langweilige Fahrt nach unten geworden. So ist es ein Abenteuer!

Gutes Essen und Freiheitsgefühle in Goa

Und zack, ist auch die Zeit in Goa wieder rum. Ich sitze am Bahnhof und warte auf meinen Zug, der mich eigentlich vor einer viertel Stunde hätte Richtung Mumbai bringen sollen. Wir haben 35°, was unter dem Ventilator angenehm ist. Was weniger angenehm ist – und das ist schon arg beschönigt ausgedrückt – ist das kleine Kind, welches hier mit Quietscheschuhen durch die kleine Halle rennt. Wie kann man denn seinem Kind so etwas anziehen? Schrecklich. Leider hat das Kind eine meiner Meinung nach übermäßige Motivation, sich darin fortzubewegen. Leider kann es laufen.

Aber zurück zur Zeit in Goa. Am Flughafen angekommen werde ich von einem Taxi abgeholt, welches mich 45 min später am Hostel absetzt. Und genau zur gleichen Zeit kommt auch Mili an, um mich zu begrüßen. Wie schön. Mili ist die Freudin, mit der ich letzten Sommer einen kleinen Trip nach Rajasthan gemacht hatte. Sie ist zwischenzeitlich zu ihrem Mann nach Goa gezogen und deshalb bin ich nach Goa gekommen. Am nächsten Mittag treffen wir uns im Restaurant ihres Mannes, wo sie arbeitet und außerdem beschlossen hat, mich während meines Aufenthalts zu verköstigen. Das Essen schmeckt sehr gut, demnach werde ich mich bestimmt nicht dagegen wehren. Außerdem weiß sie, dass ich vegan bin und achtet darauf. Das ist natürlich auch cool.

Hier 2 Fotos von tibetischem Essen aus dem Restaurant ihres Mannes:

Nach dem Essen möchte ich unbedingt an den Strand und spazieren gehen. Von letztem Jahr sollte Mili ja eigentlich noch wissen, dass ich gerne laufe und auch nicht wenig (für indische Verhältnisse). Trotzdem beharrt sie darauf, mitzukommen. Ich erinnere sie daran, wie sie letztes Jahr jede Sitzgelegenheit für eine Pause genutzt hat und sich nach etwa 5 min anfing, zu beschweren. Sie will trotzdem mit. Na gut. Sie bittet ihren Mann, uns die etwa 300 m zum Strand zu fahren. Fängt auf jeden Fall gut an, unser Spaziergang. Schließlich laufen wir los und nach etwa 10 min macht sie die erste Pause. Ich sage ihr, dass ich nicht auf sie warte, sondern weiter gehen werde (sonst komme ich heute keine 500 m mehr weiter) und sage, sie soll doch heim gehen. Aber nein. Ein Sturkopf. Vermutlich genießt sie auch, rauszukommen und nicht entweder daheim oder im Restaurant zu sein. Sonst scheint sie nicht viel unterwegs zu sein. Nach etwa 40 min fragt sie mich, wo ich sei und nachdem sie erfährt, dass ich nicht innerhalb der nächsten 10 min zurück sein werde, geht sie schließlich zurück. Nach meinem Spaziergang kehre ich ins Restaurant zurück, esse Abend und verabschiede mich ins Hostel.

Der Strand:

Am Donnerstag organisiert Mili uns einen Motorroller. Der Vermieter möchte nur wissen, ob ich sowas schonmal gefahren hätte, gibt mir den Schlüssel und zeigt den Helm. Dann ist er weg. Gut, dass ich zur Sicherheit noch den internationalen Führerschein ausstellen lassen hatte 😀 Wir düsen los und fahren zu verschiedenen Märkten. Die ersten 5 min wiederholt meine innere Stimme mantraartig „links, links, links“ weil eine der wundervollen Überbleibsel der britischen Kolonialzeit der Linksverkehr ist. Da ich aber ja schon des öfteren Zeit in Indien verbracht habe und man ja auch als Fußgängerin mit dem Linksverkehr in Berührung kommt (besonders in einem Land ohne Bürgersteige), fühle ich mich recht schnell sicher auf der linken Seite. Mili spielt Lotsin und muss sich in ihre Rolle noch reinfinden. Immer, wenn ich vor einer Kreuzung frage, wo wir hin müssen, lautet ihre fachmännische Antwort „straight“. Besonders hilfreich, wenn man nur rechts oder links fahren kann. Sie legt den Begriff „geradeaus“ offensichtlich anders aus, als ich. Während sie ihn etwas großzügiger für praktisch alle Richtungen anwendet, halte ich eine Abgrenzung zu rechts, links sowie zurück eigentlich relativ vorteilhaft. Aber ok. Sie zeigt mir irgendwann das Handy, sodass ich ihr geradeaus für mich übersetzen kann und so kommen wir am Ende ans Ziel. Auf den Märkten gibt es für mich wenig interessante Dinge, was Mili enttäuscht, weil sie mir gerne etwas geschenkt hätte. Dafür kaufen wir noch ein paar tibetische Flaggen fürs Restaurant. Auf dem nächsten Markt sage ich etwas zu unbedacht, dass ich Süßkartoffeln mag, als wir an einem Verkäufer vorbeikommen. Und zack, gehen wir mit 1 kg Süßkartoffeln weiter. Ihr Mann möge die auch und dann sollen die Köche uns doch was damit zubereiten. Ok.

Zurück im Restaurant wissen die Köche leider absolut nicht, was man mit Süßkartoffeln anstellt und so bekommen wir 2 h später einfach gekochte Süßkartoffeln serviert. Jeder 0,5 kg. Ich weiß ja nicht, was die von mir halten, aber ein halbes Kilo Kartoffeln ist schon einiges für eine Mahlzeit. So groß bin ich auch wieder nicht. Vollgestopft mit Süßkartoffel und bepackt mit der halben Portion für den nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg zum Hostel.

Am Freitag fahre ich vormittags alleine mit dem Roller durch die Gegend. Das ist super, man fühlt sich so frei. Es ist warm, der Fahrtwind ist echt angenehm und die Landschaft ist einfach schön. Viel Wald, viele Palmen. Und natürlich das Meer. Schön. Am Nachmittag mache ich mit Mili ein paar Erledigungen und abends gibt es wieder leckeres Essen. Als ich zurück ins Hostel komme, ist eine Party im Gange. Alkohol, Drogen, Partys. Dafür ist Goa bekannt und dabei fühle ich mich total wohl. Als einzige vom 8-Bett-Zimmer liege ich gegen 10 im Bett und höre dem starken Bass von dort zu.

Mein Roller des Vertrauens:

Und dann ist es mal wieder soweit und ich bin krank. Glücklicherweise ist es nur eine Erkältung. Frag mich einer, wie ich mir die bei 35° C tagsüber und 25° C nachts eingefangen habe. Aber da habe ich mittlerweile scheinbar ein Händchen für. Jeder hat halt so seine Talente. Den Tag verbringe ich daher im Bett, größtenteils im Halbschlaf. Und Sonntag breche ich ja auch schon wieder auf. Ich habe ein Zugticket für eine Fahrt von Thivim nach Chiplun. Chiplun liegt etwa auf der Hälfte des Wegs nach Mumbai und laut Google Maps ist es am Rand eines Nationalparks. Von 13:38 bis 18:22 Uhr sollte ich im Zug sitzen. Aber natürlich verschiebt sich alles.

Zurück zum Bahnhof. Mittlerweile bin ich schon seit 3,5 Stunden hier und warte noch immer auf meinen Zug. Und da ich außer 3x 20 g gerösteten Kichererbsen keinen Proviant mitgenommen habe, schaue ich dann doch mal am Kiosk vorbei. In den letzten Tagen habe ich meine absoluten Lieblingschips wieder entdeckt! Bombay Chips. Das sind gut gewürzte Bananenchips (nicht süß), ich liebe es. Und da ich eventuell über die kurze Zeit etwas mehr davon gegessen habe, als es meinem Körper gut tut, beschließe ich, bei meiner Ernährung wieder auf eine größere Ausgewogenheit achte. Ich kaufe eine Zitronenlimonade, denn süß waren die Chips ja nicht. Mein Wasser entspricht gefühlt der Temperatur, die meiner Wohlfühltemperatur in der Wärmeflasche entspricht. Praktisch, wenn man Tee trinken möchte. Ich möchte keinen Tee trinken. Und auch wenn irgendwelche schlauen Leute sagen, dass warmes Wasser gut ist – mag ich jetzt gerade nicht. Das werde ich zurück in Deutschland vermutlich deutlich mehr zu schätzen wissen. Hier gerade eher so mäßig. Um 17:30 Uhr fährt schließlich mein Zug ein. Wuhuu. Nur 4 h Verspätung. Die Wartezeit wurde mir unter anderem durch eine große Familie versüßt, die alle in unterschiedlichen Konstellationen Fotos mit mir machen wollten und am Ende nochmal Einzelpfotos, wie wir uns die Hände schütteln. Das ist mal eine neue Pose, daher bin ich der Familie sehr wohlgestimmt. Irgendwann schaut noch ein Vater mit Baby auf dem Arm vorbei und setzt es mir für ein Foto auf den Schoß. Ich mag viele Kinder (zumindest, wenn sie nicht in Quietscheschuhen rumlaufen), aber da habe ich leichte Bedenken. Kleinkinder, die den Anblick von Leuten mit heller Haut nicht gewohnt sind, hatten in der Vergangenheit oft Angst vor mir und zu einer Traumatisierung des Kindes möchte ich nur sehr ungerne beitragen. Überraschenderweise fängt es beim Anblick meines aufmunternden (zumindest ist das meine Intention. À la wir stehen das gemeinsam durch und dann kannst du gleich wieder zurück zu deinem Papa) Lächelns aber an zu lachen. Hach, wie schön. Das Kind bleibt daher noch einen Moment auf meinem Schoß sitzen und wir lachen uns gegenseitig an. Das hat die Wartezeit eindeutig aufgewertet!

