Christkindelsmarkt und anderer Trubel in Delhi

Die Zeit in Varanasi ging extrem schnell rum. Und gerade, weil ich am letzten Tag auch noch so viel unterwegs war, realisiere ich erst, als ich in Delhi ankomme, dass ich meine Leute in Varanasi ja jetzt erstmal nicht mehr sehen werde. In Delhi angekommen geht es erstmal mit der Metro weiter zum Hostel. Ich schlafe hier in einem 6-Bett-Zimmer, zusammen mit Niasha und 4 anderen Frauen. Niasha ist eine ehemalige Schülerin von mir. Vor 8 Jahren habe ich sie noch in englisch unterrichtet – und ich freue mich sehr, sie wiederzusehen. Sie ist jetzt 20 Jahre alt und macht bei Micha eine Ausbildung zur Bäckerin. Ich mag sie. Für sie ist die Reise hier eine große Sache. Das erste mal ohne Familie verreist und mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Meinem Empfinden nach eher weniger, aber das ist natürlich subjektiv. Eigentlich wird alles für sie organisiert, ich nehme sie mit in die Metro oder buche uns ein Taxi. Bestelle Essen. Aber in einem Hostel zu wohnen, mit 5 fremden (oder 4 fremden und einer bekannten) Frauen zusammen, noch dazu in Delhi, wo die Leute deutlich offener und weniger konservativ sind, als in Varanasi. Sie erzählt mir, dass sie daheim immer mit ihrer Mutter zusammen schläft und sie findet es zwar cool und spannend in Delhi, aber sie vermisst auch ihre Familie. Das verstehe ich. Unabhängigkeit und Individualismus sind nicht unbedingt Dinge, die hier vorrangig angestrebt werden. Da ist sie jetzt eindeutig aus ihrer Komfortzone draußen.

Samstag. Wir brechen um 7 auf und kommen gegen halb 8 in der Bäckerei an. Der Plan: packen, um 8 losfahren, um halb 9 vor Ort aufbauen. Praxis: um halb 10 losfahren, 10 ankommen, dann anstehen für Ausweisbändchen und dann bis 11 alles schnell aufbauen. Die Kisten sind kein bisschen strukturiert gepackt und man findet überall alles. Und nichts. Ich liebe es.
Wir verkaufen deutsche Weihnachtsplätzchen, Stollen, Früchtebrot, Sauerteigbrot, Brezen und Brezelbratwürste (Frankfurter in Laugenteig gewickelt). Die Brezen sind der Renner, 2x sind wir ausverkauft und müssen auf Nachschub warten.
Den Tag über werden wir praktisch pausenlos überrannt. Was natürlich gut ist, aber auch ganz schön anstrengend. Chitra, unsere Azubine, hat es leider noch nicht so ganz raus, wie man an so einem Stand verkauft und man muss ihr praktisch alles sagen. Das ist ein bisschen anstrengend, aber dafür ist sie ja in der Ausbildung. Einmal schicken mich meine Kollegen raus und sagen, ich soll mal eine Runde drehen. Das war ganz nett – vor allem, weil ich so gesehen habe, welche unserer Kunden selber Aussteller sind. Bis zum Abend sind wir aber wieder so beschäftigt, dass die Zeit nur so fliegt. Der Weihnachtsmarkt ist in 2 Reihen mit Kunsthandwerkerständen und eine Runde mit Essständen und Bühne aufgeteilt. Von uns aus kann man gut auf die Bühne schauen und ab und an führen ein paar Kinder einen Tanz auf oder eine Band spielt. Dazwischen läuft Weihnachtsmusik. Es kommt ein Lied (Kinder stellt die Stiefel raus, morgen kommt der Nikolaus), das kenne ich nicht. Aber es brennt sich in mein Hirn ein. Abends packen wir zusammen und fahren weiter. Der Tag ist noch nicht vorbei, denn jetzt geht es noch zur Berlin Techno Party. Die Uni hatte eine deutsche Themenwoche und endet mit einer Party. Micha hatte mir das weitergeleitet und ich hatte das nicht ernst genommen. Klar, klingt lustig. Aber Party? Mit Technomusik? Klingt überhaupt garnicht nach etwas, woran ich Gefallen finde. Als er am Abend aber fragt, ob ich mitkomme, will ich nicht nein sagen – weil irgendwo interessiert mich dann doch, wie so eine Berliner Echno Party in Neu Delhi ausschaut. Micha trifft da einen Dozenten, Niasha kommt auch mit. Und dann sind wir da, auf dem geschmückten Flur, an dessen Ende der DJ-Pult aufgebaut ist, es läuft Musik mit etwas Lichtshow und es gibt Schwarzlicht. Die Party geht von 8 bis 11 und wir kommen gegen 9 an. Getanzt wird noch nicht und Niasha findet das schade. Ich eigentlich nicht. Ich würde gerne wieder gehen, haben ja jetzt gesehen, wie so eine Party ausschaut. Es gibt keine Getränke-nicht einmal Wasser oder Säfte. Nur den Flur und Toiletten. Niasha ist eigentlich auch müde, möchte aber noch etwas bleiben. Na gut. Ich unterhalte mich etwas mit einem deutschen Lehrer der deutschen Schule. Er erzählt, dass er in einer Bollywood Tanzgruppe ist und sie haben morgen einen Auftritt auf meinem Christkindelsmarkt. Da bin ich ja gespannt! Niasha zieht mich noch nach ganz vorne zum DJ, wir bewegen uns ansatzweise zur Musik und dann will zum Glück auch sie heim. Bis wir ein Taxi finden, dauert es etwas und gegen 12 Uhr nachts liegen wir schließlich in unseren Betten.

