Telepathieversuche im Bus

Jetzt habe ich schon viel über Züge geschrieben, deshalb soll es mal um ein anderes Verkehrsmittel gehen. In Jaipur habe ich mit Mili aufgrund der Unflexibilität der Metrostrecke ja ab und an einen Bus genommen. Wenige waren angenehm leer, sodass jeder eine Reihe für sich hatte. Der Großteil war voll, sodass man zwar noch jemanden reingekommen hätte, aber dann halt Gruppenkuscheln geherrscht hätte. Und wenige waren so voll, dass selbst das Aussteigen kaum möglich war. Weshalb die Kontrolleurin so lieb war, uns Passagiere dabei zu unterstützen. Die Leute, die aussteigen wollten, hat sie daher rausgeschubst. Wer es bis zu seinem Halt nicht geschafft hat, sich in die (offene) Tür zu drängeln und dann laut gerufen hat, dass man hier gerne raus würde, der Bus aber schon wieder am Fahren war (ein völliger Stillstand der Räder wäre pure Zeitverschwendung), wurde von der guten Frau mit den Worten „beruhige dich“ getröstet und musste dann halt dann aussteigen, wenn man sich vorgekämpft hat und der Bus gerade eine geringe Geschwindigkeit hatte. Um das zu vermeiden, bin ich immer in der Tür stehen geblieben (weiter drinnen wäre eh kein Platz) und konnte so genau dann aussteigen, wenn ich es wollte. Wobei ich mit meinem Ausländerbonus (die hat keine Ahnung, was sie tun muss) an der richtigen Haltestelle rausgeschmissen (ziemlich wörtlich) wurde. Haltestellen sind für mich nicht erkenntlich, weshalb ich mich auf Google maps verlassen hatte. In einem Bus, in dem ich mit einer Hand verhindere, dass meine Tasche gestohlen wird (wurde auch da versucht) und mit der anderen, so lange im Bus zu bleiben, wie ich das gerne würde, war es mir nicht möglich in maps zu schauen, wo wir sind. Mili hat sich strikt an unsere Rollenaufteilung gehalten. Demnach habe ich ein paar Leuten gesagt, wo wir raus wollen und die haben mit aufgepasst. Die Kontrolleurin hat da auch ein Auge drauf gehabt. Also eigentlich fast der ganze Bus, außer Mili und mir 😀

Nun bin ich wieder unterwegs. Die 2,5 Tage in Varanasi gingen ganz schön schnell rum und ich sitze nun am Flughafen mit dem Ziel Kochi. Ich möchte ganz in den Süden runter, weil da so wunderschöne Landschaften sind. Außerdem werde ich noch die Familie einer Freundin besuchen. Ich bin mit unsicher, wie weit ich von den Plänen schon berichtet hatte. Ursprünglich wollte ich keinen Flug nehmen (Klima und so), allerdings waren sämtliche Zugtickets ausverkauft und so wurde mir die Entscheidung zwischen Klimaschonung oder Zeitersparnis (der Zug hätte einfach und ohne Verspätung 48 h gebraucht) abgenommen. Der Flug ist zwar nicht ganz ideal, weil ich nachts gegen 12 ankomme und um 5:30 Uhr den Anschlussflieger nehme. Aber ich bin ja im Urlaub, da kann man das schon mal machen. In Delhi bin ich mit Verspätung angekommen und wurde zudem zwischen allen 3 Terminals hin und hergeschickt, bis man mir empfohlen hat, einen Bus zu Terminal 1 zu nehmen. Welcher aus mir unerfindlichen Gründen scheinbar das gesamte Flughafengelände umrundet hat. Jedenfalls waren wir verhältnismäßig lang unterwegs und sind an Hotels vorbeigefahren, was jetzt nicht umbedingt arg zur Stärkung meines Vertrauens in die Wahl des richtigen Busses beigetragen hat. Aber da ich noch 4 h bis zum Anschlussflieger Zeit hatte, habe ich relativ entspannt abgewartet, wo ich wohl lande. Tatsächlich bin ich dann auch richtig rausgekommen. Nach der Sicherheitskontrolle stand noch ein Telefonat mit Micha an, der hauptsächlich dann Zeit hat, wenn es bei mir mitten in der Nacht ist. Ich unterstütze ihn beim Fördermittelantrag für einen Teil seiner vielen tollen Projekte und da ich in dem Gebiet nicht wirklich bewandert bin, gab es noch einiges zu klären. Um 2 habe ich mich dann auf einen 3er-Sitz gelegt. Ich würde dieser Schlafgelegenheit mit 2 störenden Armlehnen mittendrin wohlwollende 1,5 von 10 Punkten verleihen. Aber glücklicherweise hat mich mein Wecker eh bereits 3 h später zum Boarding geweckt. Wobei ich eigentlich kaum wirklich geschlafen habe. Überraschenderweise bin ich jetzt also schon kaputt. Tatsächlich hatte ich mir die Reise irgendwie angenehmer vorgestellt, auch wenn an sich keinerlei Überraschungen (abgesehen von der Tour um den Flughafen rum) dabei waren. Ich stelle fest, dass ich gerne mehr als 3 h schlafe, im besten Fall am Stück und wundervoll wäre auch eine ebene Liegefläche. Aber ehrlich, ich weiß jetzt schon, dass ich noch einige solcher Zyklen der Erkenntnis benötige, bis ein nachhaltiger Lerneffekt eintritt.

Ich sitze im Bus. Das ist angesichts der Wahl meiner Verkehrsmittel für größere Strecken in der Vergangenheit eher ungewöhnlich. Züge und Autorikshas bilden bei den öffentlichen Verkehrsmitteln mit Abstand die Spitze. Ich fahre nun nach Munnar, in einen kleineren Ort in den Bergen. Was mich ein wenig überrascht hat, weil ich immer dachte, die Berge wären nur im Norden. Aber mittlerweile bin ich überzeugt – das hier würde ich als Expertin (wohne schließlich in Bayern) durchaus als Berge bezeichnen. Es ist landschaftlich eine wunderschöne Fahrt. Sie dauert von 9:45 Uhr bis 14:15 Uhr und die letzten 2 h davon gingen ausschließlich über Serpentinen. Ich könnte kotzen. Nicht bildlich gesprochen, sondern leider wörtlich. Der Busfahrer meines Vertrauens lässt das Gaspedal nur sehr widerwillig los und so halte ich mich am Vordersitz fest, um auf der Dreiersitzbank nicht ständig hin und her zu rutschen. Während ich anfangs begeistert bin und die wirklich tolle Aussicht genieße, meldet sich dann doch bald mein Magen zu Wort und versucht sich für einen Abbruch der Fahrt stark zu machen. Gelingt ihm glücklicherweise nicht. Ich habe kein Wasser und außer gerösteten Kichererbsen auch kein Essen, was vermutlich gut ist. Im Bus sind lediglich vorne und hinten Scheiben drin, seitlich gibt es keine Fensterscheiben sondern Fensteröffnungen, die wahlweise mit einer Art Jalousie geschlossen werden können. Was keine schlechte Idee ist, weil ich mich so immerhin im Notfall aus dem Fenster beugen kann.

Das hier ist Bus Nr. 4. Ich hatte ein Gasthaus gebucht und sie hatten mir gesagt, ich könne einen Bus nach Aluva KSRTC nehmen und dort in einen Bus nach Munnar umsteigen. Was gut ist, denn hätte ich gewusst, dass ich nicht 2 sondern 4 Busse brauchen würde, hätte ich einen alternativen Ort mit besserer Anbindung gesucht. Dabei läuft zumindest der Teil der Reise wirklich problemlos, ich bin über Aluva Metro station nach Aluva KSRTC gefahren. Dort hat mir eine junge Frau gesagt, ich könne mit dem Bus, der gerade kommt, zu einem mir unverständlichen Halt fahren und da nach Munnar umsteigen. Also schnell rein. Ich habe insgesamt vielleicht 4 min auf Busse gewartet heute, das ging fix. Isha, meine Nebensitzerin im Bus wusste glücklicherweise auch, wo ich raus muss, um nach Munnar zu kommen. Sie erkundigte sich auch extra, welchen Bus ich anschließend nehmen muss. Ich bin wieder einmal begeistert davon, wie mir die Leute hier helfen. Und schäme mich dafür, dass die gleichen Leute vermutlich eine deutlich andere Erfahrung machen, würden sie nach Deutschland reisen. Bus Nr. 4 macht irgendwann Pause und es steigen außer einem Mann alle aus. Ich weiß nicht, wie lange wir halten und überlege kurz, ob ich nicht doch eine Flasche Wasser besorgen sollte. Entscheide mich aus Gründen dagegen. Möchte meinem Magen keine Gelegenheit geben, noch weitere Randale zu betreiben. Dafür lege ich mich auf der Dreierbank hin und schlafe sofort ein, weshalb ich auch keine Ahnung habe, wie lange wir da standen. Da ich das Gefühl habe, es hilft zumindest ein wenig, wenn ich raus starre, setze ich mich bei der Weiterfahrt. wieder auf und stemme mich mit einem Arm und Bein gegen die Busseite um den Kräften ein wenig entgegenzuwirken.

Hier Fotos der wunderschönen Natur:

Näher an Munnar sind zudem einige Teeplantagen:

Und endlich kommen wir an. Immer wieder sende ich über Blickkontakt dem Kontrolleur bei Stopps die Frage zu, ob ich hier raus muss. Dass er keinerlei Reaktion zeigt, deute ich als „nein, du musst hier noch nicht raus“. Irgendwann sehe ich ihm an, dass er bei meinem erneuten Telepathieversuch nicht weiter ins Leere starrt sondern scheinbar irgendwie überlegt, weshalb ich frage „Munnar?“ Und glücklicherweise antwortet er ja, ich soll raus. Das ist der mit Abstand am wenigsten engangierte Kontrolleur meiner Karriere als Gast eines indischen Busses aber es hat ja alles funktioniert. In der letzten halben Stunde Fahrt hat es angefangen zu regnen und bei meiner Ankunft schüttet es. Hier weiß die Regenzeit ihren Job zu erledigen (im Gegensatz zu Varanasi, wo es ab und an mal etwas regnet und selten wirklich so viel, dass es auf der Straße steht). Sofort werde ich von einem Tuktukfahrer (Tuktuk=Autoriksha) abgefangen, er fragt, wo ich hin möchte. Erfahrungsgemäß gehören Tuktukfahrer nicht zu meinem favorisierten Personenkreis. Besonders die, die einen als erstes abfangen, verlangen immer Wucher und sind unverschämt. So will es das Gesetz. Davon hat der gute Mann aber scheinbar nichts mitbekommen, weshalb er mich in Ruhe lässt, als ich sage, dass ich kein Tuktuk brauche. Ich setze mich in die Haltestelle und schaue zunächst, wie weit es von hier bis zu meiner Unterkunft sind. 1,6 km. Das einzige Schuhwerk, das ich mit nach Indien genommen habe, sind ein Paar Flipflops. Es schüttet, hat um die 20° und mir ist kalt. Ich beschließe, dass ein Tuktuk vielleicht garnicht mal so eine schlechte Idee ist und zu meinem Wunder verlangt der Fahrer auf meine Frage nach dem Preis sogar etwas weniger, als ich von der Entfernung her geschätzt hätte. Außerdem wirkt er freundlich. Der Mann verwirrt mich. Am Ende der Fahrt bekundet er Interesse daran, mir mit seinem Tuktuk die Gegend inklusive einiger Sehenswürdigkeiten, wie beispielsweise Elefantenritt, Wasserfall und irgendeinem Park zu zeigen. Ich bin nun weniger irritiert bezüglich seines Antiarschlochverhaltens. Ich habe zwar wirklich kein Interesse daran, mich Elefanten aufzuzwängen oder einen Wasserfall anzuschauen, der direkt an der Straße ist und an dem ich bereits vorbeigefahren bin. Aber wir sind auch an einigen Schokoladenfabriken vorbeigefahren und bestimmt kann er sein Programm ein wenig anpassen. Sebastian heißt er und seine Schwester Juliet. Dass wir quasi den gleichen Namen tragen muss Schicksal sein und ich denke, dass ich ihn morgen kontaktieren werde.

Bei der Ankunft im Gasthaus wird mir freudig mitgeteilt, dass im Haus noch eine allein reisende Frau ist (aus Kerala, dem Staat in dem ich gerade bin) und wir könnten ja zusammen was unternehmen. Mal schauen, ich bin gerade erstmal froh, wieder alleine entscheiden zu können, was ich mache. Aber wenn ich sie treffe und nett finde, warum nicht? Erstmal möchte ich aber schlafen. Beziehungsweise duschen. Mein Gastgeber erzählt mir glücklich, dass es hier 24 h warmes Wasser gibt. Das bin ich aus Varanasi gewohnt (schwarze Wassertanks in der prallen Sonne), aber hier liebe ich es! Der Boden ist sehr kalt, ich friere und eine heiße Dusche ist genau das, was mich nun glücklich macht. Glücklicherweise habe ich meine Wollsocken mitgenommen und eine Jeans dabei. Nach der Dusche lege ich mich erstmal schlafen.

