Allerletzter Tag und Langeweile. Ach und Europa, du bist super!

Festivals. Im Oktober gibt es quasi mehr Feiertage als Werktage. Ich habe im letzten Beitrag über das Durgafestival berichtet. Am Samstag dachte ich, wäre der letzte Tag. Wurde mir jedenfalls gesagt. Am Sonntag war nochmal letzter Tag 😀 tja warum es mehrere letzte Tage gibt? Jeder letzte Tag ist Grund zu feiern. Am Sonntag wurden dann die letzten, größten Statuen im Ganges versenkt. Und da habe ich dann auch Polizisten entdeckt. Ja, tatsächlich! Erst dachte ich ja, sie beschützen die Plastikstatuen. Ich bin in Indien, also wäre der Gedanke nicht soo abwegig 😉 Aber nein, sie dienten tatsächlich zur Sicherheit der Menschen. Jede Statue wurde feierlich, also mit Drommelbeschallung und unter Blütenbewurf (ist das ein deutsches Wort? Ich weiß es nicht) von mehr oder weniger starken Männern zum Ganges getragen. Dabei kommen die Hindus auch durch eine „Moslem area“. Warum die Hindus nicht einfach durchs Hinduviertel laufen? Weil dieser Weg Tradition ist. OK, also war das Viertel der Muslime früher mal hinduistisch. Nein, nein, das ist schon immer muslimisch. Aha. Na jedenfalls kommt es da leicht zu Auseinandersetzungen, weil sich viele Muslime provoziert fühlen. Und deshalb laufen jede Menge Polizisten mit. Für die, die es nicht wissen: generell kommt es öfter zu Konflikten zwischen Hindus und Muslimen, da fällt dann schon mal der Satz „na dann geh doch nach Pakistan“ (Pakistan gehörte früher zu Indien, hat sich im Konflikt zwischen Hindus und Muslimen als muslimischen Staat abgespalten. Ich hoffe, das ist politisch korrekt ausgedrückt. Sorry wenn nicht.) Die Statuen, die von weiter weg kommen, werden mit dem Auto, Traktor oder LKW zum Main Ghat gefahren. Was mich erschrocken hat, war die Tatsache, dass jede Menge Pilger in Baulastwagen hergefahren wurden. Da wurden so viele Leute in einen LKW gestopft, bis er voll war. In Deutschland wäre jeder Tierfreund aktiv geworden, wäre das Schlachtvieh oder sonstiges lebendiges Dasein auf diese Art und Weise transportiert worden. Hier geht es aber gerade um Menschen.