Die Party:

6,5 Stunden später klingelt der Wecker und wir stehen langsam auf. Der Tag wird genauso hektisch, wie der Samstag. Aber es macht Spaß. Die Bollywoodtanzgruppe besteht ausschließlich aus Lehrern der deutschen Schule – und das sieht man. Aber es ist cool. Würde ich mich nicht trauen, Hut ab. Sie bekommen jede Menge Beifall vom indischen Publikum. Generell ist das Publikum einigermaßen homogen hier. Es sind einige in Indien lebende Ausländer und reiche Inder. Ich habe den Eindruck, dass der Weihnachtsmarkt eine gute Gelegenheit zum Vernetzen unter Ausländern ist. Es fühlt sich etwas komisch an, so viele Weiße auf einmal in Indien zu sehen.
Niasha zeigt mir am Abend ihr Handy: 3 verpasste Anrufe ihrer Mutter. Sie müsse jetzt dringend mit ihrer Mutter telefonieren, weil sie heute noch garnicht dazu gekommen ist, mit ihr zu reden. Ähnliches hat mir auch Bhabli mal an einem der Tage vor dem ganz großen Hochzeitstrubel gezeigt. Es war etwa 4 Uhr nachmittags und sie hatte zuletzt am Vormittag mit ihrer Mutter telefoniert. Sie wäre zu beschäftigt gewesen und hat selbst ihre Mutter vernachlässigt. Meines Wissens nach gab es keinen bestimmten Anlass fürs Telefonat, auch war niemand krank oder hatte einen Notfall. Man telefoniert hier einfach gerne und viel.

Ein Bild aus Delhi:

Am Montag lerne ich im Hostel Ka Bo aus Simbabwe kennen. Ihre Schwester hat in Indien geheiratet, weshalb sie her kam, dann wurde kurz später jedoch ihr Pass gestohlen, weshalb sie nun seit 4 Wochen in Delhi fest sitzt und darauf wartet, alle nötigen Papiere zur Ausreise zu erhalten. Sie ist 19 Jahre alt, lacht viel und scheint auf den ersten Blick alles recht locker zu nehmen – nach einem etwas längeren Gespräch mit ihr merkt man aber doch die Anspannung. Heute fährt Niasha am Abend zurück, außerdem ist sie etwas krank. Mein Backworkshop wurde außerdem auf Dienstag gelegt und so kann ich mir den Montag frei nehmen und fahre mit Ka Bo zum Touristenbüro des Hauptbahnhofs Delhi, dann zum Flughafen und wir versuchen gemeinsam herauszufinden, wie sie jetzt schnellstmöglich nach Mumbai kann. Sie hat Dokumente zur einmaligen Rückreise ausgestellt bekommen, auf denen u.a. explizit steht, dass sie damit nur von Mumbai nach Simbabwe fliegen darf. Dennoch bestätigt uns jedoch eine Flughafenmitarbeiterin, dass sie sie auch mit den Papieren nach Mumbai fliegen lassen. Eine alternative Möglichkeit wäre ein Nachtzug (ca. 36 h Dauer, 120 €) oder ein Schlafbus, der noch länger unterwegs ist. Der Flug kostet 70 € und ist daher in jeder Hinsicht deutlich bequemer. Einen Abstecher machen wir noch zum Markt, um ein paar Souvenirs zu besorgen. Bis wir zurück kommen, ist es Abend und sie lädt mich zum Essen ein. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich garnicht wohl dabei fühlt, alleine in Delhi unterwegs zu sein. Und da ich weiß, wie es sich anfühlt, in einem fremden Land zu sein, dessen Regeln und Sprache man nicht beherrscht, hatte ich ihr angeboten, sie zu begleiten. Immerhin kenne ich mich zumindest etwas besser aus als sie und kann besser einschätzen, wie was läuft. Außerdem ist sie erst 19 und will einfach nur heim. Kann man ihr nicht verdenken. Der Tag geht so also auch schnell rum.

Unser Nachtisch:

Ein Aufenthalt in Indien ist für mich eigentlich immer auch mit Comedy verbunden. Es passieren praktisch immer Dinge, die ich in meinem Alltag in Deutschland wohl eher nicht erleben würde. Und diesmal ist es das Wasser. Meine neue Freundin Ka Bo und ich kommen vom Abend essen zurück, ich will duschen und etwas Wäsche waschen – aber meine Mitbewohnerinnen verkünden lachend, dass wir kein Wasser hätten. Da ich noch die Hoffnung habe, dass sie mich nur verarschen, gehe ich Hände waschen und stelle fest, dass wir tatsächlich kein Wasser haben. Wundervoll. Ich gehe also zur Rezeption und frage meine Spezialisten dort, ob sie wissen, ab wann wir wieder Wasser haben werden. Es ist 22:27 Uhr und sie antworten etwas mir unverständliches mit 5 o’clock. Aha. Klingt nicht, als würde ich gleich duschen oder mich wenigstens waschen können. Dann sagen sie „no problem mam, we give you toilet paper“ und drücken mir 2 Rollen Klopapier in die Hand. Gut, dann gehen meine 2 Rollen Klopapier und ich uns wohl mal waschen 🙂

Und schon ist Dienstag. Heute gebe ich einen Waffelbackkurs. Micha hat 2 Waffeleisen und ich soll seinen Bäckern zeigen, wie man vegane Waffeln backt. Ich habe ein Rezept rausgesucht, das relativ einfach ist und das probieren wir zusammen aus. Die Waffeln werden gut, sind allerdings nach deutschem Standard gesüßt. Heißt, wir beschließen, eine neue Fuhre mit deutlich mehr Zucker zu machen. Und mit dem nächsten Versuch sind alle zufrieden. Das ging schnell. Ich gehe in einen kleinen Laden um die Ecke und hole mir 2 Alooparatha für die Reise am Abend. Herzhaft gefüllte Pfannkuchen mit Kartoffelfüllung. Sehr lecker und sehr gut zum Mitnehmen. Dann kommt mein Taxi zum Flughafen. Mein Co2-Fußabdruck sollte dieses Jahr für niemanden ein Vorbild sein. Denn schon wieder fliege ich – diesmal von Delhi nach Goa. Ich stelle erst am Flughafen fest, dass es garkein Direktflug ist, sondern ich in Mumbai umsteigen muss. Wenn schon CO2 rausschleudern, dann also richtig. Relativ bald wird klar, dass mein erster Flug etwa eine Stunde Verspätung hat. Schauen wir also mal, wie gut das dann mit dem Anschluss klappen wird. Für den habe ich nämlich nur 30 min Zeit zwischen Ankunft und Boarding.

