Von Schatzkisten und Autobahnen

Da reist man 1000e km in ein Land, das einstellige oder gar negative Temperaturen kaum kennt und dann sowas. Ich sitze im Auto mit Vater, Mutter, Chichi und Parsen und sie stellen die Klimaanlage auf eine Temperatur unter 25°. Dafür bin ich nicht so weit gereist. Wir sind auf dem Rückweg vom Arzt. Der Vater hat seit längerer Zeit Hauptprobleme und sein Arztbesuch wurde zum Familienausflug deklariert. Ursprünglich wollten wir heute früh fahren. Dann ist aber Chichis Geburtstag dazwischen gekommen. Der wurde von den Eltern erst vergessen (Geburtstage feiern ist hier auch krin Ding), dann wurde Chichi zum Blumen und Süßigkeiten holen geschickt. Wieder zurück gehe ich erst davon aus, dass eine der drei Blumengirlanden für Chichi bestimmt ist. Aber falsch gedacht, zur Feier des Tages werden die drei Personen, die der Familie als großes Vorbild dienen (Lord Buddha, ein ehemaliger König und ein ehemaliger Politiker, der an der Verfassung Indiens maßgeblich beteiligt war) gefeiert. Es hängt von allen dreien je ein eingerahmtes Foto im Wohnzimmer, die haben wir mit den Blumengirlanden geschmückt. Und dann wurde eine Art Gebet gesprochen, in denen man den dreien im Prinzip verspricht, kein Arschloch zu sein. Garnicht schlecht, wie ich finde.

Im Anschluss gibt es die Süßigkeiten und wir geben Chichi alle etwas, dafür gibt er uns was. Da die Süßigkeiten nicht vegan sind, nehme ich keine und das hatten die Eltern nicht auf dem Schirm. Schnell muss eine Alternative her, damit auch ich in den Genuss etwas Süßen komme. Tambdi Dad fragt, ob ich Zucker essen kann und nachdem ich das bejahe, bringt mir Tambdi Mum einen kleinen Teller mit einem Häufchen Zucker.  Glücklicherweise habe ich Chichi schonmal erklärt, dass wir in Deutschland versuchen darauf zu achten, nicht zu viel Zucker zu konsumieren und so versteht er mein entsetztes Gesicht und erklärt den Eltern direkt, dass das für mich wie Gift sei (vielleicht etwas übertrieben aber es trifft den Kern). Und so begnügen sie sich glücklicherweise damit, dass ich erst beim direkt darauf folgenden Snack zugreife.

Am Abend waren wir dann aber endlich beim Arzt, mussten einige Zeit warten, aber das war in Ordnung. Da mir aber mal gesagt wurde, dass wir auf dem Rückweg Mangos besorgen und es mittlerweile nach 10 ist, bin ich ziemlich enttäuscht. Ich bin immerhin schon Tag 2 hier und habe noch keine einzige Mango gegessen. Dabei fahren wir ständig an Mangoständen vorbei, sobald wir unterwegs sind. Auf dem Weg machen wir noch ein paar Zwischenstopps, denn Chichi und seine Mutter möchten Kaffee trinken. Dann einen Stopp, bei dem ich den Zweck nicht durchschaue und dann wieder einen Stopp, bei dem ein größerer Karton in den Kofferraum eingeladen wird. Ich werde gefragt, ob ich noch irgendwas brauche und da eh kein Mangoverkäufer mehr auf den Straßen zu sehen ist, verneine ich. Ich überlege, morgen den Bruder zu fragen, ob ich das Familenfahrrad leihen darf. Dann könnte ich in der Früh losfahren und den nächsten Mangoverkäufer überfallen. Bis ich kurz darauf herausfinde, dass der riesige Karton voll mit Mangos ist. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass wir den aus einem Elektronikladen haben. Da schien mir der Kauf von Elektronikartikeln irgendwie wahrscheinlicher. Aber mit Logik komme ich hier nicht so weit. Das lerne ich zwar jedes mal wieder aufs neue und doch ist die Erkenntnis nicht lang anhaltend. Ab jetzt gibt es keinen Grund mehr, mir puren Zucker anzubieten, denn ich habe einen Karton voll mit Mangos! Juhuu!

