„Very like!“ – Ein neuer Fan

Weil Chichi gerne Fotos macht, seine Kamera aber nicht mitnimmt und sein Handy eine unterirdische Kameraqualität aufweist, nimmt er meistens meins. Um das zu erleichtern, habe ich meinen Code zum Entsperren geändert und das Geburtsdatum von Tambdi Mum eingegeben. Das ist auch ihr Passwort, daher dachte ich, kann auch Chichi sich das leicht merken. Trotzdem fragt er mich immer wieder, wie nochmal der Code ist. Auch der Hinweis, dass es das Geburtsdatum seiner Mutter ist, ist nicht all zu zielführend. Die Familie bewundert mich dafür, dass ich an Geburtstage, Muttertage usw. denke und sogar entsprechend was vorbereitet habe (Chichis Geburtstagsgeschenk, die Fotos und Schokolade für Muttertag). Ich habe allein deswegen schon einen Ruf als Organisations- und Gedächtnistalent.

Tambdi Mum fragt mich mittags, wie sie denn die Nudeln, die ich mitgebracht habe, zubereiten kann. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass auch in Indien das die meisten wissen. Ich beschließe daraufhin, dass ich am Abend koche und sie mir (für den Lerneffekt) zusehen darf. Ich schaue ihr öfter beim Kochen zu. Helfen darf ich ja leider nicht, mittlerweile ist es aber immerhin schon in Ordnung, dass ich zusehe. Und den Spieß drehe ich nun rum und lasse sie weder Gemüse waschen, noch schnibbeln, noch sonst was. Sie versucht es zwar immer wieder, aber auch ich kann stur sein und so sage ich ihr jedes mal aufs neue, dass ich bei ihr auch nicht helfen darf und es daher nur fair ist. Sie lacht. Irgendwann ist das Essen fertig, ich habe zu den Nudeln Paprika, Möhren und Rote Beete in Tomatensauce gemacht. Entgegen Tambdi Mums Vorschlag, die gesamte Knoblauchknolle zu verwenden, nutze ich nur 3 Zehen und auch gewürztechnisch halte ich mich stark zurück. Da kommt nichts rein, das wir in Deutschland nicht auch regulär verwenden und so ist außer Salz und Pfeffer nur noch etwas Chilipulver mit dran. Trotzdem schmeckt es allen.

Heute ist Prasens Geburtstag und er kommt nachmittags von seiner Oma mit dem Bus zurück zu uns. Als wir abends nochmal losziehen, um gefiltertes Wasser zu besorgen (als Überbrückung, bis der eigene Wasserfilter wieder repariert ist), nehmen wir spontan noch die Kinder von Chichis Cousin und Cousine ab. Sie haben mehrmals angerufen, dass sie unbedingt kommen wollen und den Geburtstag mitfeiern. Krushi ist etwa 10 und Arno etwa 11 Jahre alt. Sie steigen ohne irgendwas um halb 11 abends bei uns ins Auto und bleiben auch den ganzen nächsten Tag noch bei uns. Wie unkompliziert. Dann dekorieren wir wieder die Bilder der 3 Familienvorbilder, sprechen das „Gebet“, essen Süßigkeiten (diesmal wird mir kein Teller Zucker angeboten. Schade) und singen zusammen.

Tambdi Mum ist in meinen Augen ein wenig wie Aschenbeödel. Sie ist eine Freundin vieler Tiere. Zum einen haben da die Vögel in der Wohnzimmerlampe genistet. Dann gibt es die Kuh, die vormittags und manchmal auch nachmittags vorbeikommt, am Tor steht und laut muht. Dann geht Tambdi mum raus und füttert ihr die Bioabfälle des Vortages. Und dann gibt es da noch Mau, die Nachbarskatze. Sie gehört den Nachbarn, die etwa einen halben km entfernt wohnt. Gegen 12 Uhr am Abend kommt sie lautstark ins Haus und ruft nach Essen. Sie bekommt dann ein Stück Chapati und ein wenig Milch. Außerdem gibt es draußen noch eine Vogeltränke.

Mittags sind wir wieder aufbruchbereit und machen uns auf den Weg in den Wald. Unsere Mission: Bambus fällen. Ich hatte ein paar Leute mit Bambus vorbei laufen sehen und da wir noch eine Hütte bauen wollen, schlage ich vor, hier nach Bambus zu suchen. Das Land gehört eh der Familie. Gesagt, getan. Mit 3 Flaschen Wasser, einer Machete und Prasen und den 2 Kids im Schlepptau machen wir uns auf den Weg. Wir werden fündig und suchen den perfekten Stamm aus. Dann zeigen mir Chichi und Prasen, wie ich den mit der Machete fälle und die 2 kleinen schauen uns vom Schatten aus zu. Garnicht mal so einfach, aber ich bekomme es hin! Den ersten mit Hilfe, den zweiten alleine und den dritten fällen dann Chichi und Prasen. Die 3 Kinder gehen dann zurück ins Haus, es ist ihnen zu heiß. Als sie ankommen, muss sich Arno wohl auch übergeben. Vielleicht hätten wir sie doch nicht mitnehmen sollen.

Am Nachmittag fährt Prasen mit dem Bus zum Onkel und Prachit bringt die beiden kleinen zurück nach Hause. Ich nutze die Zeit für einen Mittagsschlaf. Dann fahren wir nochmal in einen anderen Wald, finden hier jedoch nur größere Bäume, für die die Machete zu klein ist. Chichi schlägt vor, morgen früh wiederzukommen und den Onkel um Hilfe zu bitten. Da wir quasi nie vor dem Frühstück gegen 12 aus dem Haus kommen, zweifel ich an der Umsetzung. Aber aktuell ist es mir auch zu viel, daher beschließen wir, wieder an den Bach zu fahren. Letztes mal, als wir hier waren, gab es ein Buschfeuer und der entsprechende Teil ist schwarz am Boden. Am Bach ist es aber so idyllisch, wie sonst. Man hört nur die Vögel zwitschern und Grillen, dazu das Plätschern des Bachs. Herrlich! Das Wasser ist sogar etwas kälter und hat nicht Körpertemperatur, sondern fühlt sich tatsächlich etwas kühler an. Mit der Dämmerung fliegen Fledermäuse und Vögel über unseren Köpfen. Dann packen wir es wieder. Auf dem Rückweg finden wir eine kleine Schlange in einem anderen Bereich des Bachs. Dabei fällt mir ein, dass einmal, als wir mut Prasen hier waren und es angefangen hat zu regnen, 2 m von uns entfernt eine Schlange vorbeigeschwommen ist. Und schon war ich draußen aus dem Wasser. Sie meinten zwar, dass die nicht giftig ist und sie war auch nur etwa 1 m lang, aber so nah brauche ich die trotzdem nicht an mir dran. Ich bin froh, dass ich das offensichtlich verdrängt hatte, denn sonst wäre ich vorher nicht so entspannt im Bach gesessen und hätte den Vögeln zugehört. Manchmal macht das menschliche Hirn seine Sache schon auch ganz gut.

Eventuell habe ich in den ersten Tagen mal zu Chichi gesagt, dass ich mich wie im Käfig fühle, da ich das Grundstück nicht alleine verlassen soll und Chichi noch ein paar Dinge klären muss, weshalb er ab und an kurz weg ist. Ich weiß nicht, was geplant ist oder was passiert, möchte gerne raus, in die Natur und das nervt mich. Das ist schon lange nicht mehr so, da wir mittlerweile viel unternehmen und ich Chichi davon überzeugen konnte, seine Eltern zu überreden, mich allein spazieren gehen zu lassen. Für sie wäre es das schlimmste, wenn mit was passiert und sie sehen besonders Gefahren in den Tieren (Skorpione, Schlangen, Leoparden, Wildschweine) und den „einfachen, ungebildeten“ (Zitat Tambdi Dad) Leuten hier auf dem Land. Wir sind viel in der Natur und auch, dass ich mit Chichi zusammen im Jungle bin, ist ihnen nicht ganz so recht. Da beteuert er aber, dass er allein die volle Verantwortung übernimmt. Finde ich in Anbetracht meines kulturellen Hintergrundes (Erziehung zur Selbstständigkeit) etwas drastisch aber ok. Wenn wir im Bach baden, im Jungle auf Bäume klettern oder andere spannende Sachen machen, werde ich immer mal wieder lachend gefragt, ob ich mich immer noch wie im Käfig fühle. Das hab ich wohl verdient 🙂

