Das beste aus der Situation machen

Die Gründe, warum ich schreibe. Es fällt mir leichter, mein Erlebtes zu verarbeiten und natürlich möchte ich euch auf dem Laufenden halten und berichten, was in mir und meinem Leben so vorgeht. Wissen lassen, dass alles gut ist 🙂 Und weil es mir Spaß macht. Nochmal die letzten Tage zu reflektieren und einfach drauf los zu schreiben. Das entspannt. Und da ist noch ein Grund. Ein Grund, den ich schon in einem der ersten Beiträge geschrieben habe. Aber da war es was anderes. Ich war erst eine kurze Zeit hier und ziemlich verloren. Verloren bin ich jetzt sicher nicht mehr, schon lange nicht. Wovon ich Rede ist mal wieder die Einsamkeit. Einsam war ich am Anfang, weil ich komplett alleine hergekommen bin und es niemanden gab, der sich um mich gekümmert hat. Der gesagt hat, komm ich zeig dir mal, wie du zur Schule findest. Der einfach nur da war. Aber wie gesagt, das hat mich ja auch stärker gemacht. Jetzt ist es anders. Seit etwas mehr als zwei Monaten lebe ich in Banaras, einer Kleinstadt mit um die 2Mio Einwohnern. Ich kenne mich in diesem Viertel soweit aus, dass ich nicht vollkommen verloren jemanden bitten muss, mich orten zu lassen, um irgendwie gefunden und gerettet werden zu können. Orientierung ist auf jeden Fall da. Menschen kenne ich auch. Recht viele. Da gibt es die Lehrer und anderen Mitarbeiter in der Schule und der BBB. Außerdem die Schüler. Leute, die hier irgendwo wohnen, oder die hier einen Shop besitzen. Leute, die mit dem Gasthaus Besitzer irgendwann irgendwie in Kontakt getreten sind. Oder auch einfach verwandt mit ihm sind. Und natürlich noch Vikki, Guru und Sanjay.

Leute zu kennen, ist gut. Man fühlt sich automatisch wohler. Es gibt einem das gute Gefühl, irgendwie dazu zu gehören. Und ich meine, wer will das nicht? Teil des Ganzen zu sein wünscht sich doch eigentlich jeder irgendwie. Aber man muss das ja differenziert betrachten. Leute zu kenne ist gut, aber bringt einem im Endeffekt nicht viel. Was wirklich etwas Wert ist, was wir brauchen, sind Freundschaften. Menschen, auf die man sich verlassen kann, die einen verstehen, einem helfen. Die in der großen weiten Welt immer an einen denken und zu unterstützen und auch beschützen bereit sind.

Das ist das, was fehlt. Was mir fehlt. Hier. Weil ihr nunmal in Deutschland oder sonst wo auf der Welt seid. Und hier ist es anders. Was eine Neuigkeit. Wahrscheinlich wartet ihr nur darauf, dass ich irgendwann etwas entdecke, was tatsächlich gleich ist. Aber das fällt mir ja wahrscheinlich nicht auf, weil es ja nicht anders als gewohnt ist. Egal. Ich habe Freunde hier, aber das ist nicht das gleiche. Aus so vielen Gründen. Angefangen damit, dass sie alle männlich sind. Klingt jetzt doof. Als hätte ich ein Problem mit dem männlichen Teil der Schöpfung. Nee, habe ich eigentlich nicht. Aber ich bin ja immer noch in Indien und da ist auch schon das nächste ‚Problem‘. Dass ich die Kultur noch lange nicht verstehe und auch nicht abschätzen bzw beurteilen kann, was ’normal‘ ist und was nicht. Jetzt bezogen auf ganz normale Freundschaften. Dass ich immer darauf Acht geben muss, nichts falsches zu sagen, zu zeigen, zu signalisieren. Und deshalb irgendwie leider leicht misstrauisch sein muss. Wirklich muss. Weiter geht es damit, dass wir nicht die gleiche Sprache sprechen. Und so ganz nebenbei eben aus komplett unterschiedlichen Kulturen stammen, unter unterschiedlichen Umständen in unterschiedlichen Umfeldern mit unterschiedlicher Erziehung aufgewachsen sind. Von nicht vergleichbaren Eindrücken und Erlebnissen geprägt wurden. Und in Folge dessen komplett verschiedene Weltansichten haben. Und eben andere Vorstellungen der Definition von ‚Freundschaft‘. Das kann ganz schön anstrengend sein. Es ist anstrengend. Und eben nicht so, wie mit einem Freund aus Europa. Man versteht sich nicht. Als ich von Sophia erzählt habe, war die Reaktion: ich Reise auch oft und habe kein Heimweh. Ich bin oft in Delhi und weine nicht. Ja, herzlichen Glückwunsch. Dass es kein bisschen mit Sophias und meiner Situation zu vergleichen ist, wurde gar nicht verstanden. Schlussendlich läuft es oft darauf hinaus, dass es heißt, ich sei noch so jung und würde ihren Standpunkt deshalb nicht verstehen. In 7 Jahren denke ich genauso. Klar habe ich mit meinen 18Jahren quasi keine Lebenserfahrung. Wie auch? Aber man könnte versuchen mich zu verstehen. Man könnte darüber nachdenken, dass unsere unterschiedlichen Meinungen nicht zwingend daher rühren, dass ich noch nicht so lange lebe. Der Versuch, sich gegenseitig zu erklären und seinen Standpunkt zu verteidigen, wird durch die Sprache natürlich nochmal erschwert. Aber vielleicht erwarte ich zu viel.

