Mam, one Selfie please! Oder wie ich die Welt verbesser

Ich habe eine neue Rolle. Wobei, nein eigentlich habe ich viele neue Rollen. Aber eine davon gefällt mir besonders gut. Neben Gast bin ich auch die Ausländerin, Hindischülerin, Deutsch- und Englischlehrerin, Übersetzerin. Und seit heute auch Geschmackstesterin. Das Leben meint es also gut mit mir. Mir werden keine Steine in den Weg gelegt, mir wird ein bequemer Sessellift geboten. Das Personal meines Gasthauses hat täglich Kochunterricht und das Essen will probiert und bewertet werden. Das Gasthaus gehört zu dem Projekt, für das ich vor 8 Jahren gearbeitet habe und somit kenne ich einige Angestellte. Weshalb prinzipiell mehr Privilegien habe und jetzt auch noch zum Geschmackstester befördert wurde. Schließlich muss das wer unabhängiges machen und im besten Fall jemand, der die europäische Küche kennt. Gut, dafür bin ich jetzt als Veganer vielleicht nicht gerade überqualifiziert aber Gemüsesuppe testen ist auf jeden Fall drin. Womit wir auch schon zum Knackpunkt des ganzen kommen. Sie kochen gerade italienisch. Ich bin nicht umbedingt um die halbe Welt gereist, um dann italienische Gerichte zu essen. Vor allem nicht, wenn ich in meiner WG in Augsburg direkt an der Quelle original italienischen Essens bin. Aber gut. Ich bekomme leckeres Essen. Juhu!

1,5 Stunden später. Gut, alles hat seinen Preis. Eigentlich lernt man ja früh, dass das meiste einen Haken hat. Aber wer denkt da bei Essen schon dran? Ich sollte mit jedem der Kochschüler die Rezepte aufschreiben. Meine neuen Schützlinge sind ein motivierter Chandu, eine motivierte Anju und ein mäßig begeisterter Balvin, der garkein englisch spricht. Chandu tut sich schwer mit englisch, versucht es aber immerhin. Auch, wenn es ihm am liebsten gewesen wäre, wenn ich das Rezept für ihn aufschreiben würde. Anju ist Perfektionistin und es hat sie ganz schön geärgert, wenn sie mich beim Buchstabieren falsch verstanden hat (sie sprechen einige Buchstaben anders aus und ich habe mich schon bemüht, mich der örtlichen Aussprache anzugleichen. Offenbar nur bedingt erfolgreich). Auch sie tut sich mit englisch ziemlich schwer, strengt sich aber auch an. Und dann ist da eben noch Balvin, der Analphabet ist und das Rezept somit auch nicht in hindi aufschreiben kann. Dafür hat Anju für ihn geschrieben und gleichzeitig als Übersetzerin zwischen uns vermittelt. Dabei hat sie ziemlich schnell gemerkt, was ich wissen wollte und ihn sehr souverän gefragt, als wäre ja wohl selbstverständlich, dass er angeben muss, ob er zum Abmessen einen Tee- oder Esslöffel verwendet hat.

Erstmal bin ich ja froh, dass zu meinen Hobbys gehört, mir Rezepte durchzulesen und ich daher auch ein paar entsprechende Formulierungen parat habe. Aber dass es allein 1,5 Stunden dauern würde, um 2 Rezepte aufzuschreiben – damit habe ich nicht gerechnet. Der Sinn dahinter ist, dass sie verstehen, wie Rezepte aufgebaut sind und dass man sich (zumindest in dem Stadium, in dem sie sich in ihrer Ausbildung befinden) als Koch an Rezepte halten sollte. Die Message ist noch nicht angekommen. Das mache ich daran aus, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass sie sich die Mengenangaben ausgedacht haben, als ich nachgefragt habe. Ich war beim Kochen dabei und habe keine Waage gesehen, aber dass da 70 g Bohnen in die Suppe kamen, wusste Chandu 😀 naja, ich hatte auch irgendwann keine Lust mehr und wollte es nur fertig bekommen. Bin auch angeschlagen und da ist mein Geduldsfaden eh minimal ausgebildet. Jedenfalls bin ich auch noch gar nicht fertig mit den 3. Als nächstes sollen sie es nämlich an einem Computer abtippen, Fotos einfügen und per Mail verschicken. Ich weiß nicht genau, wie schnell sie tippen. Und ob sie je etwas mit Word gemacht haben. Ich ahne aber, dass auch die Aufgabe eine nächste Herausforderung wird. Deshalb habe ich auch Schluss gemacht für heute. Man gibt mir Essen. Das muss ich mir als Motivationsmantra vorsagen.

