Weil Chichi gerne Fotos macht, seine Kamera aber nicht mitnimmt und sein Handy eine unterirdische Kameraqualität aufweist, nimmt er meistens meins. Um das zu erleichtern, habe ich meinen Code zum Entsperren geändert und das Geburtsdatum von Tambdi Mum eingegeben. Das ist auch ihr Passwort, daher dachte ich, kann auch Chichi sich das leicht merken. Trotzdem fragt er mich immer wieder, wie nochmal der Code ist. Auch der Hinweis, dass es das Geburtsdatum seiner Mutter ist, ist nicht all zu zielführend. Die Familie bewundert mich dafür, dass ich an Geburtstage, Muttertage usw. denke und sogar entsprechend was vorbereitet habe (Chichis Geburtstagsgeschenk, die Fotos und Schokolade für Muttertag). Ich habe allein deswegen schon einen Ruf als Organisations- und Gedächtnistalent.
Tambdi Mum fragt mich mittags, wie sie denn die Nudeln, die ich mitgebracht habe, zubereiten kann. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass auch in Indien das die meisten wissen. Ich beschließe daraufhin, dass ich am Abend koche und sie mir (für den Lerneffekt) zusehen darf. Ich schaue ihr öfter beim Kochen zu. Helfen darf ich ja leider nicht, mittlerweile ist es aber immerhin schon in Ordnung, dass ich zusehe. Und den Spieß drehe ich nun rum und lasse sie weder Gemüse waschen, noch schnibbeln, noch sonst was. Sie versucht es zwar immer wieder, aber auch ich kann stur sein und so sage ich ihr jedes mal aufs neue, dass ich bei ihr auch nicht helfen darf und es daher nur fair ist. Sie lacht. Irgendwann ist das Essen fertig, ich habe zu den Nudeln Paprika, Möhren und Rote Beete in Tomatensauce gemacht. Entgegen Tambdi Mums Vorschlag, die gesamte Knoblauchknolle zu verwenden, nutze ich nur 3 Zehen und auch gewürztechnisch halte ich mich stark zurück. Da kommt nichts rein, das wir in Deutschland nicht auch regulär verwenden und so ist außer Salz und Pfeffer nur noch etwas Chilipulver mit dran. Trotzdem schmeckt es allen.
Heute ist Prasens Geburtstag und er kommt nachmittags von seiner Oma mit dem Bus zurück zu uns. Als wir abends nochmal losziehen, um gefiltertes Wasser zu besorgen (als Überbrückung, bis der eigene Wasserfilter wieder repariert ist), nehmen wir spontan noch die Kinder von Chichis Cousin und Cousine ab. Sie haben mehrmals angerufen, dass sie unbedingt kommen wollen und den Geburtstag mitfeiern. Krushi ist etwa 10 und Arno etwa 11 Jahre alt. Sie steigen ohne irgendwas um halb 11 abends bei uns ins Auto und bleiben auch den ganzen nächsten Tag noch bei uns. Wie unkompliziert. Dann dekorieren wir wieder die Bilder der 3 Familienvorbilder, sprechen das „Gebet“, essen Süßigkeiten (diesmal wird mir kein Teller Zucker angeboten. Schade) und singen zusammen.
Tambdi Mum ist in meinen Augen ein wenig wie Aschenbeödel. Sie ist eine Freundin vieler Tiere. Zum einen haben da die Vögel in der Wohnzimmerlampe genistet. Dann gibt es die Kuh, die vormittags und manchmal auch nachmittags vorbeikommt, am Tor steht und laut muht. Dann geht Tambdi mum raus und füttert ihr die Bioabfälle des Vortages. Und dann gibt es da noch Mau, die Nachbarskatze. Sie gehört den Nachbarn, die etwa einen halben km entfernt wohnt. Gegen 12 Uhr am Abend kommt sie lautstark ins Haus und ruft nach Essen. Sie bekommt dann ein Stück Chapati und ein wenig Milch. Außerdem gibt es draußen noch eine Vogeltränke.
Mittags sind wir wieder aufbruchbereit und machen uns auf den Weg in den Wald. Unsere Mission: Bambus fällen. Ich hatte ein paar Leute mit Bambus vorbei laufen sehen und da wir noch eine Hütte bauen wollen, schlage ich vor, hier nach Bambus zu suchen. Das Land gehört eh der Familie. Gesagt, getan. Mit 3 Flaschen Wasser, einer Machete und Prasen und den 2 Kids im Schlepptau machen wir uns auf den Weg. Wir werden fündig und suchen den perfekten Stamm aus. Dann zeigen mir Chichi und Prasen, wie ich den mit der Machete fälle und die 2 kleinen schauen uns vom Schatten aus zu. Garnicht mal so einfach, aber ich bekomme es hin! Den ersten mit Hilfe, den zweiten alleine und den dritten fällen dann Chichi und Prasen. Die 3 Kinder gehen dann zurück ins Haus, es ist ihnen zu heiß. Als sie ankommen, muss sich Arno wohl auch übergeben. Vielleicht hätten wir sie doch nicht mitnehmen sollen.
