Von Bangalore bis Varanasi

So, die Hängemattenzeit ist rum. Ich habe eine andere Schlafgelegenheit gefunden: einen Zug. Heute Nacht fahre ich nach Bangalore, um die Familie einer Freundin zu besuchen. Mit mir und meinen menschlichen Mitfahrern machen sich auch einige Kakerlaken in meinem Wagon auf den Weg. Das hatte ich noch nie im Zug, bin aber ja offen für neue Erlebnisse. Und Tiere mag ich an sich ja auch. Es war ein langer Tag und ich werde gleich schlafen. Ein Taxifahrer hat mich nach Cochin zum Zug gebracht und vorher noch die Stadt gezeigt. Wobei auch eine Shoppingtour dazu gehörte. Die lokale Wirtschaft habe ich jedenfalls mehr als nur angekurbelt.

Und schon ist auch die Zeit in Bangalore wieder rum und ich sitze im Flieger zurück nach Varanasi. Bangalore ist immer ein ganz anderes Erlebnis als Varanasi. Hier habe ich Zeit mit Megs Familie verbracht. Sie haben einen ganz anderen Bildungsgrad, leben in einer schöneren Wohnung und sind halt auch in einer Großstadt und vermutlich allein deswegen schon deutlich offener für den westlichen Lebensstil. Mal davon abgesehen, dass die Tochter seit 7 Jahren in Deutschland lebt. Wir haben Spieleabende gemacht und waren mit Freunden und Familie essen. Die Wohnung liegt am Rand der Siedlung von hohen Politikern, weshalb es quasi keine Stromausfälle gibt. Außerdem haben die Nachbarn einen Ofen, den wir ausleihen durften. Glücklicherweise habe ich vegane Sahne aus Deutschland mitgebracht und so konnten wir eine Zitronentorte und Schokomuffins backen. Das Backen an sich ist zwar nicht so neu, das habe ich in Varanasi auch getan. Aber in Bangalore stehen dabei nicht 10 Leute um mich herum und ich muss nicht bei allen Zutaten fragen, wo sie sind, da ich sie auch so finde. Es ist entspannter. Zudem habe ich beim Backen auch noch Unterhaltung und kann mit Jharu quatschen. Die Küche ist eine offene Wohnküche mit anschließendem Wohnzimmer, in dem Megs Vater sein Dasein mit gebrochenem Fuß vor dem Fernseher fristet. Die Lautsprecher sind an, außerdem telefoniert er mit Lautsprecher und neben mir unterhalten sich Jharu und Megs Mutter. Ich nutze den elektrischen Schneebesen und bekomme einen kurzen Blick vom Vater zugeworfen, den ich wohlwollend als „schön, dass du meinem Sohn eine Geburtstagstorte backst“ auffasse. Das Haus steht nahe an den Gleisen und da man in Schallschutz scheinbar keine Notwendigkeit sieht, klingt es zusätzlich, als wären wir an einem Bahnhof. Es ist also durchaus eine Geräuschkulisse geboten. Das ist etwas, das ich in Indien vermutlich nicht vermissen werde. Stille. Ein kostbares Gut. Die Torte ist irgendwann fertig, die Muffins auch. Abends gehen wir zusammen essen. Holen dafür Ashish und seine Frau ab, außerdem Neha. Sie wird erst 2 min vor unserer Ankunft darüber informiert, dass wir kommen und sie runterkommen soll. Vor ihrem Haus wartend kommt sie auch kurz später runter, bekleidet in bequemen Hausklamotten und Schlappen. Sie steigt ein, fragt, was passiert sei und Karan fährt einfach los. So läuft das hier also mit Verabredungen. Jharu erklärt, dass wir jetzt zusammen essen fahren und sie mitkomme. Was Neha weniger zu schätzen weiß, als wir uns erhofft hatten. Unsere Einladung bezeichnet sie als Kidnapping. Sie war gerade erst von der Arbeit gekommen und fordert, sich zumindest andere Schuhe anziehen zu dürfen. Meiner Meinung nach eine durchaus berechtigte Forderung. Nach dem Versprechen, auch wirklich zurückzukommen, dreht Karan um und wir lassen sie gehen. Dabei organisieren wir die Sitzordnung um, weil wir mit Neha eine Person mehr sind, als das für dieses Auto irgendwelche Ingenieure mal vorgesehen hatten. Tatsächlich kommt sie kurz später zurück und wir fahren weiter. Etwas, das ich im Gegensatz zum Lärm hier sehr schätze, ist, dass im Restaurant mehrere Gerichte gemeinsam bestellt werden und sich jeder von allem nimmt. Das ist normal. Bei der Bestellung wird daher auch gefragt, wie viele Portionen das Gericht hergibt. Ich wäre dafür, dass wir das in der deutschen Kultur auch einführen! Und auch sonst ist das Feeling in der Großstadt anders. Ich werde nicht angestarrt, nicht merklich anders behandelt. Wobei Jharu das nicht unbedingt bestätigen würde. Beim Kauf von Guava (einer Frucht) hat mir der Verkäufer schier endlos Probierstücke geboten. Beim Kauf von Bananenchips habe ich 10% Rabatt bekommen, was sie wohl auch nie erhalten. Und ein Tuktukfahrer hat gesagt, er wolle kein Geld (ich fürchte, tatsächlichmeinen Gräuel ablegen zu müssen)?! Meine elfenbeinfarbene Haut (klingt irgendwie besser als käsig) beschert mir hier finanziell gesehen also zur Abwechslung mal Vorteile. Wer hätte das gedacht?