Chichi muss am Abend geschäftlich jemanden in der Stadt treffen, weshalb er seine Eltern instruiert, mich alles machen zu lassen, worauf ich Lust habe. Noch so ein Relikt aus der Käfigsache. Direkt nachdem er gefahren ist, bittet mich der Vater, mich zu ihm auf die Terrasse zu setzen und ein wenig zu quatschen. Wir sind die letzen 2 Tage immerhin kaum zum Reden gekommen. Aber gerne doch! Wir fangen an zu reden und ziemlich schnell zieht unsere Konversation auf den Google Übersetzer um. Was wie erwähnt mit einfacher Sprache relativ gut klappt. Aber einfache Sprache ist nicht unbedingt ein Steckenpferd von Tambdi Dad. Und während ich sonst in den Konversationen sehr viel raten und erahnen musste, wie die 3 Wörter, die ich verstanden habe mit den Gestiken zusammen passen und einen Sinn ergeben, so tue ich nun das gleiche mit den Übersetzungen, nur fehlen da die Gestiken und ich muss filtern, welche der Wörter ich zusammenreimen muss und welche völlig falsch sind. Bringt es mir viel? Ich denke nicht. Nutzen wir es dennoch? Unbedingt! Ich tue mich auf jeden Fall deutlich leichter, selbst von Deutschland, Europa und unseren Kulturen zu erzählen. Besonders angetan ist er von deutschen Hochzeiten. Dass man hierfür kein Vermögen ausgibt (im Verhältnis zu indischn Hochzeiten, bei denen Eltern ihr Leben lang für die Hochzeit der Kinder sparen), Kredite aufnimmt, Goldschmuck en masse für Braut und Bräutigam kauft, 100e bis 1000e Gäste einlädt. Ich habe von der standesamtlichen und kirchlichen Hochzeit berichtet, dass es in deutlich kleinerem Rahmen stattfindet, als hier und sein Fazit lautet „German style marriage very like!“ 🙂 Und nicht nur die Art unserer Hochzeiten findet er super, auch dass wir in der Erziehung mehr Wert darauf legen, die Kinder zur Selbstständigkeit und Unabhängigkeit großzuziehen. Das entspricht so ziemlich dem Gegenteil dessen, was ich hier mitbekomme. Außerdem findet Tambdi Dad, dass wir Deutsche sehr diszipliniert sind und das wünscht er sich auch für seine Landsleute. Hierin sieht er die Wurzel der Probleme Indiens. Er scheint ein richtiger Fan Deutschlands zu werden. Und da muss ich dann doch eingreifen, so toll läuft bei uns ja doch auch nicht alles. Ich erzähle, dass wir sehr ich-bezogen sind, uns auf unsere (kleinen) Familien konzentrieren und bei weitem nicht so für einander da sind, wie es die meisten Inder sind. Wir leben in Deutschland meiner Meinung nach wenig in sozialen Netzen, sondern hauptsächlich doch allein. Und das führt mit zu Einsamkeit. Wir kümmern uns weniger um ältere Menschen und besonders pflegen wir unsere Angehörigen selten selbst. Dafür gibt es Heime und Pflegedienste. Das schockiert Tambdi Dad dann doch. Er telefoniert täglich mehrere Stunden, wird besucht, fährt andere besuchen, unterhält sich mit seinen Kindern und aktuell viel mit mir. Wir einigen uns darauf, dass wir Deutsche uns was in Sachen Familie und füreinander da sein von Indien abschauen können und Indien sich dafür eine Scheibe Disziplin bei uns abschneiden kann. Dann reden wir über meine Hobbys. Ich habe als Kind viel geturnt und habe die Tage seit langem mal wieder Habdstände gemacht und Räder geschlagen. Sehr zur Freude der Kinder, die hier zu Besuch waren. Meine Adoptiveltern fanden es auch klasse. Ich glaube, man ist es hier nicht gewohnt, eine Frau zu sehen, die Sport macht (abseits der körperlichen Arbeit im Haushalt und auf Feldern natürlich). Außerdem habe ich hier viel vorgesungen, weil ich einfach super gerne singe und sie mich darum gebeten haben. Tambdi Dad war besonders überrascht, dass zum einen „englische“ Musik auch schön sein kann (er bevorzugt traditionelle Musik der Region) und zum anderen, dass ich eine recht kräftige Stimme habe. Das klingt anders als bei seiner Frau und dem Großneffe (? Prasen). Er ist begeistert und sei nun ein Fan von mir. „Very like!“ Ich bin gerührt.

Irgendwann unterbricht uns die Mutter und fragt, ob wir Abend essen wollen. Es ist halb 12 und ja, ich habe schon Hunger. Er gibt ihr zu verstehen, dass wir noch 2 min brauchen und dann kommen. Wir brauchen eher 10 min und sie bittet uns nochmal rein. Dann essen wir und es geht direkt weiter. Chichis Bruder kommt nach Hause und wir unterhalten uns zu dritt, allerdings nicht gemeinsam sondern ich mich jeweils mit beiden. Es überfodert mich, 2 Kontexte und Konversationen auf diese Art um 1 Uhr nachtsim Gedächtnis zu b zu halten. Es findet sich aber auch kein geeigneter Zeitpunkt, an dem ich mich zum Schlafen verabschieden kann. Und so sage ich irgendwann zum meisten nur noch ja, versuche meine Augen offen zu halten, bis endlich eine winzige Pause entsteht und ich verkünde, schlafen zu gehen. Es ist nach 1 und ich bin kaputt. Ab aufs Dach!

Mittwoch Abend. Tambdi Dad erklärt mir wieder mal, dass wir morgen die Mangos holen sollten. Und dass wir hierfür früh los sollten. Seiner Meinung nach sollten wir um 9 aufbrechen, damit wir dann die Mangoernte beobachten und kontrollieren können, bevor die Mittagshitze einsetzt. Ich lache und sage, dass wir dann bestimmt gegen 14 Uhr aufbrechen. Er beharrt aber darauf, dass wir früh fahren. Ok. Als kompetente Deutsche werde ich zum Weckdienst berufen. Ich bin gespannt. Die Mutter sagt nämlich so schon, dass sie denkt, es reiche auch, wenn wir gegen 10/11 Uhr losfahren. Keine gute Voraussetzung für eine pünktliche Abfahrt, wie ich finde.

Es ist Donnerstag und somit Zeit, um meine Mangos abzuholen! Der Wecker klingelt seit 7 Uhr regelmäßig, sehr zum Leid von uns 4 im Wohnzimmer. Tambdi Dad ist schon auf, er geht aber auch deutlich früher schlafen. Chichi, Tambdi Mum und ich haben uns um 3 schlafen gelegt und der Bruder sogar noch später. Ich bin müde. Aber ich habe eine Mission und so stehe ich gegen halb 8 auf und räume mein Bettzeug weg. Die Mutter deutet mir zwar, mich wieder schlafen zu legen, aber ich habe einen Plan und den ziehe ich zumindest von meiner Seite aus durch. Die Klappe der Kiste des Bettzeugs klemmt, so schlage ich sie stärker zu, was wiederum die anderen weckt. Das hat ja schonmal besser funktioniert, als erwartet. Glücklicherweise steht nun auch Tambdi Mum auf. Da sie noch Frühstück vorbereitet, gebe ich Chichi noch eine halbe Stunde, bis ich ihn wecke. Tambdi Dad sitzt derweil auf seinem Stuhl im Wohnzimmer und schaut sehr zufrieden mit meiner Umsetzung unseres Plans aus. Das war einfacher, als erwartet aber mir schwahnt schon, dass es noch dauert, bis wir wirklich aufbrechen. Ich habe derweil geduscht, meinen Rucksack gepackt und sitze abfahrbereit im Wohnzimmer. Es ist kurz nach 8.

Zeitsprung.

Es ist 11:17 und Tambdi Dad merkt an, dass ich aufgegeben habe, denn ich lege mich im Wohnzimmer wieder hin. Chichi ist damit beschäftigt, eine Wurzel so lange mit Wasser auf Stein zu reiben, bis eine Paste daraus entsteht, die Tambdi Dad als Medizin nimmt. Ich habe derweil Freunden in Deutschland geschrieben, Sprachnachrichten aufgenommen und mit Priyanka aus Varanasi telefoniert. Gerade, als ich mich hinlege, rät mir Tambdi Dad, ich solle mich doch in deinem Zimmer zu einem Mittagsschlaf hinlegen. Da ist es kühler. Ja gut, Tambdi Mum hat gerade das Frühstück serviert und anschließend lege ich mich zum Schlafen hin. Gegen 13 Uhr wecken sie mich. Jetzt gehe es bald los. Ich frage mich etwas, wofür ich heute früh eigentlich aufgestanden bin und alle geweckt habe. Ich bin ziemlich müde. Sie lachen mich aus, weil man mir das gut ansehe. Tambdi Mum trägt bereits ihren Saree (wird nur getragen, wenn das Haus verlassen wird und nicht zur Hausarbeit), das halte ich für ein gutes Zeichen.

