Vom einen ins nächste Paradies

Indien ist ein Land, in dem man innerhalb von knapp 3 h von einem zum nächsten Ort fliegen kann. Diese Orte bilden nicht einmal den nördlichsten und südlichsten Punkt und man ist nach der Reise immernoch im gleichen Land. Verrückt. Selbst Leute hier, die eine sehr gute Bildung genossen haben, kommen ins Staunen, wenn ich ihnen erzähle, dass ich mit dem Auto in 2 h jeweils 3 verschiedene Länder erreichen kann. Klar, wenn man hier 48 h mit dem Zug fährt und am Ende immernoch in Indien ist – da wirkt das absurd.

Ich bin immernoch auf meiner zweiten Urlaub-im-Urlaub-Reise in Kerala. Ich liebe es! Ich war schonmal in dem Staat und weiß daher, dass es schön ist. Aber hier zu sein, ist irgendwie unwirklich. Fangen wir mit Munnar an. Ich habe am zweiten und letzten Tag in Munnar mit meinem neuen Freund Sebastian eine kleine Rundfahrt zwischen verschiedenen Aussichtspunkten mit dem Tuktuk gemacht. Es hat zwar geregnet aber zwischendurch auch mal aufgehört. Was richtig schön war, weil man beobachtet konnte, wie die Wolken zwischen den Bergen herziehen. Und auf den Fotos kommen die Farben mit der vom Regen klaren Luft noch schöner raus.

Sebastian ist nett und erzählt mir, was ihm gerade so einfällt. Auch andere Tutktukfahrer, denen ich in Munnar begegne, sind freundlich und fahren einfach, wenn ich die Notwendigkeit einer Tuktukfahrt verneine. Skurril. Am Ende muss ich noch meinen allgemeinen Gräuel gegen Tuktukfahrer überdenken und meine Meinung ändern. Belastend.

Da ich mittlerweile mit festem Schuhwerk, Regencape und Regenschirm ausgestattet bin, finde ich den Regen hier nicht mehr so störend. Wobei es vermutlich hauptsächlich daran liegt, dass ich weiß, dass ich einen Tag später in ein wärmeres Gebiet weiterfahre. Am Abend nach der Aussichtstour gehe ich noch zur Ayurveda-Massage. Ein Traum. Ein Traum, bei dem ich am Ende für 15 min Sauna bezahle 😁 was ich die letzten 4 Wochen gratis hatte – Hitze – bekomme ich jetzt also gegen Geld. Die gute Frau hat in ihrem Leben wahrscheinlich selten einen so weißen (irgendeine Kosmetikfirma nennt meinen Hautton liebevoll „Knochen“) Körper geknetet. Hier entspricht meine Hautfarbe ja dem absoluten Schönheitsideal. Was einerseits natürlich nachvollziehbar ist mit all dem Rassismus auf der Welt, andererseits krotesk wirkt. Wie wir uns im Westen bräunen und möglichst viel Farbe haben wollen und man hier auch bei 40° Handschuhe und Kopftuch trägt, um nicht noch dunkler zu werden. Ich bin an sich relativ zufrieden mit meiner Körperausstattung. Ausnahme macht nur das Organ Haut. Das will sich mir wirklich nicht erschließen. Hat es weniger als 25°, brauche ich mindestens eine zusätzliche Schicht Klamotten, um nicht zu frieren. Ist es warm – und das bedeutet ja meist auch, dass die Sonne irgendwie involviert ist – bekomme ich einen Sonnenbrand. Meine Haut möchte scheinbar um wirklich jeden Preis bedeckt werden. Das hätte ich mir ja anders ausgesucht. Aber zurück zu Munnar. Die Massage war sehr angenehm und mein Körper glich anschließend irgendwas in Öl eingelegtem. Ich weiß nicht, wie oft ich mir noch die Haare waschen muss, bis der Fettfilm endgültig weg ist.