Schon ist die Zeit im Süden aber auch schon wieder vorbei. Und nicht nur im Süden, generell neigt sich meine Reise dem Ende zu. Was wirklich in Ordnung ist, 6 Wochen sind wirklich genug. Andererseits geht es mir hier gut, ich habe keine Sorgen, bekomme tolles Essen, ich kann mir hier sehr vieles leisten, verbringe wertvolle Zeit mit Freunden und genieße wundervolle Landschaften. Es ist ein Luxus. Und was erwartet mich, wenn ich zurück nach Augsburg komme? Ich werde mich auf Jobsuche begeben. Muss mich um Dinge, wie Versicherungen und Altersvorsorge kümmern. Ich bin 26 und weiß nicht einmal, was nächsten Monat passiert. Sollte aber mein Leben in Rente planen? Puh. Ich weiß ja nicht. Verglichen mit den vergangenen 4,5 Wochen klingt das nicht so sehr nach einem Upgrade. Ungewissheit, was kommt. Ein neuer Lebensabschnitt mit weniger Ferien, mehr freien Wochenenden, festen Arbeitszeiten und weniger Flexibilität. Da würde ich meinen Aufenthalt unter Palmen gerne noch ein wenig verlängern. Warum ich jetzt überhaupt darüber nachdenke, liegt hauptsächlich an meinem Treffen mit Namu, einer Freundin von Megs. Sie hat mich etwa 6 mal in Folge gefragt, wie es mir geht und was ich mache. Sie ist sehr lieb und meinte es nur gut, hat mich aber durch ihr Nachbohren aus meiner Urlaubstraumwelt geholt. Was ok ist, aber auch gerne erst in ein paar Tagen hätte passieren können.