Mittlerweile ist es Dienstag Abend. Gegen 5 hat mich eine Bekannte aus Delhi angerufen und geweckt. Gutes timing, denn so frage ich genau dann meine Gastgeber, wo ich hier Schuhe kaufen kann, als sie selbst mit dem Auto 1 km weiter in die „Innenstadt“ fahren. Sie nehmen mich mit und der erste Schuhladen, den ich sehe, wird sofort angepeilt. Es gibt 2 Paar passende Schuhe, wovon mir eines einigermaßen gefällt. Noch nie ist mir die Wahl beim Kauf von Klamotten so leicht gefallen. Auch Socken und Regenschirm nehme ich mit. Endlich warme Füße, es ist wunderbar. So schlender ich weiter durch den Regen und finde eine kleine Imbissbude. Sie schaut nicht unbedingt nach meinem neuen Lieblingsrestaurant aus aber mittlerweile habe ich echt Hunger. Ich gehe rein und stelle fest, dass es mein schon in Vergessenheit geratenes Lieblingsgericht Keralas gibt: Parotta. Bevor ich mich auf den Weg in die Innenstadt machte, habe ich mir überlegt, dass ich heute beim Essen nicht auf den Preis achten werde und alles unter ~8€ ok ist (weil in Jodhpur keine Restaurants offen hatten, war meine Befürchtung, dass ich nur was verhältnismäßig super teures finden könnte). Was soll ich sagen? Eine Portion, bestehend aus 2 Pfannbroten mit Sauce haben 31 ct gekostet. Und es hat wirklich sehr lecker geschmeckt! So lecker, dass ich auf dem Rückweg meines kleinen Rundgangs noch eine Portion für den Abend mitgenommen habe. Mittlerweile bin ich beim Einkaufen wieder vollkommen die indischen Preise gewohnt und rechne nicht in Euro um, weshalb mir in letzter Zeit ab und an echt mulmig wurde, als ich etwas außergewöhnlich teures gemacht hatte. Zum Beispiel war ich mit Mili einmal in einem schickeren Restaurant und sie hat einen Thali (Teller mit mehreren, kleinen Gerichten) für 650 Rs bestellt. Da ich sonst in Restaurants keine 200 Rs für Essen ausgebe, kam mir das extrem teuer vor und ich habe mich schlecht gefühlt, dass wor so viel Geld „rauswerfen“. Erst am Abend ist mir gekommen, dass es lediglich 8€ waren und ich mir das guten Gewissens leisten kann. Soviel zum Thema Geld.

Hier erstmal noch ein Bild von meiner Portion Parotta to go:

Wieder zurück im Gasthaus fühle ich mich wie die Shopping queen. Mein heutiger Einkauf beinhaltet: 1 Paar Schuhe (8 €), 2 Paar Socken (je 1 €), 1 Regenschirm (4 €), 2 kleine Tütchen Waschmittel (je 3 ct), 133 g Mandelschokolade (1,60 €) und 109 g Cashewscgokolade (1,30 €). Außerdem 3 Sandelholzseifen für Papa. Hier ist es super grün, wir sind über 2 h nur durch Wald gefahren, es riecht und klingt nach Natur. Ich habe feste Schuhe und warme Füße, da stört mich der Regen kaum. Außerdem war die Wiederentdeckung der Parotta wundervoll und ich habe 142 g vegane Nussschokolade! Ich bin glücklich.

Morgen werde ich überlegen, was ich hier machen möchte. Wandern ist bei dem Wetter keine gute Idee, viel rumlaufen möchte ich auch nicht. Den Ort habe ich auch schon gesehen, wahrscheinlich kaufe ich noch etwas Schokolade für Freunde. Und da ich schonmal eine Führung in einer Teefabrik gemacht habe, aber nicht in einer Schokoladenfabrik (das kann ja nur besser werden. Tee mag ich nicht, Schokolade dagegen halte ich für eine tolle Erfindung), werde ich das vielleicht machen. Das überlege ich mir morgen früh. Vielleicht treffe ich ja auch noch die Frau im Gasthaus. Und übermorgen fahre ich wieder zurück. Davor graut es mir schon. Aber die Seite aktive-rentner.de rät mir, Ingwer gegen Reiseübelkeit zu essen – also werde ich mir morgen wohl einen Ingwervorrat zulegen. Ich möchte den ganzen Weg bis Kochi zurück fahren und dann von dort aus noch etwa 1,5h in den Süden weiter. Ich muss mich mal erkundigen, wann die Busse so fahren, werde aber wohl versuchen, in der Früh loszukommen.

Viele Grüße aus dem Süden!

Keine Wüste aber dafür eine Leihmama in Jodhpur

Es stellt sich heraus, dass der gelbe Fleck in Google Maps nicht bedeutet, dass das alles Wüste ist. Der Staat Rajasthan, in den ich mit Mili gereist bin, besteht scheinbar nicht nur aus Wüste. Denn zumindest Jaipur schaut an sich aus, wie die meisten anderen Städte, in denen ich in Indien bisher war. Mit dem Unterschied, dass die Architektur hier anders ist. Es gibt viele wunderschöne alte Paläste und Gebäude, was die Stadt an sich auf jeden Fall sehenswert macht. Vielleicht sollte ich mich künftig nur besser mit der Definition Wüste auseinandersetzen, wenn mein Ziel ist, eine zu sehen, wie man es von Werbefotos kennt 😀 oder auch in google maps auf die Satttelitenkarte wechseln. Ich hoffe jetzt auf Jodhpur, unser nächstes Ziel.

Palast in Jaipur:

Aber jetzt erstmal zu Jaipur. Was gibt es neues? Unsere Rollenaufteilung, in der ich uns lotse und Mili kommentiert, wenn wir wo angekommen sind, hat sich mittlerweile fest etabliert. Dabei ist ihr das Konzept einer Metro nicht ganz klar. In der Stadt gibt es eine Linie, die grob von Südwesten nach Nordosten fährt. Zunächst haben wir diese auch genutzt, da das Verkehrsmittel bequem und vor allem auch günstiger als alle verfügbaren Alternativen sind. Sobald ich uns aber eine Busverbindung rausgesucht habe, wurden meine Lotskompetenzen scharf hinterfragt: „Julia, why we don’t take metro?“ – „Because there is no metro in this area“ – „why? Look, i think this is a metro“ – „no, that’s just a bridge“. Dass es lediglich eine Metrolinie gibt, ist Mili bewusst. Dass diese im Gegensatz zu Bussen örtlich stark gebunden ist und nicht in jede Gegend fährt, die wir besuchen wollen, hält sie für unvorteilhaft. Und nicht nur hier stellt Mili meine Kompetenzen in Frage. Wenn ich weiß, wo wir hin müssen (weil ich in google maps geschaut habe), fragt sie trotzdem ab und an irgendwelche Leute nach dem Weg. Und ich meine an sich habe ich da nichts gegen. Aber ich bin schon sehr oft alleine gereist und war auf die Wegweisungen anderer angewiesen. Dabei habe ich mit der Zeit ein ganz gutes Gefühl dafür bekommen, ob die Person Ahnung vom richtigen Weg hat oder mich einfach irgendwohin schickt (um das Gesicht nicht zu verlieren, wenn man zugeben muss, dass man es nicht weiß. Man schickt die Leute hier dann lieber irgendwohin als zuzugeben, dass man keine Ahnung hat.) Mili hat diese Erfahrung scheinbar nicht (woher auch) und glaubt daher lieber Leuten, die wirklich ganz offensichtlich keinen Schimmer haben und uns vorsorglich in die falsche Richtung schicken wollen. Was mich nervt. Unser beider Verhältnis zu Google maps ist leicht unterschiedlich. Während ich es für eine sehr hilfreiche und besonders zuverlässige Anwendung halte, traut Mili dem ganzen nicht über den Weg und befürchtet ständig, dass es uns einen falschen Weg zeigt. Dazu kommt, dass sie einen Orientierungssinn wie ein Toastbrot hat. Selbst Straßen, durch die wir schon ~6x gelaufen sind erkennt sie nicht und fragt daher auch hier argwöhnisch, ob wir wirklich in die richtige Richtung laufen. An sich halte ich es ja für eine positive Eigenschaft, Dinge zu hinterfragen. Also sollte ich Milis Skepsis gegenüber meinen Guide-Kompetenzen wohl positiv bewerten.

Abseits der Wegdiskussionen haben wir eine gute Zeit. Wir schauen uns viele schöne, alte Gebäude an. Dafür legen wir auch keinen kleinen Teil der Strecke zu Fuß zurück. Was für mich normal ist, immerhin sind wir es in Deutschland gewohnt, viel zu laufen. Generell laufe ich auch gerne. Milis Motto dagegen lautet eher „sitzen hui, bewegen pfui“. Fast jede Familie hier besitzt mindestens ein Motorrad oder Mofa und das wird auch so oft, wie möglich genutzt. Mili hebt sich da nicht von der Masse ab, sie verabscheut das Laufen. Hat passenderweise auch Schuhe mit riesigem Absatz mitgenommen, auf denen das Laufen noch viel weniger angenehm ist. Wir bewegen uns daher im Schneckentempo fort und machen immer wieder Pausen. Sie ist einverstanden, dass wir nur die großen Strecken mit Metro/Bus oder notfalls Tuktuk (die sind verhältnismäßig teuer) zurücklegen und den Rest laufen. Außerdem verkündet sie morgens, dass sie bereit ist, den ganzen Tag zu laufen. Eine Viertel Stunde später ergänzt sie dann, dass ihre Füße wehtun und sie eine Pause braucht. Aber, und das habe ich noch garnicht erwähnt, sie hat ihren Schlafrythmus umgestellt! Damit hatte ich nicht gerechnet. Anstatt von 5-14Uhr zu schlafen, haben wir die Tage meist von 1-8 Uhr geschlafen und sie dann am späten Nachmittag nochmal. Sie wollte möglichst viel aus dem Urlaub rausholen und hat selber gesagt, dass sie dafür anders schlafen muss. Meiner Ansicht nach müsste sie ja eine Art Jatleg haben, aber sie hält sich wacker.

Am Mittwoch sind wir den ganzen Tag (11:50 Uhr bis 20 Uhr) mit dem Zug ins 313 km entfernte Jodhpur gefahren und da wir heute gestern früh schon in den Zug zurück nach Varanasi gestiegen sind, hatten wir nur am Donnerstag Zeit, uns den Ort anzusehen. Weshalb wir sogar noch früher aufgestanden sind. In der Nähe unseres Gasthauses ist eine alte Burg und da sind wir hin. Es ist ein toller, alter Palast. Natürlich sind auch andere Touristen hier und unter diesen sind einige dabei, die die Gelegenheit nutzen und die gesamte Großfamilie in unterschiedlichsten Konstellationen zusammen mit mir ablichten. Was Mili freut, weil sie dann zusätzliche Pausen vom Laufen bekommt. Ich habe ja schonmal erwähnt, dass ich meistens ja sage bei Fotoanfragen. In dem Palast war allerdings auch eine Gruppe junger Männer, die partout nicht akzeptieren wollten, dass ich mich gegen Selfis mit ihnen entschieden habe. Sie sind ständig um uns rumgewuselt und haben ganz zufällig Selfis von sich mit mir im Hintergrund gemacht. Da sie damit aber auch nicht aufgehört haben und es wirklich ziemlich störend war, hat sich Mili bei einer der Wachen beschwert. Die hat die Männer dann zwar angekackt aber sie haben dann halt im nächsten Raum weitergemacht. Das hat auch eine Frau mitbekommen, die mit ihren 7 Töchtern und Nichten unterwegs war. Sie hat die Männer erfolgreich verjagt und Mili und mich in ihren Trupp der Schützlinge mit aufgenommen. Super, super süß. Den Rest des Palastes haben wir uns alle gemeinsam angeschaut. Im Anschluss wollten sie zum Jao Roha desert park gehen, der liegt in der Nähe. Ich hatte ihn auch auf Milis und meine to do Liste gesetzt, allerdings war er für den Vormittag bestimmt. In der prallen Mittagshitze in einem Wüstenpark rumzulaufen – kann man machen, muss man aber nicht. Die Familie hat sich dabei nur den ersten Teil gedacht und so sind wir zusammen dorthin gelaufen. Haben dann erstmal vor dem Eingang im Schatten gesessen. In der Zwischenzeit hat sich noch ein junger Mann unserer Gruppe angeschlossen, der wohl auch irgendwie mit der Familie verwandt ist. Er hat dann beim warten im Schatten gemeint, dass wir vielleicht doch nicht reingehen sollten, denn man sieht nur Bäume und es ist heiß (es ist doch wieder wärmer geworden und auf 40° im Schatten angestiegen). Das entspricht ja (fast) ganz meiner Meinung (nur Bäume sehen? Einen Wüstenpark stelle ich mir anders vor aber gut). Ich hätte das nur schon entschieden, bevor wir eine halbe Stunde durch die pralle Sonne hingelaufen sind. Aber ok. Sind dann weiter zu einem anderen, kleinen Palast aus Marmor gelaufen. Auch dort saßen wir dann erst wieder im Schatten vor dem Eingang. Oft muss ich irgendwo auf irgendwas warten, das ich nicht verstehe. Deshalb wundere ich mich meist nicht weiter. Aber nach 10 min hieß es dann, dass wir jetzt reinschauen. Auf meine Frage, ob wir nicht erst Tickets kaufen sollten, wurde mir dann gesagt, dass wir keine brauchen, da Priyanka (meine neue Leihmama) jemanden kennt, der wen kennt und die haben gerade telefonisch geklärt, dass wir ticketlos rein kommen. Hier ein Foto von unserer Truppe:

Und ein Bild von Jodhpur, der blauen Stadt:

Und noch ein wenig über Mili. Ich verbringe die Tage immerhin viel Zeit mit ihr und da ich mit ihr unterwegs bin, sprechen die Leute immer sie an, um Infos über mich zu bekommen. Sie ist also quasi meine einzige Kommunikationspartnerin vor Ort. Gerade bin ich mal wieder – Trommelwirbel – in einem Zug. Wir fahren 22 Stunden zurück nach Varanasi. Da hat man eine Menge Zeit, die ich überwiegend dösend oder Hörbuch hörend und natürlich schlafend verbringe und Mili damit, andere Leute vollzulabern. Sie hat ein Talent, von dem ich wünschte, zumindest einen Teil davon abzubekommen. Egal, wo wir sind. Sie quatscht drauf los und hat innerhalb kürzester Zeit neue Freunde gefunden. Ganze Familien wirken auf mich nach kürzester Zeit, als würden Mili ganz selbstverständlich dazugehören. Sie bringt die Leute dazu, sie zu mögen, ihr/uns zu helfen und ihre guten Plätze aufzugeben und an Mili abzutreten. Ich bin mit einem Kommunikationswunder befreundet. Und gerade sind wir wieder an einem Punkt, den ich schon öfter mitbekommen habe (von dem kleinen Teil hindi, den ich verstehe). Sie erklärt der Familie in unserem Abteil, das ich vegan bin, was das bedeutet, was ich alles nicht esse und dass sie selber unter gar keinen Umständen so leben oder auch nur ansatzweise nachvollziehen könnte, warum ich das mache. Ohne, dass mir wahlweise eine Gesellschaft oder irgendwelche Götter vorschreiben, dass das so gut ist für mich. Und gerade hat sie mir wieder lachend berichtet, dass auch die Familie wieder staunend gefragt hat, was ich denn dann essen würde. Sie sagt, dass ich Gemüse und Hülsenfrüchte esse. Aber ihrer Ansicht nach esse ich eh kaum was (weil ich oft nicht zu den hier gewohnten Zeiten esse und wenn dann keine 6 Portionen Reis. Es ist ein Trauerspiel mit meinen Essgewohnheiten. Bietet aber immerhin viel Gesprächsstoff für alle meine Bekannten). Heute zum Beispiel hätte ich nur 4 Bananen und ein paar Chips gegessen. Was stimmt, aber halt daran liegt dass wir Zug fahren und nicht viel mehr mitnehmen konnten. Außerdem ernährt sie sich im Zug nur von Chips und da halte ich meine Bananen ja durchaus für einen Bonus. Sie mag kein Obst und kein Gemüse und ist demnach quasi mein Ernährungsantagonist. Sie liebt Fleisch, Eier und Paneer (Art Käse), also all das, worauf ich gerne verzichte. Was mich aber am meisten irritiert ist, dass die Leute mich hier immer so ungläubig fragen, was ich denn als Veganer essen würde. Das ist das Land mit so vielen Vegetariern, wie sonst vermutlich nirgends und die meisten vegetarischen Speisen hier sind auch vegan oder zumindest sehr leicht umzumodeln (einfach Ghee oder Butter weglassen oder durch Öl ersetzen). Meiner bisherigen Erfahrung nach biete die indische Küche die meisten veganen Speisen. Aber vielleicht sind die Leute auch gerade deshalb so verwundert, weil vegan hier kein verbreitetes Konzept ist. Vegetarisch heißt hier oft, kein Fleisch, Fisch und auch keine Eier zu essen. Aber keine Milch? Milch wird auch hier als gesundes Nahrungsmittel wahrgenommen. Außerdem gibt man es den Göttern als Opfergabe, also warum nicht auch selbst zu sich nehmen? Eine anderer Punkt ist auch, dass der Begriff Gesundheit hier deutlich anders ausgelegt wird, als ich es aus Europa gewohnt bin. Während ich eine gewisse Sportlichkeit zusammen mit einer gesunden Ernährung (u.a. nicht zu viel Fett und Zucker) zu physischer Gesundheit zähle, bezeichnen die Inder, mit denen ich Kontakt habe, Menschen als „healthy“, die in unsren Augen ein paar Kilo zu viel auf den Rippen haben. Erst vor kurzem hat mir einer der Familienväter, die Mili im Zug über mich aufgeklärt hat, erläutert, dass Inder wirklich garnichts darauf gäben, gesund zu sein. Weder essenstechnisch, noch auf Bewegung bezogen. Dabei hatte Mili ihnen belustigt erzählt, dass ich nicht zu viel Zucker essen wollen würde. Weil ich der Meinung wäre, dass das nicht gesund sei. Dabei brauche der Mensch ja Kohlenhydrate, also sei Zucker doch was gutes. Naja, zurück zu Mili. Sie freundet sich nicht nur mit den Familien an und lässt sie ihre Kommunikationsfreudigkeit spüren, sondern spielt auch mit deren Kindern. Gerade schläft ein ausgiebig lachender ~8-jähriger Junge unter mir (ich liege bequem auf der obersten Liege im Schlafwagen), der vorhin noch laut am lachen war, da er von Mili bespaßt wurde.

<span;>So, mittlerweile ist es Samstag Morgen, 6:30 Uhr. Ich habe die Nacht etwa 3 h geschlafen. Was zum einen daran liegen mag, dass ich gestern tagsüber etwas geschlafen habe, dann daran, dass wir komplett durchgeschüttelt werden und mein Körper diesen Zustand scheinbar nicht ideal für eine Runde Schlaf hält und zu guter letzt daran, dass Mutter Natur mich gestern überraschend darauf aufmerksam gemacht hat, dass ich nicht schwanger bin. Warum mir das auf so dramatische und schmerzvolle Art mitgeteilt werden muss, ist für mich relativ unverständlich. Eine Mail mit der Info würde mir durchaus reichen. Scheinbar möchte mich mein Körper jedoch spüren lassen, dass er sich da auf ein Baby vorbereitet hatte und nun zutiefst enttäuscht ist, dass ich da nichts zu beigetragen habe. Jetzt werden die entsprechenden Vorbereitungen scheinbar gewaltsam zerstört und dabei wurde die Schmerztablette scheinbar mit ignoriert. Gut ist aber immerhin, dass ich liegen kann. Laut der Liveverfolgung unseres Zuges hat dieser 3:09 Stunden Verspätung. Wir hätten ursprünglich um 6:40 Uhr ankommen sollen aber so schenkt uns die indische Zuggesellschaft wiedermal Bonusstunden des Fahrterlebnisses. Was ich an anderen Tagen dankend annehmen würde, weil das mehr Schlaf bedeutet, hätte ich heute lieber dankend abgelehnt. Aber so funktioniert das ja nicht. Eigentlich sollte ich froh sein, dass mein Zug überhaupt fährt und dass er von meiner Station aus losgefahren ist. Das war die Tage nämlich garnicht mehr so sicher. Momentan fallen einige Züge aus (offenbar wegen aufkeimender Streits zwischen Muslimen und Hindus in mehreren Städten) und andere werden umgeleitet. Unserer gehört zu den glücklichen Fahrzeugen, für das eine Umleitung vorgesehen ist. Was uns auch per sms mitgeteilt wurde. Zusammen mit einer Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten. Nur stand halt nicht mit dabei, welcher Teil der Strecke umgeleitet wird und ob wir betroffen sind. Mili hat einige Leute abtelefoniert, die uns am Ende alle gesagt haben, dass Start- und Zielbahnhof gleich sind (also alles gut für uns) und nur ein Teil der Zwischenstopps durch andere Haltestellen ersetzt werde. Die Hotline der Zuggesellschaft war nicht erreichbar und ich habe keine Ahnung, woher die 3 Leute die Info haben, aber sie sollten recht behalten.

In etwa 3 Stunden sollten wir dann hoffentlich in Varanasi ankommen. Am Montag werde ich dann in den Süden fliegen (leider waren die Zugtickets alle ausverkauft. Außerdem hätte die Fahrt einfach über 48 h gedauert – ohne Verspätung. Daher ist ein Flug dann doch auch angenehmer. Und noch eine Neuigkeit: mittlerweile habe ich ein gutes Rezept für die veganen und glutenfreien Brownies kreiert und das Bananenbrot kommt auch sehr gut an. Das hatte ich glaub noch garnicht berichtet.

Ich wünsche wieder einen guten Start ins Wochenende! Viele Grüße aus der Ferne 🙂

Ich mag Züge.

Es ist Samstag Abend und ich sitze in einem Zug. Zusammen mit einer sehr aufgeregten Mili. Wir fahren mit dem Nachtzug nach Delhi, kommen So früh dort an und fahren am Abend weiter in die Wüste nach Jaipur. Von dort geht es 2 Tage später weiter nach Jodhpur und anschließend mit dem Hochgeschwindigkeitszug (Durchschnittsgeschwindigkeit von 56 km/h) die 1163 km wieder zurück. Ich fahre in den Urlaub. Mache also quasi Urlaub im Urlaub.

Eigentlich war die Fahrt zum Bahnhof schon ein erstes kleines Abenteuer. Natürlich hat der Wettergott*göttin es eine Stunde vor unserer Abfahrt entschieden, dass die Regenzeit jetzt doch mal einsetzen sollte. Bei unserer Abfahrt hat es aber nur noch leicht geregnet. Milis Schwester und ein Freund haben Mili samt Koffer und 2 Taschen auf dem Motorrad mitgenommen und mich mit Rucksack und den sagenumwobenen 2 Paketen für Delhi auf dem Roller. Ich glaube, dass man uns auf einem Motorrad transportiert hätte, wäre ich keine Ausländerin. Diese Art von Transport empfinde ich als durchaus lehrreich. Besonders Leuten, die dazu neigen, generell in brenzligen Situationen weniger gelassen zu reagieren, würde ich ein paar solcher Fahrten besonders and Herz legen. Quasi als Workshop zur Persönlichkeitsweiterbildung. Wenn man nur lange genug glaubt, alle 5 Sekunden wahlweise überfahren/angefahren oder wie im Comic vom Motorrad katapultiert zu werden, muss man sich schon arg anstrengen, keine Art von Gelassenheit zu entwickeln. Und um das Erlebnis noch etwas aufzupimpen, kann etwas Nässe von oben und unten dazugegebdn werden!

Bevor es anschließend mit der Zugfahrt losgeht, laufen 2 Polizistinnen durch den Wagon und sprechen ab und an Leute an und machen Notizen. Irgendwann machen sie bei Mili und mir Stopp. Das wundert mich nicht weiter, weil Leute generell neugierig sind, wenn ich irgendwo auftauche und auch Polizisten da meist keine Ausnahme sind. Die beiden fragen, ob wir mit Milis Schwester und dem Freund zusammen verreisen (sie sitzen noch bei uns im Zug. Vielleicht wollen sie sicher gehen, dass wir auch wirklich fahren ^^) und wir verneinen. Daraufhin folgt eine lange Konversation. Mir etwas zu übersetzen hält niemand für notwendig, weshalb ich davon ausgehe, dass sie über belangloses reden. Irgendwann wiederholen sie die Zahlenfolge 139 des öfteren, auch an mich gewandt. Das übersetzen sie mir auch extra. Aber was ich mit der Zahl anstellen soll? Keine Ahnung. Sie deuten an, ich solle es abspeichern. Also tu ich das. Irgendwann fällt aber einer Polizistin auf, dass ich es nicht im Adressbuch einspeichere, weshalb sie Mili dann doch bitten, was zu übersetzen. Es ist die Woman-help-hotline für Frauen, die ohne männlicher Begleitung reisen. Sie notieren sich unsere Ticketnummer und machen ein Foto von uns neben einer der Polizistinnen. Dann ziehen sie weiter. Ich finde gut, dass es sowas gibt und dass die Polizei sogar extra darauf aufmerksam macht, indem sie Polizistinnen durch die Züge schicken. Bestimmt fühlen sich Frauen, die weniger Privilegien als ich haben, so sicherer. Nur bin ich mir unsicher, wie effektiv es in der Straftatvorbeugung oder auch -bekämpfung ist, uns zu fotografieren. Aber gut, da hat sich bestimmt jemand was bei gedacht.

Ich war noch nie in der Wüste. Mittlerweile ist es Sonntag Mittag und wir machen unseren Zeischenstopp in Delhi, damit Mili hier zu einem Vorstellungsgespräch gehen kann. Am Nachmittag geht es dann weiter nach Jaipur. Eine Stadt in der Wüste – ich bin schon sehr gespannt! Ich hoffe, eventuell eine Tour zum Sonnenuntergang zu machen. Aber mal schauen. Immerhin reise ich nicht alleine. Ich fühle mich schon jetzt so eingeschränkt. Und gleichzeitig, als würde ich mit einem unmündigen Kind und keiner erwachsenen Frau reisen. Was vermutlich daran liegt, dass Frauen maximal im großen Familiienverband verreisen und sich abseits der Verpflegung und des Kofferpackens um nichts kümmern, soweit ich das mitbekommen habe. Demnach macht sich Mili auch zu nichts Gedanken und läuft mir nur hinterher. Ab und an kommen hilfreiche Ratschläge, wie „look, there is the metro station“ wenn ich uns zur Metro gelotst habe und wir 10 m davor stehen. Wir haben hier beide unsere Rollen. Ich reise jetzt also in Begleitung einer Freundin. Einer Freundin, die einen komplett anderen Rythmus hat als ich (sie schläft normalerweise von 5-14Uhr) und laufen verabscheut. Außerdem scheint mir, als wolle sie unter garkeinen Umständen allein sein und ich war eigentlich schon davon ausgegangen, dass ich vormittags unterwegs bin und sie nicht beim Schlafen beobachte. Aber das wird sich wohl noch herrausstellen. Erstmal müssen wir überhaupt ankommen.

