Keine Wüste aber dafür eine Leihmama in Jodhpur

Es stellt sich heraus, dass der gelbe Fleck in Google Maps nicht bedeutet, dass das alles Wüste ist. Der Staat Rajasthan, in den ich mit Mili gereist bin, besteht scheinbar nicht nur aus Wüste. Denn zumindest Jaipur schaut an sich aus, wie die meisten anderen Städte, in denen ich in Indien bisher war. Mit dem Unterschied, dass die Architektur hier anders ist. Es gibt viele wunderschöne alte Paläste und Gebäude, was die Stadt an sich auf jeden Fall sehenswert macht. Vielleicht sollte ich mich künftig nur besser mit der Definition Wüste auseinandersetzen, wenn mein Ziel ist, eine zu sehen, wie man es von Werbefotos kennt 😀 oder auch in google maps auf die Satttelitenkarte wechseln. Ich hoffe jetzt auf Jodhpur, unser nächstes Ziel.

Palast in Jaipur:

Aber jetzt erstmal zu Jaipur. Was gibt es neues? Unsere Rollenaufteilung, in der ich uns lotse und Mili kommentiert, wenn wir wo angekommen sind, hat sich mittlerweile fest etabliert. Dabei ist ihr das Konzept einer Metro nicht ganz klar. In der Stadt gibt es eine Linie, die grob von Südwesten nach Nordosten fährt. Zunächst haben wir diese auch genutzt, da das Verkehrsmittel bequem und vor allem auch günstiger als alle verfügbaren Alternativen sind. Sobald ich uns aber eine Busverbindung rausgesucht habe, wurden meine Lotskompetenzen scharf hinterfragt: „Julia, why we don’t take metro?“ – „Because there is no metro in this area“ – „why? Look, i think this is a metro“ – „no, that’s just a bridge“. Dass es lediglich eine Metrolinie gibt, ist Mili bewusst. Dass diese im Gegensatz zu Bussen örtlich stark gebunden ist und nicht in jede Gegend fährt, die wir besuchen wollen, hält sie für unvorteilhaft. Und nicht nur hier stellt Mili meine Kompetenzen in Frage. Wenn ich weiß, wo wir hin müssen (weil ich in google maps geschaut habe), fragt sie trotzdem ab und an irgendwelche Leute nach dem Weg. Und ich meine an sich habe ich da nichts gegen. Aber ich bin schon sehr oft alleine gereist und war auf die Wegweisungen anderer angewiesen. Dabei habe ich mit der Zeit ein ganz gutes Gefühl dafür bekommen, ob die Person Ahnung vom richtigen Weg hat oder mich einfach irgendwohin schickt (um das Gesicht nicht zu verlieren, wenn man zugeben muss, dass man es nicht weiß. Man schickt die Leute hier dann lieber irgendwohin als zuzugeben, dass man keine Ahnung hat.) Mili hat diese Erfahrung scheinbar nicht (woher auch) und glaubt daher lieber Leuten, die wirklich ganz offensichtlich keinen Schimmer haben und uns vorsorglich in die falsche Richtung schicken wollen. Was mich nervt. Unser beider Verhältnis zu Google maps ist leicht unterschiedlich. Während ich es für eine sehr hilfreiche und besonders zuverlässige Anwendung halte, traut Mili dem ganzen nicht über den Weg und befürchtet ständig, dass es uns einen falschen Weg zeigt. Dazu kommt, dass sie einen Orientierungssinn wie ein Toastbrot hat. Selbst Straßen, durch die wir schon ~6x gelaufen sind erkennt sie nicht und fragt daher auch hier argwöhnisch, ob wir wirklich in die richtige Richtung laufen. An sich halte ich es ja für eine positive Eigenschaft, Dinge zu hinterfragen. Also sollte ich Milis Skepsis gegenüber meinen Guide-Kompetenzen wohl positiv bewerten.