Parsen, Chichis Cousin, fragt die Tage immer mal wieder nach deutschen Wörtern und kann sich diese auch ganz gut merken. Dafür ist er relativ beratungsresistent, wenn ich ihm erkläre, wie und in welchen Zusammenhängen sie verwendet werden. So spricht er mich jetzt wie in hindi oder marati mit „Schwester“ an. Didi fand ich ja noch nett am Anfang, aber Schwester hat auf deutsch so einen kirchlichen Touch. Und zum Essen sagt er jetzt immer Prost. Wenn ihr also in ein paar Jahren mal einen Inder in Deutschland trefft, der da so komische Dinge sagt. Ihr wisst bescheid.

Und dann steht nochmal ein Arztbesuch für Tambdi Dad an. Chichi und ich begleiten ihn. Es geht deutlich schneller heute. Und auf dem Rückweg kommt Chichi, dass ich ja eigentlich auch fahren kann. Schließlich habe ich meinen Führerschein dabei. Ich melde zwar lautstark Bedenken an, denn nur weil ich einen PKW zu lenken weiß, heißt das ja wirklich nicht, dass ich hier sicher fahren kann. Ich sage, dass wir in Deutschland Regeln lieben und die auch befolgen und dass ich mich hier unsicher fühle, weil das hier anders ist. Dazu kommt ja auch, dass unser Lenkrad auf der linken Seite ist. Aber Gaspedal und Bremse sind an der gleichen Stelle. Chichi bestätigt, hier folgt jeder seinen eigenen Regeln, hält am Straßenrand und wir tauschen Plätze. Ich frage Tambdi dad, ob er das in Ordnung findet, schließlich will ich nicht, dass er Angst hat. Er wirkt aber entspannt und so fahren wir los. Ab und an warnt mich Chichi zum Glück vor, wenn ich nicht erkenne, wie schlecht die Autobahn in ein paar Metern ist. Er bittet mich um eine ehrliche Wertung der Autobahn und ich vergebe gut gemeinte 3 von 10 Punkten. Er lacht, übersetzt das seinem Vater und da dies eine verhältnismäßig gute Straße ist, finden sie meine Wertung etwas hart aber in Ordnung. Sie können sich nicht vorstellen, wie die Straßen in Deutschland sind und so fange ich an, alles aufzuzählen, was mir auf einer deutschen Straße so nicht begegnen würde. Zum einen haben wir keine Geschwindigkeitsbrecher und sie fragen mich, wie wir dann dazu gebracht werden, langsam zu fahren. Ich sage, dass wir Regeln ja ziemlich gerne haben und uns demnach schon Schilder reichen, auf denen steht, was wir tun dürfen. Außerdem gibt es Strafzahlungen. Als nächstes fällt mir ein quer stehender LKW auf, der beschlossen hat, die dreispurige Straße zum Wenden zu nutzen. Auf der Gegenspur läuft eine Kuh mitten auf der Autobahn. Außerdem laufen immer wieder Leute über die Straße. Generell versucht man hier auch, so wenig Weg wie möglich auf sich zu nehmen und so gibt es auch einige Geisterfahrer. Ich erzähle, dass bei uns Autobahnen gesperrt werden, wenn jemand in die falsche Richtung fährt und sie schauen mich ungläubig an. Ich fahre maximal 70 km/h und das fühlt sich schon ziemlich schnell an. Ich erzähle, dass man auf deutschen Autobahnen mindestens 70 km/h fahren muss und dass die Richtgeschwindigkeit 100 km/h ist. Sie kommen kaum aus dem Staunen raus. Es ist eine ziemlich witzige Autofahrt, denn auch für mich ist es deutlich unterhaltsamer, all die Unterschiede aufzuzählen, als sie still zur Kenntnis zu nehmen. Kurz bevor wir dann wieder in die Stadt kommen, tauschen wir aber wieder. Auf dem Autobahnabschnitt war es ziemlich leer, es war eine beginnerfreundliche Strecke. Die Stadt ist dann aber eine ganz andere Nummer, das überlasse ich dann doch lieber den Locals.

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