Und schon haben wir 22:26 Uhr und ich sitze noch immer im Zug. Eben wollte mich ein Mann von meinem Platz verscheuchen, aber da ich ziemlich sicher bin, dass das hier meiner ist, habe ich ihm das gesagt und ihm ist sein Fehler aufgefallen. Danach hat er sich sogar entschuldigt. In Ordnung. Ich war so sicher, weil mich der Ticketkontrolleur vorhin angesprochen hat, ob ich Juli auf Platz 79 sei. Und wenn er das schon im Zusammenhang mit dem Platz fragt-da glaube ich eher weniger, dass der Mann von Platz 80 (drüber) auch Juli heißt. Irgendwann kommen wir dann doch mal in Chiplun an. Mich holt Prachit, ein Freund meiner Gastgeber ab. Das war noch ein kurzes Hin und Her, weil sie aufgrund meiner großen Verspätung dachten, ich komme vielleicht garnicht. Aber passt dann alles. Er fragt mich glücklicherweise, ob ich schon gegessen hätte und so halten wir noch an einem chinesischen Restaurant, wo ich gebratene Nudeln mitnehme. Dann erzählte er, dass sie heute Nacht auf eine kleine Nachtsafari aufbrechen wollen – in der Hoffnung, einen Leopard oder sogar Tiger zu sehen. Und ob ich nicht mitkommen möchte. Puh. Ich bin müde, mir geht es zwar deutlich besser aber fit bin ich nicht und nach der ganzen Warterei heute würde ich mich auch ganz gerne einfach irgendwo gemütlich hinlegen. Ich sage zu, schlafen kann ich auch später. Wer weiß, wann ich das nächste mal zu einer Nachtsafari mit der Möglichkeit, eventuell einen Leoparden oder andere exotische Tiere zu sehen, eingeladen werde. Die Möglichkeit muss ich also nutzen. Wir steigen zu 7. in den Viersitzer und es ist zwar etwas eng, aber geht. Erst hatte ich befürchtet, dass jetzt wegen mir das Auto zu voll wird – bis noch mehr Leute eingestiegen sind. Wir sehen 4 Hirsche, 2 kleine Schlangen (ca. 80 cm lang), einen Vogel und eine Wildkatze gesehen. Wir sind gegen halb 1 nachts aufgebrochen und um halb 5 gehe ich schließlich schlafen. Obwohl wir Serpentinen auf schlechten Straßen gefahren sind, wodurch mir übel wurde und ich ja auch Tiere sehen wollte, bin ich nach etwa einer Stunde eingeschlafen. Der Halbschlaf im Auto war überraschenderweise eher weniger erholsam und um halb 5 bin ich wirklich fertig.

Christkindelsmarkt und anderer Trubel in Delhi

Die Zeit in Varanasi ging extrem schnell rum. Und gerade, weil ich am letzten Tag auch noch so viel unterwegs war, realisiere ich erst, als ich in Delhi ankomme, dass ich meine Leute in Varanasi ja jetzt erstmal nicht mehr sehen werde. In Delhi angekommen geht es erstmal mit der Metro weiter zum Hostel. Ich schlafe hier in einem 6-Bett-Zimmer, zusammen mit Niasha und 4 anderen Frauen. Niasha ist eine ehemalige Schülerin von mir. Vor 8 Jahren habe ich sie noch in englisch unterrichtet – und ich freue mich sehr, sie wiederzusehen. Sie ist jetzt 20 Jahre alt und macht bei Micha eine Ausbildung zur Bäckerin. Ich mag sie. Für sie ist die Reise hier eine große Sache. Das erste mal ohne Familie verreist und mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Meinem Empfinden nach eher weniger, aber das ist natürlich subjektiv. Eigentlich wird alles für sie organisiert, ich nehme sie mit in die Metro oder buche uns ein Taxi. Bestelle Essen. Aber in einem Hostel zu wohnen, mit 5 fremden (oder 4 fremden und einer bekannten) Frauen zusammen, noch dazu in Delhi, wo die Leute deutlich offener und weniger konservativ sind, als in Varanasi. Sie erzählt mir, dass sie daheim immer mit ihrer Mutter zusammen schläft und sie findet es zwar cool und spannend in Delhi, aber sie vermisst auch ihre Familie. Das verstehe ich. Unabhängigkeit und Individualismus sind nicht unbedingt Dinge, die hier vorrangig angestrebt werden. Da ist sie jetzt eindeutig aus ihrer Komfortzone draußen.

Samstag. Wir brechen um 7 auf und kommen gegen halb 8 in der Bäckerei an. Der Plan: packen, um 8 losfahren, um halb 9 vor Ort aufbauen. Praxis: um halb 10 losfahren, 10 ankommen, dann anstehen für Ausweisbändchen und dann bis 11 alles schnell aufbauen. Die Kisten sind kein bisschen strukturiert gepackt und man findet überall alles. Und nichts. Ich liebe es.
Wir verkaufen deutsche Weihnachtsplätzchen, Stollen, Früchtebrot, Sauerteigbrot, Brezen und Brezelbratwürste (Frankfurter in Laugenteig gewickelt). Die Brezen sind der Renner, 2x sind wir ausverkauft und müssen auf Nachschub warten.
Den Tag über werden wir praktisch pausenlos überrannt. Was natürlich gut ist, aber auch ganz schön anstrengend. Chitra, unsere Azubine, hat es leider noch nicht so ganz raus, wie man an so einem Stand verkauft und man muss ihr praktisch alles sagen. Das ist ein bisschen anstrengend, aber dafür ist sie ja in der Ausbildung. Einmal schicken mich meine Kollegen raus und sagen, ich soll mal eine Runde drehen. Das war ganz nett – vor allem, weil ich so gesehen habe, welche unserer Kunden selber Aussteller sind. Bis zum Abend sind wir aber wieder so beschäftigt, dass die Zeit nur so fliegt. Der Weihnachtsmarkt ist in 2 Reihen mit Kunsthandwerkerständen und eine Runde mit Essständen und Bühne aufgeteilt. Von uns aus kann man gut auf die Bühne schauen und ab und an führen ein paar Kinder einen Tanz auf oder eine Band spielt. Dazwischen läuft Weihnachtsmusik. Es kommt ein Lied (Kinder stellt die Stiefel raus, morgen kommt der Nikolaus), das kenne ich nicht. Aber es brennt sich in mein Hirn ein. Abends packen wir zusammen und fahren weiter. Der Tag ist noch nicht vorbei, denn jetzt geht es noch zur Berlin Techno Party. Die Uni hatte eine deutsche Themenwoche und endet mit einer Party. Micha hatte mir das weitergeleitet und ich hatte das nicht ernst genommen. Klar, klingt lustig. Aber Party? Mit Technomusik? Klingt überhaupt garnicht nach etwas, woran ich Gefallen finde. Als er am Abend aber fragt, ob ich mitkomme, will ich nicht nein sagen – weil irgendwo interessiert mich dann doch, wie so eine Berliner Echno Party in Neu Delhi ausschaut. Micha trifft da einen Dozenten, Niasha kommt auch mit. Und dann sind wir da, auf dem geschmückten Flur, an dessen Ende der DJ-Pult aufgebaut ist, es läuft Musik mit etwas Lichtshow und es gibt Schwarzlicht. Die Party geht von 8 bis 11 und wir kommen gegen 9 an. Getanzt wird noch nicht und Niasha findet das schade. Ich eigentlich nicht. Ich würde gerne wieder gehen, haben ja jetzt gesehen, wie so eine Party ausschaut. Es gibt keine Getränke-nicht einmal Wasser oder Säfte. Nur den Flur und Toiletten. Niasha ist eigentlich auch müde, möchte aber noch etwas bleiben. Na gut. Ich unterhalte mich etwas mit einem deutschen Lehrer der deutschen Schule. Er erzählt, dass er in einer Bollywood Tanzgruppe ist und sie haben morgen einen Auftritt auf meinem Christkindelsmarkt. Da bin ich ja gespannt! Niasha zieht mich noch nach ganz vorne zum DJ, wir bewegen uns ansatzweise zur Musik und dann will zum Glück auch sie heim. Bis wir ein Taxi finden, dauert es etwas und gegen 12 Uhr nachts liegen wir schließlich in unseren Betten.