Und – Überraschung – dafür sitzen wir wiedermal in einem Zug. Diesmal in keinem Nachtzug, denn unser letztes Stück der Reise dauert nur 4,5 h, sondern in einem Doppeldecker mit normalen Sitzplätzen. Mili hat auf die für sie unübliche Aufteilung eines Zuges in mehr als nur eine begehbare Etage etwas argwöhnisch mit der Frage „Julia, please tell me. Will we die?“ reagiert. Ich gehöre zwar nicht unbedingt zu dem Personenkreis, der hierauf einen besonders großen Einfluss hat, habe aber meine fachmännische Meinung kundgetan: „No“. Ganz nach dem Motto weniger ist mehr, sollte die Antwort ausreichen. Wir wollten beide am Fenster sitzen (sie, weil sie hier direkt an der Steckdose sitzt, ich weil mir hier die Klimaanlagenluft nicht genau ins Gesicht bläst) und so hat sie beschlossen, dass die glückliche junge Frau auf dem anderen Fensterplatz ihren Sitz mit ihr tauschen sollte. Und wer den Beitrag über den Flug nach Indien gelesen hat, weiß ja, dass man hier alles ausdiskutieren kann.

Und die Zugfahrt bringt mich noch auf einen anderen gesellschaftlichen Unterschied. Hier hat jeder sein Handy auf laut gestellt?! Warum?! Warum sollte ich denn einen nervigen Klingelton hören wollen, wenn auch eine diskrete Vibration den selben Effekt erzielt-mich auf einen Anruf aufmerksam macht? Und dazu kommt noch, dass Inder das Telefonieren lieben. Ich habe nichts dagegen, für die schnelle Klärung eines Sachverhalts einen Anruf zu tätigen. Oder um mit Leuten zu quatschen, die nicht in der näheren Umgebung leben. Aber dass hier jeder ständig miteinander telefonieren muss? Puh, ich fände das ja anstrengend. Mili hat allein heute schon bei jedem Ereignis mit der Familie gesprochen. Sind im Zug, sind immernoch im Zug – kommen aber wahrscheinlich bald in Delhi an, sind in Delhi angekommen, sind bei Michas Bäckerei angekommen, sind auf dem Weg zum Zug nach Jaipur. Bestimmt habe ich das Telefonat im Zug nur verpasst. Und nicht nur klingeln dann ständig irgendwelche Handys oder verkünden die Ankunft einer Nachricht, nein. Gerade Generation 50+ spielt auch gerne Spiele und möchte scheinbar auch alle anderen Passagiere an ihrem Spaß daran teilhaben lassen. Wer geräuschempfindlich ist, wird in Indien nicht seines Lebens froh. Außer vielleicht, man ist wo, wo es keine Menschen gibt. Aber diesen Ort halte ich nicht für realistisch. Hier sind überall immer extrem viele Leute 😀 In Jaipur habe ich ein Hotel gebucht, das einen kostenlosen Abholservice vom Bahnhof bietet. Allein dafür habe ich bereits mit 5 Leuten telefoniert und mit 3 über WhatsApp geschrieben. Effizienz zählt wirklich unter garkeinen Umständen zu Werten, die von der indischen Gesellschaft getragen werden. Ich kann denk ich guten Gewissens versichern, dass das erstmal noch ein Weilchen unsere Spezialität bleiben wird.

Schließlich muss ich noch eine Kleinigkeit richtig stellen. Ich hatte das mit der Fremdbestimmung und dass andere über mich entscheiden eher auf Männer bezogen. Das ist neuesten Erfahrungen zufolge jedoch keineswegs eine geschlechterspezifische Eigenschaft. Nur haben mir scheinbar vermehrt Männer geholfen, weshalb es mir dort einfach mehr aufgefallen war. Als ich Meena aber um Unterstützung beim Kauf einer großen, rechteckigen Stahlbrotdose gebeten habe, hat sie den Verkäufer 5 verschiedene runde bringen lassen, die sie gut fand. Dazu habe ich immer gesagt, dass ich das nicht will. Hat sie aber nicht eingesehen. Bis ich sie in der Hand hatte und meinte, dass ich die nicht mag. Und Mili hat im Zug einfach nein gesagt, als ich sie darum bat, den Kontrolleur nach einer Decke zu fragen (die es immer gibt, nur da irgendwie nicht), weil sie es nicht kalt fand. Bis ich von meinem Schlafplatz ganz oben heruntergekommen wäre, war der Schaffner vermutlich schon im Feierabend. Mann, war ich pissig. Also ich ergänze: Indien ist auch das Land, in dem jeder besser weiß, wie es einem geht und was man braucht. Ich mag es wirklich sehr, das selber bestimmen zu dürfen.

Wie vielleicht auffällt, ist der Artikel wieder länger. So kurze Beiträge sind nichts fpr mich, ich merke, wie es mir selbst gut tut, all die Erfahrungen schriftlich festzuhalten und sie so fast noch mehr zu erleben.

Grüße gehen raus von irgendwo in der Wüste in einem Doppeldeckerzug!

Wie packe ich ein Paket oder Es ist soweit

Oft frage ich mich, ob ich wohl bald überhaupt noch Ideen haben werde, was ich schreiben kann. Oder ob nicht vieleicht irgendwann der Alltag eintrifft und mir hier alles komplett normal vorkommt. Glücklicherweise bin ich dazu aber noch nicht lange genug hier. Oder meine lieben Leute hier geben sich besonders Mühe, mich zu unterhalten. Heute geht es darum, ein Paket zu packen. Gut, eigentlich sind es zwei aber sie werden in einem Aufwasch gepackt. Zu Michas Projekt gehört eine Näherei, die Frauen ausbildet und zu fairen löhnen anstellt. Die Produkte werden teilweise in Europa verkauft. Ich wurde daher gebeten, 2 Pakete mit nach Delhi zu nehmen und von dort aus nach Italien bzw. Spanien zu verschicken. Soweit, so gut. Ich war mit den Näherinnen verabredet und in einem Videotelefonat haben wir herausgefunden, welche Hemden wir genau wohin verschicken sollen. Auch das hat problemlos funktioniert. Dann ging es darum, dass Ashif und Akash uns dabei helfen sollten, sie für den Versand zu verpacken. Nach einer viertel Stunde Diskutieren habe ich mich dann hingesetzt und beschlossen, abzuwarten, was passiert. Nach einer halben Stunde hieß es, sie müssten Material besorgen gehen. Da hab ich mich schon gewundert, weil das hier ein großes Unternehmen ist, das nicht selten Dinge verschickt oder erhält. Aber gut, ich habe schon gesehen, wie hier Pakete in einen Stoff eingenäht werden, daher ging ich davon aus, dass sie irgendwelche bestimmten Materialien benötigen. Kurz später waren sie mit billigen Stofftüten zurück, in die sie die Hemden packten. Worauf man halt so nach ~30 min ausführlicher Beratung kommt. Ich habe dann Bedenken hinsichtlich der Praktikabilität beim Versenden ins Ausland geäußert. Woraufhin alles von vorne losging. Um weitere kreative Vorschläge zumindest in eine Richtung zu lenken (ich möchte mich ja wirklich nicht wie die allwissende Ausländerin aufspielen. Aber langsam habe ich doch so meine Bedenken bekommen – immerhin möchte ich morgen schon mit den Päckchen nach Delhi), habe ich das Verpackungsmaterial Karton vorgeschlagen. Glücklicherweise wurde es wohlwollende aufgefasst und nun warte ich auf irgendwas, das Akash noch vorbereitet. Warum einfach, wenn man es auch kompliziert machen kann? Das ist also die Geschichte, wie ich heute seit 1,25 Stunden 2 Pakete packe.

Ich frage mich, ob das in etwa dem Inhalt entspricht, den man von so einem Blog hier erwartet. Zumindest hatte ich nicht damit gerechnet, darüber zu schreiben, wie ich Pakete packe (-n lasse). Aber mal ehrlich, wie interessant wäre es schon zu beschreiben, welche Farbe der Ganges hat (braun) oder wie oft es regnet (nie)? So biete ich zumindest die Möglichkeit eines Lerneffektes. Ihr wollt mit Indern ein Paket packen? Viel Spaß, ich habe euch gewarnt 😀

So, mittlerweile ist der Tag rum. Es war ein langer Tag. Nach der Paketaktion bin ich mit Zwischenstopp bei meinem Juice wallah (dem Saftverkäufer meines Vertrauens) bei Mili vorbei und habe die Pakete bei ihr abgegeben, weil ich mit ihr zusammen nach Delhi fahren werde. Dann zurück ins Gasthaus, schlafen gelegt. Mittlerweile habe ich dazugelernt und meinen Biorythmus etwas angeglichen. Geschlafen wird in der Nacht 6h und am Nachmittag 1-2h. Das ist ganz gut. Abends mit Zwischenhalt bei Nitin zu Meena und wir waren mit ihren Kids dann in dem Restaurant eines anderen Bekannten essen. Wieder heim, festgestellt, dass Meena ihren Schlüssel in meiner Tasche vergessen hat. Also wieder zurück. Ammar hat mir angeboten, mich mit dem Motorrad zu bringen (es war schon etwas später). Und wieder bin ich drauf reingefallen. Habe es dankend angenommen und gesagt, dass sie beim Blue lassi shop wohnt. Meinte noch, dass ich hoffe, dass der nicht umgezogen ist. Er „nee, ist er nicht“. Wir also an ne ganz falsche Stelle gefahren. Dadurch, dass diese ganzen kleinen Gassen oft Sackgassen sind, kann man nicht nach Gefühl fahren, sondern sollte sich auskennen. Was wir beide in der Gegend nicht taten. Google maps hat aber mittlerweile die Gassen mit aufgenommen und so konnte ich sehen, dass wir zurück und so fahren sollten, wie ich es anfangs vorgeschlagen hatte („no, this is good for walking but with the bike another way is better“). Er fing wieder an, Gott und die Welt zu fragen. Männer, ey. Ukd wollte dann von da aus laufen, was laut Google maps vollkommen schwachsinnig war, weil extrem großer Umweg. Aber diesmal habe ich mich durchgesetzt. Ich war irgendwann ziemlich pissed, dass er meine Vorschläge, wie wir fahren sollten, einfach völlig ignoriert und meinte dann, dass ich jetzt nur noch so zu Meena will und nicht anders. Sind dann auch entsprechend gefahren und das letzte Stück gelaufen. Am Ende hat er mich auch wieder zum Gasthaus zurück gebracht, damit ich um die Zeit nicht allein gehen muss. Was ja wieder super nett ist. Obwohl ich mich zumindest in dem Viertel hier, das ich wirklich gut kenne, auch nachts sicherer fühle als irgendwo in Deutschland-einfach nur, weil überall viele Menschen sind (die mich auch noch kennen) und ich als Ausländerin nun mal auffalle. Wenn da was passieren sollte, weiß ich, dass mir eine Menge Leute helfen werden.

Anschließend noch kurz zur letzten Nacht. Es ist wieder soweit. Es hat auf 30° runtergekühlt. Und da ich wieder fitter bin, schlafe ich seit 2 Nächten wieder auf dem Dach. Es ist etwas windig, was eigentlich super angenehm ist. Heute Nacht hat mein Körper allerdings entschieden, dass uns 30° zu wenig sind. Ich bin um halb 5 frierend aufgewacht und in mein Zimmer gegangen (wo es deutlich wärmer war. Mit Ventilator war es dann gut). Tagsüber hatte es heute nur noch 36°, aber dafür mit einer Luftfeuchtigkeit, als wollte ein Wettergott (gibt es hier bestimmt auch) die sinkenden Temperaturen ausgleichen. Die Aktion ist geglückt.

Falls übrigens jemand Lust hat, das Projekt hier zu unterstützen (kann ich nur wärmstens empfehlen!), oder sich einfach nur genauer darüber zu informieren, was hier alles gutes getan wird, packe ich mal den Link dazu:

Home

Viele Grüße sende ich vom Dach. Diesmal ausgerüstet mit einem Tuch, das im Laufe der Nacht eventuell als Decke fungieren wird.

…und weg ist es wieder, das liebe Internet. Jetzt ist es Samstag Vormittag und ich wünsche ein schönes Wochenende!

