Planänderung

Ich sehe das Meer nicht, aber ich höre es rauschen. Eine Geräuschkulisse, von der ich mir nicht vorstellen kann, dass ich mir derer jemals satt höre. Es ist Freitag Abend, mein letzter richtiger Tag hier in Indien. Ich weiß nicht, wo ich bin, ich weiß nicht, wann ich zurück zum Homestay komme, ich weiß nicht, wie ich zur Bushaltestelle kommen werde und ich habe noch kein Busticket. Wann die Busse fahren, weiß ich auch nicht. Ziemlich viele unbekannte Variablen für meinen Geschmack. Das einzige, das ich weiß ist, dass ich heute Nacht mit dem Schlafbus nach Mumbai fahren möchte. Morgen Abend muss ich dann schon zum Flughafen und in der Nacht auf Sonntag geht es auf den Weg zurück nach Hause. Die deutsche Julia ist ganz schön tapfer, denn eigentlich liebt sie es, alles zu planen, zu wissen, wann was passiert und sie ist vor allem unabhängig. Die Julia in Indien sitzt hier in einem Restaurant irgendwo zwischen Goa und Mumbai am Meer, hat keinen Empfang, ist mit Prachit mit dem Roller hierher gekommen und ist demnach völlig davon abhängig, dass er und meine Gastgeber vom Homestay meine Rückreise ordentlich organisieren. Eigentlich würde ich jetzt sagen schwierig. Ich hätte eigentlich gerne mehr Kontrolle. Aber hier ist alles gut, so wie es läuft. Irgendwie werde ich schon nach Mumbai kommen, einen dreiviertel Tag Puffer habe ich und der sollte ja durchaus reichen.

Aber jetzt dazu, wie ich überhaupt hierher gekommen bin. Prachit (Fahrer meines Vertrauens) und seine Eltern gehören mittlerweile auf die Liste meiner Freunde. Eine sehr herzliche Familie. Gestern Abend hatte Rani mir mitgeteilt, dass sie alle bei Prachits Eltern übernachten wollen und ob das für mich passe? Wir würden in 30 min aufbrechen. Ich freue mich über die klare und frühzeitige Frage/Info und sage natürlich zu. Ich mag Prachits Eltern. Die Kommunikation ist nur sehr schwierig, weil sie ausschließlich marati sprechen und das ist zwar ähnlich wie hindi, aber mit meinem hindi kann ich jetzt auch keine Stunde an Konversation füllen. Trotzdem schaffen der Vater und ich es irgendwie, uns 3 h lang zu unterhalten. Mit der Zeit wird es immer besser. Da Rani und Sardaff noch etwas arbeiten müssen, nehme ich Prachits Angebot, mich mit ans Meer zu nehmen, sehr gerne an. Wir fahren etwa 2 h mit dem Roller die ca. 40 km zum Meer. Die Fahrt ist schön. Mit dem Wind ist es richtig angenehm und durch Wälder und an Palmen vorbei ist auch die Aussicht toll.

Es ist Montag, 13 Uhr und ich habe gerade Mittag gegessen bei meinen neuen Adoptiveltern. Ich bin in Chiplun, wieder. Überraschung! Den Flug gestern habe ich also nicht genommen. Ich bin sehr glücklich. Manchmal ändern sich Pläne und diesmal war es sehr spontan. Das ist eigentlich garnicht mein Ding. Ich mag Pläne und ich mag besonders, wenn meine Pläne aufgehen. Diesmal war mein Plan, am Freitag nach Mumbai aufzubrechen, Samstag etwas Puffer und außerdem Zeit zum Geschenke shoppen haben und in der Nacht auf Sonntag den Flieger zu nehmen. Der Plan hinkte allerdings gewaltig, denn ich habe mich nicht eigenständig auf den Weg gemacht, sondern zusammen mit Prachit. Da er oft hin und her fährt und wir außerdem von seinen Eltern aus los wollen, verlasse ich mich darauf und bin nun vollkommen auf ihn angewiesen und das war für die Umsetzung meines Plans wenig vorteilhaft. Als wir abends gegen halb 12 vom Meer zurück kommen, müssen wir natürlich erstmal Abend essen. Dann muss er packen, wir müssten nochmal beim Homestay vorbei und meinen Rucksack holen und dann zur Bushaltestelle. Wird also etwas spät. Prachit fragt mich, ob wir nicht lieber hier bei seinen Eltern übernachten und am nächsten Morgen früh aufbrechen. Da melde ich Bedenken an und wiederhole, dass ich noch Geschenke besorgen möchte und daher gerne frühzeitig in Mumbai wäre. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass wir vor 12 wegkommen. Wir entscheiden uns, Sonntag früh aufbrechen. Sonntag um 11:22 Uhr kommen wir im Homestay an, sollten jedoch Snacks mitbringen, die wir gemeinsam essen und bis wir aufbrechen, ist es 12:10 Uhr. Dann stehen wir etwas später an der Autobahn, wo uns der Bus aufsammeln sollte. Der hat Verspätung und leider mag uns auch kein Anhalter die ca. 250 km mitnehmen. Sein Vater kommt mit dem Motorrad vorbei und leistet uns Gesellschaft. Ich bin genervt. Nicht vom Vater, aber von Prachits Trödelei. Da ihm einfällt, dass ich die Tage noch Kokosnusswasser trinken wollte, schlägt er vor, das jetzt zu machen und mit dem Motorrad in die Innenstadt zu fahren. Das Gepäck können wir ja beim Vater lassen, der kommt ohne sein Motorrad eh nicht weit. Der Bus würde erst in einer Stunde kommen. Der Fahrkartenkontrolleur des Vorbusses habe gewusst, dass der Bus 1,5 h Verspätung hat. Was aber, wenn er nicht Recht hat und wir dann den Bus verpassen? Klingt nach einer bescheuerten Idee. Also fahren wir los. Eine halbe Stunde später haben wir einen Kokosnussverkäufer gefunden und meine Stimmung ist etwa 3% besser. Dann fahren wir zurück und warten. In der prallen Sonne direkt an der Autobahn. Zwischendurch ruft Papa an, er hat ein besonders gutes timing erwischt, denn zumindest Empfang habe ich hier gut. Und an Zeit mangelt es mir aktuell ja auch nicht unbedingt. Kurz nach 3 steigen wir dann endlich in den Bus ein.

