Es geht los!

Es ist Montag Vormittag und ich bin ausgeschlafen. Nach wenigen Nächten im Hostel habe ich mich an die Geräusche im 6er-Zimmer gewöhnt und lasse mich durch sie nicht mehr von meinem Schlaf abhalten. Die Wanderung gestern war wirklich schön aber auch sehr anstrengend. Deshalb mache ich heute einen entspannten Tag um Park! Ich habe mein Buch dabei und war nochmal bei einer anderen Touristen-info. Heute möchte ich also noch weiter schauen, ob ich an weitere Infos komme und etwas weiter planen kann. Diese ganze Planerei nimmt deutlich mehr Zeit und Raum ein, als ich mir das vorgestellt hatte. Aber ich habe ja Zeit, von daher passt es.  Zum Frühstück gehe ich in einen Supermarkt, der hat eine eigene Bäckertheke. Beim Überlegen, wofür ich mich entscheide, spricht mich ein Inder an (der erste offensichtliche Ausländer, dem ich begegne! Juhu!) und fragt, ob ich englisch spreche. Ich antworte, dass ich das tue, nur leider kein russisch kann. Wir lachen beide, da wir vor dem gleichen Verständigungsproblem stehen und unterhalten uns nur kurz, bevor er wieder geht. Er reist mit seiner Familie, sie klappern die touristischen Orte ab und fahren wieder. Haben schon die Tour gemacht, zu der ich morgen Abend aufbrechen werde. Auch er hatte mich erst für eine Russin gehalten. Das finde ich immernoch skurril.

Zu meinem wertvollen Wortschatz der russischen Sprache zählen genau 2 Tiere und das sind Hund und Katze. Und man mag es nicht glauben, aber Duolingo bereitet mich wirklich gut auf den Einstieg in russisch vor, denn genau diese beiden Begriffe habe ich auf dem Weg zur Wanderung innerhalb kürzester Zeit direkt brauchen können. Der Weg zum Start führte an einem Anwesen vorbei, in dem 3 Hunde laut auf sich aufmerksam gemacht haben. Bevor ich sie sehen konnte,  kam mir jemand entgegen und hat mich direkt vor dem Hund gewarnt. Und etwa 20m weiter saß eine süße Katze mitten auf der Straße. Ich habe sie gestreichelt, als ein Auto vorbei wollte und die Katze keinerlei Motivation zeigte, sich von Fleck zu bewegen. Ich habe sie dann zur Seite getragen. Das hat ein Taxifahrer beobachtet, der mir amüsiert irgendwas erzählt hat, das das Wort Katze beinhaltete. Ich habe so getan, als hätte ich ihn verstanden und auch gelacht, wollte nicht ausführlich erklären, dass ich kein russisch verstehe.