Die Party:

6,5 Stunden später klingelt der Wecker und wir stehen langsam auf. Der Tag wird genauso hektisch, wie der Samstag. Aber es macht Spaß. Die Bollywoodtanzgruppe besteht ausschließlich aus Lehrern der deutschen Schule – und das sieht man. Aber es ist cool. Würde ich mich nicht trauen, Hut ab. Sie bekommen jede Menge Beifall vom indischen Publikum. Generell ist das Publikum einigermaßen homogen hier. Es sind einige in Indien lebende Ausländer und reiche Inder. Ich habe den Eindruck, dass der Weihnachtsmarkt eine gute Gelegenheit zum Vernetzen unter Ausländern ist. Es fühlt sich etwas komisch an, so viele Weiße auf einmal in Indien zu sehen.
Niasha zeigt mir am Abend ihr Handy: 3 verpasste Anrufe ihrer Mutter. Sie müsse jetzt dringend mit ihrer Mutter telefonieren, weil sie heute noch garnicht dazu gekommen ist, mit ihr zu reden. Ähnliches hat mir auch Bhabli mal an einem der Tage vor dem ganz großen Hochzeitstrubel gezeigt. Es war etwa 4 Uhr nachmittags und sie hatte zuletzt am Vormittag mit ihrer Mutter telefoniert. Sie wäre zu beschäftigt gewesen und hat selbst ihre Mutter vernachlässigt. Meines Wissens nach gab es keinen bestimmten Anlass fürs Telefonat, auch war niemand krank oder hatte einen Notfall. Man telefoniert hier einfach gerne und viel.

Ein Bild aus Delhi:

Am Montag lerne ich im Hostel Ka Bo aus Simbabwe kennen. Ihre Schwester hat in Indien geheiratet, weshalb sie her kam, dann wurde kurz später jedoch ihr Pass gestohlen, weshalb sie nun seit 4 Wochen in Delhi fest sitzt und darauf wartet, alle nötigen Papiere zur Ausreise zu erhalten. Sie ist 19 Jahre alt, lacht viel und scheint auf den ersten Blick alles recht locker zu nehmen – nach einem etwas längeren Gespräch mit ihr merkt man aber doch die Anspannung. Heute fährt Niasha am Abend zurück, außerdem ist sie etwas krank. Mein Backworkshop wurde außerdem auf Dienstag gelegt und so kann ich mir den Montag frei nehmen und fahre mit Ka Bo zum Touristenbüro des Hauptbahnhofs Delhi, dann zum Flughafen und wir versuchen gemeinsam herauszufinden, wie sie jetzt schnellstmöglich nach Mumbai kann. Sie hat Dokumente zur einmaligen Rückreise ausgestellt bekommen, auf denen u.a. explizit steht, dass sie damit nur von Mumbai nach Simbabwe fliegen darf. Dennoch bestätigt uns jedoch eine Flughafenmitarbeiterin, dass sie sie auch mit den Papieren nach Mumbai fliegen lassen. Eine alternative Möglichkeit wäre ein Nachtzug (ca. 36 h Dauer, 120 €) oder ein Schlafbus, der noch länger unterwegs ist. Der Flug kostet 70 € und ist daher in jeder Hinsicht deutlich bequemer. Einen Abstecher machen wir noch zum Markt, um ein paar Souvenirs zu besorgen. Bis wir zurück kommen, ist es Abend und sie lädt mich zum Essen ein. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich garnicht wohl dabei fühlt, alleine in Delhi unterwegs zu sein. Und da ich weiß, wie es sich anfühlt, in einem fremden Land zu sein, dessen Regeln und Sprache man nicht beherrscht, hatte ich ihr angeboten, sie zu begleiten. Immerhin kenne ich mich zumindest etwas besser aus als sie und kann besser einschätzen, wie was läuft. Außerdem ist sie erst 19 und will einfach nur heim. Kann man ihr nicht verdenken. Der Tag geht so also auch schnell rum.

Unser Nachtisch:

Ein Aufenthalt in Indien ist für mich eigentlich immer auch mit Comedy verbunden. Es passieren praktisch immer Dinge, die ich in meinem Alltag in Deutschland wohl eher nicht erleben würde. Und diesmal ist es das Wasser. Meine neue Freundin Ka Bo und ich kommen vom Abend essen zurück, ich will duschen und etwas Wäsche waschen – aber meine Mitbewohnerinnen verkünden lachend, dass wir kein Wasser hätten. Da ich noch die Hoffnung habe, dass sie mich nur verarschen, gehe ich Hände waschen und stelle fest, dass wir tatsächlich kein Wasser haben. Wundervoll. Ich gehe also zur Rezeption und frage meine Spezialisten dort, ob sie wissen, ab wann wir wieder Wasser haben werden. Es ist 22:27 Uhr und sie antworten etwas mir unverständliches mit 5 o’clock. Aha. Klingt nicht, als würde ich gleich duschen oder mich wenigstens waschen können. Dann sagen sie „no problem mam, we give you toilet paper“ und drücken mir 2 Rollen Klopapier in die Hand. Gut, dann gehen meine 2 Rollen Klopapier und ich uns wohl mal waschen 🙂

Und schon ist Dienstag. Heute gebe ich einen Waffelbackkurs. Micha hat 2 Waffeleisen und ich soll seinen Bäckern zeigen, wie man vegane Waffeln backt. Ich habe ein Rezept rausgesucht, das relativ einfach ist und das probieren wir zusammen aus. Die Waffeln werden gut, sind allerdings nach deutschem Standard gesüßt. Heißt, wir beschließen, eine neue Fuhre mit deutlich mehr Zucker zu machen. Und mit dem nächsten Versuch sind alle zufrieden. Das ging schnell. Ich gehe in einen kleinen Laden um die Ecke und hole mir 2 Alooparatha für die Reise am Abend. Herzhaft gefüllte Pfannkuchen mit Kartoffelfüllung. Sehr lecker und sehr gut zum Mitnehmen. Dann kommt mein Taxi zum Flughafen. Mein Co2-Fußabdruck sollte dieses Jahr für niemanden ein Vorbild sein. Denn schon wieder fliege ich – diesmal von Delhi nach Goa. Ich stelle erst am Flughafen fest, dass es garkein Direktflug ist, sondern ich in Mumbai umsteigen muss. Wenn schon CO2 rausschleudern, dann also richtig. Relativ bald wird klar, dass mein erster Flug etwa eine Stunde Verspätung hat. Schauen wir also mal, wie gut das dann mit dem Anschluss klappen wird. Für den habe ich nämlich nur 30 min Zeit zwischen Ankunft und Boarding.

4 min vor planmäßigem Abflug meines Anschlusses steige ich aus dem Flieger. Tatsächlich gehöre ich zu den Leuten, die direkt bei Stillstand des Flugzeugs aufgesprungen sind, um ihr Zeug zu holen und als erste auszusteigen. Die meisten Leute, die das machen, kann ich nicht wirklich ernst nehmen, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass sie alle einen effektiven Vorteil haben, wenn sie früher aussteigen. Viele reisen ja doch mit Aufgabegepäck. Aber ok. Der Busfahrer, der uns vom Flugzeugparkplatz zum Flughafengebäude bringt, glaubt nicht, dass ich meinen Anschluss bekomme und macht leider nicht unbedingt den Eindruck, als würde er seinen Teil zum Gelingen meines Umstiegs beitragen wollen. Ich renne los ins Gebäude, nach dem ersten Securitycheck stelle ich enttäuscht fest, dass niemand auf mich wartet, um mich zu begleiten oder den Weg zu weisen oder gar zu fahren. Ok, dann bei der Security dreist vordrängeln und anschließend kommt tatsächlich einer auf mich zu, der aufgeregt wirkt, als ich ihm mein Ziel Goa antworte. Er wird mein Guide, telefoniert mit irgendwelchen Leuten und bestätigt ihnen, dass er mich im Schlepptau hat. Direkt, nachdem er mich (meiner Meinung nach eher zufällig) abgefangen hat, hat er einem mittlerweile eingetroffenen Kollegen vor der Security zugerufen, dass er einen Goa-Menschen erwischt hat und scheinbar haben sich die guten etwas Zeit gelassen, uns abzufangen. Naja. Zunächst rennen wir los, dann erfährt er, dass der Flug tatsächlich 30 min verspätet ist und wir den auf jeden Fall bekommen werden. Nun sind wir im Laufschritt. Er ist freundlich und als Guide gebe ich ihm eine 6 von 10. Beide Gepäckstücke (die sind schwer! Und ja, man darf nur eins haben, aber kontrollieren tut das eh niemand. Und natürlich packt man die schweren Sachenins Handgepäck, weil das Aufgabegepäck ja gewogen wird) muss ich selbst tragen, außerdem fände ich es cooler, auf so einem Golfcart gefahren zu werden. Daher noch Luft nach oben. Wir laufen von Gate 68 zu Gate 40, es ist also durchaus ein Stück. Aber immerhin im gleichen Terminal. Als wir ankommen, hat das Boarding noch nicht begonnen und ich habe noch genügend Zeit, auf Toilette zu gehen. Damit er nicht denkt, ich sei verloren gegangen, frage ich ihn, ob die Toilette in der Richtung ist und er weist mich daraufhin, dass ich danach aber wieder zurück ans Gate kommen muss. Für diesen fürsorglichen Hinweis bekommt er noch einen Sympathiepunkt und ich korrigiere meine Wertung auf 7 von 10. Kann sich sehen lassen, aber wie gesagt. So ein Golfcart wäre schon cool.
Jetzt hoffe ich noch, dass mein Rucksack im Aufgabegepäck auch rechtzeitig umgeladen wurde. Auf diesem Flug sitze ich neben einem Ehepaar, welches quasi durchgehend am Flüstern ist. Ungewohnt. Indien ist für mich ein Land der Extreme, extrem leise gehört da nach meiner Erfahrung aber eher nicht dazu. Im Gegenteil. Angenehm rücksichtsvoll. Ich mag meine Sitznachbarn.