Viele Menschen hier halten mich für sehr beschäftigt. Wie schonmal beschrieben, ich arbeite ja zu festen Zeiten und kann dann nicht zu jeder mir beliebigen Zeit Pause machen und Chai trinken. Mit einer Ausnahme: Prakash. Praksh vom teashop, in dem aber auch Klamotten und Armbänder verkauft werden. Der allgemeiner Treffpunkt zum gemeinsamen Nichtstun ist. Prakash war in den letzten 2 Wochen mein Animateur. Erst war ich ja krank, dann waren Feiertage, dann hatte ich ein kleines Kreislaufproblem und saß in Folge all dessen nur rum. In meinem Zimmer oder in seinem teashop. Ich habe ja schonmal mein bei Krankheit obligatorisches Stimmungstief erwähnt, meine Motivation und Tatendrang hielten sich auch in Grenzen. Prakashs Schluss aus meinem Nichtstun war -ganz einfach- Langeweile. Klar, mein Tagesablauf war jetzt nicht unbedingt so abwechslungsreich, dass er preisverdächtig erscheint. Naja jedenfalls hat meine scheinbare Langeweile Prakash dazu veranlasst, sich als meinen persönlichen Animateur zu engagieren. Eigentlich ja echt nett. Er und seine koreanische Freundin haben mich zum Beispiel zum Essen eingeladen. Dass ich davon nichts wusste, ist eine andere Sache. Das war schon witzig. Am ersten Tag, als er und Hanmi hier angekommen sind, war ich noch gesund und abends bei Vikki, Guru und Sanjay essen. Als ich dann um 10:30Uhr wieder hier war, haben mich die beiden direkt gefragt, wo in denn gewesen sei, sie hätten mit dem Essen auf mich gewartet. Süß, aber das wusste ich nicht. Ich hatte sie nämlich nur einmal vorher gesehen, da bin ich im Flur an ohne vorbeifelaufen und habe hallo gesagt 🙂 Mein Fehler. Hätte wissen müssen, dass das die Essenseinladung ist. 😉 Nun bin ich ja nicht mehr krank, bedeutet ich gehe wieder zur Schule. Heißt ich habe wieder einen geregelten Tagesablauf und nicht 24h Zeit. Mehrmals am Tag bekomme ich jetzt SMS mit der Frage was ich denn tue, ob mir langweilig sei, und ich könne zu seinem shop kommen, dann ist mir nicht mehr langweilig. Das ist nett gemeint, aber mir ist nicht langweilig. Ich habe morgens Schule, nachmittags Englischunterricht, abends bin ich entweder in BBB (Restaurant was zum Projekt gehört), in der Schule (nicht zum Arbeiten, keine Angst) oder bei Vikki, Gulu und Sanjay oder, ja man mag es kaum glauben, einfach mal im Gasthaus. Und jetzt ist ja auch Sophia da, ein anderer Volunteer aus Deutschland. Da hat sich Prakash für mich gefreut. Also ehrlich gefreut, meinte wie schön, jetzt wäre mir nicht mehr so langweilig. Ja 😀

Sophia ist am Montag angekommen und irgendwie fühle ich mich für sie verantwortlich 😀 klar weiß ich, sie ist erwachsen und aus den gleichen Gründen hier, wie ich auch, dennoch habe ich den Mutti-instinkt in mir entdeckt 😉 und der sagt ganz klar: beschützen, an die Hand nehmen und vor allen negativen Erfahrungen bewahren, die ich bisher gemacht habe. Und zwar 24h am Tag 🙂 Liegt vielleich daran, dass ich selbst ins kalte Wasser geschubst wurde oder auch gesprungen bin und mir doch jemanden gewünscht hätte, der sich etwas um mich kümmert. Wobei ich im Nachhinein eigentlich ganz glücklich bin, dass alles so gelaufen ist, wie es ist. Ich merke schon jetzt, dass ich stärker geworden bin. Nein, auch die letzten Muskelfasern haben ihre sieben Sachen gepackt, ich erinnere an meinen kläglich gescheiterten Versuch, aufs Dach zu klettern. Ich meine mehr die Persönlichkeit. Ich merke, wie gelassen ich bin, dass ich die algemeine Ruhe der Inder in mir verinnerlicht habe. Gut, das versteht ihr jetzt vermutlich nicht. Ständig beschwere ich mich über den ganzen Lärm und jetzt verinnerliche ich plötzlich Ruhe. Tja, es ist hat tatsächlich so, dass Indien das Land der Gegensätze ist.
Ich bin unheimlich stolz, wie ich mein neues Leben hier meister. Wie ich mir ganz alleine ein neues Leben aufgebaut habe. Klar war das nicht immer einfach, da war ja auch die Depriphase, aber zu wissen, dass ich es geschafft habe und die Tatsache, dass ich jetzt glücklich bin, geben mir unglaublich viel Kraft. Das Gefühl, dass die Welt mir nichts mehr anhaben kann. Fürs Leben gerüstet zu sein. Fühlt sich gut an 🙂 Auch wenn ich weiß, dass ich das noch lange nicht bin. Und sein werde.
Ich habe immer so wundervolle Übergänge, ich weiß. Jetzt geht es um Läuse. Ja, von meinem Lebensglück zu den nervigen, ekeligen (Autokorrekt findet sie nicht ekelig, sondern heilig 😀 ), kleinen Viechern, die meinen, in meinen Haaren das Glück ihres Lebens zu finden. Genau. In MEINEN Haaren. So ekelhaft! Heute morgen entdeckt. Bääh! Netz sind sie irgendwo in der indischen Kanalisation. Tot. Oh. Da fällt mir gerade ein. 1.) gibt es vvielleicht doch eine Kanalisation? Oder führt das Abwasser direkt in den Ganges? Dann wären die Leichen immerhin bei all den anderen Leichen und Kadavern… 2.) darf ich als Veganer Läuse töten? Ich beschließe mal ja. Läuse sind so ziemlich die schlimmsten Insekten, die ich bisher kennen gelernt habe. Nicht, dass sie besonders gefährlich sind nein. Also ich glaube nicht, dass die ernsthaft irgendwas anrichten können. Aber das Wissen zu haben, dass da gerade jede Menge kleiner Viecher seinen Platz an der Sonne in meinem Haarwirrwarr gefunden hat, ist echt ekelhaft. Und zu sehen, wie sie millionenfach in der Bürste hängen, löst auch keinen Jubel aus. Wunderbar ist, dass mir Nicole (die italienische Schulleiterin) gesagt hat, sie wende einmal die Woche dieses spezielle Shampoo an, weil man durch die Kinder in der Schule ständig Läuse bekommt. Heiterkeit wo bist du? Gutes Versteck, was du dir da ausgesucht hast, Respekt…