Abseits der Wegdiskussionen haben wir eine gute Zeit. Wir schauen uns viele schöne, alte Gebäude an. Dafür legen wir auch keinen kleinen Teil der Strecke zu Fuß zurück. Was für mich normal ist, immerhin sind wir es in Deutschland gewohnt, viel zu laufen. Generell laufe ich auch gerne. Milis Motto dagegen lautet eher „sitzen hui, bewegen pfui“. Fast jede Familie hier besitzt mindestens ein Motorrad oder Mofa und das wird auch so oft, wie möglich genutzt. Mili hebt sich da nicht von der Masse ab, sie verabscheut das Laufen. Hat passenderweise auch Schuhe mit riesigem Absatz mitgenommen, auf denen das Laufen noch viel weniger angenehm ist. Wir bewegen uns daher im Schneckentempo fort und machen immer wieder Pausen. Sie ist einverstanden, dass wir nur die großen Strecken mit Metro/Bus oder notfalls Tuktuk (die sind verhältnismäßig teuer) zurücklegen und den Rest laufen. Außerdem verkündet sie morgens, dass sie bereit ist, den ganzen Tag zu laufen. Eine Viertel Stunde später ergänzt sie dann, dass ihre Füße wehtun und sie eine Pause braucht. Aber, und das habe ich noch garnicht erwähnt, sie hat ihren Schlafrythmus umgestellt! Damit hatte ich nicht gerechnet. Anstatt von 5-14Uhr zu schlafen, haben wir die Tage meist von 1-8 Uhr geschlafen und sie dann am späten Nachmittag nochmal. Sie wollte möglichst viel aus dem Urlaub rausholen und hat selber gesagt, dass sie dafür anders schlafen muss. Meiner Ansicht nach müsste sie ja eine Art Jatleg haben, aber sie hält sich wacker.

Am Mittwoch sind wir den ganzen Tag (11:50 Uhr bis 20 Uhr) mit dem Zug ins 313 km entfernte Jodhpur gefahren und da wir heute gestern früh schon in den Zug zurück nach Varanasi gestiegen sind, hatten wir nur am Donnerstag Zeit, uns den Ort anzusehen. Weshalb wir sogar noch früher aufgestanden sind. In der Nähe unseres Gasthauses ist eine alte Burg und da sind wir hin. Es ist ein toller, alter Palast. Natürlich sind auch andere Touristen hier und unter diesen sind einige dabei, die die Gelegenheit nutzen und die gesamte Großfamilie in unterschiedlichsten Konstellationen zusammen mit mir ablichten. Was Mili freut, weil sie dann zusätzliche Pausen vom Laufen bekommt. Ich habe ja schonmal erwähnt, dass ich meistens ja sage bei Fotoanfragen. In dem Palast war allerdings auch eine Gruppe junger Männer, die partout nicht akzeptieren wollten, dass ich mich gegen Selfis mit ihnen entschieden habe. Sie sind ständig um uns rumgewuselt und haben ganz zufällig Selfis von sich mit mir im Hintergrund gemacht. Da sie damit aber auch nicht aufgehört haben und es wirklich ziemlich störend war, hat sich Mili bei einer der Wachen beschwert. Die hat die Männer dann zwar angekackt aber sie haben dann halt im nächsten Raum weitergemacht. Das hat auch eine Frau mitbekommen, die mit ihren 7 Töchtern und Nichten unterwegs war. Sie hat die Männer erfolgreich verjagt und Mili und mich in ihren Trupp der Schützlinge mit aufgenommen. Super, super süß. Den Rest des Palastes haben wir uns alle gemeinsam angeschaut. Im Anschluss wollten sie zum Jao Roha desert park gehen, der liegt in der Nähe. Ich hatte ihn auch auf Milis und meine to do Liste gesetzt, allerdings war er für den Vormittag bestimmt. In der prallen Mittagshitze in einem Wüstenpark rumzulaufen – kann man machen, muss man aber nicht. Die Familie hat sich dabei nur den ersten Teil gedacht und so sind wir zusammen dorthin gelaufen. Haben dann erstmal vor dem Eingang im Schatten gesessen. In der Zwischenzeit hat sich noch ein junger Mann unserer Gruppe angeschlossen, der wohl auch irgendwie mit der Familie verwandt ist. Er hat dann beim warten im Schatten gemeint, dass wir vielleicht doch nicht reingehen sollten, denn man sieht nur Bäume und es ist heiß (es ist doch wieder wärmer geworden und auf 40° im Schatten angestiegen). Das entspricht ja (fast) ganz meiner Meinung (nur Bäume sehen? Einen Wüstenpark stelle ich mir anders vor aber gut). Ich hätte das nur schon entschieden, bevor wir eine halbe Stunde durch die pralle Sonne hingelaufen sind. Aber ok. Sind dann weiter zu einem anderen, kleinen Palast aus Marmor gelaufen. Auch dort saßen wir dann erst wieder im Schatten vor dem Eingang. Oft muss ich irgendwo auf irgendwas warten, das ich nicht verstehe. Deshalb wundere ich mich meist nicht weiter. Aber nach 10 min hieß es dann, dass wir jetzt reinschauen. Auf meine Frage, ob wir nicht erst Tickets kaufen sollten, wurde mir dann gesagt, dass wir keine brauchen, da Priyanka (meine neue Leihmama) jemanden kennt, der wen kennt und die haben gerade telefonisch geklärt, dass wir ticketlos rein kommen. Hier ein Foto von unserer Truppe:

Und ein Bild von Jodhpur, der blauen Stadt:

Und noch ein wenig über Mili. Ich verbringe die Tage immerhin viel Zeit mit ihr und da ich mit ihr unterwegs bin, sprechen die Leute immer sie an, um Infos über mich zu bekommen. Sie ist also quasi meine einzige Kommunikationspartnerin vor Ort. Gerade bin ich mal wieder – Trommelwirbel – in einem Zug. Wir fahren 22 Stunden zurück nach Varanasi. Da hat man eine Menge Zeit, die ich überwiegend dösend oder Hörbuch hörend und natürlich schlafend verbringe und Mili damit, andere Leute vollzulabern. Sie hat ein Talent, von dem ich wünschte, zumindest einen Teil davon abzubekommen. Egal, wo wir sind. Sie quatscht drauf los und hat innerhalb kürzester Zeit neue Freunde gefunden. Ganze Familien wirken auf mich nach kürzester Zeit, als würden Mili ganz selbstverständlich dazugehören. Sie bringt die Leute dazu, sie zu mögen, ihr/uns zu helfen und ihre guten Plätze aufzugeben und an Mili abzutreten. Ich bin mit einem Kommunikationswunder befreundet. Und gerade sind wir wieder an einem Punkt, den ich schon öfter mitbekommen habe (von dem kleinen Teil hindi, den ich verstehe). Sie erklärt der Familie in unserem Abteil, das ich vegan bin, was das bedeutet, was ich alles nicht esse und dass sie selber unter gar keinen Umständen so leben oder auch nur ansatzweise nachvollziehen könnte, warum ich das mache. Ohne, dass mir wahlweise eine Gesellschaft oder irgendwelche Götter vorschreiben, dass das so gut ist für mich. Und gerade hat sie mir wieder lachend berichtet, dass auch die Familie wieder staunend gefragt hat, was ich denn dann essen würde. Sie sagt, dass ich Gemüse und Hülsenfrüchte esse. Aber ihrer Ansicht nach esse ich eh kaum was (weil ich oft nicht zu den hier gewohnten Zeiten esse und wenn dann keine 6 Portionen Reis. Es ist ein Trauerspiel mit meinen Essgewohnheiten. Bietet aber immerhin viel Gesprächsstoff für alle meine Bekannten). Heute zum Beispiel hätte ich nur 4 Bananen und ein paar Chips gegessen. Was stimmt, aber halt daran liegt dass wir Zug fahren und nicht viel mehr mitnehmen konnten. Außerdem ernährt sie sich im Zug nur von Chips und da halte ich meine Bananen ja durchaus für einen Bonus. Sie mag kein Obst und kein Gemüse und ist demnach quasi mein Ernährungsantagonist. Sie liebt Fleisch, Eier und Paneer (Art Käse), also all das, worauf ich gerne verzichte. Was mich aber am meisten irritiert ist, dass die Leute mich hier immer so ungläubig fragen, was ich denn als Veganer essen würde. Das ist das Land mit so vielen Vegetariern, wie sonst vermutlich nirgends und die meisten vegetarischen Speisen hier sind auch vegan oder zumindest sehr leicht umzumodeln (einfach Ghee oder Butter weglassen oder durch Öl ersetzen). Meiner bisherigen Erfahrung nach biete die indische Küche die meisten veganen Speisen. Aber vielleicht sind die Leute auch gerade deshalb so verwundert, weil vegan hier kein verbreitetes Konzept ist. Vegetarisch heißt hier oft, kein Fleisch, Fisch und auch keine Eier zu essen. Aber keine Milch? Milch wird auch hier als gesundes Nahrungsmittel wahrgenommen. Außerdem gibt man es den Göttern als Opfergabe, also warum nicht auch selbst zu sich nehmen? Eine anderer Punkt ist auch, dass der Begriff Gesundheit hier deutlich anders ausgelegt wird, als ich es aus Europa gewohnt bin. Während ich eine gewisse Sportlichkeit zusammen mit einer gesunden Ernährung (u.a. nicht zu viel Fett und Zucker) zu physischer Gesundheit zähle, bezeichnen die Inder, mit denen ich Kontakt habe, Menschen als „healthy“, die in unsren Augen ein paar Kilo zu viel auf den Rippen haben. Erst vor kurzem hat mir einer der Familienväter, die Mili im Zug über mich aufgeklärt hat, erläutert, dass Inder wirklich garnichts darauf gäben, gesund zu sein. Weder essenstechnisch, noch auf Bewegung bezogen. Dabei hatte Mili ihnen belustigt erzählt, dass ich nicht zu viel Zucker essen wollen würde. Weil ich der Meinung wäre, dass das nicht gesund sei. Dabei brauche der Mensch ja Kohlenhydrate, also sei Zucker doch was gutes. Naja, zurück zu Mili. Sie freundet sich nicht nur mit den Familien an und lässt sie ihre Kommunikationsfreudigkeit spüren, sondern spielt auch mit deren Kindern. Gerade schläft ein ausgiebig lachender ~8-jähriger Junge unter mir (ich liege bequem auf der obersten Liege im Schlafwagen), der vorhin noch laut am lachen war, da er von Mili bespaßt wurde.

