Mam, one Selfie please! Oder wie ich die Welt verbesser

Ich habe eine neue Rolle. Wobei, nein eigentlich habe ich viele neue Rollen. Aber eine davon gefällt mir besonders gut. Neben Gast bin ich auch die Ausländerin, Hindischülerin, Deutsch- und Englischlehrerin, Übersetzerin. Und seit heute auch Geschmackstesterin. Das Leben meint es also gut mit mir. Mir werden keine Steine in den Weg gelegt, mir wird ein bequemer Sessellift geboten. Das Personal meines Gasthauses hat täglich Kochunterricht und das Essen will probiert und bewertet werden. Das Gasthaus gehört zu dem Projekt, für das ich vor 8 Jahren gearbeitet habe und somit kenne ich einige Angestellte. Weshalb prinzipiell mehr Privilegien habe und jetzt auch noch zum Geschmackstester befördert wurde. Schließlich muss das wer unabhängiges machen und im besten Fall jemand, der die europäische Küche kennt. Gut, dafür bin ich jetzt als Veganer vielleicht nicht gerade überqualifiziert aber Gemüsesuppe testen ist auf jeden Fall drin. Womit wir auch schon zum Knackpunkt des ganzen kommen. Sie kochen gerade italienisch. Ich bin nicht umbedingt um die halbe Welt gereist, um dann italienische Gerichte zu essen. Vor allem nicht, wenn ich in meiner WG in Augsburg direkt an der Quelle original italienischen Essens bin. Aber gut. Ich bekomme leckeres Essen. Juhu!

1,5 Stunden später. Gut, alles hat seinen Preis. Eigentlich lernt man ja früh, dass das meiste einen Haken hat. Aber wer denkt da bei Essen schon dran? Ich sollte mit jedem der Kochschüler die Rezepte aufschreiben. Meine neuen Schützlinge sind ein motivierter Chandu, eine motivierte Anju und ein mäßig begeisterter Balvin, der garkein englisch spricht. Chandu tut sich schwer mit englisch, versucht es aber immerhin. Auch, wenn es ihm am liebsten gewesen wäre, wenn ich das Rezept für ihn aufschreiben würde. Anju ist Perfektionistin und es hat sie ganz schön geärgert, wenn sie mich beim Buchstabieren falsch verstanden hat (sie sprechen einige Buchstaben anders aus und ich habe mich schon bemüht, mich der örtlichen Aussprache anzugleichen. Offenbar nur bedingt erfolgreich). Auch sie tut sich mit englisch ziemlich schwer, strengt sich aber auch an. Und dann ist da eben noch Balvin, der Analphabet ist und das Rezept somit auch nicht in hindi aufschreiben kann. Dafür hat Anju für ihn geschrieben und gleichzeitig als Übersetzerin zwischen uns vermittelt. Dabei hat sie ziemlich schnell gemerkt, was ich wissen wollte und ihn sehr souverän gefragt, als wäre ja wohl selbstverständlich, dass er angeben muss, ob er zum Abmessen einen Tee- oder Esslöffel verwendet hat.

Erstmal bin ich ja froh, dass zu meinen Hobbys gehört, mir Rezepte durchzulesen und ich daher auch ein paar entsprechende Formulierungen parat habe. Aber dass es allein 1,5 Stunden dauern würde, um 2 Rezepte aufzuschreiben – damit habe ich nicht gerechnet. Der Sinn dahinter ist, dass sie verstehen, wie Rezepte aufgebaut sind und dass man sich (zumindest in dem Stadium, in dem sie sich in ihrer Ausbildung befinden) als Koch an Rezepte halten sollte. Die Message ist noch nicht angekommen. Das mache ich daran aus, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass sie sich die Mengenangaben ausgedacht haben, als ich nachgefragt habe. Ich war beim Kochen dabei und habe keine Waage gesehen, aber dass da 70 g Bohnen in die Suppe kamen, wusste Chandu 😀 naja, ich hatte auch irgendwann keine Lust mehr und wollte es nur fertig bekommen. Bin auch angeschlagen und da ist mein Geduldsfaden eh minimal ausgebildet. Jedenfalls bin ich auch noch gar nicht fertig mit den 3. Als nächstes sollen sie es nämlich an einem Computer abtippen, Fotos einfügen und per Mail verschicken. Ich weiß nicht genau, wie schnell sie tippen. Und ob sie je etwas mit Word gemacht haben. Ich ahne aber, dass auch die Aufgabe eine nächste Herausforderung wird. Deshalb habe ich auch Schluss gemacht für heute. Man gibt mir Essen. Das muss ich mir als Motivationsmantra vorsagen.