Es ist 13:49 Uhr und tatsächlich fahren wir los! Kaum zu glauben, aber mit nur knappen 5 h Verspätung brechen wir entgültig auf. Diesen historischen Moment halte ich natürlich fest:

Nach etwa 2 km laufen am Straßenrand Verwandte und wir halten an, um mit ihnen zu quatschen. Kurz darauf fahren wir weiter und sie rufen uns hinterher. Wir haben einen Platten. Gut, also etwa 30 m weiter fahren und in die Einfahrt von anderen Verwandten fahren. Wir steigen aus und Chichi will den Reifen wechseln. Dann fängt es aber richtig an zu schütten, kurzfristig auch mit Hagel. Die Regenzeit setzt langsam ein. Wir warten also mit der Tante drinnen, bis es aufgehört. Um 3 fahren wir dann mit gewechseltem Reifen weiter. Allerdings nur bis in Stadt, hier halten wir auf einem Parkplatz und warten mal wieder. Ein Onkel kommt und wir tauschen Autos. In einem SUV von Renault geht es dann schließlich wirklich richtig los. Bis wir ankommen, ist es bereits 5 Uhr.

Planing, planing, planing

Auf mich wird nicht nur richtig gut aufgepasst, sondern auch so werde ich wunderbar umsorgt. Was in kleinen Dingen anfängt, wie dem Hände waschen. Die Oma hat mir jedes mal aufs neue gezeigt, wo die Seife ist (steht direkt am Waschbeckenrand, also praktisch versteckt). Dann hat sie mir auch zur Sicherheit noch gezeigt, wo ich mein Handtuch aufgehängt hatte. Dabei schaut sie so lieb aus, dass ich das nicht zu viel, sondern schnuckelig finde. Auch in der zweiten Nacht deckt sie mich zu.

Am nächsten Tag brechen Chichi und ich auf und fahren weiter zu anderen Verwandten. Zwischendurch ruft Tambdi Dad an (er redet wirklich sehr gerne) und nachdem er reihum mit einigen Familienmitgliedern gesprochen hat, möchte er auch mich sprechen. Ich wunder mich aufgrund der hohen Sprachbarriere, freue mich aber auch sehr. Und dann möchte er von mir wissen, ob es mir gut gehe, ob ich mich wohl fühle, ob ich in Ordnung sei. Hachz. Aber natürlich. Nein, ich brauche nichts, nein, Chichi muss mich nicht zurück fahren, es ist alles gut. Langweilen tue ich mich schon garnicht. Dann möchte er noch den Stand der Mangosuche bestätigt haben. Ich habe nämlich erzählt, dass ich Mangisos mit nach Deutschland nehmen möchte und ein Fest plane, bei dem meine Freunde indische Mangos probieren können. Und da habe ich mittlerweile ein richtig schlechtes Gewissen. Anfangs hatte ich ja mal den Eindruck, dass das völlig vergessen war, bis der riesige Karton im Elektroladen besorgt wurde. Und jetzt sucht die gesamte Verwandschaft für mich nach den perfekten Mangos. Ich habe ihnen zwar gesagt, dass wir in Deutschland keine guten Mangos kennen und wir daher jede indische Mango super finden werden. Und da man an jeder Ecke welche kaufen kann, hätte ich einfach irgendwo welche besorgt. Aber nicht mit meiner Adoptivfamilie. Es werden nur die besten mitgegeben. Selbst der Nachbar des Bruders der Mutter hat von mir wissen wollen, wann ich zurück nach Deutschland fliege, um zurückzurechnen, wann die Mangos geerntet werden müssen. Wir haben uns letztendlich für seine Mangos entschieden, da sie den Ruf haben, die besten der Region zu sein und außerdem unbehandelt sind. Ich bin komplett begeistert. Tambdi Dad kann ich am Telefon daher berichten, dass wir welche gefunden haben, die am 17.5. holen werden und dass sie unbehandelt sind. Er wirkt zufrieden.

In einem anderen Gespräch betont er, wie wichtig es ist, dass wir meine Rückreise gut planen. Er wiederholt oft, wann mein Flug geht, wann ich in Mumbai zum Flughafen aufbrechen muss, wann ich nach Mumbai fahren soll. Wie viel kg Gepäck ich mitnehmen darf. Außerdem bedauert er, dass er aktuell nicht so fit ist, denn sonst wäre er gerne mitgekommen beim Verwandschaftshopping. Ich mag ihn sehr. Chichi hat erzählt, dass sie alle dachten, sie hätten letztes mal als Gastgeber verkackt und würden mich nicht wieder sehen. Und dass Tambdi Dad besonders froh ist, dass ich doch wieder hier bin und dass es ihm sichtbar ein wenig besser gehe.

Im Dorf der anderen Verwandschaft werden wir ständig besucht. Es kommen Kinder und ältere Leute, um zu sehen, wer da gekommen ist. Die meisten laden mich zum Essen zu sich ein. Ich müsste dann allerdings noch ein paar Tage bleiben, um all die lieben Angebote annehmen zu können. Und so gehen wir sie zumindest ein paar Häuser weiter besuchen. Dass ich nicht einmal Tee oder Kaltgetränke (alles extrem süß) möchte, sondern einfach nur Wasser trinke, ist für alle eine Enttäuschung. Gerade sind Sommerferien und die Kinder im Ort sind den ganzen Tag draußen und spielen gemeinsam. Ab und an kreuzen sie im Haus einer der Familien auf aber die meiste Zeit rennen sie draußen rum. Solche Sommerferien stelle ich mir richtig schön vor. Einige der Kinder leben mit ihren Eltern in Mumbai und sind in den Ferien bei der Verwandschaft. Ein Mädchen hat im Dorf keine Verwandschaft mehr und ihre Eltern arbeiten in Mumbai, daher pendelt sie hier in den Ferien zwischen mehreren Familien und schläft und isst mal hier und mal dort.

Wir gehen in den Wald und mittlerweile passe auch ich automatisch auf, wo ich hintrete. Es gibt hier wohl ziemlich viele Schlangen und als Deutsche ist es für mich schon ungewohnt, im Wald so genau darauf zu achten, wo man hintritt. Außerdem gibt es aber auch Bäume mit Lianen à la Tarzan und ich klettere auf ein paar von ihnen. Und stelle fest, dass ich völlig vergessen hatte, wie viel Spaß das macht. Muss ich unbedingt mehr in meinen Alltag integrieren. Chichi pflückt uns noch ein paar Beeren, die ich auch noch nie gesehen, geschweige denn gegessen habe. Sie erinnern mich etwas an Johannisbeeren. Es ist einigermaßen windig und somit sogar relativ angenehm. Trotz mehrfachem Eincremen, langer Kleidung und Aufenthalt hauptsächlich im Schatten, habe ich am Abend Sonnenbrand an den Armen. Meine Oberteile haben größtenteils dreiviertel Ärmel und das fehlende Viertel macht sich bemerkbar. Außerdem ist mein Gesicht schon einige Tage etwas rot. Das verstehe ich allerdings wirklich nicht, denn ich verwende ja schon Sonnenschutz mit dem (mir bekannt) höchsten Schutzfaktor und trage meine Tücher in der Sonne so, dass nur ein Schlitz für die Augen übrig bleibt.

Am späten Nachmittag informiert mich Chichi, dass er heute wieder nach Tambdi zurückfahren will. Und fragt mich, ob das passe. Klar passt das. Die Sachen sind schnell gepackt, ich habe eh nur 1x Wechselklamotten dabei und die abgespeckte Version meines Kulturbeitels. An Handtuch und Nachthemd hatte ich nicht gedacht, weshalb mir das jeweils geliehen wurde. Wir brechen auf und legen auch bei der Tante noch einen Zwischenstopp ein. Von ihnen bekomme ich Kokosnüsse, Mangos und frische Cashewkerne (für Tambdi Mum zum Kochen) mit. Dann beteuern sie, dass es ihnen so Leid tue, mir nichts anbieten zu können. Ja, die große Tasche mit Mangos, Kokosnüssen und Cashews finde ich auch fast ein bisschen frech. Schließlich fahren wir mit viel Musik wieder zurück und kommen pünktlich zum Abendessen an.