Eine Hand wäscht die andere

Ich mag die meisten Leute hier im Gasthaus und von anderen Teilen Michas Projekts. Sie sind überwiegend nett und wir helfen uns gegenseitig. Sie besorgen mir zB. Mangos, weil sie die noch günstiger bekommen und außerdem die besten raussuchen und ich helfe ihnen dabei, Nachrichten an ihren Boss auf englisch zu verfassen. Was irgendwie witzig ist, weil ich so von mehreren Handys den Tag über mit Micha schreibe und auch selbst mit ihm telefoniere, um abzusprechen, wie ich ihn hier noch unterstützen kann. Oder eben, um festzustellen, dass mich so ein paar Treppenstufen nicht unterkriegen 😀

Die Sache mit dem Helfen ist auch sicherlich immer lieb gemeint. Aber manchmal mache ich die Dinge lieber selbst. Die Tage zum Beispiel, als ich mal Bananenbrot backen wollte, habe ich verkündet, dass ich Bananen kaufen gehen will. Ammar meinte, er kommt eben mit. Gut, dachte ich. Kann ja nicht viel schief gehen bei, dachte ich. Dass er aber jeden einzelnen Gemüse(!!)-Händler, der einen Holzwagen als Stand hat, fragt, ob der auch Bananen verkauft? Damit hatte ich nicht gerechnet. Mal eben Bananen besorgen? Nope. Ich bekomme langsam (ok, ehrlichgesagt sehr schnell) den Eindruck, indische Männer trauen Verkäufern nicht über den Weg. Der etwa 70-jährige Mann, der einen großen Holzwagen mit Mangos vor sich herschiebt. Der schaut verdächtig danach aus, eigentlich auch Bananen zu verkaufen, sie aber nur vor uns zu verstecken. Während mein deutsch geprägtes Hirn die Situation analysiert und zu dem Schluss kommt, dass der Mangoverkäufer offensichtlich keine Bananen hat und ich weitersuchen sollte – da denkt sich ein indisch geprägtes Hirn in solch einer Situationen aber scheinbar etwas anders. Hier gilt entweder „der Mann verkauft etwas. Ich sollte ihn unbedingt fragen, ob Bananen zu seinem Sortiment zählen und dann noch 2 min so mit ihm quatschen.“ Oder vielleicht „ich sehe keine Bananen, also frage ich danach“. Manchmal habe ich auch das Gefühl, es lautet die Devise „lieber 2x nachgefragt, als 1x nachgedacht“.

Ähnliches in einem Supermarkt. In den ich primär deshalb gerne gehe, weil man da in Ruhe gelassen wird und einfach nur schauen kann, was es gibt. Außer natürlich, man ist mit Begleitung dabei, die sofort mehr als genug Gründe kennt, das Personal zu sich zu holen. Und dann geht man mit 3-4 Mitarbeitern im Schlepptau durch den Laden und bekommt gesagt, was man gerade vor sich im Regal sieht. Diesmal bin ich mit der Hoffnung hingegangen, evtl Senf oder Sauerkraut zu finden, um meinen Freunden etwas deutsches kochen zu können. Und man kann natürlich nachfragen, wenn man etwas nicht findet, soweit sehe ich das noch ein. Senf hatten sie tatsächlich da und vielleicht mache ich bald mal einen Kartoffelsalat.

In der kleinen Obst- und Gemüseabteilung waren keine Guavas zu finden und ich habe eine neue Herangehensweise an die Situation gelernt.  Man frage einfach jeden einzelnen Mitarbeiter (und glaubt mir, es sind viele. Es sind immer mehr Mitarbeiter als Kunden vor Ort), ob sie denn Guavas hätten. Jeden. Einzelnen. Spoiler: nein. Haben sie nicht. Anschließend bietet sich außerdem an, noch 10 weitere Minuten in dem Laden zu verbringen. Vielleicht aufgrund der Atmosphäre. Ich verstehe nicht, was meine lieben BegleiterInnen immer alles besprechen, da sie mir einfach nur übersetzen „nein, Guavas gibt es keine“. Das ist die ausführliche Zusammenfassung einer 10-minütigen Unterhaltung. Also ja. Ich habe sie gern aber manchmal finde ich es ein bisschen anstrengend.

Heute war ich in einer kleinen Shoppingmall. Alleine. Im Nachhinein habe ich es erzählt und es kam sofort „oh nein, wir hätten doch zusammen hingegen können! Hättest du nur eher was gesagt! Wir hätten zusammen Spaß haben können“ Ja. Nein. 😀

In Anlehnung an Ludwigs Beschwerde zum ersten Beitrag, der seiner Meinung nach nicht mit Tag 2 beginnen sollte und außerdem ein „halber Roman“ ist, halte ich mich heute mal kürzer 🙂

Viele Grüße!

Freiheit und Segen

Indien. Was macht Indien für mich aus? Die Frage stellt sich mir öfter, weil sich die Dinge ändern. Eine Gesellschaft befindet sich im stetigen Wandel und natürlich verändere auch ich mich und mit mir meine Wahrnehmung. Das allererste, das allerdings nach ausnahmslos jeder Ankunft auffällt, ist der Temperaturunterschied. Wobei „auffällt“ schon arg positiv formuliert ist. Indien ist das Land, in dem ich die Klimaanlage nutze, um mein Zimmer auf 30° runterzukühlen (weil ich krank bin und somit den ganzen Tag im Zimmer verbringe). Es riecht überall und damit meine ich nicht stinken, sondern es sind einfach für mich aus Deutschland unbekannte Gerüche in der Luft. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran und ich nehme sie nicht mehr war. Aber woran ich mich vermutlich nicht so einfach gewöhnen kann ist es, gefühlt jede Minute einen Hörsturz zu bekommen, weil durch die kleinen Gassen Motorräder fahren und um sicher zu gehen, dass das im Umkreis von 100 m auch wirklich jeder mitbekommt, wird ständig gehupt. Ein Vorteil dabei ist, dass die Gasse wie ein Verstärker wirkt und man wirklich unter garkeinen Umständen verpassen kann, dass da ein Motorrad ist. Wundervoll.  Und dann gibt es noch Dinge, die einem erst bewusst werden, wenn man etwas länger vor Ort ist und auch ein paar Leute kennt:

Ich reise gerne alleine. Diese Freiheit – jede Minute aufs neue entscheiden zu können, worauf ich jetzt gerade Lust habe. Ich liebe es! Außerdem kommt man so gezwungenermaßen viel schneller in Kontakt mit anderen Leuten. Mögen es Einheimische oder auch Touristen sein. Die Hemmschwelle, eine Einzelperson anzuquatschen ist einfach niedriger. Wobei die Hemmschwelle hier erfahrungsgemäß ehrlich gesagt nicht wirklich vorhanden ist. Sie liegt praktisch auf dem Boden und man kann einfach darübersteigen. Wenn es eins gibt, das ich der gesamten Nation zusprechen würde, dann Kommunikationsoffenheit. Und von meiner Seite aus betrachtet muss ich natürlich immer, wenn ich mich mit jemandem live austauschen möchte, jemanden hier anquatschen. Alleine zu reisen fördert also ganz klar die Kommunikation mit Fremden. Aber zurück zum eigentlichen Punkt. Meine Freiheit. Ich mag sie.  In Varanasi habe ich 3 wirklich gut befreundete Familien, einen guten Freund (Nitin ist wie ein großer Bruder) und einige Bekannte. Das machen 3 Familien, einen Freund sowie etliche Bekannte, die mich aufgrund meiner fehlenden Familienstruktur hier bemitleiden und sie zu ersetzen versuchen. Bedeutet: es mischen sich über 20 Leute in mein Leben ein und sagen mir, was ich tun soll. Ich mochte meine Freiheit. Also das ist ja wirklich süß. Und gerade dann, wenn man krank ist oder es einem sonst nicht so gut ist, tut es auch wirklich gut zu wissen, dass sich jemand um einen kümmert und man nicht allein auf einem Kontinent gestrandet ist, der die eigene Kultur so garnicht versteht.

Ich erzähle einfach ein paar Beispiele. Wie gesagt, bin ich noch etwas krank. Leichtes Fieber, Erkältung mit Kopf- und Halsweh. Nichts schlimmes. Jetzt wollen hier alle, dass ich zum Arzt gehe und verstehen nicht, wie ich das ablehnen kann. Dann bin ich vor 2 Tagen noch auf der Treppe gestürzt. Meine Füße wollten scheinbar einen schnelleren Weg nach unten finden und in der Hinsicht war es auch wirklich effektiv. Die letzten Stufen der Steintreppe habe ich auf einer Poobacke und dem linken Unterarm zurückgelegt. Unkonventionell und auch nicht besonders empfehlenswert. Jedenfalls sind da jetzt große blaue Flecken und eine große Schramme am Arm (die rot ist und nicht schwarz. Was viele total gemein finden, weil es in rot viel schöner aussieht als bei ihrer Hautfarbe. Alles klar ^^). Da das passiert ist, als ich gerade in der Hochphase meiner Fiebrigkeit war, kamen mir dann durch den zusätzlichen Schreck (und es hat schon auch etw wehgetan) kurz die Tränen. Habe Mili, die mir gerade zufällig entgegen kam und sofort das gesamte Gasthaus zusammengerufen hat, gleich versichert, dass es mir gut geht. Ich wurde unter Begleitung von 3 Leuten ins Zimmer gebracht und sofort wurde eine Notfallnachricht an Micha abgesetzt. Der in Deutschland ist (dem das gesamte Projekt hier gehört). Dann wollen sie mich zum Arzt bringen. Ich verneine. Sie halten es für Verständigungsprobleme oder Höflichkeitsgeplänker (mit Deutschen hatten sie scheinbar echt noch nicht viel Kontakt ^^ uns wird ja viel nachgesagt, aber dazu gehört sicher keine ausgeprägte Höflichkeit). 2 min später wird mir das Handy mit Micha in der Leitung in die Hand gedrückt. Ich soll mit ihm reden. Ich mag Micha, aber ohne ihn schlecht reden zu wollen-ich halte seine Fernheilfähigkeiten für sehr arg begrenzt. Aber gut. Quatsch ich halt mit ihm. Er fragt, was passiert ist. Nach der Nachricht, laut der es unserer Julia sehr schlecht geht und sie auf der Treppe gestürzt sei, geht er erstmal davon aus, ich habe mir das Genick gebrochen (warum sonst sollten sie ihn auch anrufen? Er ist in Deutschland). Ich erkläre ihm kurz, dass alles gut ist und wir müssen beide darüber lachen, dass ich dem Tod scheinbar gerade so von der Schippe gesprungen bin und ich jetzt vermutlich besser irgendeinen Gott hier anbeten sollte. Es gibt schließlich für alles einen Gott. Er rät mir, mich auszuruhen. Gut, vlt war meine Annahme zu seinen Heilkünsten etwas voreilig 😉 Bestürzt nehmen Mili, Chandu und Anju dann zur Kenntnis, dass Micha NICHT gesagt hat, ich muss jetzt auf jeden Fall zum Arzt. Könnten sie es rückgängig machen, würden sie vermutlich eine Person anrufen, die englisch spricht und mich zum Arzt schickt. Naja. Ich habe zwar beteuert, einfach nur meine Ruhe und schlafen zu wollen, aber vorsichtshalber sind Mili und Anju dann noch 1,5 Stunden bei mir geblieben und haben mich vollgelabert. Ich habe beide gerne. Aber meine Liebe für Menschen, die mich volllabern, während ich meine Ruhe haben mag, ist wirklich sehr stark begrenzt (das wird super, wenn ich mal Kinder habe ^^).

Ein weiteres Beispiel zum Thema Fremdbestimmung. Ich habe erwähnt, dass ich bei der Hitze sehr viel trinke und dadurch nicht so viel Hunger habe. Und auch so esse ich kleinere Portionen als meine Freunde. Dabei esse ich normal wirklich nicht wenig. Jedenfalls wird hier heiß diskutiert, wie oft, wann, was und wie viel ich hier esse und ständig muss ich geradezu darum kämpfen, nicht noch mehr essen zu müssen. Was ich als extrem nervig und anstrengend empfinde. Zum einen ist es in der Kultur hier verankert, seine Gäste regelrecht zu mästen, wenn man ein guter Gastgeber sein mag. Zum anderen gilt hier zwar der Taroof nicht, aber es geht in die Richtung. Wird einem etwas angeboten (zB magst du einen Chai?), lehnt man aus Höflichkeit erstmal ab. Wird man nochmal gefragt, kann man irgendwann ja sagen. Wenn ich aber 5x gesagt habe, dass ich wirklich satt bin und nichts mehr essen mag, muss ich oft die Hände über den Teller halten, damit ich nicht noch mehr serviert bekomme. Was natürlich unhöflich ist. Aber ich weiß nicht, wie ich das (ohne Lebensmittelverschwendung) höflich lösen kann und habe auch in Zukunft nicht vor, ewig weiter zu essen ^^

Dann hat ein Gasthausmitarbeiter die Tage mitbekommen, dass ich nicht so fit bin. Am ersten Tag hat er mich gefragt, was los sei und ich habe gesagt, dass ich erkältet bin und Verdauungsprobleme habe. 2 Tage später schreibt er mir, er habe seinen Vater (Arzt) gefragt und der empfehle mir irgendwas. Was ja auch nett ist, aber mittlerweile hatte ich keine Verdauungsprobleme mehr, dafür aber Fieber und viel stärkere Erkältungssymptome.

Und dann noch ein kurzes letztes Beispiel. Ich war bei Mili und wurde von ihrer Mutter zum Essen eingeladen. Darauf hatte ich keine große Lust, da die Familie gerade am Streiten war und meine Vorstellung von Urlaub nicht vorsieht, mitten in einem Familienstreit zu sitzen und essen. Daher war ich froh, schon mit Priyanka zum Abendessen verabredet zu sein. Ihre Familie mag ich lieber und das Essen schmeckt auch himmlisch. Nachdem ich daher abgelehnt habe, sagt mir Milis Mutter kurz darauf, gar kein Problem. Sie habe gerade mit Priyankas Mutter telefoniert, heute esse ich bei Mili und gehe dafür morgen zu Priyanka. Ich reise gerne alleine. Diese Freiheit – jede Minute aufs neue entscheiden zu können, worauf ich jetzt gerade Lust habe. Ich liebe es!

Diese Fürsorge, die ich einerseits als übergreifend wahrnehme, trägt aber letztendlich natürlich maßgeblich dazu bei, dass ich mich hier so wohl fühle. Es ist ein Zwiespalt.