Womit ich meine Zeit hier noch so verbringe ist Backen. Ich hatte ja in Delhi schon vegane und glutenfreie Brownies gebacken. Die waren allerdings recht bröselig und trocken. Mittlerweile habe ich noch ein Rezept getestet und ein Bananenbrot ist mir gelungen. Bei den Brownies fehlt immernoch Bindemittel. Ich denke, ich reibe einen Apfel rein und füge Kichererbsenmehl hinzu. Aber damit geht es erst nächste Woche wieder weiter.

Kühe. Es ist ein Vorurteil, das eigentlich garkein Vorurteil ist. Weil es stimmt. Hier laufen Kühe rum. Einfach so. Sie gehören Leuten, die Milch verkaufen und um Kosten zu sparen, lassen sie die Kühe einfach mitten in der Stadt frei laufen. Sie sind also eigentlich ein bisschen wie Straßenhunde. Straßenhunde sind auf der Suche nach Futter und so sind es auch die Kühe. Wenn da ein Restaurant die Tür offen hat-dann schaut man da mal rein. Steht im Weg und wartet auf Essen. Demnach sind hier regelmäßig Kuhköpfe in der Tür. Das ist etwas, das mich immernoch dazu bringt, die Kamera zu zücken. Eine Kuh im Restaurant?! Ich meine, daran kann ich mich nur sehr schwer gewöhnen.

Dann gibt es noch eine erfreuliche Nachricht. Mein Körper hat sich etwas mehr an die Temperatur gewöhnt (allerdings fühlt es sich schon seltsam an, bei 45° eine Erkältung zu haben.). Ich schlafe mittlerweile vor einem Wasserkühler (Ventilator, der etwas Wasser mit in die Luft mischt) auf dem Flachdach. Im Gegensatz zum Dach meines ersten Gasthauses hier, auf dem ich ja auch sehr oft geschlafen habe, ist dieses von einem Gitter umgeben. Was mit dem Biorythmus der Affen nicht stimmt, weiß ich nicht. Aber scheinbar halten sie es für richtig, morgens zwischen 4 und 5 Uhr um die Dächer zu ziehen und dank Wellblechbeschläge einen Mordslärm zu veranstalten. Früher musste ich um die Zeit daher schnell ins Zimmer (sie touren in Gangs umher und können auch gefährlich sein), aber hier kann ich abgesehen vom Lärm weiterschlafen. Wobei ich entweder lärmresistenter geworden bin oder sie sich Mühe geben, die Wellblechdächer zu vermeiden. Der eigentliche Punkt aber ist, dass ich nachts relativ gut schlafen kann und mir bei einem Minimum von 33° nicht mehr zu heiß ist (zumindest vor einem Ventilator). Und auch tagsüber kam es mir heute weniger heiß vor. Es hatte zwar 45°, aber die Luftfeuchtigkeit war niedriger. Mit Ventilator und ohne Bewegung geht es. Ab nächster Woche soll der Regen einsetzen und damit wird es auch kühler. Aber abwarten, meine App ist in der Genauigkeit der Wettervorhersage in etwa so zuverlässig, wie Mili, wenn wir uns für eine bestimmte Uhrzeit verabreden.

Und mir fällt noch etwas ein, wie ich hier quasi etwas gutes tue (bitte nicht ernst nehmen!): ich schaffe Freunden eine Einnahmequelle. Mili stellt immer wieder fest, dass ich hier extrem die Aufmerksamkeit der Leute auf mich ziehe (weiß, groß, rote Haare, blaue Augen). Und sie hat dann einfach festgelegt, dass Fremde für ein Selfi mit mir 200 Rs bezahlen sollten, also etwa 2,50€. Ein ganz schön hoher Preis. Jedenfalls haben das auch Meenas Kinder mitbekommen. Anfangs war es ein Spaß und wenn ich mit ihnen zusammen unterwegs bin, werde ich auch kaum gefragt – deshalb hat sich nie eine Gelegenheitgeboten, das auszuprobieren. Aber als wir die Tage in Meenas Laden saßen und sie etwas Milch mit Blüten als Opfergabe für den goldenen Tempel hier verkauft hat, wollte einer ihrer Kunden noch ein Selfi mir mir. Ich bin da zwar kein Fan von, aber wenn die Leute nicht unverschämt sind, mache ich mit. Dass mir die Hautfarbe und Herkunftso viele Privilegien bescheren, ist schließlich schon unfair genug. Aditya (Meenas Sohn, etwa 13 Jahre alt) hat dann aber mit ihm verhandelt und am Ende hat der doch tatsächlich 70 ct für 2 Selfis mit mir bezahlt 😀 er ist nun mein Manager und darf das Geld natürlich behalten. Ich habe einen Job geschaffen!  Mit dieser frohen Nachricht wünsche ich noch ein schönes Wochenende 🙂

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