Chichi hat mittlerweile ziemlich Gefallen daran gefunden, den Leuten zu sagen, dass ich gerne noch mehr Essen hätte (obwohl ich ihm meistens schon was von meinem Reis/Chapati gebe, weil ich es nicht schaffe). Generell ist Kochen im privaten Rahmen Frauensache und dazu gehört auch das Servieren. Sobald die Männer und Kinder gegessen haben, essen die Frauen. Da ich als Gast natürlich nicht am Kochen und Servieren beteiligt bin, bekomme ich das Essen mit Chichi serviert und dabei wird genau beobachtet, wie viel ich wovon esse. Wir bleiben so lange sitzen, bis die Frauen schließlich selber essen und eine merkt an, dass sie ein schlechtes Gewissen habe, weil ich so wenig gegessen habe und sie viel mehr esse. Ich erzähle, dass ich das bei Prasens Oma so krass fand, weil die etwa dreimal so viel gegessen hat, wie ich und das obwohl sie nur halb so groß ist. Auch hier musste ich beim Essen wieder gut aufpassen und versuchen zu verstehen, was gesprochen wird, um direkt eingreifen zu können, als er wieder verkündet, ich hätte noch Hunger. Die Sprachsache ist tatsächlich etwas, das ich unterschätzt und verdrängt hatte. Hindi kann ich mittlerweile schon etwas besser, nur bringt mir das hier kaum was. Nur, wenn mir die Eltern ein paar Wörter auf marathi beibringen, kommt es ab und an vor, dass ich etwas erkenne, weil es ähnlich klingt. Das macht es teils entspannter, weil ich manchmal garnicht erst versuche, zu verstehen, worüber gesprochen wird. Andererseits ist es aber auch anstrengender, weil ich oft eben schon gerne wissen würde, was gesagt wird und viel weniger Wörter zur Verfügung habe, anhand derer ich mir einen Sinn zusammen reimen kann.

Tambdi Dad hat das Planen für sich entdeckt. Jeden Tag zählt er mir die Tage runter, wie lange ich noch hier bin. Fehlt nur, dass er mir ein Stück Schokolade dazu gibt und ich hätte einen wandelnden Adventskalender. Jedes mal aufs neue wiederholt er dann auch, wann ich die Mangos bekomme, wann ich sie einpacke, wann ich einen Tag entspanne, dann nach Mumbai reise, um AUF JEDEN FALL den Flieger zu erwischen. Planing, planing, planing sagt er dann. Und da ihm das vermutlich  ein bisschen zu langweilig ist an Planung, möchte er mittlerweile auch immer von mir wissen, was heute und am nächsten Tag geplant ist. Da sich diese Pläne mit Chichi allerdings stündlich ändern und ich meist auch erst relativ kurzfristig informiert werde, muss ich ihn da enttäuschen. Er möchte meinen Urlplanen und da hat er offensichtlich einen höheren Planungsdrang, als ich. Und so hat er sich einem neuen Projekt angenommen: der Gartengestaltung. Das Grundstück ist ziemlich groß und vor der Terasse am Eingang des Hauses möchte er einen Bereich zum Wenden der Fahrzeuge abgrenzen. Dahinter soll dann eine Bepflanzung vorgenommen werden. Am Abend steckt er mit Chichi ab, wo die Ziegel gelegt werden sollen. Sie fragen mich, was ich von der Flucht halte und ich finde es gut. Der Vater betont, dass ihm meine Meinung wichtig sei, denn er wäre nur ein einfacher Mann und ich eine Ingenieurin. Verrückt. Auf welchen Fluchten man Ziegelsteine zur Gartengestaltung verlegt, habe ich Studium wohl verpasst. Ich beteuer zwar, dass sowas keinesfalls zu meinem Studium oder Beruf gehöre, aber er hält mich dennoch für kompetent. Als ich am nächsten Morgen aufstehe, sind die beiden bereits dabei, den Boden zu lockern und ich helfe mit, die Ziegel einigermaßen entlang der Richtschnur zu verlegen. Tambdi Mum ruft entsetzt, was ich da tue? Ich hätte doch gerade erst geduscht und es ist heiß, warum ich überhaupt da mit mache? Weil ich möchte 🙂

Gegen 12 gibt es dann Frühstück. Kichererbsencurry, meine indische Leibspeise.Da Muttertag ist und offensichtlich niemand anderes aus der Familie daran denkt, möchte ich Tambdi Mum Blumen besorgen. Chichis schlägt vor, nach dem Frühstück loszufahren. Da er bei weitem nicht abfahrbereit wirkt, lege ich mich zum Mittagsschlaf hin. Als ich gegen 2 wieder aufwache, sagt er, wir könnten jetzt los. Bis er dann fertig ist, ist es 3. Indische Zeitangaben.

In der Stadt angekommen finden wir schließlich einen Laden, der Blumenketten (für Götter) und einzelne Rosen verkauft. Ich kaufe eine Rose für einen überteuerten Preis von etwa 25 ct. Zusammen mit etwas Schokolade, die ich aus Deutschland mitgebracht hatte und ausgedruckten Fotos vom letzten Besuch wünsche ich ihr alles Gute zum Muttertag. Tambdi Mum freut sich sehr. Als ich Chichi frage, wo wir denn die Rose aufheben (ich denke an ein Glas als Vasenersatz), schlägt er den Kühlschrank vor. Hmm. Nicht ganz das, woran ich so gedacht hatte.

Am Abend kommt ein Onkel zu Besuch. Tambdi Dad erzählt ihm viel über mich und als sie versuchen, mir Fragen zu stellen, freut er sich sehr über seine neue Entdeckung: den Google Übersetzer. Man spricht rein und bekommt eine Text- sowie Sprachausgabe in der gewünschten Zielsprache. Ich schätze, dass die vielen möglichen Sprachen unterschiedlich weit entwickelt sind in den Übersetzungstools. Marathi kann ich nicht so gut einschätzen, aber oft kommt da nicht so viel sinnvolles raus. Wenn ich es dann Chichi zeige, sagt er allerdings, dass sein Vater sich sehr gehoben ausdrückt und dass sein Satzbau auch nicht ganz hinkommt. Wie auch immer das zusammen geht. Vielleicht liegt es also auch daran. Ich versuche, mich in sehr einfacher Sprache auszudrücken und damit funktioniert es ganz gut. Tambdi Dad geht davon aus, dass wir im Deutschen (und auch in englisch, das wechseln wir immer wieder) einfach nicht so viele Wörter haben. Der Onkel ist jedenfalls völlig beeindruckt von der Möglichkeit, so doch relativ einfach kommunizieren zu können.

Im Himmel auf Erden

Es ist Mittag und aus einem mir etwas unbegreiflichen Grund beschließt Chichi immer dann, dass es ein guter Zeitpunkt zum Aufbrechen ist. Wir fahren in ein nicht weit entferntes Stück Wald, in dem er eine Hütte bauen möchte. Prasen und ich werden zusammen mit einem Nachbarsjungen auf einer Bastmatte geparkt und wir sollen hier warten. Ich schlafe erstmal ein wenig und irgendwann kommt die Sonne so stark durch, dass ich beschließe, nicht weiter warten zu wollen. Prasen und ich brechen daher auf und finden Chichi, der nicht ganz nachvollziehen kann, warum wir nicht einfach weiter warten wollten. Da aber auch ihm heiß ist (es hat um die 40°), beschließen wir, wieder zurück zu fahren.

Wieder haben wir Mittag und somit ist Zeit zum Aufbruch. Chichi, Prasen und ich fahren zu Prasens Oma. Prasen ist glücklicherweise von schlanker Statur, sodass wir gut zu dritt auf ein Motorrad passen, dennoch ist die einstündige Fahrt dann etwas eng. Wir halten kurz an, um uns die Beine zu vertreten und schon winkt Chichi ein Motorrad ran und bittet den Fahrer, Prasen bis zum nächsten Markt (20 min) mitzunehmen. Gesagt, getan. Kurz nachdem Prasen wieder bei uns aufsteigt, halten wir an einem Limonadenstand und trinken Lemon Soda. Das ist Sprudelwasser mit Zitronensaft, etwas Zucker, Salz und einer Menge Gewürze. Dann kommen wir auch schon im Dorf bei der Oma an. Prasen zeigt mir die Gegend, es ist schön. Viel Wald. Wir laufen an einem Cashewbaum vorbei und finden zwei Früchte. Die sehen aus, wie gelbe Paprikas in etwas kleiner und wenn man reinbeißt, sind sie ganz süß und saftig. Bis eben wusste ich nicht einmal, dass es auch Cashew Früchte gibt. Dann laufen wir noch an Jackfruitbäumen (leider noch nicht ganz reif), Guavabäumen (keine Saison), Bananenstauden und Kokosnusspalmen vorbei. Der Obsthimmel auf Erden.