Nun zu einer Überraschung. Ich möchte es eigentlich wirklich nicht verschreien. Aber. Ich bin dieses Jahr noch in keinen einzigen Kuhhaufen getreten! Nichtmal Hunde- oder Affenkot habe ich auch nur gestreift! Ob das nun gut ist oder nicht, weiß ich nicht so genau. Kühe sind heilig und demnach habe ich mir bisher eingebildet, eine Art Segnung zu erhalten, wenn ich mal wieder unachtsam war und meinen lediglich von einem Flipflop geschützten Fuß zielsicher in eine Segensquelle führte. In Varanasi gibt es eine Menge Kühe und sehr enge Gassen, da ist das Fladen-zu-freie-Fläche-Verhältnis etwas ungünstig. Beziehungsweise günstig, je nachdem, wie man es sieht. Es gibt Leute, die sich vom Pinkelstrahl einer Kuh etwas über den eigenen Körper spritzen. Weil heilig und so. Von daher spricht ja doch viel dafür, dass es ein Glücksgriff ist, gleich von einem ganzen Fladen beglückt zu werden.

So, es gibt mal wieder einen Stromausfall (einen von vielen am Tag) und scheinbar stimmt was mit dem Notstromaggregat nicht, denn der Ventilator ist ausgegangen. Bedeutet: nach einer Minute vollgeschwitzt. Juhu. Das Wasser beim Duschen ist auch sehr warm, da die schwarzen Wassertanks auf den Dächern nicht so viel Sonnenlicht reflektieren (Überraschung), wie es mir lieb wäre. Man hat dann beim Duschen also einfach nur anderes, warmes Wasser auf der Haut. Zur Abwechslung.

Ich hoffe, der Strom ist bald wieder da. Drückt mir die Daumen, denn heute ist es leider eher windstill.

Mam, one Selfie please! Oder wie ich die Welt verbesser

Ich habe eine neue Rolle. Wobei, nein eigentlich habe ich viele neue Rollen. Aber eine davon gefällt mir besonders gut. Neben Gast bin ich auch die Ausländerin, Hindischülerin, Deutsch- und Englischlehrerin, Übersetzerin. Und seit heute auch Geschmackstesterin. Das Leben meint es also gut mit mir. Mir werden keine Steine in den Weg gelegt, mir wird ein bequemer Sessellift geboten. Das Personal meines Gasthauses hat täglich Kochunterricht und das Essen will probiert und bewertet werden. Das Gasthaus gehört zu dem Projekt, für das ich vor 8 Jahren gearbeitet habe und somit kenne ich einige Angestellte. Weshalb prinzipiell mehr Privilegien habe und jetzt auch noch zum Geschmackstester befördert wurde. Schließlich muss das wer unabhängiges machen und im besten Fall jemand, der die europäische Küche kennt. Gut, dafür bin ich jetzt als Veganer vielleicht nicht gerade überqualifiziert aber Gemüsesuppe testen ist auf jeden Fall drin. Womit wir auch schon zum Knackpunkt des ganzen kommen. Sie kochen gerade italienisch. Ich bin nicht umbedingt um die halbe Welt gereist, um dann italienische Gerichte zu essen. Vor allem nicht, wenn ich in meiner WG in Augsburg direkt an der Quelle original italienischen Essens bin. Aber gut. Ich bekomme leckeres Essen. Juhu!

1,5 Stunden später. Gut, alles hat seinen Preis. Eigentlich lernt man ja früh, dass das meiste einen Haken hat. Aber wer denkt da bei Essen schon dran? Ich sollte mit jedem der Kochschüler die Rezepte aufschreiben. Meine neuen Schützlinge sind ein motivierter Chandu, eine motivierte Anju und ein mäßig begeisterter Balvin, der garkein englisch spricht. Chandu tut sich schwer mit englisch, versucht es aber immerhin. Auch, wenn es ihm am liebsten gewesen wäre, wenn ich das Rezept für ihn aufschreiben würde. Anju ist Perfektionistin und es hat sie ganz schön geärgert, wenn sie mich beim Buchstabieren falsch verstanden hat (sie sprechen einige Buchstaben anders aus und ich habe mich schon bemüht, mich der örtlichen Aussprache anzugleichen. Offenbar nur bedingt erfolgreich). Auch sie tut sich mit englisch ziemlich schwer, strengt sich aber auch an. Und dann ist da eben noch Balvin, der Analphabet ist und das Rezept somit auch nicht in hindi aufschreiben kann. Dafür hat Anju für ihn geschrieben und gleichzeitig als Übersetzerin zwischen uns vermittelt. Dabei hat sie ziemlich schnell gemerkt, was ich wissen wollte und ihn sehr souverän gefragt, als wäre ja wohl selbstverständlich, dass er angeben muss, ob er zum Abmessen einen Tee- oder Esslöffel verwendet hat.

Erstmal bin ich ja froh, dass zu meinen Hobbys gehört, mir Rezepte durchzulesen und ich daher auch ein paar entsprechende Formulierungen parat habe. Aber dass es allein 1,5 Stunden dauern würde, um 2 Rezepte aufzuschreiben – damit habe ich nicht gerechnet. Der Sinn dahinter ist, dass sie verstehen, wie Rezepte aufgebaut sind und dass man sich (zumindest in dem Stadium, in dem sie sich in ihrer Ausbildung befinden) als Koch an Rezepte halten sollte. Die Message ist noch nicht angekommen. Das mache ich daran aus, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass sie sich die Mengenangaben ausgedacht haben, als ich nachgefragt habe. Ich war beim Kochen dabei und habe keine Waage gesehen, aber dass da 70 g Bohnen in die Suppe kamen, wusste Chandu 😀 naja, ich hatte auch irgendwann keine Lust mehr und wollte es nur fertig bekommen. Bin auch angeschlagen und da ist mein Geduldsfaden eh minimal ausgebildet. Jedenfalls bin ich auch noch gar nicht fertig mit den 3. Als nächstes sollen sie es nämlich an einem Computer abtippen, Fotos einfügen und per Mail verschicken. Ich weiß nicht genau, wie schnell sie tippen. Und ob sie je etwas mit Word gemacht haben. Ich ahne aber, dass auch die Aufgabe eine nächste Herausforderung wird. Deshalb habe ich auch Schluss gemacht für heute. Man gibt mir Essen. Das muss ich mir als Motivationsmantra vorsagen.

Womit ich meine Zeit hier noch so verbringe ist Backen. Ich hatte ja in Delhi schon vegane und glutenfreie Brownies gebacken. Die waren allerdings recht bröselig und trocken. Mittlerweile habe ich noch ein Rezept getestet und ein Bananenbrot ist mir gelungen. Bei den Brownies fehlt immernoch Bindemittel. Ich denke, ich reibe einen Apfel rein und füge Kichererbsenmehl hinzu. Aber damit geht es erst nächste Woche wieder weiter.

Kühe. Es ist ein Vorurteil, das eigentlich garkein Vorurteil ist. Weil es stimmt. Hier laufen Kühe rum. Einfach so. Sie gehören Leuten, die Milch verkaufen und um Kosten zu sparen, lassen sie die Kühe einfach mitten in der Stadt frei laufen. Sie sind also eigentlich ein bisschen wie Straßenhunde. Straßenhunde sind auf der Suche nach Futter und so sind es auch die Kühe. Wenn da ein Restaurant die Tür offen hat-dann schaut man da mal rein. Steht im Weg und wartet auf Essen. Demnach sind hier regelmäßig Kuhköpfe in der Tür. Das ist etwas, das mich immernoch dazu bringt, die Kamera zu zücken. Eine Kuh im Restaurant?! Ich meine, daran kann ich mich nur sehr schwer gewöhnen.

Dann gibt es noch eine erfreuliche Nachricht. Mein Körper hat sich etwas mehr an die Temperatur gewöhnt (allerdings fühlt es sich schon seltsam an, bei 45° eine Erkältung zu haben.). Ich schlafe mittlerweile vor einem Wasserkühler (Ventilator, der etwas Wasser mit in die Luft mischt) auf dem Flachdach. Im Gegensatz zum Dach meines ersten Gasthauses hier, auf dem ich ja auch sehr oft geschlafen habe, ist dieses von einem Gitter umgeben. Was mit dem Biorythmus der Affen nicht stimmt, weiß ich nicht. Aber scheinbar halten sie es für richtig, morgens zwischen 4 und 5 Uhr um die Dächer zu ziehen und dank Wellblechbeschläge einen Mordslärm zu veranstalten. Früher musste ich um die Zeit daher schnell ins Zimmer (sie touren in Gangs umher und können auch gefährlich sein), aber hier kann ich abgesehen vom Lärm weiterschlafen. Wobei ich entweder lärmresistenter geworden bin oder sie sich Mühe geben, die Wellblechdächer zu vermeiden. Der eigentliche Punkt aber ist, dass ich nachts relativ gut schlafen kann und mir bei einem Minimum von 33° nicht mehr zu heiß ist (zumindest vor einem Ventilator). Und auch tagsüber kam es mir heute weniger heiß vor. Es hatte zwar 45°, aber die Luftfeuchtigkeit war niedriger. Mit Ventilator und ohne Bewegung geht es. Ab nächster Woche soll der Regen einsetzen und damit wird es auch kühler. Aber abwarten, meine App ist in der Genauigkeit der Wettervorhersage in etwa so zuverlässig, wie Mili, wenn wir uns für eine bestimmte Uhrzeit verabreden.

Und mir fällt noch etwas ein, wie ich hier quasi etwas gutes tue (bitte nicht ernst nehmen!): ich schaffe Freunden eine Einnahmequelle. Mili stellt immer wieder fest, dass ich hier extrem die Aufmerksamkeit der Leute auf mich ziehe (weiß, groß, rote Haare, blaue Augen). Und sie hat dann einfach festgelegt, dass Fremde für ein Selfi mit mir 200 Rs bezahlen sollten, also etwa 2,50€. Ein ganz schön hoher Preis. Jedenfalls haben das auch Meenas Kinder mitbekommen. Anfangs war es ein Spaß und wenn ich mit ihnen zusammen unterwegs bin, werde ich auch kaum gefragt – deshalb hat sich nie eine Gelegenheitgeboten, das auszuprobieren. Aber als wir die Tage in Meenas Laden saßen und sie etwas Milch mit Blüten als Opfergabe für den goldenen Tempel hier verkauft hat, wollte einer ihrer Kunden noch ein Selfi mir mir. Ich bin da zwar kein Fan von, aber wenn die Leute nicht unverschämt sind, mache ich mit. Dass mir die Hautfarbe und Herkunftso viele Privilegien bescheren, ist schließlich schon unfair genug. Aditya (Meenas Sohn, etwa 13 Jahre alt) hat dann aber mit ihm verhandelt und am Ende hat der doch tatsächlich 70 ct für 2 Selfis mit mir bezahlt 😀 er ist nun mein Manager und darf das Geld natürlich behalten. Ich habe einen Job geschaffen!  Mit dieser frohen Nachricht wünsche ich noch ein schönes Wochenende 🙂

Karma vs. Darwin

Ich sitze in Milis Wohnung. Es ist Freitag Mittag und heute findet ein Hauspooja statt. Pooja ist eine religiöse Zeremonie. Das macht man im Tempel beim Beeten (ähnlich einem Gottesdienst) oder auch selber vor seiner Gebetsecke zuhause. Und heute kommt extra ein Geistlicher nach Hause, um so eine Zeremonie zu machen. Ich Ungläubige habe dann gefragt, zu welchem Anlass diese Feier stattfindet. Aber sie mussten auch ihre Mutter fragen, weil ihr Kenntnisstand von meinem in der Hinsicht scheinbar nicht  besonders abweicht ^^ Gerade hat mir Riya dann erklärt, dass heute der Todestag von einem Gott ist, zu dem der Familienvater in schweren Zeiten viel gebetet hat. Seitdem wird speziell er von der Familie verehrt.

Was mir an den Hindu-Göttern besonders gefällt ist, dass sie zumindest in einem Punkt bescheidener sind als der christliche Gott. Sie wollen kein totes Tier als Opfergabe, sondern freuen sich über Blumenketten. Auch Essen stellt man ihnen hin, aber nach ein paar Minuten, wenn sie fertig gegessen haben (so wurde es mir wirklich erklärt), kann man das selbst verspeisen. Was das Materielle angeht, fordern sie also weniger. Als einen Nachteil im Gegensatz dazu sehe ich aber die aktive Behinderung des Brandschutzes. Vor lauter Räucherstäbchen und anderen brennenden Dingen in Schälchen würde jeder Brandmelder besonders an so speziellen Tagen nach kürzester Zeit ein Burnout bekommen. Und auch noch brennende Streichhölzer werden auf den Boden fallen gelassen und sorgen so noch kurze Zeit für schönes Licht da unten. Auch weiteren Beobachtungen zufolge (ich habe echt nichts zu tun hier. Darf weder helfen, noch kann ich mich an der Konversation beteiligen) sind die Götter hier auch nicht so streng ihren Gläubigern gegenüber. Wenn der Cousin mitten während der Segnung anruft, telefoniert man halt währenddessen mit ihm. Mili ist dann dafür ins Nebenzimmer und der Geistliche ist ihr extra hinterher, damit er auch sie mit Wasser besprenkeln kann. Das scheint die Götter hier nicht sonderlich zu stören.