Womit ich meine Zeit hier noch so verbringe ist Backen. Ich hatte ja in Delhi schon vegane und glutenfreie Brownies gebacken. Die waren allerdings recht bröselig und trocken. Mittlerweile habe ich noch ein Rezept getestet und ein Bananenbrot ist mir gelungen. Bei den Brownies fehlt immernoch Bindemittel. Ich denke, ich reibe einen Apfel rein und füge Kichererbsenmehl hinzu. Aber damit geht es erst nächste Woche wieder weiter.

Kühe. Es ist ein Vorurteil, das eigentlich garkein Vorurteil ist. Weil es stimmt. Hier laufen Kühe rum. Einfach so. Sie gehören Leuten, die Milch verkaufen und um Kosten zu sparen, lassen sie die Kühe einfach mitten in der Stadt frei laufen. Sie sind also eigentlich ein bisschen wie Straßenhunde. Straßenhunde sind auf der Suche nach Futter und so sind es auch die Kühe. Wenn da ein Restaurant die Tür offen hat-dann schaut man da mal rein. Steht im Weg und wartet auf Essen. Demnach sind hier regelmäßig Kuhköpfe in der Tür. Das ist etwas, das mich immernoch dazu bringt, die Kamera zu zücken. Eine Kuh im Restaurant?! Ich meine, daran kann ich mich nur sehr schwer gewöhnen.

Dann gibt es noch eine erfreuliche Nachricht. Mein Körper hat sich etwas mehr an die Temperatur gewöhnt (allerdings fühlt es sich schon seltsam an, bei 45° eine Erkältung zu haben.). Ich schlafe mittlerweile vor einem Wasserkühler (Ventilator, der etwas Wasser mit in die Luft mischt) auf dem Flachdach. Im Gegensatz zum Dach meines ersten Gasthauses hier, auf dem ich ja auch sehr oft geschlafen habe, ist dieses von einem Gitter umgeben. Was mit dem Biorythmus der Affen nicht stimmt, weiß ich nicht. Aber scheinbar halten sie es für richtig, morgens zwischen 4 und 5 Uhr um die Dächer zu ziehen und dank Wellblechbeschläge einen Mordslärm zu veranstalten. Früher musste ich um die Zeit daher schnell ins Zimmer (sie touren in Gangs umher und können auch gefährlich sein), aber hier kann ich abgesehen vom Lärm weiterschlafen. Wobei ich entweder lärmresistenter geworden bin oder sie sich Mühe geben, die Wellblechdächer zu vermeiden. Der eigentliche Punkt aber ist, dass ich nachts relativ gut schlafen kann und mir bei einem Minimum von 33° nicht mehr zu heiß ist (zumindest vor einem Ventilator). Und auch tagsüber kam es mir heute weniger heiß vor. Es hatte zwar 45°, aber die Luftfeuchtigkeit war niedriger. Mit Ventilator und ohne Bewegung geht es. Ab nächster Woche soll der Regen einsetzen und damit wird es auch kühler. Aber abwarten, meine App ist in der Genauigkeit der Wettervorhersage in etwa so zuverlässig, wie Mili, wenn wir uns für eine bestimmte Uhrzeit verabreden.

Und mir fällt noch etwas ein, wie ich hier quasi etwas gutes tue (bitte nicht ernst nehmen!): ich schaffe Freunden eine Einnahmequelle. Mili stellt immer wieder fest, dass ich hier extrem die Aufmerksamkeit der Leute auf mich ziehe (weiß, groß, rote Haare, blaue Augen). Und sie hat dann einfach festgelegt, dass Fremde für ein Selfi mit mir 200 Rs bezahlen sollten, also etwa 2,50€. Ein ganz schön hoher Preis. Jedenfalls haben das auch Meenas Kinder mitbekommen. Anfangs war es ein Spaß und wenn ich mit ihnen zusammen unterwegs bin, werde ich auch kaum gefragt – deshalb hat sich nie eine Gelegenheitgeboten, das auszuprobieren. Aber als wir die Tage in Meenas Laden saßen und sie etwas Milch mit Blüten als Opfergabe für den goldenen Tempel hier verkauft hat, wollte einer ihrer Kunden noch ein Selfi mir mir. Ich bin da zwar kein Fan von, aber wenn die Leute nicht unverschämt sind, mache ich mit. Dass mir die Hautfarbe und Herkunftso viele Privilegien bescheren, ist schließlich schon unfair genug. Aditya (Meenas Sohn, etwa 13 Jahre alt) hat dann aber mit ihm verhandelt und am Ende hat der doch tatsächlich 70 ct für 2 Selfis mit mir bezahlt 😀 er ist nun mein Manager und darf das Geld natürlich behalten. Ich habe einen Job geschaffen!  Mit dieser frohen Nachricht wünsche ich noch ein schönes Wochenende 🙂