Zurück bei der Oma gibt es Mittagessen. Sie hat Cashewcurry gemacht, dazu gibt es Reis mit Dal. Die Cashewkerne sind so weich, dass man sie mit der Zunge am Gaumen zerdrücken kann. Es schmeckt wirklich himmlisch und ich schätze, ich muss wiederkommen. Die Oma erzählt den anderen beiden, dass sie nach der 4. Klasse die Schule abgebrochen habe, da sie ab der 5. Klasse hätte englisch lernen müssen und da hatte sie keine Lust drauf. Jetzt bereue sie es, weil sonst hätte sie sich mit mir unterhalten können. Wie süß. Ich gehe Hände waschen, sie zeigt mir, wo die Seife ist, ich wasche, nicke ihr zu und will wieder gehen. Aber nein, offensichtlich habe ich mir die Hände nicht gut genug gewaschen, denn sie zeigt nein, gibt mir nochmal Seife und so wasche ich nochmal. Jetzt sieht sie zufrieden aus.

Nach einem Mittagsschlaf fahren Chichi und ich noch ans Meer, wie gewohnt mit viel Musik. Bisher habe ich hier noch niemanden in Indien kennengelernt, der/die so viel westliche Musik kennt und hört. Sehr angenehm, denn nur deshalb haben wir eine größere Schnittmenge. Ich habe Chichi zum Geburtstag einen Bluetoothlautsprecher geschenkt, denn die Handylautsprecher, die wir letztes Jahr genutzt haben, sind auf dem Motorrad nicht sonderlich gut hörbar. Und so singen wir lauthals abwechselnd Queen, Adele, John Legend, Bishop Briggs, Imagine Dragons, Jacob Banks und Paris Paloma. Leider verpassen wir den Sonnenuntergang, trotzdem ist es idyllisch. Auf dieser Seite der Küste liegen einige Fischerboote aus Holz und es stehen Hütten aus Bambus und Palmblättern am Strand. Am anderen Ende der Bucht ist eine riesige Fabrik (?) und am Abend ist es beleuchtet, wie eine moderne Stadt. Was für ein grotesker Gegensatz.

Es ist Abend und da ich mein Nachthemd vergessen habe, bekomme ich eins von der Oma. Natürlich ist es pink. Als hätten sich alle Leute in Indien, von denen ich je Klamotten leihe oder geschenkt bekomme, heimlich abgesprochen. Die Oma wohnt im Sommer alleine hier und das Haus ist verhältnismäßig groß, es hat 4 Zimmer. Darin stehen (mindestens) 2 Betten und ich werde gefragt, wo ich am liebsten schlafen möchte. Das ist mir wirklich völlig egal und das sage ich auch, angehängt mit da, wo es am wenigsten stört/Arbeit macht. Die Oma entscheidet, dass ich im Bett schlafen soll und da sie glauben, dass das im Wohnzimmer zu kurz für mich ist, bin ich in einem der anderen Zimmer. Dann sehe ich, wie sie für die 3 im Wohnzimmer auf dem Boden eine Decke ausbreitet. Das sind Momente, in denen ich zwar weiß, dass es Gastfreundschaft ist, aber es sich trotzdem irgendwie blöd anfühlt. Als ich mich ins Bett lege, deckt mich die Oma zu, zeigt auf sich und sagt „grandmother“, lacht und geht schlafen. Und schon ist das komische Gefühl weg.

Am nächsten Morgen frühstücken wir, die Oma hat noch einmal Cashews gemacht. Diesmal aber in einer anderen Sauce – himmlisch. Dann deutet sie mir mitzukommen, sie möchte mich den Nachbarn vorstellen. Wir gehen 2 Häuser weiter und setzen uns auf die Terrasse des Hauses. Sie haben eine Jackfruit und geben mir direkt etwas. Sie ist zwar noch nicht ganz reif, schmeckt aber trotzdem gut. Ich habe einen riesigen Teller bekommen und bitte Prasen und Chichi, mir beim Essen zu helfen, was Chichi dazu veranlasst, der Nachbarin zu sagen, dass ich gerne noch mehr Jackfruit hätte. Idiot. Natürlich bekomme ich jetzt noch mehr, denn meine Abwehr könnte ja auch Höflichkeit/Schüchternheit sein. Dann verabschieden wir uns und gehen zu den nächsten Nachbarn, nicht ohne noch ein Stück Jackfruit für den Abend mitzubekommen.

Am Nachmittag gehen wir auf einen kleinen Hügel und finden einen schattigen Platz hinter einem Cashewbaum, da lege ich mich erstmal schlafen. Nachts etwas weniger schlafen und dafür in der Nachmittagshitze wieder halte ich für garkein schlechtes Konzept. Als ich aufwache, ist Prasen heim gegangen und Chichi kommt gerade von einem Spaziergang zurück. Wir hören noch etwas Musik und unterhalten uns über den unterschiedlichen Alltag seines Lebens hier uns meines in Deutschland. Ich bin etwas neidisch auf ihn, denn er kann sich hier frei bewegen und tun und lassen, was er will. Bin ich bei meiner Adoptivfamilie, kann ich nicht alleine raus, da sie Angst haben, mir könnte etwas passieren. Das ist zwar lieb gemeint, stört mich aber auch. Dann kommt Prasen wieder und fordert uns auf, zurück zu kommen, denn die Dämmerung hat eingesetzt und damit sind auch mehr gefährliche Tiere unterwegs. Die Oma mache sich Sorgen und auch die Nachbarn, da sie gesehen haben, dass wir aufgebrochen sind, aber nicht zurückgekehrt. Hier gebe es Wildschweine, Leoparden, Tiger und vor allem Schlangen und Skorpione. Ich bin es absolut nicht gewohnt, in der Natur Angst vor gefährlichen Tieren zu haben und vielleicht ist es garnicht so schlecht, dass sie hier so gut auf mich aufpassen.

Auf dem Rückweg ruft einer der Nachbarn uns (mich) zu sich und wir machen einen Abstecher zu ihm. Er zeigt auf die Feuerstelle mit den Kochtöpfen darüber und sagt etwas mit Cashew. Ich bin begeistert. Aber die Oma kocht bestimmt auch und so viel, wie man hier immer an Essen serviert bekommt, werde ich sicher keine 2 Abendessen zu mir nehmen können. Dann sagt Chichi mitten im Gespräch, ich soll schon vorgehen und er komme gleich nach. Finde ich unhöflich, aber ok. Zurück bei der Oma frage ich ihn, ob uns der Nachbar zum Essen eingeladen habe und Chichi verneint. Etwa 2 min darauf erklärt mir Prasen, dass uns der Nachbar zum Abendessen eingeladen habe. Aha. Ich frage Chichi, was es mit der Diskrepanz dieser 2 Aussagen auf sich hat und er sagt, dass der Nachbar betrunken sei und er deshalb nicht will, dass wir/ich hingehen. Ich fühle mich umsorgt. Etwa eine halbe Stunde später steht besagter Nachbar vor dem offenen Fenster und fragt, ob wir jetzt kommen. Ich verstehe nicht, was sie reden. Ich sehe aber, dass die Oma auch nicht begeistert wirkt. Chichi dreht sich zu mir um und fragt „oder Julia, du machst doch eine Diät, bei der du nur eine Mahlzeit am Tag isst?“ Ich bestätige auf hindi „ja, nur eine“ und so zieht er wieder ab. Das wurde vorerstauf morgen verschoben. Die Oma wirkt zufrieden.

Dann essen wir Abend und wie immer muss ich stark für meine essenstechnischen Grenzen einstehen. Als ich dennoch etwas mehr gegessen habe, als ich Hunger gehabt hätte, bin ich froh, als der Teller endlich leer ist und direkt räumt ihn die Oma ab. Dann kommt sie 2 min später lächelnd mit einer Schale Jackfruit (die von den Nachbarn) aus der Küche und stellt sie vor mich. Ein klassischer Oma-move. Wie konnte ich mich nur täuschen und glauben, fertig gegessen zu haben? Tatsächlich ist die Jackfruit so weit nachgereift, dass das Fruchtfleisch nun ganz weich und süß ist. Ziemlich gut.

No, no, no!

