Ankunft in Varanasi

Puh. Es ist 23:08 Uhr und ich liege auf meinem Schlafplatz im Zug nach Varanasi. Bei einem vollgestopften Urlaubskalender mit nur einem Termin um 8 Uhr morgens hätten vermutlich die meisten damit gerechnet, dass es locker machbar ist, den Zug um 22:50 Uhr am Ende der Straße zu nehmen. Aber es wäre ja kein Abenteuer, wenn ich wie in alter Manier bei allem jede Menge Puffer einberechne. Oder überhaupt gut überlege, wann ich los muss. Außerdem ist das hier ja eine interkulturelle Begegnung und da nähert man sich idealerweise einander an. Das Zeitmanagement hier habe ich ja schonmal angeschnitten und scheinbar hat es auch garnicht lange gebraucht, bis sich mein Hirn in der Hinsicht umgestellt hat. Das deutsche Herz in mir ist dafür ehrlich gesagt aber immer noch ziemlich am Klopfen, weil ich beinahe den Zug verpasst hätte. Aus irgendeinem Grund hatte ich gedacht, dass es locker ausreicht, wenn ich 20 min vor Abfahrt aufbreche. Mit der bereits abgespeckten Variante meines Gepäcks, also einer Handtasche, einem Rucksack und 2 großen Koffern. Alleine. Delhi ist ja bekanntermaßen nicht umbedingt eine Kleinstadt und dementsprechend groß sind auch die Bahnhöfe. Ich bin also (bis ich wirklich aus der Tür draußen war) 16min vor Abfahrt auf der Straße gestanden und habe auf eine Riksha gewartet. Rikshas fahren auch eigentlich den ganzen Tag auf und ab und ständig wollen mich die Fahrer am liebsten auch die 20 m zur nächsten Ecke fahren. Aber unerwarteterweise machen scheinbar auch Rikshafahrer mal Feierabend und so musste ich das doppelt so teure Tuttuk nehmen. Na gut. Als der Fahrer erfuhr, dass mein Zug in nur 12 min fährt, hat er sich auch echt ins Zeug gelegt und sich trotz roter Ampel durch den Verkehr zum Bahnhof gemogelt. Was extrem erstaunlich ist. Zum einen hat er (wie auch die meisten anderen Verkehrsteilnehmer. Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel) zunächst angehalten. An einer Ampel. Die werden meiner Erfahrung nach eher als Element der Unterhaltung/Reklame angesehen. So à la „hallo, hier ist eine Kreuzung und wir haben auch eine Idee, wie ihr sie unbeschadet überqueren könnt. Aber tut euch keinen Zwang an, kreative Alternativvorschläge sind natürlich willkommen“. War der Präsident unterwegs, sodass sich plötzlich alle vorbildlich verhalten haben?
<span;>Oder aber, und das ist meine zweite Theorie, es fand ein in meinen Augen nicht besonders gelungener Flashmob statt. So, wie man sie aus Bollywoodfilmen kennt, nur in uncool. Ich bin noch unsicher, für welche Variante ich mich entscheide.
<span;>Jedenfalls hat sich mein Tuktukfahrer zu meiner Freude dazu entschieden, da nicht mitzumachen. Weiter ging es zu den Trollis. Trollis sind professionelle Gepäckträger, die einem die Koffer bis in den Zug tragen. So einen Service habe ich noch nie in Anspruch genommen (immerhin kann ich das auch selber und ich wurde von mehr oder weniger schwäbischen Eltern großgezogen. Da kann man Geld sparen) aber in Angesicht der Gepäckmenge und, noch viel wichtiger, der Zeitnot habe ich direkt 2 beauftragt. Die natürlich den Deal ihres Lebens vermuteten. Bei meiner Geldscheißerhautfarbe ist das auch nicht ganz unverständlich. Aber womit sie nicht gerechnet haben ist, sind meine Wurzeln im Schwabenländle. Sie haben (und so würde ich es mit meiner neu erlangten Expertise auf diesem Gebiet auch jedem empfehlen) natürlich auf dem Weg (auf hindi) mit mir verhandeln wollen. Zu dem Zeitpunkt muss ich ja quasi zu allem ja sagen, da sie sonst mit meinen Koffern stehen bleiben. Außerdem gehen sie davon aus, dass ich kein hindi verstehe. Sie fangen also an, dass jeder 500 Rs bekommen sollte. Ich tu so, als verstehe ich nicht und sag einfach ok. Am Ende sind sie dann dabei, dass jeder von ihnen 1000 Rs (12,50 €) bekommen sollte. Das ist das Zehnfache des normalen Preises. Und als wir im Zug angekommen sind, fange ich an zu verhandeln. Jetzt bin ich natürlich in der stärkeren Position, weil ihre Dienstleistung bereits ausgeführt wurde und ich nichts mehr zu verlieren habe. Zugegebenermaßen war das auch etwas gemein von mir, aber ich habe ihnen schon beim auf mich zulaufen angesehen, dass sie mich extrem übers Ohr hauen werden. Fast würde ich behaupten, Expertin im Erkennen solcher Schurken zu sein. Am Ende habe ich ihnen 500Rs zusammen gegeben, da sie ja wirklich schnell sein mussten. Ich habe also schon ordentlich aufgeschlagen (aber auch nur, weil ich nicht darauf geachtet hatte, genug Kleingeld parat zu haben. Ein blutiger Anfängerfehler). Bis der Zug losfuhr, haben sie mir dafür netterweise lautstark Gesellschaft geleistet. Dass wir so knapp dran waren, hatte dann doch auch etwas gutes, denn so waren sie nach 2 min wieder weg und ich samt Gepäck im Zug.