Karma vs. Darwin

Ich sitze in Milis Wohnung. Es ist Freitag Mittag und heute findet ein Hauspooja statt. Pooja ist eine religiöse Zeremonie. Das macht man im Tempel beim Beeten (ähnlich einem Gottesdienst) oder auch selber vor seiner Gebetsecke zuhause. Und heute kommt extra ein Geistlicher nach Hause, um so eine Zeremonie zu machen. Ich Ungläubige habe dann gefragt, zu welchem Anlass diese Feier stattfindet. Aber sie mussten auch ihre Mutter fragen, weil ihr Kenntnisstand von meinem in der Hinsicht scheinbar nicht  besonders abweicht ^^ Gerade hat mir Riya dann erklärt, dass heute der Todestag von einem Gott ist, zu dem der Familienvater in schweren Zeiten viel gebetet hat. Seitdem wird speziell er von der Familie verehrt.

Was mir an den Hindu-Göttern besonders gefällt ist, dass sie zumindest in einem Punkt bescheidener sind als der christliche Gott. Sie wollen kein totes Tier als Opfergabe, sondern freuen sich über Blumenketten. Auch Essen stellt man ihnen hin, aber nach ein paar Minuten, wenn sie fertig gegessen haben (so wurde es mir wirklich erklärt), kann man das selbst verspeisen. Was das Materielle angeht, fordern sie also weniger. Als einen Nachteil im Gegensatz dazu sehe ich aber die aktive Behinderung des Brandschutzes. Vor lauter Räucherstäbchen und anderen brennenden Dingen in Schälchen würde jeder Brandmelder besonders an so speziellen Tagen nach kürzester Zeit ein Burnout bekommen. Und auch noch brennende Streichhölzer werden auf den Boden fallen gelassen und sorgen so noch kurze Zeit für schönes Licht da unten. Auch weiteren Beobachtungen zufolge (ich habe echt nichts zu tun hier. Darf weder helfen, noch kann ich mich an der Konversation beteiligen) sind die Götter hier auch nicht so streng ihren Gläubigern gegenüber. Wenn der Cousin mitten während der Segnung anruft, telefoniert man halt währenddessen mit ihm. Mili ist dann dafür ins Nebenzimmer und der Geistliche ist ihr extra hinterher, damit er auch sie mit Wasser besprenkeln kann. Das scheint die Götter hier nicht sonderlich zu stören.

Gestern Abend war ich in der Bäckerei zum Abendessen eingeladen. Anish, der Chefbäcker kocht auch wunderbar und da ich ihn und Ashif schon 8 Jahre (wie die Zeit doch vergeht!) kenne, haben sie vorgeschlagen, zusammen Abend zu essen. Da sage ich jedenfalls nicht nein! Nach dem Essen haben sie auch vorgeschlagen, dass ich Micha doch mal fragen soll, ob ich nicht in seinem Gästezimmer wohnen kann. Michas Wohnung befindet sich im gleichen Gebäude und die Tür geht direkt von der Bäckerei ab. Anish findet, dass ich da wohnen sollte, immerhin kann er dann immer für mich mitkochen und ich muss nicht ins Restaurant. Lieb, dass er dafür das Gästezimmer seines Chefs zur Verfügung stellen würde 😀 aber mittlerweile mache ich eine Art Restaurant-hopping. Jede Mahlzeit nehme ich bei anderen Bekannten ein und es fällt mir nur sehr schwer, meine*n Lieblingskoch*in zu küren. Dafür muss ich wohl noch etwas weitertesten 😉