Ich wache auf, die Sonne gibt ihr bestes, meinen Hautton der Farbe einer richtig schön gereiften Tomate anzugleichen. Ich mag Gemüse, muss aber nicht unbedingt wie eines aussehen. Parsen, Chichi und ich haben uns in der Nacht auf der Dachterrasse schlafen gelegt und die beiden sind offensichtlich schon vor mir in den Schatten geflohen. Es ist 9 Uhr und da kann man schonmal aufstehen. Wir gehen gegen 2 Uhr nachts schlafen, was ohne Zeitverschiebung etwa meiner Schlafenszeit entspricht. Praktisch, ich musste mich also garnicht erst umstellen.

Ich frühstücke Mangos und dann machen wir einen kleinen Ausflug zu einer Tante in der Nähe. Das finde ich ja auch schön, man fährt einfach hin und verabredet sich nicht. Wir quatschen ein wenig, sie ist schon recht alt aber ziemlich gut drauf. Und dann fahren wir wieder zurück. Zeit fürs zweite Frühstück: es gibt Chapati und Bohnen in einer ziemlich scharfen Sauce.

Anschließend setze ich mich auf einen der neuen Sessel und schon beginnt wieder eine lange Unterhaltung mit Tambdi Dad. Das ist schön und auch witzig, weil wir kaum einen Nenner an Wortschatz haben. Aber es funktioniert. Immer wieder kommt ein „understand?“ Und ich bestätige, dass ich ihn verstehe. Wir tauschen uns viel über das Leben in Deutschland und Indien aus. Irgendwann erzählt er mir, dass er mir einen Karton Mangos per Post schicken wollte und sich dahingehend etwas schlau gemacht hat. Bei der Post war es sehr, sehr teuer und die einzige Alternative, die er aufgetan hat, war einen ganzen Schiffscontainer zu mieten. An dieser Stelle hat er den Versuch abgebrochen. Und er sei richtig froh, dass ich jetzt hier bin, weil dann habe ich ja doch meine Mangos. Er wusste nicht, dass ich komme, denn Chichi hatte beschlossen, dass ich die Eltern überraschen soll. Und das ist uns auch wirklich gut gelungen! Als wir mit dem Transporter und den Sesseln am Morgen vorgefahren sind, kam Tambdi Mum direkt raus und konnte erst garnicht glauben, wer neben den Sesseln auftaucht. Sie hat einen Moment gebraucht und sich dann sehr gefreut. Tambdi Dad war noch in seinem Zimmer und da er aktuell nicht ganz fit ist, wollten wir ihn nicht stören. Er stand dann aber plötzlich hinter mir, als ich meinen Koffer reingeholt habe und hätte nicht mehr überrascht sein können. Das war wirklich schön, denn er hat direkt freudig gefragt, wie es kommt, dass ich wieder hier bin, warum er nichts davon wusste und wie lange ich bleibe. Und dass er sich gleich etwas besser fühlt, wo ich jetzt hier bin. Balsam für die Seele!

Von meinem Platz auf dem Sessel aus kann ich das Vogelnest in der Wohnzimmerlampe beobachten. Die Fenster sind hier den ganzen Tag und auch die Nacht über auf, um den Wind reinzulassen und so fliegen immer wieder zwei kleine Vögel hier rein, um ihren Nachwuchs zu füttern. Zwei kleine Schnäbel schauen dann aus dem Nest raus. Als Mitbringsel habe ich Tambdimum einen Hängesitz geschenkt, weil sie meinen in einer Videotelefonie mal so bewundert hatte. Ich dachte zwar, dass wir den auf der Veranda aufhängen können, aber sie haben beschlossen, dass das wertvolle Geschenk aus Deutschland unbedingt im Wohnzimmer Platz finden sollte. Glücklicherweise haben sie hier noch einen freien Haken in der Betondecke und der liegt auch noch passend in einer Ecke. Das Problem ist nur, dass der Hängesitz jetzt in einer der zwei möglichen Einflugsschneisen der Vögel hängt und es gefällt ihnen garnicht, wenn da wer drin sitzt und sie zum Füttern kommen. Sie schimpfen dann und besonders laut piepsen sie, wenn noch jemand im Bereich des anderen Fensters steht. Sie weisen uns da gut zurecht. Ich lasse mir aktuell also von zwei kleinen Vögeln diktieren, wo ich nicht stehen/sitzen sollte.

Nachmittags fahren wir zum Baden an einen Fluss. Es ist eigentlich eher ein Bach, das Wasser ist nicht tief und zudem warm. Ich finde eine Stelle, an der ich mich auf einen Felsen im Wasser lege und der Kopf schaut entspannt auf die schöne Natur. Ich bin keine Wasserratte, ich schaue lieber auf Gewässer, als in ihnen zu baden, aber die Temperatur ist angenehm. Und den kleinen Bereich, in dem man schwimmen kann, verlasse ich nach kurzer Zeit, da ich befürchte, einen fetten Sonnenbrand zu bekommen. Ich bin mit 50er Sonnencreme eingeschmiert und ich trage Kleidung im Wasser (als Frau macht man das). Ist mir trotzdem zu heikel.

Ich laufe den Bachlauf hoch und es wird sogar noch schöner. Irgendwann setzen wir 3 uns hier oben ins Wasser, es ist keine 50 cm tief hier. Es plätschert langsam vor sich hin und die Welt ist in Ordnung.

Am Abend sind wir zu einer Einweihungsparty eingeladen. Ich bin gespannt! Wir fahren um 10 los und da gegen 23 Uhr Abendessenszeit ist und ich das trotz spätem Mittagessen spät finde, habe ich schon Hunger. Da wird man als Gast in Indien ja meistens nicht enttäuscht, daher bin ich zuversichtlich. Als wir nach mehrmaligem Halten und Leute nach dem Weg fragen ankommen, schaut es für mich so aus, als wäre die Party schon rum. Das Haus ist außen mit Lichterketten geschmückt und vor dem Eingang steht eine Bambuskonstruktion, die einige schöne Stoffe wie ein Vorzelt hält. Drinnen ist es sehr ähnlich, wie bei Priyankas Hochzeitszeremonie letztes Jahr aufgebaut:

Interessant. Wir bekommen eine kleine Führung, das Haus ist schön. Es ist eingeschossig mit Stützen im ersten Geschoss als Option zur späteren Erweiterung. Hier liegt nun eine Stahlkonstruktion mit Wellblechdach auf, das kreiert eine ziemlich große Dachterasse. Wieder zurück wird uns Essen angeboten. Da ich die Leute nicht kenne und auch mit so Feiern nicht vertraut bin, weiß ich nicht, wie man zu reagieren hat (erst ablehnen? Wie oft? Oder weil Familienfreunde annehmen? Wie?). Was aber aktuell ja kein Problem ist, denn die Kommunikation läuft eh über Tambdi Mum (Tambdi Dad ist nicht mitgekommen) und Chichi. Ich sage Chichi, dass ich Hunger habe, aber nicht unhöflich wirken mag und er bitte entsprechend für mich antworten soll. Schon praktisch, so einen Übersetzer dabei zu haben, der nicht nur die Sprache übersetzt, sondern auch die Kultur.

Dachte ich.

Das Essensangebot wird ziemlich direkt angenommen und kurz darauf bekommt jeder von uns einen Teller mit Reis (natürlich habe ich eine größere Portion) und Kichererbsencurry. Eine ältere Frau reicht frittierte Zwiebeln im Kichererbsenteig dazu und auch hier bekomme ich einen mehr. Und dann kommen nach und Nach die Gastgeber und füllen unsere Teller immer noch weiter. Der Teller ist übermäßig voll und ich habe zwar Hunger, aber das ist schon ordentlich. Glücklicherweise schmeckt es sehr gut. Gerade so schaffe ich meine Riesenportion. Chichi sagt mehrmals laut, dass ich noch mehr Reis und Dal möchte und natürlich laufen sie sofort los, um mir Nachschub zu besorgen. Ich sage ihnen lachend, dass ich voll bin, es gut war, aber ich nicht mehr essen kann. Und dass Chichi kein guter Typ ist. Sie lachen, da sie glücklicherweise verstehen, dass er uns verarscht. Als auch Tambdi Mum fertig ist, reden sie über das Essen, mein Name fällt, sie schauen in meine Richtung und sofort sage ich mehrmals laut no, no, no und winke mit den Händen an. Chichi fängt an zu lachen. Er habe ihnen gerade gesagt, dass mir das Essen gut geschmeckt habe. Oh. Ehm ups. Das habe ich jetzt auf jeden Fall deutlich abgestritten. Wir alle lachen und ich glaube, sie haben meine Reaktion verstanden. Dann wird noch gefragt, ob wir Fotos machen könnten und Chichi lacht mich aus, wie ich in den verschiedensten Konstellationen posieren darf und sich die Tochter des Hauses (ca. 16 Jahre) ziemlich geniert, neben mir zu stehen. Dann bekommt Tambdi Mum eine kleine Tasche und wir verabschieden uns.