Zurück in Varanasi! Jetzt ist es schon Samstag Abend und in 3 Tagen mache ich mich auf den Heimweg. 3 Tage. Das ist garnicht mal so lange. Jetzt gilt es, noch möglichst viel Zeit mit Freunden zu verbringen und die letzten Aufgaben fürs Projekt abzuschließen. Das bedeutet, dass mein Wecker morgens zwischen 6 und 7 klingelt. Was meiner persönlichen Definition von Urlaub eindeutig widerspricht. Aber erstmal zurück zu Bangalore. Da die Busse die Wochen scheinbar extrem unzuverlässig sind, haben mich Karan und Jharu in ein Taxi zum Flughafen gesetzt. Und man (und mit man meine ich meistens mich) mag es kaum glauben, aber tatsächlich habe ich keinen LBertaschen-Taxifahrer abbekommen. Die knapp 45 min zum Flughafen waren beinahe stumm. Was ich genossen habe, weil immer die selben Fragen kommen und das an sich natürlich vollkommen in Ordnung ist, aber auf Dauer halt auch ein wenig an Unterhaltungsgrad für mich verliert. Nach ca. 30 min Fahrt spricht der gute Mann plötzlich, sagt dass ich mir keine Sorgen machen soll aber die große Straße sei gesperrt und deshalb fahre er jetzt irgendwoanders lang. Ehrlich gesagt veranlasst mich das ‚mach dir keine Sorgen‘ dazu, ein wenig misstrauisch zu werden, weil das noch nie jemand gesagt hat. Sonst fahren die Leute einfach so, wie sie meinen. Und in ca. 93% der Fälle wissen sie es ja auch besser, daher passt das so. Mein Taxifahrer des Vertrauens hat die Kommunikation nun scheinbar für sich entdeckt und fragt, woher ich komme und ob ich Indien möge. Nach meiner Antwort und der Rückfrage, woher er komme und ob man da mit dem Zug hinfahren kann (englisch spricht der Gute leider kaum und meine Hindikenntnisse sind schneller erschöpft, als es mir lieb ist. Außerdemfehlt es mir an Kreativität und Motivation). Die verbleibenden 10 min Fahrt verbringen wir wieder in Stille. Kurz später sitze ich im Flughafen und warte auf das Boarding. Los geht es, als ich mich auf meinen Platz setze, steht das Ehepaar neben mir ganz selbstverständlich auf und wechselt die Plätze, sodass ich als Frau nicht neben einem fremden Mann sitzen muss (ich gehe zumindest davon aus, dass das der Grund ist). Meine neue Sitznachbarin bildet kommunikationstechnisch leider den Gegenpool zu meinem Taxifahrer. Es tut mir zwar etwas Leid und ich finde es auch sehr unhöflich, aber in einer kurzen Gesprächspause setze ich meine Kopfhörer auf und spiele Musik ab. Ich werde sie noch zweimal abnehmen, um ihre Fragen zu beantworten, ehe sie anfängt, mit ihrem Mann Mensch ärgere dich nicht auf dem Handy zu spielen. Nun habe ich meine Ruhe. Schön. Nach 2,5 h landen wir in Varanasi und ich bin begeistert, wie leicht man von Bangalore nach Varanasi kommt – verglichen mit der Hinreise. Dank Ola, einer App wie Uber kann ich mir eine Autoriksha bestellen, die um einiges günstiger ist als die Wucherpreise am Flughafen selbst. Ein wenig aufdringlicher Tuktukfahrer fragt, wo ich hin wolle und als ich es sage und den Preis in der App zeige, nimmt er mich für den gleichen Preis mit. Perfekt. Das Problem an der App ist nämlich, dass bisher außer 1 Fahrer alle meine bisherigen Chauffeure die Karte ignorieren, auf der mein Standort live geteilt wird und immer telefonisch klären wollen, wo ich genau sei und wo ich hin wolle. Da ist das erklären immer schwierig, weil ich nicht weiß, welches hier die bekannten Orte/Läden sind, an denen man sich orientiert. Was meinst zur Folge hat, dass die Leute die gebuchte Fahrt canceln. Ab und an drücke ich daher Leuten mein Handy in die Hand und bitte sie, dem Fahrer zu erklären, wo er hin muss. Aber auch das reicht manchmal nicht aus und es sind noch mehrmals angerufen. So, wie Generation Z nachgesagt wird, Telefonate zu verabscheuen, lieben es Inder. Ein mir unverständliches Phänomen. Bei meinem Aufenthalt im Süden haben sich Freunde beschwert, warum ich sie nicht anrufe? Ja weil ich sie am Telefon eh kaum verstehe. Wegen A deren und B meiner Geräuschkulisse, C ihrer Englischkenntnisse und D der rauschenden Verbindung. Außerdem wüsste ich nicht, was wir besprechen sollten. So viel Spannendes ist da jetzt auch nicht passiert, dass ich nicht die Woche abwarten konnte, bis ich sie wieder sehe.

Was mir noch zu Südindien einfällt. Als ich in diesem wundervollen Resort angekommen war, wurden alle Gäste auf eine Bootstour durch die Backwaters mitgenommen. Allerdings mut einem Motorboot. Es war natürlich schön, aber ein Motorboot ist wirklich nicht das Verkehrsmittel erster Wahl, mit dem ich durch die schöne Natur schippern möchte. Geräusche und so. Nach der Hälfte der Fahrt hat das Paar, das vor mir saß entschieden, lieber ein Youtubevideo zu schauen. Eines, in dem gezeigt wird, wie Leute durch die Backwaters fahren. Manchmal sind mir Menschen echt ein Rätsel. Wir hatten also auch noch musikalische Untermalung dazu (natürlich auf voller Lautstärke). Und dann hat die mittlere von 3 Sprossen meiner Sitzbank beschlossen, dass jetzt ein guter Zeitpunkt zum Aufgeben ist. Ohne merklicher Vorwarnung ist sie einfach gebrochen (genau für sowas im großen Stil gibt es Bauingenieure ^^ Versagen ohne Vorankündigung ist worst case). Ich habe die Rückfahrt insgesamt also etwas weniger genossen. Die restlichen Fahrten durch die Backwaters habe ich dann selber vorgenommen. Nur auf dem Gelände des Resorts, aber das war groß und hat mir schon gereicht. In Ruhe. Langsam. Das ist eher mein Ding.