Heute habe ich erstmal ausgeschlafen, nachdem die Nacht doch ziemlich warm war. Von 45° tagsüber kühlt es nur noch auf 29° ab. Mittagessen gab es dann bei Meena und ihren Kindern Adit und Shrea. Sie hat Cheela gekocht, das sind Kichererbsenpfannkuchen. Ich liebe Kichererbsen. Perfekt. Wir haben einen Pakt, sie bringen mir mehr hindi bei (die Zahlen kann ich, schließlich muss ich verhandeln können. Sonst aber nur die basics, verstehen tu ich etwas mehr) und ich ihnen deutsch. Sie freuen sich, eine Geheimsprache zu lernen, auf der sie sich unterhalten können 😀 mein Ansatz ist eher das Gegenteil. Ich hätte gerne, dass mich auch die Leute verstehen, die kein englisch können. Wie die Eltern einiger Freunde. Sie reden ständig auf hindi auf mich ein. Meine Vermutung ist, dass sie so die Wahrscheinlichkeit erhöhen wollen, dass irgendwann ein Wort dabei ist, dass ich verstehe. Die Erfolgsquote ist bisher noch nicht im zufriedenstellenden Bereich.

Auf dem Rückweg von Meena habe ich bei Nitin auf einen Zitronentee vorbeigeschaut, dann habe ich Mili getroffen. Sie ist mit Priyanka die einzige hier, mit der ich vollkommen offen über alles reden kann. Von ihr lerne ich sehr viel über ihre Kultur und sie über unsere. Ich lerne zB. von Dingen über die arrangierte Ehe und Gräueltaten von Schwiegerfamilien, die ich aus rein egoistischer Sicht (zum Erhalt meines Seelenfriedens) lieber gar nicht wissen mag. Ich lerne zu schätzen, wie frei ich bin und wie viel Kontrolle ich über mein eigenes Leben habe. Ein Privileg, dessen ich mir immer wieder bewusst werden sollte. Sie lernt von mir zum Beispiel, dass Pünktlichkeit für mich ein hohes Gut ist. Heute war der Grund für ihre knapp zweistündige Verspätung, dass der Freund ihrer Schwester da war und sie nicht für ihn mitgekocht hatten. Demnach musste sie warten, bis er weg ist, damit sie essen kann. Sonst hätte es die Gastfreundschaft schließlich geboten, ihm eine Menge aufzutischen.

Zum Schluss für heute noch eine kurze Anekdote über den Abend. Wir sind nach Assi Ghat gelaufen, das ist die Touristenhochburg Varanasis. Hier sind momentan 4 Fahrgeschäfte aufgebaut, eine Art Miniplärrer. Meenas Kids haben sich total darauf gefreut und deshalb habe ich zugestimmt, mitzufahren. Ich möchte ja auch nicht die Ausländerin sein, die den indischen Standards nicht traut. Spoiler: in Zukunft werde ich die Ausländerin sein, die den indischen Standards nicht traut. Zuerst sind wir Riesenrad gefahren. Da dachte ich ja erst gut, ist zwar langweilig aber immerhin bekommt man vielleicht eine nette Aussicht. Joa. Nachdem nach und nach alle eingestiegen sind, wurde das Teil extrem beschleunigt und wir sind dann etwa 10 Runden gefahren. Beruhigend habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Leuchtreklame fachmännisch mit Paketband montiert war. Außerdem haben die Wagons keine Türen. Bei der Geschwindigkeit schwingen die schön hin und her und wenn ich eines von meiner Masterarbeit gelernt habe, dann dass schwingende Belastungen nicht umbedingt die Belastungen sind, denen Stahl am besten stand hält. Naja, immerhin wäre es ein schöner Tod. Meena, Adit und Shrea waren ausgelassen am Lachen und das steckt ja an. Die nächste und dann auch schon letzte Station war eine große Schiffsschaukel. Als wir gerade saßen und es losging, kam der Typ in mein Sichtfeld, der das ganze antreibt. Er schiebt einen Hebel und zieht gleichzeitig an einem Strick, das etwa 4 m weiter zu einem Motor geht. Schnell wurde auch klar, dass man sich wirklich gut festhalten muss, wenn man nicht rausfallen mag. Mir war nicht bewusst, was mir die 80 ct für ein Erlebnis bieten würden. Jochen Schweizer hat da sicher noch eine Menge Potential. Inder setzen zudem wohl auf Darwin und seine Evolutionstheorie. Die Stärkeren und so. Wir Deutsche finden ja immer wieder Wege, Darwin zu umgehen. Medizinische Versorgung, Regeln, Sicherheitsvorkehrungen ohne Ende. Wir sind scheinbar ein Volk, das nicht nur die Muskelpakete und oder super schlauen der Gesellschaft gern bei sich hat. In der Hinsicht folgt die indische Bevölkerung aber offensichtlich anderen Werten. Die natürliche Selektion wird nicht nur akzeptiert, sondern durch so Spektakel wie die Schiffsschaukel noch aktiv beschleunigt. Oh, du hältst dich nicht richtig fest? Schade. Alternativ kann man natürlich auch die Theorie aifstellen, dass man hier ja ans Karma glaubt und demnach vielleicht einfach weniger „unnötige“ Sicherheitsvorkehrungen trifft, wo Karma das mit dem Leben oder Tod schon entscheiden wird. Die Theorie ist aber langweiliger, also halte ich mich an die erste 😀 Da wären wir wieder bei diesen vollkommen objektiv analysierten kulturellen Differenzen.  Es ist witzig hier. Manchmal beängstigend (rein auf Sicherheitsstandards oder Schwiegertöchter bezogen). Aber für mich größtenteils witzig.