Am Nachmittag fährt Prasen mit dem Bus zum Onkel und Prachit bringt die beiden kleinen zurück nach Hause. Ich nutze die Zeit für einen Mittagsschlaf. Dann fahren wir nochmal in einen anderen Wald, finden hier jedoch nur größere Bäume, für die die Machete zu klein ist. Chichi schlägt vor, morgen früh wiederzukommen und den Onkel um Hilfe zu bitten. Da wir quasi nie vor dem Frühstück gegen 12 aus dem Haus kommen, zweifel ich an der Umsetzung. Aber aktuell ist es mir auch zu viel, daher beschließen wir, wieder an den Bach zu fahren. Letztes mal, als wir hier waren, gab es ein Buschfeuer und der entsprechende Teil ist schwarz am Boden. Am Bach ist es aber so idyllisch, wie sonst. Man hört nur die Vögel zwitschern und Grillen, dazu das Plätschern des Bachs. Herrlich! Das Wasser ist sogar etwas kälter und hat nicht Körpertemperatur, sondern fühlt sich tatsächlich etwas kühler an. Mit der Dämmerung fliegen Fledermäuse und Vögel über unseren Köpfen. Dann packen wir es wieder. Auf dem Rückweg finden wir eine kleine Schlange in einem anderen Bereich des Bachs. Dabei fällt mir ein, dass einmal, als wir mut Prasen hier waren und es angefangen hat zu regnen, 2 m von uns entfernt eine Schlange vorbeigeschwommen ist. Und schon war ich draußen aus dem Wasser. Sie meinten zwar, dass die nicht giftig ist und sie war auch nur etwa 1 m lang, aber so nah brauche ich die trotzdem nicht an mir dran. Ich bin froh, dass ich das offensichtlich verdrängt hatte, denn sonst wäre ich vorher nicht so entspannt im Bach gesessen und hätte den Vögeln zugehört. Manchmal macht das menschliche Hirn seine Sache schon auch ganz gut.
Eventuell habe ich in den ersten Tagen mal zu Chichi gesagt, dass ich mich wie im Käfig fühle, da ich das Grundstück nicht alleine verlassen soll und Chichi noch ein paar Dinge klären muss, weshalb er ab und an kurz weg ist. Ich weiß nicht, was geplant ist oder was passiert, möchte gerne raus, in die Natur und das nervt mich. Das ist schon lange nicht mehr so, da wir mittlerweile viel unternehmen und ich Chichi davon überzeugen konnte, seine Eltern zu überreden, mich allein spazieren gehen zu lassen. Für sie wäre es das schlimmste, wenn mit was passiert und sie sehen besonders Gefahren in den Tieren (Skorpione, Schlangen, Leoparden, Wildschweine) und den „einfachen, ungebildeten“ (Zitat Tambdi Dad) Leuten hier auf dem Land. Wir sind viel in der Natur und auch, dass ich mit Chichi zusammen im Jungle bin, ist ihnen nicht ganz so recht. Da beteuert er aber, dass er allein die volle Verantwortung übernimmt. Finde ich in Anbetracht meines kulturellen Hintergrundes (Erziehung zur Selbstständigkeit) etwas drastisch aber ok. Wenn wir im Bach baden, im Jungle auf Bäume klettern oder andere spannende Sachen machen, werde ich immer mal wieder lachend gefragt, ob ich mich immer noch wie im Käfig fühle. Das hab ich wohl verdient 🙂
Chichi muss am Abend geschäftlich jemanden in der Stadt treffen, weshalb er seine Eltern instruiert, mich alles machen zu lassen, worauf ich Lust habe. Noch so ein Relikt aus der Käfigsache. Direkt nachdem er gefahren ist, bittet mich der Vater, mich zu ihm auf die Terrasse zu setzen und ein wenig zu quatschen. Wir sind die letzen 2 Tage immerhin kaum zum Reden gekommen. Aber gerne doch! Wir fangen an zu reden und ziemlich schnell zieht unsere Konversation auf den Google Übersetzer um. Was wie erwähnt mit einfacher Sprache relativ gut klappt. Aber einfache Sprache ist nicht unbedingt ein Steckenpferd von Tambdi Dad. Und während ich sonst in den Konversationen sehr viel raten und erahnen musste, wie die 3 Wörter, die ich verstanden habe mit den Gestiken zusammen passen und einen Sinn ergeben, so tue ich nun das gleiche mit den Übersetzungen, nur fehlen da die Gestiken und ich muss filtern, welche der Wörter ich