Zurück in meiner indischen Heimat fällt meinen Freunden mit Bedauern auf, dass ich noch genau so schlank bin, wie bei meiner Ankunft. Sie hatten gehofft, mich in eine Form zu bringen, die sie als „healthy“ bezeichnen. Ich dagegen bin froh, nicht zugenommen zu haben. Bei all den frittiertten Leckereien! Ich glaube, dass jedes Land den Geschmack von Fett für sich entdeckt hat und irgendwann darauf gekommen ist, dass auch ursprünglich gesunde Lebensmittel mit Hilfe eines Fettbads noch besser schmecken kann. Meine wie immer ganz objektive Einschätzung zum weltweiten Vergleich sagt mir aber, dass Indien ganz vorne mit dabei ist, was das Frittieren angeht. Wir haben bei Kartoffeln ja irgendwie aufgehört. Dachten vielleicht, das wichtigste haben wir. Ich kann euch versichern, dass es noch ganz viel anderes gibt, dass frittiert ziemlich gut schmeckt. Umso glücklicher bin ich, davon innerhalb der bald 6 letzten Wochen nicht zu viel gegessen zu haben. Irgendwann (ziemlich spät eigentlich, wenn man bedenkt, wie viel Zeit ich schon in Indien verbracht habe) bin ich darauf gekommen, den Leuten einfach zu sagen, dass das Schönheitsideal in Deutschland anders ist und wir alle schlank sein wollen und Diäten ein weitverbreitetes Ding sind. Dass ich nichteinmal „healthy“ sein möchte, verstehen jetzt zumindest die meisten. Generell habe ich es für mich entdeckt, zu erklären, dass wir in Deutschland manche Dinge anders machen. Wäre ja auch schade, wenn der kulturelle Austausch ein kultureller Monolog wäre. Dass man zum Beispiel bei einer Erkältung keine Bananen essen soll? Daran glauben wir nicht. Dass wir  in der Zeit auch nichts gekühltes zu uns nehmen sollen? Glauben wir nicht. Geister? Daran glauben wir nicht. Ich habe festgestellt, dass es kein großes Ding mehr für die Leute hier ist, wenn ich etwas anders mache, sobald ich erläutere, dass wir Deutschen da so (nicht) dran glauben. Easy. Das hätte mir mal ein paar Jahre früher kommen sollen.

In Varanasi hat es zur Zeit um die 37°, allerdings immer noch mit einer Luftfeuchtigkeit, die meiner Meinung nach deutlich mehr Drama schiebt, als es sein müsste. Es fühlt sich heiß an. Ich habe also wieder auf dem Dach übernachtet. Aus Mangel an Luftgeschwindigkeit vor dem Watercooler. In der Nach bzw morgens um 6 haben mich ein paar Ameisen (oder ähnliche Viecher) durch ein Verhalten geweckt, das ich als wenig sozial einstufen würde. Ich habe nun 4 Bisse, die extrem angeschwollen sind. Zusätzlich nähert sich meine Haut in der näheren Umgebung dem Farbton einer reifen Tomate an. Es ist eine Abwechslung zu all den Mückenstichen, die ich trotz Moskitoschutz habe. Ich bin nun also nicht nur gesprenkelt, sondern habe auch passende Beulen. Immerhin passt alles (einschließlich Sonnenbrand) in ein Farbkonzept. Das muss ich meinem Körper lassen. Gegen 6 Uhr bin ich also runter in mein Zimmer gegangen, um da noch eine Stunde weiter zu schlafen. Aber die Biester haben sich scheinbar mit dem Ventilator abgesprochen, der wollte nämlich nicht und ohne ist Schlaf fast unmöglich. So hat mir Mutter Natur also geholfen, ein paar mehr Momente am Morgen in wachem Zustand zu erleben, als geplant. Am einzigen Morgen, den ich zumindest ein wenig mehr für Schlaf nutzen wollte. Aber gut, schlafen kann ich dann in Deutschland. Es gibt noch mehr zu berichten aber es ist schon 1 Uhr und in 5 Stunden klingelt mein Wecker. Da ich nach der Atacke in meinem Zimmer schlafe, hoffe ich darauf, nicht vorher geweckt zu werden. Um 7 bin ich in der Bäckerei verabredet und durch den ganzen Moskito- und Sonnenschutz brauche ich am Morgen länger, mich fertig zu machen. Gute Nacht und viele Grüße aus Varanasi!

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