<span;>So, mittlerweile ist es Samstag Morgen, 6:30 Uhr. Ich habe die Nacht etwa 3 h geschlafen. Was zum einen daran liegen mag, dass ich gestern tagsüber etwas geschlafen habe, dann daran, dass wir komplett durchgeschüttelt werden und mein Körper diesen Zustand scheinbar nicht ideal für eine Runde Schlaf hält und zu guter letzt daran, dass Mutter Natur mich gestern überraschend darauf aufmerksam gemacht hat, dass ich nicht schwanger bin. Warum mir das auf so dramatische und schmerzvolle Art mitgeteilt werden muss, ist für mich relativ unverständlich. Eine Mail mit der Info würde mir durchaus reichen. Scheinbar möchte mich mein Körper jedoch spüren lassen, dass er sich da auf ein Baby vorbereitet hatte und nun zutiefst enttäuscht ist, dass ich da nichts zu beigetragen habe. Jetzt werden die entsprechenden Vorbereitungen scheinbar gewaltsam zerstört und dabei wurde die Schmerztablette scheinbar mit ignoriert. Gut ist aber immerhin, dass ich liegen kann. Laut der Liveverfolgung unseres Zuges hat dieser 3:09 Stunden Verspätung. Wir hätten ursprünglich um 6:40 Uhr ankommen sollen aber so schenkt uns die indische Zuggesellschaft wiedermal Bonusstunden des Fahrterlebnisses. Was ich an anderen Tagen dankend annehmen würde, weil das mehr Schlaf bedeutet, hätte ich heute lieber dankend abgelehnt. Aber so funktioniert das ja nicht. Eigentlich sollte ich froh sein, dass mein Zug überhaupt fährt und dass er von meiner Station aus losgefahren ist. Das war die Tage nämlich garnicht mehr so sicher. Momentan fallen einige Züge aus (offenbar wegen aufkeimender Streits zwischen Muslimen und Hindus in mehreren Städten) und andere werden umgeleitet. Unserer gehört zu den glücklichen Fahrzeugen, für das eine Umleitung vorgesehen ist. Was uns auch per sms mitgeteilt wurde. Zusammen mit einer Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten. Nur stand halt nicht mit dabei, welcher Teil der Strecke umgeleitet wird und ob wir betroffen sind. Mili hat einige Leute abtelefoniert, die uns am Ende alle gesagt haben, dass Start- und Zielbahnhof gleich sind (also alles gut für uns) und nur ein Teil der Zwischenstopps durch andere Haltestellen ersetzt werde. Die Hotline der Zuggesellschaft war nicht erreichbar und ich habe keine Ahnung, woher die 3 Leute die Info haben, aber sie sollten recht behalten.

In etwa 3 Stunden sollten wir dann hoffentlich in Varanasi ankommen. Am Montag werde ich dann in den Süden fliegen (leider waren die Zugtickets alle ausverkauft. Außerdem hätte die Fahrt einfach über 48 h gedauert – ohne Verspätung. Daher ist ein Flug dann doch auch angenehmer. Und noch eine Neuigkeit: mittlerweile habe ich ein gutes Rezept für die veganen und glutenfreien Brownies kreiert und das Bananenbrot kommt auch sehr gut an. Das hatte ich glaub noch garnicht berichtet.

Ich wünsche wieder einen guten Start ins Wochenende! Viele Grüße aus der Ferne 🙂

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