Bei der Ankunft in Goa kommt sogar mein Gepäck mit an. Damit hatte ich eigentlich garnicht gerechnet. Ich stand da nur so und habe gewartet, bis alle Gepäckstücke raus sind, bis ich mich beschweren kann, dass meins fehlt. Aber garnicht nötig, mein Rucksack hat den Anschluss genauso bekommen, wie ich. Was für ein guter Start in die Zeit in Goa!

Tag 1 und der letzte Tag in Varanasi

29.11., Heute ist Tag 1. Irgendwas irritiert mich. Ich sitze auf der Riksha auf dem Weg zu einem Laden, in dem ich Freunden ein paar Sachen besorgen möchte. Dann fällt es mir auf: die Sonne kommt durch und der Himmel ist sogar leicht blau! Sofort habe ich das Gefühl, besser atmen zu können (obwohl ich nie das Gefühl hatte, schlechter atmen zu können). Mitten im Straßenverkehr fühle ich mich, als würde ich frische Bergluft atmen. Gleichzeitig ist hier praktisch jeder am Husten. Die Leute hier schieben es auf die Kälte (an einem Morgen in Varanasi hatte es nur 18°C und ein Azubi hat sich beschwert, dass es bei dieser Kälte arbeiten muss. Das sind Zustände) – mit so einer Beschwerde würde ich jetzt eher nicht rechnen. Und besonders mit den Bildern vom verschneiten Deutschland in den Nachrichten im Kopf fällt es mir auch arg schwer, ihn ernst zu nehmen. Seinem Boss ging es wohl ähnlich, sie müssen dennoch weiter arbeiten. Ich schiebe es nicht auf das „kalte“ Wetter,  sondern eher die Luftqualität. Aber was weiß ich schon. Was mich darauf bringt, dass die Rollen hier vertauscht sind. Während ich mich bei 20° in Kurta (lange Bluse) und Leggins durchaus wohl fühle, werde ich des öfteren gefragt, ob mir nicht kalt sei ohne Pulli? Hier werden Mützen und Jacken getragen, teilweise auch Ohrenwärmer. Alles durchaus nützliche Dinge in meinen Augen. Aber halt eher für niedrige Temperaturen. Komisch, wenn ich das sage so als Frostbeulenqueen.

Donnerstag. Der Wecker klingelt um 6:20 Uhr, der Tag ist gut durchgeplant. Ich mag Pläne. Und ich schaffe es nicht, davon abzulassen und alles spontan auf mich zukommen zu lassen. Wäre aber besser, denn ich mag es nicht, wenn meine Pläne nicht aufgehen. Und hier gehen sie nur seltenst auf. Das beginnt heute schon damit, dass es regnet. Es ist keine Regenzeit und daher regnet es fast nie zu dieser Jahreszeit. Aber heute tut es das. Blöd. Vor kurzem habe ich gelesen, dass es einen Wettbewerb gab im Müll sammeln oder Straßen sauber machen (ich glaube, das war in Tokio?) und ich bin mir ziemlich sicher, dass Indien da nicht mitgemacht hat. Zumindest niemand aus Varanasi. Der würde Varanasi nämlich garnicht verlassen können, so viel Arbeit steht hier an. Es ist ja nicht nur der Hausmüll, der nachts auf die Straßen geworfen wird, sondern vor allem die Erde zwischen den Steinen und der Kuhmist (außerdem etwas Hundekacke), der zusammen mit dem Regen eine richtig angenehme, glitschige Schicht entstehen lässt. Wunderbar zur Fortbewegung. Meine Motivation, das Gasthaus oder auch nur das Bett zu verlassen, schwindet deutlich. Ich stehe ein wenig später auf, denn ich weiß, dass bei Regen alles verspätet losgeht. Da brauche ich mich nicht zu beeilen.

Der Plan ist folgender: aufstehen, mit meinen Sachen zu Priyankas Haus (da habe ich noch den Großteil meines Gepäcks stehen), da eine Tasche holen, in der Geschenke für Meenas Kinder drin sind. Dann damit zu Meena, die Tüte abgeben und ein altes T-Shirt für die Kuhkacke-Aktion mitnehmen. Dann weiter zur Schule. Nach der Schule dort duschen und umziehen, dann direkt zum Mittagessen zu Milis Mutter und eine Tasche abholen, die ich ihr nach Goa mitbringen soll. Auf dem Rückweg in einem Laden vorbei und nach nem Wollschal schauen. Dann bei Nitin vorbei und verabschieden. Dann zum Laden, wo ich einen Druckkochtopf für Meena vorbestellt habe und ihn ihren Kindern bringen, damit verabschieden. Dann zurück zu Priyankas Haus, packen und fertig machen für die weitere und (zumindest für mich) letzte Hochzeutsfeier am Abend. Samt Gepäck zur Hochzeit, von dort direkt zum Zug und über Nacht mit dem Zug nach Delhi fahren.

Und jetzt zur Umsetzung. Trotz Vorankündigung macht in Priyankas Haus niemand auf und ich komme nicht an meine Sachen. Dann weiter zu Aditya und Shreya, von Shreya bekomme ich ein altes T-Shirt. Da ich etw später dran bin und der Boden wirklich eklig ist – außerdem habe ich jetzt auch meine schwere Tasche dabei – nehme ich eine Riksha zur Schule und bin pünktlich um halb 9 vor Ort. Dann fangen wir an, den Kindergarten auszuräumen und die Wände mit Wasser abzuspritzen. Und warten. Es fehlen die Eimer, in denen wir Lehm, Kuhmist und Wasser mischen wollen. Und der entsprechende Shop hat wohl noch nicht offen. In 30 min soll es losgehen. In dem Fall gehe ich erstmal frühstücken. Als ich zurück komme, wird klar, dass es sich noch etwas länger ziehen wird. Bis es um halb 11 vollends auf den nächsten Tag verschoben wird. Hmm. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll – schließlich ist es nicht so, dass ich mich darum reiße, Kuhkacke in meinen Händen zu halten, andererseits wäre es mal wieder ein aus der Komfortzone rausbewegen und dem gegenüber bin ich prinzipiell nicht abgeneigt. Ich habe also unverhofft noch etwas Puffer und gehe zurück zu Priyankas Haus, diesmal wird die Tür geöffnet. Ich packe meine Sachen und mache mich auf den Weg zu Milis Mutter. Gehe bei dem Laden vorbei, wo ich zwei keinen Schal, dafür aber eine Hose finde. Die ist leider etwas zu kurz, aber bis 5 Uhr können sie mir eine neue nähen. Um 5 soll ich eigentlich bei Bhabli sein, um für die Hochzeit fertig gemacht zu werden. Aber hey, wer ist hier schon pünktlich. Ich sage zu, um 5 wiederzukommen. Bei Milis Mutter angekommen treffe ich auch ihre beiden Schwestern sowie einen Schwager. Riya und ihr relativ frisch verheirateter Mann sagen nach etwa einer dreiviertel Stunde, dass sie jetzt los müssen, da Riya Nachhilfeschüler hat, die gleich kommen. Sie verabschieden sich, bleiben aber doch noch eine halbe Stunde, laufen immer wieder hin und her, setzen sich wieder und quatschen. Das stresst mich unverhältnismäßig. Kann mir ja eigentlich egal sein, aber sie kommt zu spät zu ihren Schülern. Dann gibt es Essen und die Mutter packt derweil zusammen, was ich Mili mitbringen soll. Das ist mir in dem Moment noch nicht bewusst, aber sie wollen mir einen ganzen Koffer voller Snacks mitgeben. Ich habe ein freies Gepäckstück und habe ja selbst meinen großen Rucksack. Ich sage also, dass ich nicht so viel mitnehmen kann und da alles viel zu viel ist, werde ich wohl eine weitere Tasche als Handgepäcksstück mitnehmen. Da sie die Flughäfen ja meist nicht so genau. Dann geht es weiter, leider hat der Kochtopfladen entgegen der gestrigen Aussage zu. Also hole ich die Geschenktasche und mache mich ohne Topf auf zu Adit und Shreya. Wir quatschen noch ein wenig, dann verabschiede ich mich und gehe zu Nitin. Auch wir quatschen noch ein Weilchen und ich hole anschließend meine Hose. Um viertel nach 5 ist sie fertig genäht und ich laufe zurück zu Bhabli. Sie ruft derweil schon an und fragt, wo ich bleibe. Damit, dass die Make-Up Frauen pünktlich sind, konnte ich nun wirklich nicht rechnen. Ich beeile mich, zurückzukommen. Dann werde ich von einer Frau geschminkt und gefragt, ob sie mir die Haare glätten soll. Auf garkeinen Fall – nicht umsonst habe ich gestern Nacht meine Haare nass gemacht, damit meine Locken wieder etwas mehr rauskommen! 2 min später glättet sie mir die Haare. Bei der 4. Nachfrage von ihr und Bhabli habe ich nicht mehr Stand gehalten und lasse sie ihr Werk vollbringen. Habe ich halt glatte Haare, was soll’s. Ist immerhin mal was anderes. Um 7 Uhr hieß es mal, gehe es los und um 9 sei es schon vorbei. Fand ich komisch, aber was verstehe ich schon von den ganzen Hochzeitsfeierlichkeiten hier? Heute Mittag wurde mir gesagt, dass es um 8 losgehe und wir um 8 da sein wollen. Um 10 nach 8 geht der Vater duschen. Derweil suchen wir alle möglichen Schlüssel, welche und wofür, weiß ich auch nicht.  Etwas Zeit überbrücke ich dabei mit einem Gespräch mit Priyankas Bruder. Wir reden über die kulturellen Unterschiede des Gast seins und des Stellenwertes der Familie in Deutschland und Indien. So Gespräche mag ich. Es ist immer für beide Seiten lehrreich. Langsam werde ich etwas nervös, denn Nitin ist der Meinung, ich sollte mich spätestens um 9 auf den Weg zum Bahnhof machen. Das wird knapp. Gegen halb 9 brechen wir auf. Vivek erklärt mir, dass seine 2 Cousins mit einem Roller fahren und meinen großen Rucksack mitnehmen und er mich und meine Tasche auf dem anderen Roller hinbringt. Da ich einen Saree trage, kann ich den großen Rucksack nicht tragen. Dann gehen wir los und müssen scheinbar erstmal durch halb Varanasi laufen, bis wir zu den Rollern kommen. An einer großen Kreuzung fragt er mich, ob es mich störe, hier einen Moment stehen zu bleiben und zu warten. Ich? Im Saree und mitten auf einer Kreuzung in Menschenmassen? Ach quatsch, da stelle ich mich wirklich sehr gerne zur Schau. Vermutlich kennt mich nun nicht nur das gesamte Viertel, sondern auch sämtliche umliegenden. Die Leute haben mich fotografiert, haben nach Selfis gefragt und sind einfach stehen geblieben und haben mich angestarrt. Es war so absurd, dass ich lachen musste. Ein Mann bittet um ein Selfi, er wirkt aber komisch. Daher lehne ich ab – in der Erwartung, dass er relativ offensichtlichen dennoch eins macht. Aber falsch, er sagt ok und geht. Jetzt tut es mir fast leid. Nach gefühlt einer Stunde (tatsächlich vermutlich keine 10 min) kommen sie mit den beiden Rollern und ich steige auf. Da ich den Saree trage, der um die Beine rum wie ein engerer Rock ist, setze ich mich wieder seitlich hin. Mittlerweile fühle ich mich dabei auch schon wie ein Profi.