Das ist wieder etwas, was ich komplett unterschätzt hatte. Als ich noch in Deutschland war. Neue Freunde zu finden. Menschen zu finden, mit denen man sich versteht. In einer anderen Kultur. Daran habe ich erst garnicht gedacht. Also dass das ein größeres Problem sein könnte. Und wieder was dazu gelernt.

So. Das, was ich jetzt doch recht ausführlich beschrieben habe, ist also der Grund dafür, dass ich mich doch noch oder wieder einsam fühle.

Es gefällt mir hier immer noch echt gut und ich habe immernoch vor, die 8 Monate zu bleiben 🙂 also keine Sorge. Ich denke, das ist jetzt gerade so eine kleine Heimwehphase von mir, die vielleicht auch daher kommt, dass ich mal wieder krank bin und deshalb den ganzen Tag hier nichtstuend rumliege. Das macht auf Dauer aggressiv. Und das wiederum macht mich traurig und dann fange ich an nachzudenken. Darüber, was mich gerade eigentlich nervt. Weil ich eh obligatorisch schlecht drauf bin und mich bei Gott nicht über mein Lebensglück bedanken kann. Da ich ja gerade mies gelaunt bin. Und dann fange ich an, Heimweh zu bekommen. Gibt ja auch niemanden, der sich wirklich um mich kümmert. Verwöhnt und aufmuntert. Wo es mir doch nicht gut geht.

Genug gejammert! Schließlich wusste ich, dass ich alleine herkomme. Ich wollte alleine herkommen. Und dann ist ja auch eigentlich klar, dass ich mich irgendwann einsam fühlen muss. Schließlich ist es das erste mal, dass ich alleine reise. Und dann in eine andere Kultur. Und weit, weit weg von zu Hause. Ich denke, da ist es doch OK, auch nach der Eingewöhnungsphase noch irgendwie seine Heimat zu vermissen und sich etwas alleine zu fühlen.

Also das war mal wieder ein etwas negativer Beitrag. Aber hey, es soll ja abwechslungsreich bleiben 🙂 da kann ich ja nicht immer als Sonnenschein höchstpersönlich vom Sonnenaufgang und all den anderen schönen Dingen hier schwärmen 🙂
Ich vermisse euch! Und freue mich schon, euch nächstes Jahr wiederzusehen! Aber nein, ich komme nicht früher zurück… dafür gefällt es mir doch zu gut 🙂

Oh, noch was aus der Schule: letzte Woche hat eine Lehrerin einen Jungen dabei gesehen, wie er im Bad nicht ins Klo gepinkelt hat, sondern in den Abfluss. Weil er es nicht besser wusste. Die meisten Kinder haben zu Hause keine Toilette sondern gehen auf die Strasse. Jetzt wird allen Kindern gezeigt, wie man aufs Klo geht. Nicole hat damit angefangen und erzählt, dass ein Mädchen zu weinen begonnen hat, als sie die Spülung bedient hat. Sie hatte Angst. Süß 🙂
Aber auch ganz schön traurig. Es ruft doch nochmal mehr ins Bewusstsein, was Armut hier bedeutet. Nicht zu wissen, wie man aufs Klo geht. Für uns unvorstellbar! Auch mit was für einer Art von Problemen die Kinder hier schon so früh konfrontiert werden. Ein Familienvater, 3 Töchter und hochschwangere Frau, hat vor kurzem versucht, sich das Leben zu nehmen. Der Vater von 2 Mädchen, die hier zur Schule gehen. Er lebt noch. Wenn der Vater schon keinen anderen Ausweg mehr weiß, als sich das Leben zu nehmen. Wie soll man damit zurecht kommen? Als Kind? Oder auch auch als hochschwangere Frau? Generell? Überhaupt?
Das sind Probleme, mit denen die Kinder aus der Badi Asha School konfrontiert sind. Und ich finde, mit dem Hintergrund dürfen die Kinder in der Schule Kind sein. Müssen sie. Und dann verstehe ich auch besser, warum der Unterricht lockerer ist. Warum die Schulleitung nicht so streng ist. Warum ein 12jähriges Mädchen kuscheln will. Und ein 10jähriger Junge mich dauerumarmt und am liebsten nicht gehen lassen will. Und das Mädchen, was mir Geld geklaut hat. Warum sie so anhänglich ist. Ich weiß nicht, was ihre Geschichte ist, aber erst jetzt realisierte ich so richtig, was die Kinder durchmachen. Verstehen werde ich es nie können, ich hatte eine behütete Kindheit. Aber ihnen das zu geben, was sie suchen. Das versuche ich. Sie ablenken vom Ernst des Lebens, von ihrem Leben. Sie Kind sein lassen. Dann spielen wir im Flötenunterricht halt nur 15min Flöte und singen und tanzen den Rest der Stunde. Wenn es ihnen mehr Spaß macht. Warum nicht?

Verstehen werde ich hier vieles nicht. Nachempfinden sowieso nicht. Also das beste aus der Situation machen!
Liebe Grüße 🙂

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