Gestern Abend war ich in der Bäckerei zum Abendessen eingeladen. Anish, der Chefbäcker kocht auch wunderbar und da ich ihn und Ashif schon 8 Jahre (wie die Zeit doch vergeht!) kenne, haben sie vorgeschlagen, zusammen Abend zu essen. Da sage ich jedenfalls nicht nein! Nach dem Essen haben sie auch vorgeschlagen, dass ich Micha doch mal fragen soll, ob ich nicht in seinem Gästezimmer wohnen kann. Michas Wohnung befindet sich im gleichen Gebäude und die Tür geht direkt von der Bäckerei ab. Anish findet, dass ich da wohnen sollte, immerhin kann er dann immer für mich mitkochen und ich muss nicht ins Restaurant. Lieb, dass er dafür das Gästezimmer seines Chefs zur Verfügung stellen würde 😀 aber mittlerweile mache ich eine Art Restaurant-hopping. Jede Mahlzeit nehme ich bei anderen Bekannten ein und es fällt mir nur sehr schwer, meine*n Lieblingskoch*in zu küren. Dafür muss ich wohl noch etwas weitertesten 😉

Heute habe ich erstmal ausgeschlafen, nachdem die Nacht doch ziemlich warm war. Von 45° tagsüber kühlt es nur noch auf 29° ab. Mittagessen gab es dann bei Meena und ihren Kindern Adit und Shrea. Sie hat Cheela gekocht, das sind Kichererbsenpfannkuchen. Ich liebe Kichererbsen. Perfekt. Wir haben einen Pakt, sie bringen mir mehr hindi bei (die Zahlen kann ich, schließlich muss ich verhandeln können. Sonst aber nur die basics, verstehen tu ich etwas mehr) und ich ihnen deutsch. Sie freuen sich, eine Geheimsprache zu lernen, auf der sie sich unterhalten können 😀 mein Ansatz ist eher das Gegenteil. Ich hätte gerne, dass mich auch die Leute verstehen, die kein englisch können. Wie die Eltern einiger Freunde. Sie reden ständig auf hindi auf mich ein. Meine Vermutung ist, dass sie so die Wahrscheinlichkeit erhöhen wollen, dass irgendwann ein Wort dabei ist, dass ich verstehe. Die Erfolgsquote ist bisher noch nicht im zufriedenstellenden Bereich.

Auf dem Rückweg von Meena habe ich bei Nitin auf einen Zitronentee vorbeigeschaut, dann habe ich Mili getroffen. Sie ist mit Priyanka die einzige hier, mit der ich vollkommen offen über alles reden kann. Von ihr lerne ich sehr viel über ihre Kultur und sie über unsere. Ich lerne zB. von Dingen über die arrangierte Ehe und Gräueltaten von Schwiegerfamilien, die ich aus rein egoistischer Sicht (zum Erhalt meines Seelenfriedens) lieber gar nicht wissen mag. Ich lerne zu schätzen, wie frei ich bin und wie viel Kontrolle ich über mein eigenes Leben habe. Ein Privileg, dessen ich mir immer wieder bewusst werden sollte. Sie lernt von mir zum Beispiel, dass Pünktlichkeit für mich ein hohes Gut ist. Heute war der Grund für ihre knapp zweistündige Verspätung, dass der Freund ihrer Schwester da war und sie nicht für ihn mitgekocht hatten. Demnach musste sie warten, bis er weg ist, damit sie essen kann. Sonst hätte es die Gastfreundschaft schließlich geboten, ihm eine Menge aufzutischen.

Zum Schluss für heute noch eine kurze Anekdote über den Abend. Wir sind nach Assi Ghat gelaufen, das ist die Touristenhochburg Varanasis. Hier sind momentan 4 Fahrgeschäfte aufgebaut, eine Art Miniplärrer. Meenas Kids haben sich total darauf gefreut und deshalb habe ich zugestimmt, mitzufahren. Ich möchte ja auch nicht die Ausländerin sein, die den indischen Standards nicht traut. Spoiler: in Zukunft werde ich die Ausländerin sein, die den indischen Standards nicht traut. Zuerst sind wir Riesenrad gefahren. Da dachte ich ja erst gut, ist zwar langweilig aber immerhin bekommt man vielleicht eine nette Aussicht. Joa. Nachdem nach und nach alle eingestiegen sind, wurde das Teil extrem beschleunigt und wir sind dann etwa 10 Runden gefahren. Beruhigend habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Leuchtreklame fachmännisch mit Paketband montiert war. Außerdem haben die Wagons keine Türen. Bei der Geschwindigkeit schwingen die schön hin und her und wenn ich eines von meiner Masterarbeit gelernt habe, dann dass schwingende Belastungen nicht umbedingt die Belastungen sind, denen Stahl am besten stand hält. Naja, immerhin wäre es ein schöner Tod. Meena, Adit und Shrea waren ausgelassen am Lachen und das steckt ja an. Die nächste und dann auch schon letzte Station war eine große Schiffsschaukel. Als wir gerade saßen und es losging, kam der Typ in mein Sichtfeld, der das ganze antreibt. Er schiebt einen Hebel und zieht gleichzeitig an einem Strick, das etwa 4 m weiter zu einem Motor geht. Schnell wurde auch klar, dass man sich wirklich gut festhalten muss, wenn man nicht rausfallen mag. Mir war nicht bewusst, was mir die 80 ct für ein Erlebnis bieten würden. Jochen Schweizer hat da sicher noch eine Menge Potential. Inder setzen zudem wohl auf Darwin und seine Evolutionstheorie. Die Stärkeren und so. Wir Deutsche finden ja immer wieder Wege, Darwin zu umgehen. Medizinische Versorgung, Regeln, Sicherheitsvorkehrungen ohne Ende. Wir sind scheinbar ein Volk, das nicht nur die Muskelpakete und oder super schlauen der Gesellschaft gern bei sich hat. In der Hinsicht folgt die indische Bevölkerung aber offensichtlich anderen Werten. Die natürliche Selektion wird nicht nur akzeptiert, sondern durch so Spektakel wie die Schiffsschaukel noch aktiv beschleunigt. Oh, du hältst dich nicht richtig fest? Schade. Alternativ kann man natürlich auch die Theorie aifstellen, dass man hier ja ans Karma glaubt und demnach vielleicht einfach weniger „unnötige“ Sicherheitsvorkehrungen trifft, wo Karma das mit dem Leben oder Tod schon entscheiden wird. Die Theorie ist aber langweiliger, also halte ich mich an die erste 😀 Da wären wir wieder bei diesen vollkommen objektiv analysierten kulturellen Differenzen.  Es ist witzig hier. Manchmal beängstigend (rein auf Sicherheitsstandards oder Schwiegertöchter bezogen). Aber für mich größtenteils witzig.

Das war es dann auch schon fürs Wochenende. Grüße von weit her!

Ankunft in Varanasi

Puh. Es ist 23:08 Uhr und ich liege auf meinem Schlafplatz im Zug nach Varanasi. Bei einem vollgestopften Urlaubskalender mit nur einem Termin um 8 Uhr morgens hätten vermutlich die meisten damit gerechnet, dass es locker machbar ist, den Zug um 22:50 Uhr am Ende der Straße zu nehmen. Aber es wäre ja kein Abenteuer, wenn ich wie in alter Manier bei allem jede Menge Puffer einberechne. Oder überhaupt gut überlege, wann ich los muss. Außerdem ist das hier ja eine interkulturelle Begegnung und da nähert man sich idealerweise einander an. Das Zeitmanagement hier habe ich ja schonmal angeschnitten und scheinbar hat es auch garnicht lange gebraucht, bis sich mein Hirn in der Hinsicht umgestellt hat. Das deutsche Herz in mir ist dafür ehrlich gesagt aber immer noch ziemlich am Klopfen, weil ich beinahe den Zug verpasst hätte. Aus irgendeinem Grund hatte ich gedacht, dass es locker ausreicht, wenn ich 20 min vor Abfahrt aufbreche. Mit der bereits abgespeckten Variante meines Gepäcks, also einer Handtasche, einem Rucksack und 2 großen Koffern. Alleine. Delhi ist ja bekanntermaßen nicht umbedingt eine Kleinstadt und dementsprechend groß sind auch die Bahnhöfe. Ich bin also (bis ich wirklich aus der Tür draußen war) 16min vor Abfahrt auf der Straße gestanden und habe auf eine Riksha gewartet. Rikshas fahren auch eigentlich den ganzen Tag auf und ab und ständig wollen mich die Fahrer am liebsten auch die 20 m zur nächsten Ecke fahren. Aber unerwarteterweise machen scheinbar auch Rikshafahrer mal Feierabend und so musste ich das doppelt so teure Tuttuk nehmen. Na gut. Als der Fahrer erfuhr, dass mein Zug in nur 12 min fährt, hat er sich auch echt ins Zeug gelegt und sich trotz roter Ampel durch den Verkehr zum Bahnhof gemogelt. Was extrem erstaunlich ist. Zum einen hat er (wie auch die meisten anderen Verkehrsteilnehmer. Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel) zunächst angehalten. An einer Ampel. Die werden meiner Erfahrung nach eher als Element der Unterhaltung/Reklame angesehen. So à la „hallo, hier ist eine Kreuzung und wir haben auch eine Idee, wie ihr sie unbeschadet überqueren könnt. Aber tut euch keinen Zwang an, kreative Alternativvorschläge sind natürlich willkommen“. War der Präsident unterwegs, sodass sich plötzlich alle vorbildlich verhalten haben?
<span;>Oder aber, und das ist meine zweite Theorie, es fand ein in meinen Augen nicht besonders gelungener Flashmob statt. So, wie man sie aus Bollywoodfilmen kennt, nur in uncool. Ich bin noch unsicher, für welche Variante ich mich entscheide.
<span;>Jedenfalls hat sich mein Tuktukfahrer zu meiner Freude dazu entschieden, da nicht mitzumachen. Weiter ging es zu den Trollis. Trollis sind professionelle Gepäckträger, die einem die Koffer bis in den Zug tragen. So einen Service habe ich noch nie in Anspruch genommen (immerhin kann ich das auch selber und ich wurde von mehr oder weniger schwäbischen Eltern großgezogen. Da kann man Geld sparen) aber in Angesicht der Gepäckmenge und, noch viel wichtiger, der Zeitnot habe ich direkt 2 beauftragt. Die natürlich den Deal ihres Lebens vermuteten. Bei meiner Geldscheißerhautfarbe ist das auch nicht ganz unverständlich. Aber womit sie nicht gerechnet haben ist, sind meine Wurzeln im Schwabenländle. Sie haben (und so würde ich es mit meiner neu erlangten Expertise auf diesem Gebiet auch jedem empfehlen) natürlich auf dem Weg (auf hindi) mit mir verhandeln wollen. Zu dem Zeitpunkt muss ich ja quasi zu allem ja sagen, da sie sonst mit meinen Koffern stehen bleiben. Außerdem gehen sie davon aus, dass ich kein hindi verstehe. Sie fangen also an, dass jeder 500 Rs bekommen sollte. Ich tu so, als verstehe ich nicht und sag einfach ok. Am Ende sind sie dann dabei, dass jeder von ihnen 1000 Rs (12,50 €) bekommen sollte. Das ist das Zehnfache des normalen Preises. Und als wir im Zug angekommen sind, fange ich an zu verhandeln. Jetzt bin ich natürlich in der stärkeren Position, weil ihre Dienstleistung bereits ausgeführt wurde und ich nichts mehr zu verlieren habe. Zugegebenermaßen war das auch etwas gemein von mir, aber ich habe ihnen schon beim auf mich zulaufen angesehen, dass sie mich extrem übers Ohr hauen werden. Fast würde ich behaupten, Expertin im Erkennen solcher Schurken zu sein. Am Ende habe ich ihnen 500Rs zusammen gegeben, da sie ja wirklich schnell sein mussten. Ich habe also schon ordentlich aufgeschlagen (aber auch nur, weil ich nicht darauf geachtet hatte, genug Kleingeld parat zu haben. Ein blutiger Anfängerfehler). Bis der Zug losfuhr, haben sie mir dafür netterweise lautstark Gesellschaft geleistet. Dass wir so knapp dran waren, hatte dann doch auch etwas gutes, denn so waren sie nach 2 min wieder weg und ich samt Gepäck im Zug.

Gerade wurde ich kontrolliert. Dabei läuft der Kontrolleur mit einer Liste aller Passagiernamen und Plätze rum und fragt jeden nach Name bzw. Ticket. Mich hatte er ursprünglich übersprungen (ich wurde bisher nicht oft kontrolliert. Entweder die Kontrolleure gingen davon aus, dass ich als reiche Ausländerin ja wohl ein Ticket haben werde (im Fall, wo es keine festen Sitzplätze gab). Oder aber andere Leute, denen ich sicherheitshalber immer mein Ticket zeige, damit sie mir Bescheid geben können, wenn ich am Ziel bin (manchmal gibt es kaum Ortsschilder in lateinischer Schrift), versichern dem Kontrolleur meine Gewissenhaft beim Fahrkartenerwerb. Ich war schon dabei, dem guten Mann zu unterstellen, mich mit allen Ausländern in einen Topf zu werfen (da steht ein komischer Name auf der Liste, die schaut komisch aus. Passt.), da er alle um mich herum kontrollierte. Aber er kam zurück und hat für meinen Seelenfrieden gesorgt, indem er auch meinen Namen wissen wollte. Und anschließend mein Ticket sehen wollte, weil er die Aussprache scheinbar nicht mit dem Namen im schlauen Buch in Verbindung bringen konnte.