Heute ist ein verrückter Tag. Ich habe am Abend ein unangenehmes Telefongespräch vor mir, bin noch ein wenig genervt davon, dass ich immernoch kaum was vom Land gesehen habe und auch ein wenig enttäuscht, dass mir die Leute bisher nicht so sehr weiterhelfen. Dazu kommt, dass ich die Nacht echt schlecht geschlafen habe. Der Plan für heute war, mit einem privaten Führer zu einem See zu fahren und ein paar Stunden dort zu verbringen. Gestern Abend noch hat mich eine Zimmernachbarin (sie spricht englisch, ich kann einfach mit ihr kommunizieren 🤩) gefragt, ob ich mit ihr zu besagtem See fahren mag. Aufgrund mangelnder Motivation und nicht sonderlich ausgeprägter positiver Stimmung meinerseits hätte ich der Einfachheit halber eigentlich diese kleine Tour gemacht, Manuela überzeugt mich aber, dass wir uns stattdessen ein Taxi teilen. Wir kommen gegen 11 Uhr am See an und er schaut schön türkis aus. Irgendwann wollen wir wieder zurück und da beginnt auch schon der spannende Teil. Wie kommen wir wieder zurück? Eine Frage, der ich normalerweise sehr wohlgestimmt wäre. Wo andere Leute sind, kommt man immer irgendwie hin und zurück. Die erste viertel Stunde haben wir aber eher Pech, es fahren nur Autos, die keinen Platz mehr haben. Ein Fahrer bietet uns an, uns für je 10.000 Tenge (20€) die 15 km bis zur nächsten Bushaltestelle mitzunehmen. Eine Frechheit, fürs Taxi hatten wir vom Stadtzentrum aus (insgesamt etwa 23 km) nur 9€ gezahlt. Wir verneinen und entdecken ein Auto mit nur 2 Männern,  die aufzubrechen scheinen. Wir gehen also schnell zu ihnen und der Fahrer spricht auch noch englisch. Jackpot! Leider verneint er aber, uns mitzunehmen, da er einen Klienten fährt. Welcher wiederum sagt, dass sie uns gerne mitnehmen, woraufhin wir einsteigen. Sie machen sogar einen winzigen Umweg, um uns noch eine andere kleine Aussichtsstelle auf den See zu zeigen. Es stellt sich raus, dass der „Klient“ Achmed aus Saudi Arabien ist, geschäftlich ein paar Tage hier ist und glücklicherweise die heutigen Meetings absagen konnte, wodurch er sich von Guide Dan ein wenig die Umgebung zeigen lässt. Und nichts dagegen hat, uns ein Stück mitzunehmen. Entgegen meiner klischeehaften Vorstellung von Männern aus Saudi-Arabien wirkt Achmed weder böse, noch gefährlich – sondern sehr sympathisch 😀 er erzählt, wie er einmal in der Grenzgegend zu Afghanistan war und jemand ihm eine lokale Spezialität Pov (?) auf Weltklasseniveau zeigen wollte. Er ist ins Auto eingestiegen und sie sind immer weiter Richtung Berge und Taliban gefahren. Achmeds Kommentar dazu war in etwa „Wisst ihr, ich bin zwar aus Saudi-Arabien. Aber ich hatte wirklich Angst! Ich dachte, dass ich entweder gleich als Geisel genommen werde oder das beste Pov aller Zeiten essen werde“. Ich finde, damit hat er durchaus Humor bewiesen  und eventuell muss ich mal wieder an meinen Vorurteilen arbeiten. Wir machen einen Zwischenstopp in einem schönen Restaurant auf dem Weg, wo Manuela und ich beschließen, sie als Dank einzuladen. Das funktioniert aber nur mäßig gut, es geht für beide auf garkeinen Fall, dass wir als Frauen hier irgendwas bezahlen. Vielleicht muss ich also doch noch nicht ganz alle Vorurteile begraben. Achmed arbeitet für die Tourismusbehörde Saudi-Arabiens und versucht Werbung für sein Land zu machen. Touristen anzulocken. So spontan fallen mir außer Nordkorea nicht viele Länder ein, bei denen ich mir diesen Job schwieriger vorstelle. Der Gute hat da sicher noch einiges zu tun. Manuela lebt aber schon mehrere Jahre in Saudi-Arabien und sie und Achmed sagen beide, dass sich innerhalb der letzten 3 Jahre viel getan hat im Land. Und dass man sicher reisen kann, wenn man sich die Regeln hält. Mit dieser Begegnung hat Achmed also zumindest schonmal einer potentiellen Touristin sein Landes aut der Bucketlist ein wenig nach oben schieben können. Wir steigen wieder ins Auto ein und sie lassen uns nahe einer Bushaltestelle aussteigen, da sie nun in eine andere Richtung weiterfahren werden. Die beiden waren echt nett und großzügig und ich bin froh, dass Manuela mich überzeugt hatte, die private Tour abzusagen. Dieser Tag entspricht genau meiner Vorstellung vom Reisen, jetzt geht es doch endlich richtig los!