Und dann kommen wir nach ca. 15 min an! Ich hatte irgendwie eine kleine Feier im Haus der Schwiegerfamilie erwartet. Wie dumm von mir. Es gehört schließlich zur Hochzeit, da ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwas nicht extrem pompös ist, verschwindend gering. Vom Festsaal habe ich leider kein Foto gemacht, aber hier vom Weg dorthin:

Macht auf jeden Fall was her. Sollte ich mal heiraten und Priyanka zu meiner Hochzeit kommen, würde sie es vermutlich für eine kleine Familienfeier halten. Im Festsaal steht das Brautpaar wieder auf einer Bühne und die Leute lassen sich abwechselnd zusammen fotografieren. Davor sind einige Reihen mit Stühlen aufgestellt und dahinter ist eine große Fläche, die von Cateringständen umrundet ist. Zudem laufen jede Menge Diener rum, die Snacks verteilen. Ab und an spielt eine kleine Band laut auf Trommeln. Wie immer sorgt sich Priyankas Familie unheimlich lieb um mich, sie erklären einigen Verwandten der Schwiegerfamilie sogar extra, dass ich vegan und weisen sie an, mir die veganen Gerichte zu zeigen. Zunächst wird mir ein Cousin des Bräutigams vorgestellt, er beginnt damit, mich einzuführen und stellt direkt fest, dass ich aber gut englisch spreche. Ich bin ehrlich gesagt etwas irritiert, das von jemandem zu hören, der englisch genauso als Zweitsprache hat. Aber gut. Komplimente nimmt man, wie sie kommen. Er erzählt, dass er irgendwelche Verwandte hat, die in Deutschland leben und von denen wisse er, dass man in Deutschland nur schwer mir englisch durchkommt. Das mag ich auch garnicht bestreiten. Aber meiner Erfahrung nach ist es in Indien nicht anders 😀 Danm muss er so viele Verwandte begrüßen, dass er gleich einen anderen Cousin findet, an den er mich abschiebt. Er wird kurz gebrieft, was ich essen kann und offensichtlich hört der gute kein bisschen zu, denn er zeigt mir alle Gerichte, die nicht extrem scharf sind. Auch ok. Da alles beschriftet ist und die Cousins das Essen nicht selbst zubereitet haben, sehe ich eh keinen großen Mehrwert in ihrer Begleitung. Außer natürlich, dass es sehr nett gemeint ist. Ich bedanke mich also, nehme mir etwas und setze mich zum Essen hin. Ein Nachbar des Bräutigams gesellt sich zu mir und auch er stellt mit als erstes fest, dass ich gut englisch spreche. Langsam komme ich mir etwas verarscht vor 😀 es ist nämlich durchaus so, dass ich während der gesamten Tage nur mit einer Handvoll Leute auf englisch kommunizieren kann. WEIL HIER SONST AUCH WENIGE SEHR GUT ENGLISCH SPRECHEN.

Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass es später ist, als erwartet und ich bin mir unsicher, ob ich entspannt bleiben soll – weil zur Not buche ich halt den Flieger nachts um 4. Der würde auch noch reichen. Wäre nur relativ unnötig. Oder ob ich mich stressen lasse. Ich entscheide mich bewusst dafür, mich nicht stressen zu lassen. Und überlege etwa alle 15 min aufs neue, ob ich wirklich entspannt bleiben kann. Haut also wirklich super hin.

Dann werde ich gerufen, wir wollen mit der Familie Fotos machen. Praktisch für alle, dass man mich in der Masse gut ausmachen kann. Auf der Suche nach den letzten Familienmitgliedern ist es garnicht so leicht, sie zu finden. Immerhin sind alle sehr bunt gekleidet, die Haarfarbe ist auch gleich. Ein über allen Köpfen schwebender Rotschopf ist da natürlich einfacher auszumachen. Nach einem Gewusel auf der Bühne rät mir Vivek, lieber nochmal was zu essen, da sie mich gleich zum Bahnhof bringen würden. Gesagt, getan. Ich merke an, dass ich mich vorher auch noch umziehen müsste und dann beginnt die große Organisiererei. Wo ziehe ich mich um, wie komme ich zum Bahnhof und wie viele Cousins/Brüder begleiten mich? Ich versichere, dass es völlig fein ist, wenn mich ein Autorikshafahrer fährt und kurze Zeit scheint das klarzugehen. Bis irgendjemand anmerkt, dass es ja wohl überhaupt nicht geht, dass ich ganz alleine zum Bahnhof gefahren werde. Ja, was ein Unding. Also wird beschossen, mich wieder auf 2 Motorrädern zu bringen. Nitin hatte mir gesagt, ich soll unbedingt um 8 Uhr zum Bahnhof aufbrechen. Das scheint mir allerdings viel zu früh. Vivek hatte mal von 10 Uhr gesprochen (mein Zug geht um 23:10 Uhr). Es wird ein Kompromiss: um 22:20 Uhr fahren wir los. Und kommen auch schon 10 min später an. Also alles völlig im Rahmen. Da der Zug in Varanasi startet, steht er bereits im Bahnhof und ich richte mich ein. Endlich wieder Nachtzug fahren!

Und hier noch ein Foto der Ghats in Varanasi:

Ich komme kaum hinterher mit dem Schreiben, weil so viel los ist. Dieses Wochenende arbeite ich auf dem Christkindelsmarkt in der schweizer Botschaft in Delhi. Auch interessant. Davon werde ich auch noch berichten 🙂