zusammenreimen muss und welche völlig falsch sind. Bringt es mir viel? Ich denke nicht. Nutzen wir es dennoch? Unbedingt! Ich tue mich auf jeden Fall deutlich leichter, selbst von Deutschland, Europa und unseren Kulturen zu erzählen. Besonders angetan ist er von deutschen Hochzeiten. Dass man hierfür kein Vermögen ausgibt (im Verhältnis zu indischn Hochzeiten, bei denen Eltern ihr Leben lang für die Hochzeit der Kinder sparen), Kredite aufnimmt, Goldschmuck en masse für Braut und Bräutigam kauft, 100e bis 1000e Gäste einlädt. Ich habe von der standesamtlichen und kirchlichen Hochzeit berichtet, dass es in deutlich kleinerem Rahmen stattfindet, als hier und sein Fazit lautet „German style marriage very like!“ 🙂 Und nicht nur die Art unserer Hochzeiten findet er super, auch dass wir in der Erziehung mehr Wert darauf legen, die Kinder zur Selbstständigkeit und Unabhängigkeit großzuziehen. Das entspricht so ziemlich dem Gegenteil dessen, was ich hier mitbekomme. Außerdem findet Tambdi Dad, dass wir Deutsche sehr diszipliniert sind und das wünscht er sich auch für seine Landsleute. Hierin sieht er die Wurzel der Probleme Indiens. Er scheint ein richtiger Fan Deutschlands zu werden. Und da muss ich dann doch eingreifen, so toll läuft bei uns ja doch auch nicht alles. Ich erzähle, dass wir sehr ich-bezogen sind, uns auf unsere (kleinen) Familien konzentrieren und bei weitem nicht so für einander da sind, wie es die meisten Inder sind. Wir leben in Deutschland meiner Meinung nach wenig in sozialen Netzen, sondern hauptsächlich doch allein. Und das führt mit zu Einsamkeit. Wir kümmern uns weniger um ältere Menschen und besonders pflegen wir unsere Angehörigen selten selbst. Dafür gibt es Heime und Pflegedienste. Das schockiert Tambdi Dad dann doch. Er telefoniert täglich mehrere Stunden, wird besucht, fährt andere besuchen, unterhält sich mit seinen Kindern und aktuell viel mit mir. Wir einigen uns darauf, dass wir Deutsche uns was in Sachen Familie und füreinander da sein von Indien abschauen können und Indien sich dafür eine Scheibe Disziplin bei uns abschneiden kann. Dann reden wir über meine Hobbys. Ich habe als Kind viel geturnt und habe die Tage seit langem mal wieder Habdstände gemacht und Räder geschlagen. Sehr zur Freude der Kinder, die hier zu Besuch waren. Meine Adoptiveltern fanden es auch klasse. Ich glaube, man ist es hier nicht gewohnt, eine Frau zu sehen, die Sport macht (abseits der körperlichen Arbeit im Haushalt und auf Feldern natürlich). Außerdem habe ich hier viel vorgesungen, weil ich einfach super gerne singe und sie mich darum gebeten haben. Tambdi Dad war besonders überrascht, dass zum einen „englische“ Musik auch schön sein kann (er bevorzugt traditionelle Musik der Region) und zum anderen, dass ich eine recht kräftige Stimme habe. Das klingt anders als bei seiner Frau und dem Großneffe (? Prasen). Er ist begeistert und sei nun ein Fan von mir. „Very like!“ Ich bin gerührt.
Irgendwann unterbricht uns die Mutter und fragt, ob wir Abend essen wollen. Es ist halb 12 und ja, ich habe schon Hunger. Er gibt ihr zu verstehen, dass wir noch 2 min brauchen und dann kommen. Wir brauchen eher 10 min und sie bittet uns nochmal rein. Dann essen wir und es geht direkt weiter. Chichis Bruder kommt nach Hause und wir unterhalten uns zu dritt, allerdings nicht gemeinsam sondern ich mich jeweils mit beiden. Es überfodert mich, 2 Kontexte und Konversationen auf diese Art um 1 Uhr nachtsim Gedächtnis zu b zu halten. Es findet sich aber auch kein geeigneter Zeitpunkt, an dem ich mich zum Schlafen verabschieden kann. Und so sage ich irgendwann zum meisten nur noch ja, versuche meine Augen offen zu halten, bis endlich eine winzige Pause entsteht und ich verkünde, schlafen zu gehen. Es ist nach 1 und ich bin kaputt. Ab aufs Dach!
