Hitler und ein Roadtrip in den Bergen

Gegen halb 10 wache ich von Klopfen auf. Es hat schon ein paarmal geklopft und ich öffne die Tür. Da ist niemand. Mir wird bewusst, dass das Klopfen auch eher nach Klopfen auf Glas klang. Also hat vielleicht jemand vom umlaufenden Balkon gegen mein Fenster geklopft? Aber auch da ist niemand. Ich lege mich wieder hin und kurz später geht das Klopfen wieder los. Es ist ein Vogel, der auf einer Gitterstange vor meinem verspiegelten Fenster sitzt und sich selbst sieht. Da hat ein so kleines Tier einen ziemlich effektiven Weg gefunden, mich wach zu bekommen. Gut, dann stehe ich wohl mal auf. Meine Unterkunft wird von einer NGO betrieben und einer der Freunde muss zum Arzt gebracht werden. Sie fragen, ob ich mitkommen mag und da ich nichts anderes vorhabe, sage ich zu. Wir setzen ihn mit einem anderen Freund ab und dann fährt Prachit mit mir weiter zu seinen Eltern. Es ist eine schöne Fahrt, die Landschaft ist schön und ich darf DJ spielen. Ich liebe es. Mein Hals nicht so sehr, denn ich kann mich kaum zurückhalten und singe etwas mit. Dafür werde ich morgen ohne Stimme aufwachen. Aber ok, das ist es wohl wert 🙂

Mein kleiner, effektiver Wecker:

Prachit darf bei seinen Eltern Dolmetscher spielen, denn sie sprechen marati und da verstehe ich garnichts. Über meine spärlichen Hindikenntnisse freuen sie sich aber übermäßig. Das wiederum freut mich sehr 🙂 das Haus liegt sehr abseits der Zivilisation (gefühlt zumindest) und mittendrin in der wunderschönen Natur. Ich stehe lange vor dem offenen Fenster und schaue einfach nur den Vögeln zu. Irgendwann werden wir angerufen und holen die anderen beiden wieder ab. Am Abend fahren wir dann zusammen in die Berge, hier sehen wir den Sonnenuntergang und besuchen dann eine Familie, welche in sehr einfachen Verhältnissen ab vom Schuss lebt. Im Rahmen der NGO haben Rani und Sardaff (meine Gastgeber) Kontakt zu ihnen und besuchen sie ab und an. Da ich kein Wort verstehe, ist der Besuch für mich weniger interessant, dafür genieße ich die Aussicht in den Bergen ganz besonders:

Dann geht es wieder zurück und ich freue mich sehr aufs Bett! Bis ich gegen 9 wieder von meinen kleinen, fliegenden Freunden geweckt werde. Meine Gastgeber sind unterwegs und ich beschließe irgendwann, zum Markt zu gehen, um etwas Essen zu besorgen. Ich kaufe etwas Gemüse für einen Salat, außerdem Obst (es ist Guavasaison! Wundervoll!) und esse in einem Laden einen Vada Pav. Das ist im Prinzip wie ein Burgerbrötchen mit frittiertem Bratling drin und einer süß-sauren Sauce zum Dippen. Mein Obstverkäufer gibt mir ein Stück Guava zum Probieren, nachdem ich auf die hellgrünen zeige und er versucht, mich von den anderen Früchten zu überzeugen, die ich nicht kenne. Es sind Guavas, die innen rot sind und auch von außen etwas anders ausschauen. Kurzerhand schenkt er mir die ganze Guava. Er hat sich damit zu meiner 4. liebsten Person in Shirgaon hochgearbeitet. Ich mag ihn. Ich kaufe Guavas und noch ein paar Chikus, bevor ich mich auf den Rückweg mache. Mir fällt kurz auf, dass ich relativ indiskret angestarrt werde, lasse mich davon aber nicht weiter stören. Seit meine Guava aufgegessen ist, habe ich mir eh wieder das Tuch um den Kopf gebunden, sodass es kaum mehr was spannendes zu sehen gibt. Als ich zurück bin, beschließe ich, einen Mittagsschlaf zu machen. Das scheint mir bei der Hitze nur sinnvoll zu sein.