4 min vor planmäßigem Abflug meines Anschlusses steige ich aus dem Flieger. Tatsächlich gehöre ich zu den Leuten, die direkt bei Stillstand des Flugzeugs aufgesprungen sind, um ihr Zeug zu holen und als erste auszusteigen. Die meisten Leute, die das machen, kann ich nicht wirklich ernst nehmen, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass sie alle einen effektiven Vorteil haben, wenn sie früher aussteigen. Viele reisen ja doch mit Aufgabegepäck. Aber ok. Der Busfahrer, der uns vom Flugzeugparkplatz zum Flughafengebäude bringt, glaubt nicht, dass ich meinen Anschluss bekomme und macht leider nicht unbedingt den Eindruck, als würde er seinen Teil zum Gelingen meines Umstiegs beitragen wollen. Ich renne los ins Gebäude, nach dem ersten Securitycheck stelle ich enttäuscht fest, dass niemand auf mich wartet, um mich zu begleiten oder den Weg zu weisen oder gar zu fahren. Ok, dann bei der Security dreist vordrängeln und anschließend kommt tatsächlich einer auf mich zu, der aufgeregt wirkt, als ich ihm mein Ziel Goa antworte. Er wird mein Guide, telefoniert mit irgendwelchen Leuten und bestätigt ihnen, dass er mich im Schlepptau hat. Direkt, nachdem er mich (meiner Meinung nach eher zufällig) abgefangen hat, hat er einem mittlerweile eingetroffenen Kollegen vor der Security zugerufen, dass er einen Goa-Menschen erwischt hat und scheinbar haben sich die guten etwas Zeit gelassen, uns abzufangen. Naja. Zunächst rennen wir los, dann erfährt er, dass der Flug tatsächlich 30 min verspätet ist und wir den auf jeden Fall bekommen werden. Nun sind wir im Laufschritt. Er ist freundlich und als Guide gebe ich ihm eine 6 von 10. Beide Gepäckstücke (die sind schwer! Und ja, man darf nur eins haben, aber kontrollieren tut das eh niemand. Und natürlich packt man die schweren Sachenins Handgepäck, weil das Aufgabegepäck ja gewogen wird) muss ich selbst tragen, außerdem fände ich es cooler, auf so einem Golfcart gefahren zu werden. Daher noch Luft nach oben. Wir laufen von Gate 68 zu Gate 40, es ist also durchaus ein Stück. Aber immerhin im gleichen Terminal. Als wir ankommen, hat das Boarding noch nicht begonnen und ich habe noch genügend Zeit, auf Toilette zu gehen. Damit er nicht denkt, ich sei verloren gegangen, frage ich ihn, ob die Toilette in der Richtung ist und er weist mich daraufhin, dass ich danach aber wieder zurück ans Gate kommen muss. Für diesen fürsorglichen Hinweis bekommt er noch einen Sympathiepunkt und ich korrigiere meine Wertung auf 7 von 10. Kann sich sehen lassen, aber wie gesagt. So ein Golfcart wäre schon cool.
Jetzt hoffe ich noch, dass mein Rucksack im Aufgabegepäck auch rechtzeitig umgeladen wurde. Auf diesem Flug sitze ich neben einem Ehepaar, welches quasi durchgehend am Flüstern ist. Ungewohnt. Indien ist für mich ein Land der Extreme, extrem leise gehört da nach meiner Erfahrung aber eher nicht dazu. Im Gegenteil. Angenehm rücksichtsvoll. Ich mag meine Sitznachbarn.

Bei der Ankunft in Goa kommt sogar mein Gepäck mit an. Damit hatte ich eigentlich garnicht gerechnet. Ich stand da nur so und habe gewartet, bis alle Gepäckstücke raus sind, bis ich mich beschweren kann, dass meins fehlt. Aber garnicht nötig, mein Rucksack hat den Anschluss genauso bekommen, wie ich. Was für ein guter Start in die Zeit in Goa!

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