Sebastian, der Tuktukfahrer hatte mir erzählt, dass es um 6 Uhr morgens einen Direktbus nach Alappuzha gibt. Und wie das halt so ist, man glaubt, was man glauben will. Das passt mir perfekt in den Plan, da Alappuzha nur 2 Busstunden von meinem Ziel entferrnt ist und das bedeutet, dass ich nur 1 x umsteigen muss. Ich stehe also um 5:15 Uhr auf und stehe um 10 vor 6 an der Bushaltestelle. Und warte. Ich frage möglichst viele Leute, welcher Bus nach Alappuzha fährt. In der Hoffnung, dass sie mich in den richtigen setzen werden. Hier wird Malayalam gesprochen, die Schrift schaut ganz anders als hindi oder latein aus. Selber schauen kann ich also vergessen. Mehrere Leute haben gesagt, dass der gefragte Bus weiß sei, diese Info betrachte ich also als verifiziert. Bis irgendwann um 6:30 Uhr ein neuer Mann sagt, dass der Direktbus nicht mehr fahre, aber dafür fährt um 6:50 Uhr ein Bus nach Kottayam und in dem Moment kommt fraglicher Bus auch schon angefahren. Ich setze mich also rein, der Mann erklärt dem Busfahrer, dass ich nach Kottayam will und der nimmt mich nickend mit. Und diesmal bin ich vorbereitet. Der Bus ist fast leer und ich lege mich auf eine Dreiersitzbank hin. Mummel mich in Michas Decke ein und schließe die Augen (noch ein Tipp der aktiven Renter im Internet. Ich denke, mit deren Webseite bin ich bereit für meinen Rentenantritt). Und obwohl wir wieder hin- und hergeworfen werden, schlafe ich tatsächlich ein. Ich kann es selbst nicht glauben. Diese Schlafgelegenheit überholt damit die Dreiersitzbank am Flughafen Delhi um einiges und erhält von mir 4 von 10 Komfortpunkte. Als ich aufwache, wird mir wieder mal extrem übel. Ich esse Kaugummi und höre zur Ablenkung Hörbuch (alles Tipps der aktiven Rentner). Da das nicht schnell genug hilft, esse ich Ingwer und schneide etwas davon in meine Wasserflasche. Man kann mich also an einer Ingwerknolle nagend im Bus beobachten. Irgendwann lässt die Übelkeit nach. Ob es am Ingwer (der roh garnicht mal so lecker ist), dem Kaugummi, der Ablenkung Hörbuch oder allem zusammen liegt, weiß ich nicht. Möglicherweise kommt es auch daher, dass wir endlich nicht mehr in den Bergen sind und mehr als 5 m am Stück geradeaus fahren, anstatt das Lenkrad stetig von links nach rechts und wieder zurück zu kurbeln. Nach knapp 5 h Fahrt kommen wir in Kottayam an und ich stelle fest, dass ich meinem Ziel so sogar näher bin und nur zwei Busse und ein Tuktuk später komme ich an.

