Ich mag Züge.

Es ist Samstag Abend und ich sitze in einem Zug. Zusammen mit einer sehr aufgeregten Mili. Wir fahren mit dem Nachtzug nach Delhi, kommen So früh dort an und fahren am Abend weiter in die Wüste nach Jaipur. Von dort geht es 2 Tage später weiter nach Jodhpur und anschließend mit dem Hochgeschwindigkeitszug (Durchschnittsgeschwindigkeit von 56 km/h) die 1163 km wieder zurück. Ich fahre in den Urlaub. Mache also quasi Urlaub im Urlaub.

Eigentlich war die Fahrt zum Bahnhof schon ein erstes kleines Abenteuer. Natürlich hat der Wettergott*göttin es eine Stunde vor unserer Abfahrt entschieden, dass die Regenzeit jetzt doch mal einsetzen sollte. Bei unserer Abfahrt hat es aber nur noch leicht geregnet. Milis Schwester und ein Freund haben Mili samt Koffer und 2 Taschen auf dem Motorrad mitgenommen und mich mit Rucksack und den sagenumwobenen 2 Paketen für Delhi auf dem Roller. Ich glaube, dass man uns auf einem Motorrad transportiert hätte, wäre ich keine Ausländerin. Diese Art von Transport empfinde ich als durchaus lehrreich. Besonders Leuten, die dazu neigen, generell in brenzligen Situationen weniger gelassen zu reagieren, würde ich ein paar solcher Fahrten besonders and Herz legen. Quasi als Workshop zur Persönlichkeitsweiterbildung. Wenn man nur lange genug glaubt, alle 5 Sekunden wahlweise überfahren/angefahren oder wie im Comic vom Motorrad katapultiert zu werden, muss man sich schon arg anstrengen, keine Art von Gelassenheit zu entwickeln. Und um das Erlebnis noch etwas aufzupimpen, kann etwas Nässe von oben und unten dazugegebdn werden!

Bevor es anschließend mit der Zugfahrt losgeht, laufen 2 Polizistinnen durch den Wagon und sprechen ab und an Leute an und machen Notizen. Irgendwann machen sie bei Mili und mir Stopp. Das wundert mich nicht weiter, weil Leute generell neugierig sind, wenn ich irgendwo auftauche und auch Polizisten da meist keine Ausnahme sind. Die beiden fragen, ob wir mit Milis Schwester und dem Freund zusammen verreisen (sie sitzen noch bei uns im Zug. Vielleicht wollen sie sicher gehen, dass wir auch wirklich fahren ^^) und wir verneinen. Daraufhin folgt eine lange Konversation. Mir etwas zu übersetzen hält niemand für notwendig, weshalb ich davon ausgehe, dass sie über belangloses reden. Irgendwann wiederholen sie die Zahlenfolge 139 des öfteren, auch an mich gewandt. Das übersetzen sie mir auch extra. Aber was ich mit der Zahl anstellen soll? Keine Ahnung. Sie deuten an, ich solle es abspeichern. Also tu ich das. Irgendwann fällt aber einer Polizistin auf, dass ich es nicht im Adressbuch einspeichere, weshalb sie Mili dann doch bitten, was zu übersetzen. Es ist die Woman-help-hotline für Frauen, die ohne männlicher Begleitung reisen. Sie notieren sich unsere Ticketnummer und machen ein Foto von uns neben einer der Polizistinnen. Dann ziehen sie weiter. Ich finde gut, dass es sowas gibt und dass die Polizei sogar extra darauf aufmerksam macht, indem sie Polizistinnen durch die Züge schicken. Bestimmt fühlen sich Frauen, die weniger Privilegien als ich haben, so sicherer. Nur bin ich mir unsicher, wie effektiv es in der Straftatvorbeugung oder auch -bekämpfung ist, uns zu fotografieren. Aber gut, da hat sich bestimmt jemand was bei gedacht.

Ich war noch nie in der Wüste. Mittlerweile ist es Sonntag Mittag und wir machen unseren Zeischenstopp in Delhi, damit Mili hier zu einem Vorstellungsgespräch gehen kann. Am Nachmittag geht es dann weiter nach Jaipur. Eine Stadt in der Wüste – ich bin schon sehr gespannt! Ich hoffe, eventuell eine Tour zum Sonnenuntergang zu machen. Aber mal schauen. Immerhin reise ich nicht alleine. Ich fühle mich schon jetzt so eingeschränkt. Und gleichzeitig, als würde ich mit einem unmündigen Kind und keiner erwachsenen Frau reisen. Was vermutlich daran liegt, dass Frauen maximal im großen Familiienverband verreisen und sich abseits der Verpflegung und des Kofferpackens um nichts kümmern, soweit ich das mitbekommen habe. Demnach macht sich Mili auch zu nichts Gedanken und läuft mir nur hinterher. Ab und an kommen hilfreiche Ratschläge, wie „look, there is the metro station“ wenn ich uns zur Metro gelotst habe und wir 10 m davor stehen. Wir haben hier beide unsere Rollen. Ich reise jetzt also in Begleitung einer Freundin. Einer Freundin, die einen komplett anderen Rythmus hat als ich (sie schläft normalerweise von 5-14Uhr) und laufen verabscheut. Außerdem scheint mir, als wolle sie unter garkeinen Umständen allein sein und ich war eigentlich schon davon ausgegangen, dass ich vormittags unterwegs bin und sie nicht beim Schlafen beobachte. Aber das wird sich wohl noch herrausstellen. Erstmal müssen wir überhaupt ankommen.