Hochzeitsnacht

Gegen halb 9 sind wir endlich zurück am Veranstaltungsort und sehen gerade noch, wie Rupesh auf einem geschmückten Pferd und begleitet von einer Band sowie sämtlichen Gästen feierlich reingebracht wird. Da es drinnen dann erstmal eine Zeremonie nur für ihn gibt (ich vermute mal sowas, wie Priya heute früh hatte), warten wir noch eine halbe Stunde im Auto. Dann steigen wir aus und gehen wieder in ihren Raum – und warten nochmal, bis ihre Brüder und Cousins sie abholen und sie vor zur Bühne führen. Dort angekommen trennt ein Tuch das Brautpaar und wir werfen bunt gefärbten Reis auf sie, als es feierlich fallen gelassen wird. Die Stimmung ist richtig gut. Dann stehen erstmal beide ewig auf der Bühne und lassen sich mit verschiedenen Familienkonstellationen fotografieren. Was mir auffällt ist, dass fast alle Gäste Familienangehörige sind und nur sehr wenige Freunde oder Bekannte. Gegen halb 12 machen sie ein kurzes Fotoshooting und gehen dann in den größeren Raum, in dem auch am Morgen schon Priyankas Zeremonie stattgefunden hat. Und dort werden wir auch bis etwa 6 Uhr in der Früh bleiben. So lange dauert nämlich die Hochzeit an sich. Der Priester macht irgendwas, die beiden machen irgendwas mit Räucherstäbchen, Reis, Ghee, Wasser und einer Pflanze. Ich verstehe nichts davon. Zwischendurch verlässt das Paar den Saal und die Seite der Schwiegerfamilie verhandelt um Geld mit der seite von Priyankas Familie, damit sie wieder eintreten können. Schließlich ist der Akt vollzogen und Priyanka verabschiedet sich von ihrer Familie. Die Hochzeit ist auch gleichzeitig ihr Umzug zur neuen Familie. Der Abschied ist herzzerreißend. Die gesamte Familie heult, wie verrückt. Auch für sie ist die Hochzeit eine Umstellung, da Priyanka nun nicht mehr bei ihnen leben wird. Sie kann sich kaum trennen. Verständlich. Bis hierher wirkte sie oft angespannt und hatte des öfteren Tränen in den Augen. Zum einen sicherlich auch dessen geschuldet, dass sie in den letzten Nächten nie mehr als 4 h geschlafen hat – zum anderen aber auch, weil für sie ein neuer Lebensabschnitt beginnt, getrennt von ihrer Familie und mit einer neuen Familie. Da es eine Liebesheirat ist, beschränken sich die Zweifel auf die Schwiegerfamilie und schließen nicht auch den Mann mit ein. Die beiden steigen ins Auto und fahren los. Die Schwiegerfamilie ist schon vor längerem gefahren, um die Ankunft vorzubereiten. Nun geht es für Priya und Rupesh mit Zeremonien in der Schwiegerfamilie weiter, ich habe aber erstmal frei. Chiku, ein Cousin, fährt mich mit dem Roller heim. Mit dem Rock kann ich nicht normal hinten aufsitzen, weshalb sich die Frauen hier meist schräg mit beiden Beinen auf einer Seite drauf setzen. Das war wohl die interessanteste Fahrt auf einem Roller, die ich bisher hatte. Feuchte Straße, versmogte Luft, schräg auf Roller, der nur beschleunigt oder stark bremst. Und dann gehe ich erstmal schlafen.

Hier noch ein paar Fotos:

Hochzeitsvorbereitungen und ein Bodyguard

Ich sitze auf dem Boden, um mich herum einige weitere Mädchen. Es ist Hennaparty und eine Frau ist mit 5 Mädchen gekommen, um Priyanka für die morgige Hochzeit zu bemalen. 2 von ihnen kümmern sich um Priya, die anderen 4 bemalen die Frauen der Familie mit deutlich kleineren aber nicht weniger schönen mandalaähnlichen Zeichnungen. Auch meine Arme werden verschönert. Die Paste wird aus einer Tube aufgetragen, dann lässt man sie trocknen und entfernt sie mit etwas Öl. Da die Farbe erst am nächsten Tag richtig rauskommt, wird es am Vortag gemacht. Ich mag Henna. Und was ich prinzipiell auch immernoch mag, ist Schlaf. Das stelle ich ja jedes Jahr aufs neue fest. Ist quasi eine Art Tradition, dass ich davon ausgehe, es wird super entspannt und dann ist doch immer einiges los und Schlaf kommt zu kurz. Das mit dem Schlafrhythmus hat sich bei mir noch nicht so richtig eingependelt. Die letzte Nacht habe ich bei Priya geschlafen, wir zusammen im Ehebett ihres Bruders und der mit seiner Frau auf dem Boden. Garnicht unangenehm, wenn die Gastgeber auf dem Boden schlafen. Aber das konnte ich nicht abwenden. Sie drehen ja schon halb durch, wenn ich nach dem Essen meinen Teller selbst mit in die Küche nehmen mag. Vivek, der Bruder, hat mich gestern gefragt, ob ich mich als Gast in Europa nicht schlecht fühle, wenn ich doch hier erfahre, wie Gastfreundschaft auch aussehen kann. Nee. Die Gepflogenheiten hier durchblicke ich noch nicht gut genug, um kein schlechtes Gewissen zu bekommen, wenn ich von vorne bis hinten bedient werde. Da fühle ich mich in Deutschland wohler, weil ich weiß, was von mir erwartet wird.

Während bei uns Gästen nur die Hände bemalt werden, werden Priyas Arme bis kurz unter den Schultern verziert und die Füße bis etwa 2 Handbreiten über den Knöchel. Die Feinen Muster sind relativ viel Arbeit, weshalb es bei ihr auch über 2h dauert. Dann muss noch eine Stunde gewartet werden, bis alles angetrocknet ist und sie sich wieder bewegen kann. Insgesamt sind wir von 10 bis 16 Uhr in dem Raum und es kommen immer wieder neue Familienmitglieder. Dann gibt es Mittagessen, hier lassen zur Abwechslung wir Frauen (nur 4) von ein paar Männern bedienen. Das ist beim Thema Essen ja eigentlich immer andersherum. Dann ziehen wir uns langsam um, denn am Abend ist Sangeet. Hier singen die Frauen traditionelle Hochzeitslieder, tanzen etwas dazu und später wird den Göttern Kurkuma geboten. Genauer verstehe ich das auch nicht. Bis dahin bin ich aber auch schon im Gasthaus und schlafe. Was mich ziemlich freut-denn im Normalfall gehen meine Pläne in Indien oft nicht so auf, wie ich das gedacht hätte. Besonders dann, wenn meine Freunde involviert sind. Die kummunizieren nämlich weniger, als ich es hier gern hätte, was Pläne/Vorgänge anbelangt. Beziehungsweise oft plant man vielleicht auch garnicht so genau im Voraus, sondern lässt die Dinge mehr auf einen zukommen. Das ist zumindest mein Eindruck. Und dadurch, dass ich als Ausländerin vieles natürlich nicht weiß (zB. wann welche Feiertage sind und was das für Folgen auf den Alltag hat oder wie der Ablauf einer Hochzeit ist), stellen sich mir natürlich auch deutlich mehr Fragen. Zum Beispiel hat Priyanka einen Termin für uns im Schönheitssalon gemacht (ich bin sehr gespannt. Das wollte ich nämlich eigentlich nicht, aber sie hat es so oft empfohlen, dass ich dachte, warum nicht. Ich habe betont, dass ich einen natürlicheren look bevorzuge und nicht unbedingt mit Schminke überschüttet werden mag. Aber da das so garnicht einem Hochzeitslook entspricht, vermute ich, dass ich dennoch ziemlich stark geschminkt werde. Jedenfalls machen die auch die Haare und ziehen einen an und demnach wollte ich von Priya wissen, ob die einem auch die Haare waschen, oder ob ich das vorher gemacht haben sollte. Sie meinte, ich kann das dann im Hotel vorher machen. Gut, also gehen wir noch in ein Hotel. Aha. Am Morgen, wie ich bei ihr ankomme, stellt sich aber raus, dass sie mit Hotel den Park meint, in dem die Hochzeit stattfindet. Hier gibt es ein paar Räume, unter anderem einen mit Badezimmer. Und scheinbar meinte sie den. Der hat kein warmes Wasser und es ist nicht sonderlich sauber. Hmm. So habe ich mir das ja nicht vorgestellt. Aber gut, warten wir mal.

<span;>Aber zurück zu meinem Plan: Priyas Familie hatte mich eingeladen, in der Zeit der Hochzeit bei ihnen zu wohnen. Das klingt nach wenig Rückzugsort, viel Fremdbestimmung und viel Chaos. Außerdem nach einem Abenteuer, also habe ich zugestimmt. Trotzdem habe ich zusätzlich ein Zimmer in Michas Gasthaus (10 min zu Fuß) reserviert, damit ich dahin flüchten kann, wenn es mir zu viel wird. Oder wenn ich mal ein paar Stunden in Ruhe schlafen mag. Sonntag Mittag bin ich dann eingezogen, wir waren abends noch bis halb 3 mit Packen für Priyas Umzug beschäftigt und um halb 7 ist die Schwägerin aufgestanden und war ab dann so laut, dass ich nicht mehr wirklich geschlafen habe. Montag Vormittag war dann das mit dem Henna und abends ging das Sangeet so lange und,war für mich auch relativ langweilig, dass ich gegen halb 10 gegangen bin, um im Gasthaus zu schlafen. Zuvor hatte mir Bhabli, die Schwägerin angeboten, mich in einem Zimmer auszuruhen, aber etwa alle 10-15 min kam wer rein und brauchte irgendwas. Fand ich dann nur sehr begrenzt entspannend. Während dem Sangeet saß ich noch neben Pyri, einem 11-jährigen Mädchen, das sich meiner angenommen hat und seitdem eine Art Bodyguard ist. Ich mag sie. Sie spricht gut englisch und ist sehr lieb. Sie passt auf mich auf (was ich in Anbetracht der Altersumstände ein bisschen komisch finde, aber ok) und versorgt mich mit Getränken. Außerdem hat sie mein Herz erobert, als sie dem Tänzer erklärt hat, dass ich nicht tanzen mag. Perfekt. Ich finde, jeder sollte eine Pyri um sich haben. Heute hat sie mich gefragt, ob wir Freunde sein wollen. Aber sowas von! Gegen halb 10 wird es mir trotz meiner Lieblingssitznachbarin Pyri zu viel und ich gehe ins Gasthaus zum Schlafen. Mein Plan ist aufgegangen!