Ich habe mir für 2 Nächte einen Bungalow in einem richtig schönen Resort gemietet. Und das war eine der besten Entscheidungen auf meiner Indienreise! Ich bin hier ein bisschen im Nirgendwo zwischen Alappuzha und Cochin und es ist wundervoll. Was zunächst daran liegt, dass wir hier 29° haben und ich nicht mehr friere. Aber hauptsächlich sind hier die Backwaters und Palmen und Meer und das bringt mir das ultimative Urlaubsfeeling. Ich kann mit einem kleinen Boot rumpaddeln (dazu musste ich den Bootsfahrer erstmal überzeugen. Er wollte mich fahren, weil das hier Teil des Service ist und konnte nicht verstehen, dass ich lieber selbst fahren möchte). In kleinen Flussläufen, umzäunt von Palmen und anderen Bäumen. Und gestern habe ich mir ein Fahrrad geliehen. Es hieß bei der Buchung und auch Ankunft, dass sie welche haben. Das war aber scheinbar nicht so gemeint, denn als ich nach einem gefragt habe, meinte der gute Mann an der Rezeption, dass es regne („eh, actually mam, it is raining“ 😀 ) – danke für die Info. Auch hier hat die Regenzeit keinerlei Scheu davor, ihrem Namen gerecht zu werden. Ich sage, dass mir das nichts ausmache, was ihn sichtlich aus dem Konzept bringt. Dann rückt er damit raus, dass es den Fahrradverlei nur im Sommer gibt und nicht in der Regenzeit. Aber er versucht, eins aufzutreiben. Kurz später teilt er mir mit, dass er eins habe, da muss aber noch die Luft aufgepumpt werden, weshalb ich erst in einer Stunde los könnte. Da ich keinen strikten Zeitplan habe (ich weiß ja nicht einmal, wo ich überhaupt hin will), passt das. Und wer hätte es gedacht – nach der dreiviertel Stunde, die sie gebraucht haben, um mein neues Fahrzeug des Vertrauens ansatzweise verkehrstauglich zu machen, hat es aufgehört. Es ist das Fahrrad eines Mitarbeiters. Der scheinbar mindestens einen Kopf kleiner ist, denn größentechnisch würde es sich besser als Laufrad machen. Gänge hat es genau so viele, wie Bremsen: einen. Das ist exakt soviel, wie ich mindestens benötige, sehr gut. Los geht’s. Es ist witzig. Ich fahre durch kleine Orte, in denen die Leute vermutlich nicht an den Anbilck von großen Ausländern auf kleinen Fahrrädern gewohnt sind. Belustigt winken sie mir zu und ein Motorradfahrer kommt mir sogar extra hinterhergefahren, überholt, bleibt stehen und wartet, bis ich ihn wieder überhole. Sagt „hello, mam“, dreht um und fährt wieder seines Weges. Bahnschranken gelten hier nur für Busse, LKW, Autos und Tuktuks lerne ich, und so schiebe auch ich mein Fahrrad an der Schranke vorbei auf die andere Seite. Möchte ja nicht die sein, die anders ist. Bin schon in genug anderen Dingen anders. Mittlerweile habe ich mir eine Runde überlegt, wie ich wieder zurück fahren möchte. Lasse mich hierfür von google maps leiten, da man aufgrund der ganzen Gewässer nicht nach Gefühl fahren kann. Wer weiß, wo die nächste Brücke ist. Es läuft gut. Selbst die kleinen Wege kennt Maps, freue ich mich. So lange, bis ich auf dem Grundstück von Leuten stehe und es alles andere als nach einem Weg ausschaut. Eine junge Frau erklärt mir, dass sie sich hier auch nicht gut auskenne, da sie erst vor 2 Monaten geheiratet habe und dementsprechend lange hier wohnt. Da sei aber ein Trampelpfad hinter dem Haus. Gut, dem folge ich. Bis ich 10 m weiter am Wasser stehe und der Weg, dem ich laut Maps folgen soll, ein etwa 30 cm breiter Betonstreifen inzwischen von Flüssen ist. Ja gut. Das, was Google Maps an Selbstbewusstsein übrig hat, kann es gerne an meine Fahrradbremse abgeben. Die befindet sich nämlich scheinbar in der Selbstfindungsphase und ist sich ihrer Berufung noch nicht ganz bewusst. Weshalb auch überhaupt nicht tragisch ist, dass es keine Gänge gibt. Schnell fahren würde ich mich eh nicht trauen. Ich beschließe also, die Abenteuertour auf anderem Wege fortzusetzen. Das ist mir doch ein bisschen viel Abenteuer auf einmal. Ich halte mich an eher größere Straßen und das bewährt sich. Ich komme am Ende auf die Straße zurück, von der aus mein Resort gut erreichbar ist. Sie ist ganz nah am Meer, man hört den starken Wellengang rauschen. Und man sieht jetzt, wie dunkel der Himmel ist. Ich trete in die Pedale aber die etwa 3 km bis zum Resort bekomme ich das echte Regenzeitfeeling ab. Ich trage mein Regencape und mein Rucksack einen Regenschutz. So ist immerhin ein Teil meines Oberkörpers nicht völlig durchnässt, als ich am Resort ankomme. Jetzt hat es wieder aufgehört, es war nur ein kurzer Schauer. Aber es ist warm, also ist alles gut. Zurück im Bungalow stelle ich fest, dass ich an den Händen und der rechten Wade einen extremen Sonnenbrand abbekommen habe. Mist. Natürlich war ich eingecremt, aber nicht an den Beinen. Dass ich wegen der Kette meine Hose hochkrempeln werde, hatte ich nicht bedacht. Und die Hände sind natürlich durchweg unbedeckt. Ein Tuch habe ich mir unterwegs gekauft, um es als Kopftuch zu verwenden. Aber das geht nicht über die Hände. Tatsächlich habe ich jetzt also noch vor, mir Handschuhe zu kaufen. Bei 30°.

Gerade bin ich übrigens mal nicht im Zug, sondern liege entspannt in der Hängematte (die leider nicht halb so bequem ist, wie man sich das immer vorstellt. Hängematten werden meiner Meinung nach völlig überbewertet. Oder ich lag noch nie in einer guten, wer weiß). Heute checke ich leider wieder aus dem Resort aus. Es war ein richtig schöner Aufenthalt und ich bin froh, meinen inneren Schwaben (das ist teuer und du brauchst das nicht) ignoriert zu haben. Und so langsam wird mir wieder bewusst, wie gut es mir geht, was für ein Glück ich auf dieser Welt habe und dass es jetzt irgendwie wieder ok wäre, zu sterben. Nicht, dass ich das irgendwie fördern wollen würde. Noch vor 4 Monaten habe ich regelmäßig heulend vor dem Laptop gesessen und bin an meiner Masterarbeit verzweifelt. Das ist Geschichte und es fühlt sich auch genauso an. Weit, weit weg. Jetzt geht es mir sehr gut. Ich tue wiedermal nur das, worauf ich Lust habe und genieße mein Dasein. Jetzt zu gehen, wäre irgendwie ok. Schade, aber ok.

Damit man auch weiß, von welcher Naturschönheit ich rede 🙂

Viele Grüße aus dem Paradies!

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