5 h brauche der laut Prachit. Das bezweifel ich aber, denn der Zug braucht planmäßig 6 h. Wir haben den vermutlich vorsichtigsten Busfahrer Indiens erwischt und ich bin mir unsicher, wie ich dazu stehen soll. Etwas mehr Tempo wäre schon auch nicht schlecht. Mittlerweile ist meine Genervtheit in Übermut umgeschwungen und ich habe aus mir selbst unerfindlichen Gründen beste Laune. Vielleicht hat mir das Kokosnusswasser doch gut getan. Wird schon. Das ist Indien. Hier laufen die Dinge nun mal anders.

Gegen 21 Uhr fängt Prachit an, sich Sorgen zu machen. Aber auch das kann mich nicht aus der Ruhe bringen. Ich überlege derweil, was ich mache, wenn ich den Flug verpassen sollte und schaue, was es kostet, wenn ich in der gleichen Nacht noch einen anderen Flug buche. Ca. 370 €. Hmmm. Dafür, dass Vorweihnachtszeit ist und die Buchung ja extrem spontan wäre, garnicht mal so viel. Das beruhigt mich noch mehr und ich lasse auf mich zukommen, wie es wohl kommen wird. Da relativ klar ist, dass meine Shoppingtour flach fallen wird, schickt er seine Cousins los. Per Videotelefonie kann ich so entscheiden, was ich möchte. Ein bisschen wie online shopping. Dann denke ich darüber nach, wie gut es mir hier gefällt und dass wenn ich eh einen neuen Flug buchen würde, könnte ich den ja auch ein paar Tage später nehmen. Wirklich wichtige Termine habe ich keine. Gegen 11 Uhr kommen wir in Panvel an und steigen in den Zug um. Mumbai ist noch ca. 42 km entfernt, der Zug fährt jedoch schneller. Von dort müssen wir allerdings noch 3x umsteigen bis zum Flughafen. Der Flieger geht um 2:50 Uhr. Bis Mumbai dauert es etwa eine Stunde, dann je nach Umsteigezeiten nochmal 1-2h.

Ich bin verwirrt. Ich könnte den Flieger noch bekommen, aber will ich das? Soll ich den einfach trotzdem verpassen und einen neuen Rückflug buchen? Einerseits etwas rausgeschmissenes Geld. Andererseits hätte ich noch ein paar Tage länger hier. Außerdem habe ich heute einen Batzen an Steuerrückzahlungen erhalten. Geld, mit dem ich nicht gerechnet hatte. In einem der ganzen Züge entscheide ich, den Flug nicht zu nehmen.

Ich fahre mit Prachit in seine Wohnung, die er mit den beiden Shopping queen Cousins teilt und übernachte dort. Einer der Cousins und Prachit haben in der Nacht ein Fotoshooting, weshalb sie nach dem Abendessen gegen 2 Uhr morgens aufbrechen. Dann ist auch schon Sonntag und wir beschließen, den Nachtbus zurück nach Chiplun zu nehmen. Er ruft seine Eltern an und die fordern ihn direkt auf, mich mit zu ihnen zu nehmen und ich könne bei ihnen wohnen. Wie lieb. Meine neuen Adoptiveltern. Und hier bin ich wieder. Schneller zurück, als erwartet!

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