Aber jetzt zum Schluss doch nochmal ein erfreuliches Thema-ja, die Heiterkeit taucht wieder auf 🙂 ich habe einen Kuchen gebacken 🙂 einen -muss ich erwähnen, dass er vegan ist?- genialen Zitronenkuchen! Und dieses mal habe auch ich persönlich gebacken. Anish hat mir nur gezeigt, wie der Ofen geht. Das war schön! Also das Backen. Ich backe ja gerne. Vor allem, wenn ich dann das Resultat selbst essen kann 😀 Und Zitronenkuchen hatte ich schon ewig nicht mehr. Was für ein Genuss! Oh, da gibt es auch noch was anderes: Sophia hat mir VEGANE Schokolade mitgebracht! Schokolade! Vegan! Nur für mich! Die Freude war soooooooooo groß! Also wenn ihr mir eine Freude machen oder euch einfach so bei mir beliebt machen wollt-meine Eltern haben meine Adresse 😀 Und es ist mir egal, in welchem Aggregatszustand die Schokolade ankommt. Keine Ausreden finden 😀 Nach 7 Wochen Entzug ist das eines der schönsten Geschenke, die sie mir hätte machen können. Ich habe heute eine Apfelschorle getrunken. Oh, wie schön 🙂 ja, ich bin wieder in der alles-ist-so-toll-ich-könnte-die-Welt-umarmen-Phase. Sorry. Und Pizza! Ich habe Pizza gegessen! Ich liebe zwar das indische Essen, aber sowas europäisches hat schon was 😉 Was war ich glücklich, als ich auf dem Weg zum Flughafen (um Sophia abzuholen) ein Autohaus von Volkswagen gesehen habe! Oder eine Plastiktüte von Rossmann und Müller! Also die hatte Sophia dabei. Und es gibt tatsächlich Shampoo von Garnier hier! Ich weiß, das klingt jetzt alles nicht so berauschend, aber für mich ist es gerade ungefähr auf einem Niveau mit dem Weltfrieden. Als ich Ashif das Autohaus gezeigt habe und zu verstehen gegeben habe, dass das deutsch ist, hat er erstaunt geschaut-genau die richtige Reaktion 😉 netter Kerl 😀

In meinem Stimmungshoch gehe ich dann mal schlafen. Es ist 0:13Uhr. Ja, was langweile ich mich immer. Gut, dass da Prakash, mein Animateur ist 😀

Oh. 1521 Wörter. Uups, sorry…

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