Zurück in Tambdi packt sie die Tüte aus, es sind Süßigkeiten drin. Sie breitet sie auf einem kleinen Teller aus, es ist Kokosnuss mir Zucker und ich nehme ein kleines Stück. Dann erklärt sie, dass es „holy sweets“ sind. Also vermutlich von einem Geistlichen bei der Einweihungsfeier gesegnet. Da meine Berührungspunkte mit heiligen Dingen in Varanasi deutlich anders ausschauten, freue ich mich über diese Wendung. Eine Segnung durch Süßigkeiten ist mir schon ein bisschen lieber, als in einen Kuhhaufen zu treten.

Als alle vom Süßen gegessen haben, läuft sie mit einer Tüte rum und bietet uns hieraus etwas an. Ich schaue sie fragend an und noch bevor ich aussprechen kann, ob das Zucker ist, geht sie weiter und bietet ihn den anderen an. So leckeres Essen gibt es hier und dann sowas.

Von Schatzkisten und Autobahnen

Da reist man 1000e km in ein Land, das einstellige oder gar negative Temperaturen kaum kennt und dann sowas. Ich sitze im Auto mit Vater, Mutter, Chichi und Parsen und sie stellen die Klimaanlage auf eine Temperatur unter 25°. Dafür bin ich nicht so weit gereist. Wir sind auf dem Rückweg vom Arzt. Der Vater hat seit längerer Zeit Hauptprobleme und sein Arztbesuch wurde zum Familienausflug deklariert. Ursprünglich wollten wir heute früh fahren. Dann ist aber Chichis Geburtstag dazwischen gekommen. Der wurde von den Eltern erst vergessen (Geburtstage feiern ist hier auch krin Ding), dann wurde Chichi zum Blumen und Süßigkeiten holen geschickt. Wieder zurück gehe ich erst davon aus, dass eine der drei Blumengirlanden für Chichi bestimmt ist. Aber falsch gedacht, zur Feier des Tages werden die drei Personen, die der Familie als großes Vorbild dienen (Lord Buddha, ein ehemaliger König und ein ehemaliger Politiker, der an der Verfassung Indiens maßgeblich beteiligt war) gefeiert. Es hängt von allen dreien je ein eingerahmtes Foto im Wohnzimmer, die haben wir mit den Blumengirlanden geschmückt. Und dann wurde eine Art Gebet gesprochen, in denen man den dreien im Prinzip verspricht, kein Arschloch zu sein. Garnicht schlecht, wie ich finde.

Im Anschluss gibt es die Süßigkeiten und wir geben Chichi alle etwas, dafür gibt er uns was. Da die Süßigkeiten nicht vegan sind, nehme ich keine und das hatten die Eltern nicht auf dem Schirm. Schnell muss eine Alternative her, damit auch ich in den Genuss etwas Süßen komme. Tambdi Dad fragt, ob ich Zucker essen kann und nachdem ich das bejahe, bringt mir Tambdi Mum einen kleinen Teller mit einem Häufchen Zucker.  Glücklicherweise habe ich Chichi schonmal erklärt, dass wir in Deutschland versuchen darauf zu achten, nicht zu viel Zucker zu konsumieren und so versteht er mein entsetztes Gesicht und erklärt den Eltern direkt, dass das für mich wie Gift sei (vielleicht etwas übertrieben aber es trifft den Kern). Und so begnügen sie sich glücklicherweise damit, dass ich erst beim direkt darauf folgenden Snack zugreife.

Am Abend waren wir dann aber endlich beim Arzt, mussten einige Zeit warten, aber das war in Ordnung. Da mir aber mal gesagt wurde, dass wir auf dem Rückweg Mangos besorgen und es mittlerweile nach 10 ist, bin ich ziemlich enttäuscht. Ich bin immerhin schon Tag 2 hier und habe noch keine einzige Mango gegessen. Dabei fahren wir ständig an Mangoständen vorbei, sobald wir unterwegs sind. Auf dem Weg machen wir noch ein paar Zwischenstopps, denn Chichi und seine Mutter möchten Kaffee trinken. Dann einen Stopp, bei dem ich den Zweck nicht durchschaue und dann wieder einen Stopp, bei dem ein größerer Karton in den Kofferraum eingeladen wird. Ich werde gefragt, ob ich noch irgendwas brauche und da eh kein Mangoverkäufer mehr auf den Straßen zu sehen ist, verneine ich. Ich überlege, morgen den Bruder zu fragen, ob ich das Familenfahrrad leihen darf. Dann könnte ich in der Früh losfahren und den nächsten Mangoverkäufer überfallen. Bis ich kurz darauf herausfinde, dass der riesige Karton voll mit Mangos ist. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass wir den aus einem Elektronikladen haben. Da schien mir der Kauf von Elektronikartikeln irgendwie wahrscheinlicher. Aber mit Logik komme ich hier nicht so weit. Das lerne ich zwar jedes mal wieder aufs neue und doch ist die Erkenntnis nicht lang anhaltend. Ab jetzt gibt es keinen Grund mehr, mir puren Zucker anzubieten, denn ich habe einen Karton voll mit Mangos! Juhuu!

Parsen, Chichis Cousin, fragt die Tage immer mal wieder nach deutschen Wörtern und kann sich diese auch ganz gut merken. Dafür ist er relativ beratungsresistent, wenn ich ihm erkläre, wie und in welchen Zusammenhängen sie verwendet werden. So spricht er mich jetzt wie in hindi oder marati mit „Schwester“ an. Didi fand ich ja noch nett am Anfang, aber Schwester hat auf deutsch so einen kirchlichen Touch. Und zum Essen sagt er jetzt immer Prost. Wenn ihr also in ein paar Jahren mal einen Inder in Deutschland trefft, der da so komische Dinge sagt. Ihr wisst bescheid.

Und dann steht nochmal ein Arztbesuch für Tambdi Dad an. Chichi und ich begleiten ihn. Es geht deutlich schneller heute. Und auf dem Rückweg kommt Chichi, dass ich ja eigentlich auch fahren kann. Schließlich habe ich meinen Führerschein dabei. Ich melde zwar lautstark Bedenken an, denn nur weil ich einen PKW zu lenken weiß, heißt das ja wirklich nicht, dass ich hier sicher fahren kann. Ich sage, dass wir in Deutschland Regeln lieben und die auch befolgen und dass ich mich hier unsicher fühle, weil das hier anders ist. Dazu kommt ja auch, dass unser Lenkrad auf der linken Seite ist. Aber Gaspedal und Bremse sind an der gleichen Stelle. Chichi bestätigt, hier folgt jeder seinen eigenen Regeln, hält am Straßenrand und wir tauschen Plätze. Ich frage Tambdi dad, ob er das in Ordnung findet, schließlich will ich nicht, dass er Angst hat. Er wirkt aber entspannt und so fahren wir los. Ab und an warnt mich Chichi zum Glück vor, wenn ich nicht erkenne, wie schlecht die Autobahn in ein paar Metern ist. Er bittet mich um eine ehrliche Wertung der Autobahn und ich vergebe gut gemeinte 3 von 10 Punkten. Er lacht, übersetzt das seinem Vater und da dies eine verhältnismäßig gute Straße ist, finden sie meine Wertung etwas hart aber in Ordnung. Sie können sich nicht vorstellen, wie die Straßen in Deutschland sind und so fange ich an, alles aufzuzählen, was mir auf einer deutschen Straße so nicht begegnen würde. Zum einen haben wir keine Geschwindigkeitsbrecher und sie fragen mich, wie wir dann dazu gebracht werden, langsam zu fahren. Ich sage, dass wir Regeln ja ziemlich gerne haben und uns demnach schon Schilder reichen, auf denen steht, was wir tun dürfen. Außerdem gibt es Strafzahlungen. Als nächstes fällt mir ein quer stehender LKW auf, der beschlossen hat, die dreispurige Straße zum Wenden zu nutzen. Auf der Gegenspur läuft eine Kuh mitten auf der Autobahn. Außerdem laufen immer wieder Leute über die Straße. Generell versucht man hier auch, so wenig Weg wie möglich auf sich zu nehmen und so gibt es auch einige Geisterfahrer. Ich erzähle, dass bei uns Autobahnen gesperrt werden, wenn jemand in die falsche Richtung fährt und sie schauen mich ungläubig an. Ich fahre maximal 70 km/h und das fühlt sich schon ziemlich schnell an. Ich erzähle, dass man auf deutschen Autobahnen mindestens 70 km/h fahren muss und dass die Richtgeschwindigkeit 100 km/h ist. Sie kommen kaum aus dem Staunen raus. Es ist eine ziemlich witzige Autofahrt, denn auch für mich ist es deutlich unterhaltsamer, all die Unterschiede aufzuzählen, als sie still zur Kenntnis zu nehmen. Kurz bevor wir dann wieder in die Stadt kommen, tauschen wir aber wieder. Auf dem Autobahnabschnitt war es ziemlich leer, es war eine beginnerfreundliche Strecke. Die Stadt ist dann aber eine ganz andere Nummer, das überlasse ich dann doch lieber den Locals.