Am Nachmittag möchte ich dann aber doch nochmal raus und finde auf Google Maps einen See in 7,5 km Entfernung und mache mich auf den Weg. Als ich das Grundstück verlasse und gerade abbiege, kommt einer der Hunde angerannt und begleitet mich. Awww! Eine Viertel Stunde läuft sie etwa neben mir her, bis sie erst stehen bleibt und schließen zurück läuft. Ich laufe durch ein Dorf, irgendwann scheine ich im Zentrum zu sein: eine Straße hat viele Shops. Dann kommt lange kein Haus mehr und ich bin nur noch von Bäumen und Büschen umgeben. Ab und an fährt ein Motorrad vorbei. Es ist schön. Ich genieße den Spaziergang, laufen tu ich ja eh sehr gerne. Und ganz besonders natürlich, wenn die Natur um mich rum so schön ist. Irgendwann bekomme ich eine Nachricht von Prachit, ich soll mich fertig machen, wir fahren gleich in die Berge. Wir vereinbaren, dass er mich abholt, da ich ein ganzes Stück entfernt bin. Ich laufe ihm entgegen und als wir im Homestay ankommen, erfahre ich nebenbei, dass wir in den Bergen übernachten werden. Ah. Klingt super, aber prinzipiell werde ich über solche Kleinigkeiten auch gerne informiert. Bin ich aber ja jetzt, also auf geht es! Diesmal mit einem kleinen, grünen Auto (sorry aber genauer kann ich das nicht beschreiben ^^). Wir fahren zwar nicht weit, aber dennoch laufen wir den Großteil der Strecke. Unser kleines grünes Auto stirbt nämlich einige male ab und muss so mache Aufstiege 4 mal (oder auch öfter) nehmen, um den staubigen Weg zu beschreiten. Das ist ohne uns drin einfacher. Ich mache also auch noch eine Wanderung heute und viel sportlicher wird es bei mir in nächster Zeit wohl erstmal nicht mehr werden.

Unser Auto:

Als wir oben ankommen, ist es schon komplett dunkel und während sich im Haus einige Nachbarn versammeln, setze ich mich raus und schaue auf die Berge und den Sternenhimmel. Ich habe hier den besseren Deal, finde ich.   Irgendwann gibt es Abendessen. Ich werde gefragt, ob es mir zu scharf sei. Ich antworte wahrheitsgemäß, dass ich es zwar scharf, aber nicht zu scharf finde und stelle erst nach dem Essen fest, wie sehr mein Mund brennt. Puh. Irgendwas Süßes wäre jetzt wirklich gut. Aber auch ohne hört das Brennen irgendwann auf. Ich gehe auf Toilette – und den Begriff Toilette verwende ich in dem Fall stellvertretend für einen Ort, an dem man sich erleichtert. In dem spezifischen Fall hinter einem Busch etwa 20 m vom Haus entfernt. Ich gehe mit Rani zusammen da sie mir erklärt, dass es alleine im Dunkeln gefährlich sein kann durch die Tiere. Vor ein paar Tagen zum Beispiel hätte ein Leopard eine Ziege des Nachbarn gerissen. Und als ich mir vorstelle, wie ich beim Pinkeln von ein Leoparden getötet werde, finde ich das doch relativ würdelos und freue mich über die Begleitung von Rani. Schlafen gehen wir dann auf einer Plastikmatte, die auf dem Lehmboden des Hauses ausgelegt wird. Gut, dass ich harte Matratzen bevorzuge und keine super weiche Matratze gewöhnt bin.

