Überbevölkerung? Untertreibung des Jahrtausends

Viele Menschen glauben zu wissen, dass Indien überbevölkert ist. Niemand, der je hier war, kann auch nur ansatzweise von sich behaupten, die Bedeutung des Wortes ‚Überbevölkerung‘ zu kennen. Das meine ich ernst. Momentan ist hier das Durgafestival. Was das genau bedeutet, weiß ich auch nicht, ich habe nur herausgefunden, dass in der gesamten Stadt Götterstatuen (aus Plastik) aufgestellt sind, dazu läuft zu laute Musik und der Raum, in dem sich die Statuen befinden, ist mit Tüchern geschmückt. Und Plastikkronleuchtern. Es lebe Plastik! Die Leute sind abends von Tempel zu Tempel gezogen und haben sich dort, und wo eben sonst noch Statuen standen, sich die Schönheiten angeschaut. Jedenfalls war heute der letzte Tag, und die Statuen wurden feierlich im Ganges versenkt. Das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Da ich von ungefähr jedem hier, den ich kenne, gewarnt wurde, während des Festivals ja nicht alleine im Dunkeln unterwegs zu sein, habe ich Gulu (der eigentlich Manish heißt) und Sanjay (der eigentlich gar keinen Bock hatte) mitgeschleppt. Als Bodyguard sozusagen.

Vorher konnte ich nicht so ganz nachvollziehen, warum ich jetzt nicht alleine raus soll, vor 9Uhr ist das schließlich sonst nie ein Problem. Jetzt weiß ich warum. Jedes Festival ist ein willkommener Grund, sich zu besaufen und Drogen zu nehmen. Dieses Festival dauert 9 Tage und heute ist der letzte, das heißt heute ist quasi der Höhepunkt des Übels 😀 Erstmal waren überall Menschen. Und nicht wie sonst, mit so viel Platz, dass um jede sich nähernde Kuh ein großer Bogen gemacht werden kann, sondern zu viele Menschen. Überall. Das Grauen jeder Person mit der geringsten Berührungsangst. Geschweige denn von Platzangst. Hab ich ja zum Glück beides nicht, aber trotzdem. Ich war so k.o.! Man glaubt gar nicht wie anstrengend es ist, einfach nur unter zu vielen Menschen zu sein. Man muss ja nichteinmal so was tun, wie Kommunikation zu betreiben, es reicht alleine die Anwesenheit von gefühkt ganz Indien an dem Ort, wo ich bin. Das war anstrengender als ein Tag in der Schule. Die halbe Stunde unter ganz Indien.

Ein paar Hände haben ihren Platz auf meinem Hintern gefunden. Die eigentliche Tatsache, warum mich das richtig aufgeregt hat war, dass es unmöglich war, den Arsch zu finden, zu dem die jeweilige Hand gehört. Ich hatte mir nämlich fest vorgenommen, jeden Angrabscher mit der Faust zu schlagen. Scheinbar aus Reflex. Ja, manchmal bin ich aggressiv. Was mich noch aggressiver gemacht hat war, dass ich die Idioten nicht schlagen konnte. Meine Bodyguards haben das nicht mitbekommen. Waren zu sehr mit atmen, überleben und laufen beschäftigt. War wohl auch besser so. Am Ende hätten sie noch ne Schlägerei gestartet. Und sowas, wie gekennzeichnete Fluchtwege oder so einen Schnickschnack gab es nicht. Ich bezweifel auch, dass es überhaupt genügend Fluchtwege gab. Naja, der heilige Ganges hätte es wahrscheinlich für viele getan.

Ich weiß, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt habe. So viele Menschen auf einem Fleck würden in Deutschland nie zusammentreffen. Schon alleine weil es in Deutschland nicht so viele Menschen gibt. Und wenn wir so viele wäre, wären wir zu muffelig. Was ich damit meine, ist, dass wir natürlich besseres zu tun hätten, als Plastikstatuen beim planschen zuzuschauen. Fernsehen zum Beispiel. Oder im Haus bzw Garten rumwerkeln. Oder sonst irgendwas. Außerdem haben wir viel zu strenge Sicherheitsauflagen. Finde ich saber garnicht schlimm. Die Sicherheitsmaßnahmen. Wo sich die ganzen Polizisten versteckt haben ist mir ein Rätsel. Die sind immer nur da, wo nichts ist. Da wird ein Tempel von gefühlt 100 Polizisten bewacht, aber wenn sich ganz Indien in Varanasi am Ganges trifft, haben die Helfer frei, oder wie? Oder bewachen die dann immer noch die Tempel? Seltsam. Ach, mir fällts ein. Natürlich. Sie waren bestimmt essen. Garantiert.

Beweisfotos werden natürlich geliefert. Also nicht vom Festessen der Polizisten, sondern vom Gewusel. Ich will mal kurz erklären, warum das immer so lange dauert. Im Internetcafé spiele ich die Fotos von der Kamera auf den PC. Von dort kann ich sie dann hochladen. Das ist auch alles gar kein Problem, wenn man ein geduldiger Mensch ist. Geduld ist nicht meine Stärke. Auch wenn ich hier das nichts tun gelernt habe. Innerhalb von einer Stunde haben es tatsächlich 3 Bilder geschafft. Ja, was für ein Erfolg. Achso, Mist. Ich glaube die Beweisfotos kann ich gar nicht hochladen. Habe sie nur als RAWdatei gespeichert und die ist grundsätzlich größer als die 6Mb Grenze. Mal schauen, was sich machen lässt.

Ich wünsche euch eine gute Nacht und schöne Träume. Von einer Blumenwiese oder so. Mir geistert heute Nacht vermutlich die gesamte Population Indiens in den Träumen rum. Also freut euch über Blumenwiesen. Die gibt hier nicht, kein Platz. Und jede Menge Kühe.

Julia

 

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