Hier noch ein Bild vom Big Almaty Lake:

Los geht am Abend auch mein Ausflug mit der Reisegruppe. Ich bin sehr gespannt. Das Telefonat zuvor ist gut gelaufen, meine Stimmung ist also wieder auf auf einem Hoch. Den Treffpunkt finde ich einfach. Was mich aber auf ein Thema bringt: Google maps ist hier nicht wirklich zu gebrauchen. Woran es liegt, weiß ich nicht, aber sowohl die Orte als auch die Adressen sind äußerst ungenau. Hier verwendet man andere Apps, die sind um Welten genauer. Ich steige in den Bus ein und stelle bei der Abfahrt fest, dass ein Ehepaar in meiner Nähe sitzt, das deutsch spricht. Vorerst warte ich aber ab mit dem Outing, vielleicht sind sie ja nervig und ich möchte garnicht, dass sie wissen, dass ich sie verstehe 😀

Gegen 2 Uhr morgens kommen wir im Dorf Saty an. Meine Herberge hat ein Waschbecken im Eingangsbereich, sowie ein Plumsklo mit Holzverhausung im Garten. Fehlt eigentlich nur noch, dass ein herzförmiges Loch in die Tür gesägt wurde, um dem Klischee Plumsklo voll zu entsprechen. Wie gut, dass ich Stehklos schon aus Indien gewohnt bin. Wir wohnen 2 Nächte bei einer Familie und ich finde die Art der Unterkunft ziemlich angenehm.

Mittlerweile ist es Mittwoch Vormittag und es gibt Frühstück im Gasthaus. Die Nacht habe ich zusammen mit Rufina (etwas jüngerals ich) und ihrer Mutter Sula in einem 5-Bett-Zimmer geschlafen. Die beiden sind bestimmt eine Stunde nach mir schlafen gegangen und waren auch mindestens eine Stunde vor mir auf. Ich fand die Alternative mit 2 Stunden Schlaf mehr deutlich ansprechender, aber ok. Sie sind sehr ruhig und rücksichtsvoll, daher können sie wegen mir auch die Nacht durchmachen. Zusammen mit dem (vermeintlich) deutschen Ehepaar, das sich aus einem Österreicher und einer Polin zusammensetzt (aber immerhin sprechen sie deutsch, ganz falsch lag ich also nicht) und einem Ehepaar mit der ca. 12-jährigen Tochter und unserer Gastmama sitzen wir am gedeckten Küchentisch. Es gibt eine Art Haferbrei aus Hirse oder ähnlichem mit Kirschen, frittiertem Brot, Fladenbrot und einer Auswahl an Keksen.

Und dann geht es los zu unserem ersten Ziel des Tages: einem See, der in den Bergen liegt und an dessen Stelle mal ein Wald stand, weshalb Stämme aus dem Wasser schauen. Wir fahren mit Minibussen aus der Zeit der Sowjetunion los. Und jetzt kann ich auch besser nachvollziehen, weshalb es keinen öffentlichen Verkehr zu diesen Naturschönheiten gibt. Die Straßen sind für Verkehr eher ungeeignet. Besonders für großen Verkehr. Wir kommen an einem Parkplatz an, um 12:30 Uhr treffen wir uns wieder am Bus. Bis dahin kann jeder machen, wie er/sie mag – das gefällt mir, denn dann hat man ja doch auch seine Freiheit auf dieser kleinen, durchgetakteten Reise.  Die letzten Meter zum See können wir ein Taxi nehmen, reiten oder ein kleines Stück wandern. Ich gehe zu Fuß. Mit jedem Atemzug werde ich aber daran erinnert, dass ich auch hätte reiten können – denn der Weg besteht aus einer Mischung aus Kies, Staub und Pferdemist. Meine letzte Baustoffkunde-Vorlesung ist schon etwas her, aber im Gegensatz zu Zement scheint sich Pferdemist eher weniger zum Binden des Kieses zu eignen. Und so kommt es, dass meine bereits von einiger Tierarten gesegneten Trekkingsandalen und Füße nun mit Pferdemist bedeckt werden. Da Pferde hier aber ein recht gutes Ansehen haben – immerhin sind sie als Transportmittel tauglich und scheinen auch gut zu schmecken – sehe ich es als erneute Segnung. Außerdem komme ich ja gleich an einem See an, da kann ich mich waschen.