Am nächsten Morgen werde ich von den Geräuschen der Familie geweckt, in deren Haus wir schlafen. Ich setze mich auf, da ich eh nicht mehr schlafen kann und werde vom etw 3-jährigen Sohn angestarrt. Hallo, Kind. Ich lächel, aber das ändert nichts an seiner starren Miene. Ok. Er setzt sich direkt vor mich auf die Matte, auf der wir schlafen und starrt mich weiterhin unverändert an. Hmm. Gibt angenehmeres. Aber ok. Nach einer gefühlt sehr langen Weile wird es doch recht unangenehm und ich fange an, Grimassen zu ziehen – endlich ändern sich auch seine Gesichtszüge und ich bringe ihn sogar zum Lachen. Mein Tag ist damit schon gerettet. Irgendwann stehen auch die anderen auf und nach dem Frühstück mache ich einen kleinen Spaziergang. Auf dem Rückweg kommt mir Prachit mit ein paar Bauern aus der Gegend entgegen, ihm war nicht so recht, dass ich so unbeschwert spazieren gehe, wo es doch ein paar gefährliche Tiere gibt. Vermutlich bin ich da einfach zu blauäugig. Die Bauern wollen wissen, wo ich herkomme und fragen Prachit über mich aus. Da ihnen der Begriff Germany nichts sagt, erwähnt er den Namen Hitler und schon nicken sie wissend. Vielleicht hat Prachit ihnen gerade erzählt, dass ich eine Freundin Hitlers sei, keine Ahnung. Aber er grinst mich dabei an und sagt „see?“. Bei der Dorfversammlung wurde auch immer wieder aufs neue erzählt, woher ich komme und da Deutschland niemand kannte, wurde einfach Amerika gesagt. Prachit meinte, Amerika wäre zumindestein bekannter Begriff. Bin seeehr unsicher, wie ich dazu stehe. Dann ist er allerdings auf die Idee mit Hitler gekommen. Ein Name, der wirklich jedem ein Begriff ist und plötzlich fand ich es doch garnicht mehr so schlimm, mit Amerika assoziiert zu werden. Ich schätze, jede Alternative ist besser als Hitler. Aber den werde ich gerade nicht los.

Wir rollen. Juhu! Es holpert ziemlich, aber wir bewegen uns in die richtige Richtung also läuft es doch eigentlich ganz gut. Ab und an müssen wir aussteigen und schieben. Unser Auto hat heute leider beschlossen, vollends den Geist aufzugeben und da der Großteil unserer Rückreise in den Ort bergab geht (großer Vorteil, wenn man einen Ausflug in die Bergen macht), beschließen wir, so weit es geht zurück zu „fahren“. Ich bin in Indien (immernoch), wir haben zwar Winter, aber trotzdem 35° C, die Sonne prallt nur so herunter und ich verbringe meinen Urlaub damit, ein Auto zu schieben. Wieder eines der Dinge, die nicht geplant waren und die ich im Urlaub deutlich unterhaltsamer und akzeptabler finde, als im Alltag. Die Piste, die wir runtertollen, ist natürlich keine befestigte Straße, sondern ein Erdweg mit einigen kleinen und großen Steinen. Irgendwann sehe ich, wie Rani sich ihrer Tür zuwendet und eine Hand am Griff hält. Daraufhin frage ich, ob wir gerade planen, im Notfall rauszuspringen? Und bitte sie zudem, mir solch lebensverändernde Pläne mitzuteilen, da ich sie auf marati nicht verstehe und gegebenenfalls allein im Auto zurück bleibe und sterbe. Daraufhin muss sie lachen und verspricht, mir im Fall der Fälle rechtzeitig Bescheid zu geben. Kurz später fragt Prachit, Fahrer meines Vertrauens, was ich mache (ich sage aus Spaß „beten“) und er antwortet nur: falsch, schwitzen. Ja, das stimmt. Schwitzen tun wir alle und der Windzug, der bei steileren Abschnitten durch die Fenster kommt, ist wirklich angenehm. Dann kommt wieder ein Stück, welches leicht bergauf geht und lang genug ist, sodass unser Schwung nicht bis zur nächsten Abfahrt ausreicht. Aussteigen, mein Tuch um die Hände wickeln (das Auto ist ganz schön heiß!), schieben. Einsteigen, Tür durch Fenster von außen schließen, da sie sonst nicht verriegelt und aufspringt (den TÜV hätte unser Auto dieses Jahr wohl nicht bekommen), lachen, durchatmen, wieder von vorne. XXXX  Das ist mit Abstand die witzigste Autofahrt, an die ich mich erinnern kann. Zum Glück ist das Auto klein und leicht. Wobei es sowieso ironisch ist, dass wir bisher mit einem SUV über befestigte (keine guten, aber immerhin größtenteils asphaltierte) Straßen gefahren sind und ausgerechnet diese Fahrt mit dem kleinen Auto angetreten haben. Aber eigentlich garnicht schlecht, denn sonst wäre es vermutlich nur eine langweilige Fahrt nach unten geworden. So ist es ein Abenteuer!

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