Das war es dann auch schon fürs Wochenende. Grüße von weit her!

Ankunft in Varanasi

Puh. Es ist 23:08 Uhr und ich liege auf meinem Schlafplatz im Zug nach Varanasi. Bei einem vollgestopften Urlaubskalender mit nur einem Termin um 8 Uhr morgens hätten vermutlich die meisten damit gerechnet, dass es locker machbar ist, den Zug um 22:50 Uhr am Ende der Straße zu nehmen. Aber es wäre ja kein Abenteuer, wenn ich wie in alter Manier bei allem jede Menge Puffer einberechne. Oder überhaupt gut überlege, wann ich los muss. Außerdem ist das hier ja eine interkulturelle Begegnung und da nähert man sich idealerweise einander an. Das Zeitmanagement hier habe ich ja schonmal angeschnitten und scheinbar hat es auch garnicht lange gebraucht, bis sich mein Hirn in der Hinsicht umgestellt hat. Das deutsche Herz in mir ist dafür ehrlich gesagt aber immer noch ziemlich am Klopfen, weil ich beinahe den Zug verpasst hätte. Aus irgendeinem Grund hatte ich gedacht, dass es locker ausreicht, wenn ich 20 min vor Abfahrt aufbreche. Mit der bereits abgespeckten Variante meines Gepäcks, also einer Handtasche, einem Rucksack und 2 großen Koffern. Alleine. Delhi ist ja bekanntermaßen nicht umbedingt eine Kleinstadt und dementsprechend groß sind auch die Bahnhöfe. Ich bin also (bis ich wirklich aus der Tür draußen war) 16min vor Abfahrt auf der Straße gestanden und habe auf eine Riksha gewartet. Rikshas fahren auch eigentlich den ganzen Tag auf und ab und ständig wollen mich die Fahrer am liebsten auch die 20 m zur nächsten Ecke fahren. Aber unerwarteterweise machen scheinbar auch Rikshafahrer mal Feierabend und so musste ich das doppelt so teure Tuttuk nehmen. Na gut. Als der Fahrer erfuhr, dass mein Zug in nur 12 min fährt, hat er sich auch echt ins Zeug gelegt und sich trotz roter Ampel durch den Verkehr zum Bahnhof gemogelt. Was extrem erstaunlich ist. Zum einen hat er (wie auch die meisten anderen Verkehrsteilnehmer. Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel) zunächst angehalten. An einer Ampel. Die werden meiner Erfahrung nach eher als Element der Unterhaltung/Reklame angesehen. So à la „hallo, hier ist eine Kreuzung und wir haben auch eine Idee, wie ihr sie unbeschadet überqueren könnt. Aber tut euch keinen Zwang an, kreative Alternativvorschläge sind natürlich willkommen“. War der Präsident unterwegs, sodass sich plötzlich alle vorbildlich verhalten haben?
<span;>Oder aber, und das ist meine zweite Theorie, es fand ein in meinen Augen nicht besonders gelungener Flashmob statt. So, wie man sie aus Bollywoodfilmen kennt, nur in uncool. Ich bin noch unsicher, für welche Variante ich mich entscheide.
<span;>Jedenfalls hat sich mein Tuktukfahrer zu meiner Freude dazu entschieden, da nicht mitzumachen. Weiter ging es zu den Trollis. Trollis sind professionelle Gepäckträger, die einem die Koffer bis in den Zug tragen. So einen Service habe ich noch nie in Anspruch genommen (immerhin kann ich das auch selber und ich wurde von mehr oder weniger schwäbischen Eltern großgezogen. Da kann man Geld sparen) aber in Angesicht der Gepäckmenge und, noch viel wichtiger, der Zeitnot habe ich direkt 2 beauftragt. Die natürlich den Deal ihres Lebens vermuteten. Bei meiner Geldscheißerhautfarbe ist das auch nicht ganz unverständlich. Aber womit sie nicht gerechnet haben ist, sind meine Wurzeln im Schwabenländle. Sie haben (und so würde ich es mit meiner neu erlangten Expertise auf diesem Gebiet auch jedem empfehlen) natürlich auf dem Weg (auf hindi) mit mir verhandeln wollen. Zu dem Zeitpunkt muss ich ja quasi zu allem ja sagen, da sie sonst mit meinen Koffern stehen bleiben. Außerdem gehen sie davon aus, dass ich kein hindi verstehe. Sie fangen also an, dass jeder 500 Rs bekommen sollte. Ich tu so, als verstehe ich nicht und sag einfach ok. Am Ende sind sie dann dabei, dass jeder von ihnen 1000 Rs (12,50 €) bekommen sollte. Das ist das Zehnfache des normalen Preises. Und als wir im Zug angekommen sind, fange ich an zu verhandeln. Jetzt bin ich natürlich in der stärkeren Position, weil ihre Dienstleistung bereits ausgeführt wurde und ich nichts mehr zu verlieren habe. Zugegebenermaßen war das auch etwas gemein von mir, aber ich habe ihnen schon beim auf mich zulaufen angesehen, dass sie mich extrem übers Ohr hauen werden. Fast würde ich behaupten, Expertin im Erkennen solcher Schurken zu sein. Am Ende habe ich ihnen 500Rs zusammen gegeben, da sie ja wirklich schnell sein mussten. Ich habe also schon ordentlich aufgeschlagen (aber auch nur, weil ich nicht darauf geachtet hatte, genug Kleingeld parat zu haben. Ein blutiger Anfängerfehler). Bis der Zug losfuhr, haben sie mir dafür netterweise lautstark Gesellschaft geleistet. Dass wir so knapp dran waren, hatte dann doch auch etwas gutes, denn so waren sie nach 2 min wieder weg und ich samt Gepäck im Zug.