Hier ein Bild von Kaindy Lake:

Der See ist wirklich schön, den Pferdemiststaub an den Füßen ist er allemal wert. Ich weiß nicht, auf welcher Höhe wir sind, aber diese Bergkulisse um uns herum rundet das Bild noch ab. Mit den Füßen gehe ich ein wenig ins Wasser, es ist ganz klar und eiskalt. An verschiedene Stellen setze ich mich noch ein wenig hin und lasse die Natur auf mich wirken, während der Großteil meiner Touristenfreunde damit beschäftigt zu sein scheint, möglichst viele Fotos zu machen. Es verteilt sich aber gut an dem See, also soll es mir recht sein. Zurück am Treffpunkt treffe ich meine Zimmernachbarinnen Rufina und Sulu wieder, sie sagen „hello Julia“ und winken. Ich mag die beiden, sie sind sehr positiv gestimmt und winken immer, wenn wir uns wiedersehen. Weil es meinen Namen so auch im russischen gibt, können einige ihn sich gut merken und haben natürlich auch keinerlei Probleme mit der Aussprache. Es ist ungewohnt, im nicht deutschsprachigen Ausland die deutsche Aussprache meines Namens zu hören. Wir fahren zurück in unser Unterkunft und essen Mittag. Es gibt Reis mit Möhren und Fleisch. Für mich wird netterweise um das Fleisch rumgeschöft. Dazu trinken wir Tee. In den wird hier ein wenig Hirse gegeben. Wofür genau, weiß ich auch nicht. Schmeckt neutral. Scheinbar ist etwas witziges passiert, denn Rufina lacht und bekommt sich garnicht mehr ein. Sie entschuldigt sich auch mehrmals für ihr Lachen. Den Anfall wird sie vorerst nicht los, denn selbst kurz später, als sie im Zimmer betet, prustet sie immer wieder los. Das steckt ihrd Mutter und mich an, sodass wir und immer wieder gegenseitig anstecken 😀

Nach einer kurzen Mittagspause fahren wir zu See Nr. 2. Ist ganz nett, aber leider gibt es keinen Weg entlang des Sees, sondern nur einen großen Platz, an dem man Boote mieten kann. Weshalb der See geradezu gepflastert ist mit Booten. Die 3 Stunden verbringe ich größtenteils damit, mit Mama zu telefonieren. Ich weiß nicht, was meine ganzen Mitreisenden getrieben haben, aber etwa 2 Stunden vor dem Aufbruch ist der See bereits ziemlich leer und der Platz ist auch nicht mehr gefüllt mit Menschen.

Hier wollte ich eigentlich noch ein Bild einfügen, aber es lädt gerade nicht. Stellt euch an dieser Stelle also ein Foto von einem See mit Nadelbäumen außenrum vor 😀

Abends gibt es gedämpfte Teigtaschen mit Kartoffel-Kohl-Möhrenfüllung und Mayonnaise. Dazu einen sehr leckeren Salat. Zurück im Zimmer fragt mich Sulu pantomimisch etwas. Was ich verstehe: ihre Tochter hat gepupst und deshalb lachen sie. Ich lache mit, weil die zwei einfach witzig sind. Und Lachen steckt einfach an. Da ich aber keine Frage hierin sehe, bleibt auch eine Antwort aus. Das veranlasst Rufina dazu, mir mit Google zu übersetzen, was ihre Mutter da gerade dargestellt hat: es stellt sich raus, dass das Sprudeln, zeigen auf Rufina und wegwinken für die Frage steht, ob ich mit zum Lagerfeuer gehe. Der letzte Programmpunkt für heute. Ich schätze, wir müssen noch etwas mehr Zeit miteinander verbringen, bis ich die Pantomime richtig übersetzen kann. Das Lagerfeuer wird abgesagt, da der Wind zu stark weht. Ich bin aber auch nicht böse drum, denn schlafen klingt echt auch verlockend.

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