Mittwoch Abend. Tambdi Dad erklärt mir wieder mal, dass wir morgen die Mangos holen sollten. Und dass wir hierfür früh los sollten. Seiner Meinung nach sollten wir um 9 aufbrechen, damit wir dann die Mangoernte beobachten und kontrollieren können, bevor die Mittagshitze einsetzt. Ich lache und sage, dass wir dann bestimmt gegen 14 Uhr aufbrechen. Er beharrt aber darauf, dass wir früh fahren. Ok. Als kompetente Deutsche werde ich zum Weckdienst berufen. Ich bin gespannt. Die Mutter sagt nämlich so schon, dass sie denkt, es reiche auch, wenn wir gegen 10/11 Uhr losfahren. Keine gute Voraussetzung für eine pünktliche Abfahrt, wie ich finde.
Es ist Donnerstag und somit Zeit, um meine Mangos abzuholen! Der Wecker klingelt seit 7 Uhr regelmäßig, sehr zum Leid von uns 4 im Wohnzimmer. Tambdi Dad ist schon auf, er geht aber auch deutlich früher schlafen. Chichi, Tambdi Mum und ich haben uns um 3 schlafen gelegt und der Bruder sogar noch später. Ich bin müde. Aber ich habe eine Mission und so stehe ich gegen halb 8 auf und räume mein Bettzeug weg. Die Mutter deutet mir zwar, mich wieder schlafen zu legen, aber ich habe einen Plan und den ziehe ich zumindest von meiner Seite aus durch. Die Klappe der Kiste des Bettzeugs klemmt, so schlage ich sie stärker zu, was wiederum die anderen weckt. Das hat ja schonmal besser funktioniert, als erwartet. Glücklicherweise steht nun auch Tambdi Mum auf. Da sie noch Frühstück vorbereitet, gebe ich Chichi noch eine halbe Stunde, bis ich ihn wecke. Tambdi Dad sitzt derweil auf seinem Stuhl im Wohnzimmer und schaut sehr zufrieden mit meiner Umsetzung unseres Plans aus. Das war einfacher, als erwartet aber mir schwahnt schon, dass es noch dauert, bis wir wirklich aufbrechen. Ich habe derweil geduscht, meinen Rucksack gepackt und sitze abfahrbereit im Wohnzimmer. Es ist kurz nach 8.
Zeitsprung.
Es ist 11:17 und Tambdi Dad merkt an, dass ich aufgegeben habe, denn ich lege mich im Wohnzimmer wieder hin. Chichi ist damit beschäftigt, eine Wurzel so lange mit Wasser auf Stein zu reiben, bis eine Paste daraus entsteht, die Tambdi Dad als Medizin nimmt. Ich habe derweil Freunden in Deutschland geschrieben, Sprachnachrichten aufgenommen und mit Priyanka aus Varanasi telefoniert. Gerade, als ich mich hinlege, rät mir Tambdi Dad, ich solle mich doch in deinem Zimmer zu einem Mittagsschlaf hinlegen. Da ist es kühler. Ja gut, Tambdi Mum hat gerade das Frühstück serviert und anschließend lege ich mich zum Schlafen hin. Gegen 13 Uhr wecken sie mich. Jetzt gehe es bald los. Ich frage mich etwas, wofür ich heute früh eigentlich aufgestanden bin und alle geweckt habe. Ich bin ziemlich müde. Sie lachen mich aus, weil man mir das gut ansehe. Tambdi Mum trägt bereits ihren Saree (wird nur getragen, wenn das Haus verlassen wird und nicht zur Hausarbeit), das halte ich für ein gutes Zeichen.
Es ist 13:49 Uhr und tatsächlich fahren wir los! Kaum zu glauben, aber mit nur knappen 5 h Verspätung brechen wir entgültig auf. Diesen historischen Moment halte ich natürlich fest:
Nach etwa 2 km laufen am Straßenrand Verwandte und wir halten an, um mit ihnen zu quatschen. Kurz darauf fahren wir weiter und sie rufen uns hinterher. Wir haben einen Platten. Gut, also etwa 30 m weiter fahren und in die Einfahrt von anderen Verwandten fahren. Wir steigen aus und Chichi will den Reifen wechseln. Dann fängt es aber richtig an zu schütten, kurzfristig auch mit Hagel. Die Regenzeit setzt langsam ein. Wir warten also mit der Tante drinnen, bis es aufgehört. Um 3 fahren wir dann mit gewechseltem Reifen weiter. Allerdings nur bis in Stadt, hier halten wir auf einem Parkplatz und warten mal wieder. Ein Onkel kommt und wir tauschen Autos. In einem SUV von Renault geht es dann schließlich wirklich richtig los. Bis wir ankommen, ist es bereits 5 Uhr.