Und – Überraschung – dafür sitzen wir wiedermal in einem Zug. Diesmal in keinem Nachtzug, denn unser letztes Stück der Reise dauert nur 4,5 h, sondern in einem Doppeldecker mit normalen Sitzplätzen. Mili hat auf die für sie unübliche Aufteilung eines Zuges in mehr als nur eine begehbare Etage etwas argwöhnisch mit der Frage „Julia, please tell me. Will we die?“ reagiert. Ich gehöre zwar nicht unbedingt zu dem Personenkreis, der hierauf einen besonders großen Einfluss hat, habe aber meine fachmännische Meinung kundgetan: „No“. Ganz nach dem Motto weniger ist mehr, sollte die Antwort ausreichen. Wir wollten beide am Fenster sitzen (sie, weil sie hier direkt an der Steckdose sitzt, ich weil mir hier die Klimaanlagenluft nicht genau ins Gesicht bläst) und so hat sie beschlossen, dass die glückliche junge Frau auf dem anderen Fensterplatz ihren Sitz mit ihr tauschen sollte. Und wer den Beitrag über den Flug nach Indien gelesen hat, weiß ja, dass man hier alles ausdiskutieren kann.

Und die Zugfahrt bringt mich noch auf einen anderen gesellschaftlichen Unterschied. Hier hat jeder sein Handy auf laut gestellt?! Warum?! Warum sollte ich denn einen nervigen Klingelton hören wollen, wenn auch eine diskrete Vibration den selben Effekt erzielt-mich auf einen Anruf aufmerksam macht? Und dazu kommt noch, dass Inder das Telefonieren lieben. Ich habe nichts dagegen, für die schnelle Klärung eines Sachverhalts einen Anruf zu tätigen. Oder um mit Leuten zu quatschen, die nicht in der näheren Umgebung leben. Aber dass hier jeder ständig miteinander telefonieren muss? Puh, ich fände das ja anstrengend. Mili hat allein heute schon bei jedem Ereignis mit der Familie gesprochen. Sind im Zug, sind immernoch im Zug – kommen aber wahrscheinlich bald in Delhi an, sind in Delhi angekommen, sind bei Michas Bäckerei angekommen, sind auf dem Weg zum Zug nach Jaipur. Bestimmt habe ich das Telefonat im Zug nur verpasst. Und nicht nur klingeln dann ständig irgendwelche Handys oder verkünden die Ankunft einer Nachricht, nein. Gerade Generation 50+ spielt auch gerne Spiele und möchte scheinbar auch alle anderen Passagiere an ihrem Spaß daran teilhaben lassen. Wer geräuschempfindlich ist, wird in Indien nicht seines Lebens froh. Außer vielleicht, man ist wo, wo es keine Menschen gibt. Aber diesen Ort halte ich nicht für realistisch. Hier sind überall immer extrem viele Leute 😀 In Jaipur habe ich ein Hotel gebucht, das einen kostenlosen Abholservice vom Bahnhof bietet. Allein dafür habe ich bereits mit 5 Leuten telefoniert und mit 3 über WhatsApp geschrieben. Effizienz zählt wirklich unter garkeinen Umständen zu Werten, die von der indischen Gesellschaft getragen werden. Ich kann denk ich guten Gewissens versichern, dass das erstmal noch ein Weilchen unsere Spezialität bleiben wird.

Schließlich muss ich noch eine Kleinigkeit richtig stellen. Ich hatte das mit der Fremdbestimmung und dass andere über mich entscheiden eher auf Männer bezogen. Das ist neuesten Erfahrungen zufolge jedoch keineswegs eine geschlechterspezifische Eigenschaft. Nur haben mir scheinbar vermehrt Männer geholfen, weshalb es mir dort einfach mehr aufgefallen war. Als ich Meena aber um Unterstützung beim Kauf einer großen, rechteckigen Stahlbrotdose gebeten habe, hat sie den Verkäufer 5 verschiedene runde bringen lassen, die sie gut fand. Dazu habe ich immer gesagt, dass ich das nicht will. Hat sie aber nicht eingesehen. Bis ich sie in der Hand hatte und meinte, dass ich die nicht mag. Und Mili hat im Zug einfach nein gesagt, als ich sie darum bat, den Kontrolleur nach einer Decke zu fragen (die es immer gibt, nur da irgendwie nicht), weil sie es nicht kalt fand. Bis ich von meinem Schlafplatz ganz oben heruntergekommen wäre, war der Schaffner vermutlich schon im Feierabend. Mann, war ich pissig. Also ich ergänze: Indien ist auch das Land, in dem jeder besser weiß, wie es einem geht und was man braucht. Ich mag es wirklich sehr, das selber bestimmen zu dürfen.

Wie vielleicht auffällt, ist der Artikel wieder länger. So kurze Beiträge sind nichts fpr mich, ich merke, wie es mir selbst gut tut, all die Erfahrungen schriftlich festzuhalten und sie so fast noch mehr zu erleben.

Grüße gehen raus von irgendwo in der Wüste in einem Doppeldeckerzug!

2 Gedanken zu „Ich mag Züge.

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