Die Nacht über habe ich nicht besonders viel geschlafen, obwohl das Abteil überraschenderweise nicht auf arktische 16°, sondern eine mit Decke einigermaßen angenehme Temperatur gekühlt wurde. Für Zufahrten und den Flug habe ich extra immer Wollsocken dabei. Für meine Reise in ein Land, dessen Durchschnittstemperatur momentan der Einsteigersaunatemperatur entspricht. Und dann sind wir angekommen. Ich habe mir einen Wecker auf 45 min vor Ankunft gestellt und bin dann auch aufgestanden. Habe gerade die Zähne gepuzt und mich einigermaßen frisch gemacht, da sind wir auch schon angekommen. 30 min zu früh?! Dieses neue indische Zeitmanagement bringt mich völlig aus der Bahn. Es kam schon des öfteren vor, dass mein Zug die ursprünglich angepriesene 12-h-Fahrt auf 20 h ausgeweitet hat. Auch eine kostenlose Verlängerung des Fahrerlebnisses um 3-5 h war nicht ungewöhnlich. Und nun kommen wir zu früh an. Ich bin mir noch unsicher, was ich davon halten soll. Wie gut, dass ich nach dem gestrigen Aussetzer wieder besser vorbereitet war. Während der Rest des Wagens hektisch seine Sachen zusammengeräumt hat, konnte ich ganz entspannt mit meinen 4 Gepäckstücken aussteigen und meinen Weg zu den Rikshas bahnen. Nach relativ offensichtlichen Anspielungen habe ich gedacht, dass mich Mili abholt, aber da niemand meinen Namen gerufen hat, bin ich dann so mit einer Autoriksha los. Ich war mir zum Einen nicht sicher, ob sie mich abholt und zum Anderen halte ich die Aussicht, am Bahnhof eine junge Frau zu finden, die wie der Großteil der weiblichen Bevölkerung in Varanasi traditionelle Kleidung trägt und schwarze Haare hat, nicht für sonderlich erfolgreich. Das ist wir ein Wimmelbuch extrem. Im Gegensatz dazu tut sie sich ja extrem leicht, mich zu finden. Einfach schauen, wer die Masse um einen Kopf überragt und dazu auch noch bunte Haare hat. Easy. Jedenfalls habe ich dann, wie abgesprochen, an der Kreuzung in der Nähe ihrer neuen Wohnung gewartet, weil wir uns da treffen wollten. Sie kam dann auch kurz später-allerdings nicht wegen mir, sondern weil sich zufällig gerade was zu essen geholt hat. Die gute war tatsächlich am Bahnhof-allerdings am anderen Ausgang. Sie habe extra einen Polizisten gefragt, ob er eine große Ausländerin gesehen hat und der hat verneint. Da ich keine Sim-Karte habe und somit zeitweise nur sehr eingeschränkt kommunikativ bin, ist sie dann einfach wieder heim gefahren. Ihre Einschätzung zum Nutzen des besagten Polizeibeamten fällt übrigens eher negativ aus.

Jedenfalls hat es ja doch geklappt und wir haben uns gefunden. In dem Viertel, in dem ich mich am ehesten auskenne, hat sich auf den ersten Blick nicht viel verändert. Einige Shopbesitzer haben mich erkannt und begrüßt. Die Begrüßung des Tages war „Hello Germany, how are you?“ Als Sprachrohr der Bundesrepublik Deutschland habe ich stellvertretend geantwortet, dass es uns gut geht. Ich hoffe, das geht so in Ordnung 😀

2022, Tag 2

Es ist Mittwoch Mittag. In der Nacht auf Dienstag bin ich gegen 3 Uhr in Delhi gelandet. Der Flug war ok, ich war so in mein Buch vertieft, dass ich nicht einmal dazu gekommen bin, den Film Cyrano anzuschauen-der Film zu meinem letzten Stück, das ich im Theater betreut habe. Ich setze daher auf den Rückflug.

Ich bin nun glaub ich zum 6. mal in Indien, wenn man die 10 Monate mit kurzen Unterbrechungen für Visa als 1 zählt. Indien ist für mich besonders das Land der Extreme. Extrem laut, extrem voll, extrem scharf, extrem süß, extrem religiös, extrem ungerecht, extreme Familienstellungen.

Diese Eindrücke fangen auch eigentlich schon vor der Ankunft an. Im Flugzeug von Bahrain nach Delhi sind etwa 85% der Passagiere Inder und ich finde, das ist auch schon ein anderes Flugerlebnis. Woran mache ich das aus? Am Gate wurden mehrere Leute unabhängig voneinander weggeschickt, weil sie ein anderes Flugticket haben (Flugnummer und Ziel stimmten nicht überein). Beim Einstieg herrscht mehr Tumult, weil Großfamilien den Gang als idealen Ort für sich auswählen, um zunächst die optimale Sitzplatzverteilung auszudiskutieren. Im besten Fall erdreistet sich dann eine externe Person (ich) auf einen der Plätze zu wollen, der bereits von ihnen eingenommen wurde. Diese sture Person (immernoch ich) möchte sich nicht einfach irgendwoanders hinsetzen. Anmerkung: da treffen natürlich auch 2 Kulturen aufeinander. Die Kultur der Leute, die das Aufstellen und Befolgen von Regeln liebt (ich) und die Kultur derer, die Regeln eher für unverbindliche Vorschläge hält (nicht ich. Dafür vermutlich alle Nichtdeutschen). Dieser Kulturclash führt dazu, dass die gesamte Sitzplatzordnung neu eruiert werden muss. Und welcher Ort wäre dafür besser geeignet als der Gang? Es ist ein Ort der Begegnung und Kommunikation. Und das ist doch prinzipiell was gutes. Weiter geht es mit dem Flug an sich. Während meine Herangehensweise zum Lösen des Problems ist, zunächst einmal verschiedene Optionen abzuwägen und gegebenenfalls meine Umgebung zu beobachten, hat ein großer Anteil meiner Mitpassagiere einen deutlich pragmatischeren Weg hierfür. Die Knöpfe, die Steward*essen rufen, werden in einer deutlich höheren Frequenz verwendet, als ich es von anderen Flügen gewohnt bin. Und wenn es nur darum geht, nachzuforschen, warum der Nebenmann bereits sein Essen erhalten hat und man selbst noch nicht (weil die Spuialanfragen, wie vegane Mahlzeiten zuerst verteilt werden). Der Knopf scheint keinen Filter zu haben, um nur bei wichtigen Problemstellungen auszulösen.

Angekommen in Delhi möchten mich etwa 20 Taxifahrer für den doppelten bis dreifachen Preis zum Gasthaus bringen,  aber ich habe Übung darin, sie abzuschütteln. Der Taxifahrer meiner Wahl (oder besser der Wahl der Station, bei welcher ich die Fahrt buche) ist nett und hält 4min nach Fahrtbeginn erstmal an einem kleinen Stand, um sich eine Zigarette zu kaufen. Unsere Unterhaltung ist relativ eintönig. In jeder zweiten Straße erwähnt er, dass Delhi so grün sei und ich antwortete, dass ich das toll finde (finde ich auch wirklich, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob das, was wir auf der Fahrt ins Stadtzentrum sehen, wirklich repräsentativ für die gesamte Stadt ist). Ich habe auch versucht, etwas anderes zu sagen, aber seine Antwort lautete dann immer „ok no problem, mam“ und das widerum halte ich nicht für eine adäquate Antwort auf wirklich jede Aussage oder Frage. Daher blieb das Thema bei der Begrünung Delhis.

Im Gasthaus angekommen habe ich in der ersten Nacht (Spoiler, ich werde auch die zweite Nacht hier verbringen) ein Zimmer mit eigenem Bad, Doppelbett, Deckenventilator und Klimaanlage (!!!). Die ist allerdings auf 16° gestellt. Es gibt auch eine Fernbedienung, aber die scheint mir nicht zu dem Gerät zu gehören. Jedenfalls friere ich natürlich bei so viel kalter Luft und schalte sie aus. Vorerst hat es nur 38°, der Ventilator reicht mir.

Mein Kreislauf hat beschlossen, die Periode zum Anlass zu nehmen, sich erstmal auf ein Minimum an lebenserhaltenden Maßnahmen zu reduzieren.
Soll das ein reboot sein? Ich weiß es nicht aber was ich schnell merke ist, dass zu einem Minimum an Lebensfähigkeit scheinbar kein aufrechtes Sitzen oder Stehen gehört. Liegen ist also das neue Sitzen! Gut, dass ich das Buch im Flugzeug nicht fertig gelesen habe. Und dass das Internet zwischendurch doch auch mal funktioniert.

Heute früh war ich dann um 8 mit Naresh verabredet. Wir wollen zusammen backen. Wo bei das wir eher positiv ausgelegt ist. Ich backe an sich gerne, muss jetzt aber nicht umbedingt zu einer Zeit dafür aufstehen, die mein Körper aufgrund der noch europäischen Eichung für 4 Uhr morgens hält. Das war eh ein Abwägen. Naresh ist Inder und lebt in Indien, daher liegt die Vermutung nahe, dass er erst weit nach 8 Uhr kommen wird. Vielleicht gegen 11 Uhr? Andererseits arbeitet er seit Jahren für einen Deutschen (wobei Micha schon sein halbes Leben in Indien lebt, also zählt er rein kulturell garnicht mehr richtig als Deutscher) und muss sich da vielleicht ja auch an Zeitangaben halten. Naja, machen wir es kurz. Ich war um 5 nach 8 unten im Gasthaus, wo er mich abholen wollte. Um viertel nach habe ich ihm geschrieben, dass ich warte und um 20 nach kam seine Antwort, dass er gleich jemanden schickt, um mich abzuholen. Der kam dann um dreiviertel 9 und um 10 vor 9 war ich in der Bäckerei. Die ist seit meinem letzten Besuch umgezogen, weshalb ich sie nicht finden hätte können. Um 9 war dann auch Naresh in der Backstube. Es gibg also deutlich schneller, als ich erwartet hätte. Mein Auftrag war, mit ihm zusammen vegane und glutenfreie Brownies zu backen. Mit vegan kenne ich mich zwar mittlerweile echt gut aus und auch glutenfrei habe ich schon öfter ausprobiert. Aber es ist eine Herausforderung. Unsere erste Fuhre wurde sehr trocken und bröselig. Meiner Meinung nach war der Teig aber auch zu lange im Ofen. Außerdem verdächtige ich das Buchweizenmehl, mehr Wasser zu benötigen. Der nächste Versuch wurde mit Kichererbsenmehl gemacht. Da bin ich noch gespannt auf das Ergebnis. Da mein Kreislauf mitten beim Backen wieder eine Auszeit genommen hat, musste ich mich schnell hinlegen und habe das Resultat nicht mehr mitbekommen. Naja, gleich schaue ich wieder in der Bäckerei vorbei. Den Weg habe ich mir gemerkt, zum Glück wurde ich mit einen sehr guten Orientierungssinn ausgestattet. Außerdem habe ich hier immernoch kein Internet und mein Buch ist jetzt auch fertig gelesen. Da unterhalte ich mich lieber mit den Bäckern.

Die Idee war gut (außerdem war ich auch zum Mittagessen eingeladen. Yummi!), nur wollten sie mir Bescheid geben, wenn es fertig ist. Dabei ist nur problematisch, dass unsere Kommunikation internetbasiert ist und das im Gasthaus immernoch nicht funktioniert. Also bin ich so hin, aber die Bäckerei war abgesperrt und ich vermute, die Leute waren schon in der Mittagsruhe. Das machen sie zwar nur 1-2 Stockwerke drüber aber da ich als Ausländerin eh schon überqualifiziert im Bereich der Auffälligkeit bin, wollte ich nicht auch noch rufen oder laut gegen die Tür schlagen. Die Nachbarn haben eh schon neugierig geschaut. Müsste ich bewerten, wie diskret sie beim Tratschen über mich waren, würde ich ihnen wohlwollende 3/10 Punkten geben.

Eine Freundin hat vor kurzem erzählt, dass sie meine Mutter getroffen hat. Sie habe wohl Unverständnis dafür zum Ausdruck gebracht, dass ich bei den Temperaturen freiwillig nach Indien möchte. Mama ist da auch nicht die einzige mit den (zugegebenermaßen nicht abwägigen) Bedenken. Aber. Momentan ist Mango-, Melonen- und Litschisaison! Ich denke, damit ist klar, dass es quasi keinen besseren Zeitpunkt gibt. Und ich war schon fast ein wenig traurig, dass ich dieses Jahr erst einmal unser deutsches Hoheitsgemüse Spargel (gehört Spargel zum Gemüse?) gegessen hatte (danke Vio!). Aber was ist Spargel schon gegen das allerbeste im Obstsalat?
Jedenfalls bin ich wieder zurück im Gasthaus und habe auf dem Weg Litschis besorgt (1kg für 2€). Das war jetzt mein Mittagsessen. Das Frühstück war eine Mango (1kg für 1,80€). Mein Körper muss sich bei den ungewohnt angenehmen Temperaturen darauf einstellen, wieder Appetit zu bekommen. Scheinbar lautet die Devise in etwa „wir frieren nicht, also benötigen wir keine Energie“. Man würde ja meinen, dass der Körper dann eher signalisiert, dass eine Energiezufuhr wünschenswert wäre. Wie das mit dem Kreislaufshutdown zusammenpasst, mag sich mir noch nicht ganz erschließen.
Heute hat es übrigens 42°. In der Sonne ist es schon arg warm (ich friere nicht), aber ich bin ja auch nicht zum Ski fahren gekommen. Passt.