Mittlerweile haben wir Dienstag Nachmittag. Wir hatten vereinbart, dass sie mich am Morgen anruft, um zu sagen, wann ich kommen soll. Die Nachricht kam um kurz nach 8 und da ich schon um 11 schlafen gegangen bin, fühle ich mich zumindest im Moment ausgeschlafen und mache mich auf den Weg. Bis etwa 11 Uhr sitze ich bei ihr rum und warte, bis alle fertig sind. Na gut, vielleicht hätte ich doch etwas liegen bleiben können. Gegen halb 12 brechen wir auf und nehmen Tuktuks zum Veranstaltungsort, dieser Art Park. Einige Zeit sitze ich mit ihr in einem Raum, wo sie darauf wartet, geholt zu werden. Schließlich kommt die Familie und führt sie in eine Halle, in der ein Priester unter einem Pavillion sitzt und bereit ein paar Rituale vorbereitet hat. Hier setzt sie sich, die Mutter macht ab und an was und sie muss immer mal wieder Reis in die Hände nehmen oder mit einem Blatt Wasser auf verschiedene Dinge tröpfeln. Da ich nichts verstehe und Pyri leider auch nicht weiß, weshalb da was gemacht wird, nehme ich nach einer Stunde ihr Angebot an, mich zum Essen zu begleiten. Es ist 13:15 Uhr und Zeit fürs Frühstück! Sie gibt kurz ihrer Mutter bescheid, dass wir zusammen rausgehen. Sie hat schon gegessen, aber wurde entweder von der Familie damit beauftragt oder fühlt sich selbst schon mit 11 verantwortlich für mein Wohlergehen. Habe ich erwähnt, dass ich meine neue Freundin mag? Danach passiert nichts nennenswertes mehr. Das ich mitbekomme. Priyanka sitzt wieder allein in dem Raum, weiß nicht, was als nächstes passiert und da ich sie nicht allein lassen mag (sie beschwert sich schon, dass ihre Familie zu beschäftigt ist (womit auch immer), um sich um sie – die Braut – zu kümmern. Irgendwann wird sie nochmal abgeholt und ich werde gebeten, auf die Sachen im Raum aufzupassen. Um 15:47 Uhr steigen wir dann ins Taxi und fahren zum Schönheitssalon. Der Termin war um 12 und laut Priyanka ist das selbst für indische Verhältnisse viel Verspätung.

Und schon sitze ich auf dem Stuhl und bekomme Haare und Make-Up gemacht. Etwas, das mir wirklich garnicht liegt. Ich bin gespannt, wie das Ergebnis wird! Bisher wurden meine Haare trocken geföhnt und nun bekomme ich Locken. Ähnliches Prinzip wie bei Rouge. Zuerst wird meine Haut gleichmäßig hautfarben gemacht, um sie direkt im Anschluss wieder dort zu röten, wo sie es eh schon war. Der Nutzen erschließt sich mir nicht so ganz. Ich finde meine Naturlocken auch schöner, stelle ich fest. Dafür habe ich mich noch nie mit langen, glatten Haaren gesehen und demnach lohnt sich das ganze Prozedere dann doch etwas.

Zu Priyanka und Bhabli hatte ich gesagt, dass ich nur einen natürlicheren Look mit leichtem Make-Up mag, weil ich anderes nicht an mir gewohnt bin und ich mich dann fühle, wie ein Clown. Daraus ist irgendwie Nikolaus geworden und sie haben dem ganzen Personal hier erzählt, dass mir wichtig ist, nicht wie der Nikolaus auszusehen. Ja, nah dran. Es haben alle gelacht, ich auch. Und da der Nikolaus weder pinke Augen, noch pinke Lippen hatte, kann ich auch bestätigen, dass meine Bedenken gehört wurden. Hätte ich vielleicht doch etwas spezifizieren sollen. Naja. Das mit der pinken Farbe hier werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr los.

So, für heute war es das. Wie die eigentliche Feier heute Abend wird, werde ich dann die Tage berichten.:)

Namaste India!

Es geht wieder los. Es ist Donnerstag und ich mache mich auf den Weg zum Flughafen München. Den Weg teile ich mit einer Augsburgerin, die auf dem Weg in den Urlaub in der Türkei ist und einer pakistanischen Familie, die Heimatbesuch macht. Wir unterhalten uns alle gut. Eine sehr schöne und treffende Einleitung in eine Zeit, in der ich mich treiben lasse und gegenüber Austausch mit Fremden deutlich aufgeschlossener bin, als im Alltag. Ich reise wieder nach Indien. Priyanka heiratet und dieses Fest möchte ich mir nicht entgehen lassen!

Vor 10 Wochen bin ich erst aus Kasachstan zurückgekommen – einerseits gefühlt vor einem Monat, andererseits ist seitdem auch schon wieder viel passiert, sodass es doch auch irgendwo schon weit weg ist. Pläne ändern sich manchmal und in dem Fall hat der 2. Jobwechsel dieses Jahr auch einen Vorteil: es ermöglicht mir eine weitere Reise!

Die Securitymenschen am Flughafen sind ein bisschen überdreht, einer singt laut Jingle Bells und eine andere stellt Gästen, die nicht alle Regeln befolgen Quizze, bis diese rausfinden, was sie noch tun müssen.
<span;>Auf dem Weg zum Gate spricht mich ein Pilot an und fragt, wo ich hinfliege und wo ich her sei. Es stellt sich raus, dass er meinen Flug nach Cairo fliegen wird und sagt, wenn irgendwas sei, soll ich einfach nach Mustafa fragen, das sei er. Mustafa ist nett und wirkt kompetent. Da kann ich guten Gewissens einsteigen. Der Münchner Flughafen hat wohl aktuell etwas an sich, dass die Leute besonders freundlich macht.

In Cairo angekommen laufe ich wieder ein Stück neben Mustafa und (ich nehme an) seinem Copiloten. Sie fragen mich, wie ich den Flug fand und wünschen mir eine schöne Zeit in Delhi. Auch die Mitarbeiter hier sind gut drauf. Ich schaue, was es an Essen gibt und die Köche erklären mir übermotiviert, was sie alles für Pizzabeläge haben und ein anderer fordert mich fröhlich auf, an die Bar Platz zu nehmen. Wenn mit dem Anschlussflug jetzt auch noch alles klappt, könnte es garnicht besser laufen 🙂

Am Gate lerne ich Jane kennen. Sie kommt aus der Nähe von Düsseldorf, ist 29 Jahre alt und extrem aufgeregt – denn sie ist auf dem Weg zu ihrer Hochzeit. Raj wartet in Delhi auf sie und in 2 Wochen heiraten sie. Dass das Gate geändert wird und wir mindestens 4x vom Personal woanders hingeschickt werden, beruhigt sie nicht so sehr. Und dass dann endlich bei der Kontrolle am Gate ihr Ticket ein „no boarding allowed“ auf dem Display aufleuchten lässt, hat es auch nicht besser gemacht. Schließlich schaffen wir es aber ins Flugzeug und mit etwa einer Stunde Verspätung geht es dann los auf den nächsten Kontinent.

Noch vor der Landung in Delhi wird klar, was mit dem Smog gemeint ist. Erst etwa 10 m über der Landebahn kann ich diese sehen. Und beim Aussteigen riecht es etwas verbrannt. Gute Reisezeit. Ich nehme ein Taxi zur Wohnung eines Freundes von Micha und stelle mein Gepäck ab. Dann kommt eine Freundin vorbei, die mir das Gewand ihrer Schwester bringt, das ich als Hochzeitsoutfit ausleihen darf. Es passt überraschend gut und es ist nicht pink. Da die Leute hier dazu tendieren, mir rosa und pinke Sachen zu schenken, hätte es mich nicht groß gewundert, wenn ich ein pinkes Lehenga bekommen hätte 😀 <span;>Tatsächlich ist es sogar blau, eine meiner Lieblingsfarben. Da habe ich Glück.

Am Abend geht es weiter nach Varanasi, ich sammel noch ein wenig schlechtes Karma und nehme anstelle eines Nachtzuges einen Inlandsflug. Aufgrund von vielen Feiertagen gab es keine Fahrkarten mehr für den Zug. 800 km später komme ich mit Micha zusammen in Varanasi an und auch hier ist die Luft nicht merklich besser. Aber frische Luft kann ich ja auch in Augsburg atmen. Die ersten 2 Nächte schlafe ich in einem Zimmer in der Schule und am Sonntag ziehe ich um: zu Priyanka. Mit in ihr Zimmer, wir werden zusammen in ihrem Bett schlafen und was mich ja besonders ein paar Tage vor der Hochzeit stressen würde, findet sie gut, weil sie eh nicht gern allein schläft. Auf dem Weg von der Schule nehme ich eine Fahrradriksha und eine Straße vor der Kreuzung, an der ich eigentlich rausgelassen werden möchte, hat die Polizei eine Sperre eingerichtet und den Verkehr auf Fußgänger beschränkt. Als ich demnach absteige, kommt aber direkt ein Polizist zu mir und sagt, ich soll wieder aufsteigen. Dem Rikshafahrer sagt er, er solle durchfahren und wir müssen beide lachen. Da hat meine blasse Haut mal wieder einen Vorteil. Und wo ich es gerade von Vorteilen habe: der Smog ist für meine Haut tatsächlich garnicht schlecht, weil der UV-Index dermaßen niedrig ist, dass ich keine Sonnenmilch benötige! In Indien das Haus verlassen, ohne eingecremt zu sein – ein ganz neues Lebensgefühl!