Zurück im Land der Extreme

Ich bin ein Glückspilz! Es ist Mai 2024 und ich habe schon wieder Urlaub! Ich kann wirklich nicht behaupten, urlaubsreif zu sein. Im Januar erst habe ich meinen neuen Job angefangen und es gefällt mir richtig gut. So gut, dass ich gerade eigentlich viel zu früh in den Urlaub aufbreche. Dennoch bin ich schon wieder in Indien. Das ging schnell. Es ist Sommer und es ist vor allem Mangosaison! Das kann ich mir nicht entgehen lassen!

Ich besuche meine Adoptivfamilie in der Nähe von Mumbai, auf dem Land nahe der Westküste Indiens. Und ich bin aufgeregt. Meine indischen Adoptiveltern wissen noch nichts von ihrem Glück. Ich werde 2 Wochen bei ihnen verbringen und mit Rani, Sadaff und Chichi ganz viele Mangos essen, ans Meer fahren und in die Berge gehen. Zumindest sind das meine Vorstellungen. Da bin ich aber durchaus flexibel, denn als erfahrene Indienreisende weiß ich ja mittlerweile, dass die Dinge eh immer anders kommen.

Der Flug und auch die Einreise verlaufen reibungslos. Ich sehe, dass Chichi versucht hat, mich anzurufen und um Rückruf bittet. Ich rufe ihn zurück und fragt mich, wie ich denn jetzt weiterkomme. Keine Ahnung. Er fragt, ob ich Ola oder Uber habe, ich antworte, dass ich glaube, dass die Apps ohne Simkarte nicht funktionieren. Außerdem bräuchte ich bitte zur Sicherheit nochmal die Adresse der Wohnung in Mumbai. Er lacht, sagt, er schickt sie mir und wir legen auf. Kurz darauf bekomme ich den Screenshot einer Bestätigung für ein auf mich wartendes Taxi samt Anweisung, wo das auf mich wartet. Ideal. Ich mache mich auf den Weg. Ich komme im entsprechenden Abschnitt des Parkhauses an und es herrscht ein Hupkonzert. Willkommen im Land der Extreme! Kurz später nickt mir ein Taxifahrer wissend zu, zeigt mir den Weg und da er so überzeugt wirkt, folge ich ihm. Ich bin auf diesem Parkplatz weit und breit die einzige, die offensichtlich keine Inderin ist und ich schätze, dass Chichi ihn instruiert hat, nach einer Ausländerin Ausschau zu halten. Tatsächlich steht sein Auto auf der Parkplatznummer, die mir Chichi geschickt hat. Ich gebe ihm den Code und wir fahren los. Es ist garnicht so einfach, überhaupt aus dem Parkhaus rauszukommen, denn die Fahrspur ist bereits dreireihig befahren und immer wieder versucht ein Auto, auszuparken. Schwierig. Um zum Ambiente beizutragen, hupt man, sobald keine ideale Durchfahrt möglich ist. Also ständig. Ich muss lachen. Das ist auf jeden Fall ein authentischer Start in meinen nächsten Indienaufenthalt! Im Parkhaus habe ich kurzzeitig wieder W-lan und Chichi schreibt, er verfolgt live den Standort des Taxis, ich solle mir keine Sorgen machen. Das ist lieb.

Ich habe glücklicherweise einen sehr durchsetzungsstarken Taxifahrer erwischt, wodurch wir relativ zügig raus kommen. Und irgendwann kommen wir laut Navi dort an, wo Chichi ihn hinbeordert hat. Es ist dunkel und ich erkenne die Straße nicht. Gut, er ruft Chichi an, der ihm Anweisungen gibt und 2x um die Ecke steht Chichi auf der Straße und wartet. Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass er mich in Mumbai abholt, es aber nicht erwartet und freue mich demnach sehr, ihn zu sehen!

Als Mann muss er natürlich meinen Koffer nehmen (in dem ausschließlich Geschenke sind) und ist irritiert, wie ich a) alleine damit gereist bin und b) warum ich überhaupt mit so viel Gepäck reise. Das wird er später rausfinden. In der Wohnung bietet er mir Tee an und noch bevor ich fertig überlegt habe, ob ich jetzt einen als Willkommensgeste trinken soll, hängt er lachend an, dass er wisse, dass ich keinen mag und nur zur Sicherheit fragen wollte 😀 dann versucht er noch mit glücklicherweise arg geringer Anstrengung, mich zum Essen zu überreden, er würde was bestellen. Ich habe absolut keinen Hunger und außerdem auch noch eine Breze und Semmeln dabei. Ich gebe ihm die Breze und sage, er soll typisch deutsches Brot probieren. Er wirkt nicht übermäßig begeistert, aber immerhin auch nicht ganz abgeneigt.

Am nächsten Tag treffen wir Kajal und Akshay, eine 17-jährige Cousine sowie einen Cousin, den ich schon kenne. Die letzte 3/4 h auf dem Markt bin ich alleine mit Kajal unterwegs und damit wir uns nicht verlieren, halten wir uns an den Händen. Sie passt auf mich auf. Gestern noch saß ich normal in der Arbeit und heute laufe ich mit einem Mädchen, das ich erst seit 20 min kenne, händchenhaltend über einen Markt in Mumbai. Skurril.

Am Abend fahren wir los zur Bushaltestelle. Diesmal haben wir leider keinen Schlafbus, sondern einen Bus mit normalen Sitzen. Auf dem Weg holen wir noch ein Paket ab, sagt Chichi, als wir irgendwo auf einem Privatgrundstück halten und er aussteigt. Ich warte mit dem Taxifahrer. Etwa eine halbe Stunde später kommt Chichi ohne Paket zurück und deutet mir, auszusteigen und unsere Sachen mitzunehmen. Ok. Dann kommt auch schon ein kleiner Lastwagen um die Ecke. Da laden wir meinen großen Koffer hinten mit in den Laderaum. Auch hier ist kein Paket, dafür aber eine Couchgarnitur. Das kann es ja nicht sein, denke ich verwundert. Wie so eine blutige Anfängerin. Ich steige vorne ein und unser neuer Fahrer des Vertrauens bringt uns zu einer Tankstelle an der Autobahn und hier warten wir etwa 2 h auf den Bus. Nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung, andererseits ist es auch garnicht mal so schlecht, zur Abwechslung rechtzeitig vor dem Bus an Ort und Stelle zu sein. Ich will mich also nicht beschweren. Irgendwann fährt unser Bus dann ran, ich steige mit unserem Gepäck ein und Chichi regelt, dass mein Koffer unten ins Gepäckfach kommt. Ziemlich lang diskutieren sie, stehen vor dem geöffneten Gepäckfach und ich biete schon an, den Koffer mit zum Sitzplatz zu nehmen. Und dann holen sie irgendwann die Couchgarnitur raus und versuchen, die unterzubekommen. Ein Dreisitzer und 2 Sessel. Chichis Definition eines Pakets ist eindeutig offener als meine Auslegung. Irgendwann sind die 2 Sessel verstaut und sie sehen ein, dass der Dreisitzer wirklich nicht reinpasst. Und auf machen wir uns des Weges. Bis eine halbe Stunde später Chichis 14-jähriger Cousin Parsen dazusteigt. Parsen ist sehr nett und auch neugierig. Er hatte noch nie Kontakt zu jemandem aus dem Ausland. Die nächsten Stunden ist so für Unterhaltung gesorgt.

Morgens gegen halb 7 steigen wir aus. Der Bus fährt jedoch schon weiter, noch bevor wir die Sessel und meinen Koffer rausgeholt haben. Also fährt unser neuer Transporter hinterher, Chichi telefoniert mit dem Fahrkartenkontrolleur (natürlich hqt er dessen Handynummer?!) und kurz später kommen sie samt Sessel und Koffer wieder zurück. Geschafft, ich bin zurück in Tambi 🙂