Gerade wurde ich kontrolliert. Dabei läuft der Kontrolleur mit einer Liste aller Passagiernamen und Plätze rum und fragt jeden nach Name bzw. Ticket. Mich hatte er ursprünglich übersprungen (ich wurde bisher nicht oft kontrolliert. Entweder die Kontrolleure gingen davon aus, dass ich als reiche Ausländerin ja wohl ein Ticket haben werde (im Fall, wo es keine festen Sitzplätze gab). Oder aber andere Leute, denen ich sicherheitshalber immer mein Ticket zeige, damit sie mir Bescheid geben können, wenn ich am Ziel bin (manchmal gibt es kaum Ortsschilder in lateinischer Schrift), versichern dem Kontrolleur meine Gewissenhaft beim Fahrkartenerwerb. Ich war schon dabei, dem guten Mann zu unterstellen, mich mit allen Ausländern in einen Topf zu werfen (da steht ein komischer Name auf der Liste, die schaut komisch aus. Passt.), da er alle um mich herum kontrollierte. Aber er kam zurück und hat für meinen Seelenfrieden gesorgt, indem er auch meinen Namen wissen wollte. Und anschließend mein Ticket sehen wollte, weil er die Aussprache scheinbar nicht mit dem Namen im schlauen Buch in Verbindung bringen konnte.

Die Nacht über habe ich nicht besonders viel geschlafen, obwohl das Abteil überraschenderweise nicht auf arktische 16°, sondern eine mit Decke einigermaßen angenehme Temperatur gekühlt wurde. Für Zufahrten und den Flug habe ich extra immer Wollsocken dabei. Für meine Reise in ein Land, dessen Durchschnittstemperatur momentan der Einsteigersaunatemperatur entspricht. Und dann sind wir angekommen. Ich habe mir einen Wecker auf 45 min vor Ankunft gestellt und bin dann auch aufgestanden. Habe gerade die Zähne gepuzt und mich einigermaßen frisch gemacht, da sind wir auch schon angekommen. 30 min zu früh?! Dieses neue indische Zeitmanagement bringt mich völlig aus der Bahn. Es kam schon des öfteren vor, dass mein Zug die ursprünglich angepriesene 12-h-Fahrt auf 20 h ausgeweitet hat. Auch eine kostenlose Verlängerung des Fahrerlebnisses um 3-5 h war nicht ungewöhnlich. Und nun kommen wir zu früh an. Ich bin mir noch unsicher, was ich davon halten soll. Wie gut, dass ich nach dem gestrigen Aussetzer wieder besser vorbereitet war. Während der Rest des Wagens hektisch seine Sachen zusammengeräumt hat, konnte ich ganz entspannt mit meinen 4 Gepäckstücken aussteigen und meinen Weg zu den Rikshas bahnen. Nach relativ offensichtlichen Anspielungen habe ich gedacht, dass mich Mili abholt, aber da niemand meinen Namen gerufen hat, bin ich dann so mit einer Autoriksha los. Ich war mir zum Einen nicht sicher, ob sie mich abholt und zum Anderen halte ich die Aussicht, am Bahnhof eine junge Frau zu finden, die wie der Großteil der weiblichen Bevölkerung in Varanasi traditionelle Kleidung trägt und schwarze Haare hat, nicht für sonderlich erfolgreich. Das ist wir ein Wimmelbuch extrem. Im Gegensatz dazu tut sie sich ja extrem leicht, mich zu finden. Einfach schauen, wer die Masse um einen Kopf überragt und dazu auch noch bunte Haare hat. Easy. Jedenfalls habe ich dann, wie abgesprochen, an der Kreuzung in der Nähe ihrer neuen Wohnung gewartet, weil wir uns da treffen wollten. Sie kam dann auch kurz später-allerdings nicht wegen mir, sondern weil sich zufällig gerade was zu essen geholt hat. Die gute war tatsächlich am Bahnhof-allerdings am anderen Ausgang. Sie habe extra einen Polizisten gefragt, ob er eine große Ausländerin gesehen hat und der hat verneint. Da ich keine Sim-Karte habe und somit zeitweise nur sehr eingeschränkt kommunikativ bin, ist sie dann einfach wieder heim gefahren. Ihre Einschätzung zum Nutzen des besagten Polizeibeamten fällt übrigens eher negativ aus.

Jedenfalls hat es ja doch geklappt und wir haben uns gefunden. In dem Viertel, in dem ich mich am ehesten auskenne, hat sich auf den ersten Blick nicht viel verändert. Einige Shopbesitzer haben mich erkannt und begrüßt. Die Begrüßung des Tages war „Hello Germany, how are you?“ Als Sprachrohr der Bundesrepublik Deutschland habe ich stellvertretend geantwortet, dass es uns gut geht. Ich hoffe, das geht so in Ordnung 😀

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