Sanstag Mittag besuche ich das Lehrermeeting, um hallo zu sagen. Es wird unter anderem besprochen, dass die Kindergartenwand verputzt werden soll. Das machen ein paar Lehrerinnen mit 2 Klassen zusammen und ich werde direkt mit eingespannt. Dafür wird Kuhdung mit Lehm und Wasser vermischt und an die Wand geschmiert. Als dann noch vorgeschlagen wird, dass wir den Kuhdung eigentlich auch auf den Straßen einsammeln könnten, wird es den Lehrerinnen zu viel und es wird sich darauf geeinigt, den zu kaufen und liefern zu lassen. In so einem Moment hätte ich in Deutschland wohl gesagt (oder wenigstens gedacht), dass für sowas eindeutig nicht genug bezahlt bekomme. Aber ich bin in Indien, möchte Abenteuer erleben und dann wird Teil meines Abenteuers wohl, dass ich am Donnerstag Kuhkacke mit den Händen an eine Wand schmieren werde. Unerwartet, aber warum nicht?

Am Abend sitze ich auf dem Dach und genieße die etwa 10 m Ausblick über die Dächer. Mit der Dämmerung beginnen die Moscheen mit Gesängen und das fühlt sich ganz heimelig an. So habe ich hier früher einige Abende eingeleitet und es fühlt sich vertraut an. Morgen ist Dev Dipauli, ein Feiertag,  den ich zuletzt vor ziemlich genau 9 Jahren hier gefeiert habe. Krass, wie die Zeit vergeht! Und jetzt bin ich wieder hier und es ist schön.

Viele Grüße!

Bye, bye, Kazakhstan

Es ist Samstag, mein vorletzter Tag in Kazakhstan. Knappe 4 Wochen bin ich jetzt hier und die Zeit vergeht so schnell. Es kommt mir zum einen so vor, als wäre ich erst letzte Woche angekommen und gleichzeitig habe ich das Gefühl, mich mittlerweile schon ein wenig eingelebt zu haben. Ich freue mich mittlerweile, wenn ich einen Einkauf komplett auf russisch meistere, ohne zugeben zu müssen, dass ich kein russisch kann und nicht verstehe, was gesagt wird. „Incognito“ unterwegs zu sein gefällt mir. Des öfteren werde ich von Leuten aufgehalten und es werden mir Fragen gestellt. Die verstehe ich dann meistens nicht und sage, dass ich leider kein russisch verstehe. Aber entgegen meinem Erlebnis in Indien, wo ich in jeder Minute draußen als Ausländerin auffalle und ständig erklären muss, woher ich komme, finde ich es jetzt doch ganz angenehm, in der Masse unterzugehen.

Ich fliege von der Hauptstadt Astana zurück nach Deutschland. Astana ist sehr modern, sie wurde 1997 zur Planhauptstadt. Es gibt zahlreiche moderne und außergewöhnliche Gebäude und auch aktuell wird sehr viel gebaut. Eigentlich bin ich kein Fan von großen Städten, aber diese Stadt wirkt irgendwie futuristisch. Und, ein ganz großes Plus: einige Leute sprechen hier englisch. Das ist ziemlich angenehm! Zum Beispiel, wenn ich mit dem Bus fahre. Das ist hier nämlich so modern, dass es nur 2 Möglichkeiten gibt, ein Ticket zu erwerben: man bezahlt über ein System, für das man eine kasachische Steuernummer benötigt, oder man besorgt sich eine Chipkarte. Diese Karte als Ausländerin zu bekommen, sei aber wohl ziemlich kompliziert. Tourismus ist also vielleicht noch nicht ganz präsent hier. Oder man geht davon aus, dass Touristen nur Taxi fahren. Wobei such das aktuell nicht so einfach ist, wenn man aus einem Land kommt, das Russland sanktioniert. Wenn ich also Bus fahre, spreche ich eine Person an, die per App Karten kaufen kann und und von der ich vermute, dass sie evtl englisch spricht. Dann frage ich, ob sie mir vielleicht ein Ticket kaufen würde und ich zahle den Preis in bar. Das hat bisher auch fast jeder gemacht. Ich fotografiere den Bildschirm ab und das reicht schon aus zum vorzeigen.

Auf einer solchen Aktion lerne ich Aisana kennen. Sie ist 18 Jahre alt, Studentin und nebenbei Barista, weshalb sie öfter mit Ausländern in Kontakt kommt und gut englisch spricht. Sie kauft mir ein Ticket und als ich sie nach einer Restaurantempfehlung frage, nimmt sie mich kurzerhand mit in einen Gemüseladen, damit ich Gemüse kaufen kann. Sie hat nämlich auch erfahren, dass ich (eigentlich) keine tierischen Produkte konsumiere und dann blieb in ihrer Vorstellung außer frischem Gemüse wohl nicht mehr viel an Auswahl an Nahrung für mich übrig. Ich hatte zwar nicht vor, Gemüse zu kaufen, aber schaden tut es auch nicht. Wir unterhalten uns gut und zum Abschied schenkt sie mir die 4 Stücke Käsekuchen, die sie von der Arbeit mitgenommen hat. Sie sagt, er sei glutenfrei, habe aber Laktose. Ok. Passt nicht ganz mit vegan zusammen, aber sie ist lieb und ich habe den Eindruck, sie will mir noch etwas mitgeben. Das ist ja lieb und im Hostel finde ich bestimmt Leute, die Käsekuchen mögen. Der einzige Kuchen, der mir nicht schmeckt, ist nämlich Käsekuchen 😀

Das erinnert mich noch an zwei weitere Situationen. Zum einen war ich in einem Restaurant und habe 2x nachgefragt, ob die Suppe ohne Fleisch sei (weil es nicht leicht ist, vegetarische Gerichte zu finden hier). Die Kellnerin antwortete dann, dass kein Fleisch drin ist, aber Wein. Da bisher auch viele so etwas geantwortet haben, wie ‚kein Fleisch, aber Hühnchen‘ frage ich daher nochmal zur Sicherheit und sage, dass Wein für mich ok ist. Sie betont nochmal, dass Wein drin ist. Ich vermute, das ist für religiöse Leute relevant. Und einmal habe ich eine Polizistin gefragt, wo der nächste Geldautomat ist. Sie hat dann erstmal wissen wollen, wo ich herkomme und auf meine Antwort entgegnet sie mir, dass sie ja etwas türkisch spreche. Ah ja, schön. Leider habe ich meinen Türkischkurs nach einem Semester beendet und dementsprechend fließend bin ich in der Sprache. Ich frage mich, ob viele Ausländer so komische Antworten bekommen, wenn sie erwähnen, wo sie herkommen. Deutschland und die Türkei sind ja jetzt weder sprachlich, kulturell, noch geographisch sehr nah beieinander. Aber ok.

Jetzt ist es Sonntag und somit mein vorerst letzter Tag in Kasachstan. Komisch. Ich bin in einem Zwiespalt zwischen der Vorfreude darauf, wieder alles eigenständig machen zu können, mich einfach verständigen zu können und mich einfach auszukennen – und der Trauer darüber, dass ich mein Abenteuer beende. Die Freiheit, jeden Moment zu entscheiden, worauf ich jetzt Lust habe, die unglaubliche Möglichkeit, so einzigartige Landschaften erleben zu dürfen und doch auch mal etwas in eine neue Kultur einzutauchen. Das reizt mich, es erweitert meinen Horizont und bringt mich (denke ich zumindest) auch persönlich weiter. Irgendwie habe ich ja doch meine Komfortzone verlassen und ich denke, daran wächst man meistens. Noch dazu habe ich natürlich auch etwas über eine neue Kultur und deren Geschichte gelernt. Ich bin unglaublich dankbar, so privilegiert zu sein. Die Möglichkeit zu haben, so eine Reise anzutreten, weiß ich wirklich sehr zu schätzen. Und so bin ich jetzt auch wieder bereit, in meinen Alltag einzutauchen. Ich beginne einen neuen Job und bin gespannt, wie das wird. Mein Leben ist schön und ich freue mich darauf, wieder nach Hause zu fahren.

Mittlerweile sitze ich im Flugzeug zurück nach Deutschland. Mal sehen, ob ich an meinem Zwischenstopp Istanbul Internet habe, ansonsten werde ich schon wieder in Deutschland sein, wenn der Beitrag online geht.

Ich füge noch ein paar Impressionen von Astana ein:

Der Bilck von meinem Spot im Park, wo ich einen Nachmittag singend verbracht habe

Der Turm ist das Wahrzeichen von Astana.

In dem Zelt steckt ein Einkaufszentrum

Das ist die Spitze der Friedenspyramide, welche von Norman Foster entworfen wurde.

Es war mir eine Freude, meine Erlebnisse zu teilen und wer weiß, wann es auf die nächste Reise geht. Alles Gute und bis bald

Julia