Gerade wurde ich kontrolliert. Dabei läuft der Kontrolleur mit einer Liste aller Passagiernamen und Plätze rum und fragt jeden nach Name bzw. Ticket. Mich hatte er ursprünglich übersprungen (ich wurde bisher nicht oft kontrolliert. Entweder die Kontrolleure gingen davon aus, dass ich als reiche Ausländerin ja wohl ein Ticket haben werde (im Fall, wo es keine festen Sitzplätze gab). Oder aber andere Leute, denen ich sicherheitshalber immer mein Ticket zeige, damit sie mir Bescheid geben können, wenn ich am Ziel bin (manchmal gibt es kaum Ortsschilder in lateinischer Schrift), versichern dem Kontrolleur meine Gewissenhaft beim Fahrkartenerwerb. Ich war schon dabei, dem guten Mann zu unterstellen, mich mit allen Ausländern in einen Topf zu werfen (da steht ein komischer Name auf der Liste, die schaut komisch aus. Passt.), da er alle um mich herum kontrollierte. Aber er kam zurück und hat für meinen Seelenfrieden gesorgt, indem er auch meinen Namen wissen wollte. Und anschließend mein Ticket sehen wollte, weil er die Aussprache scheinbar nicht mit dem Namen im schlauen Buch in Verbindung bringen konnte.

Die Nacht über habe ich nicht besonders viel geschlafen, obwohl das Abteil überraschenderweise nicht auf arktische 16°, sondern eine mit Decke einigermaßen angenehme Temperatur gekühlt wurde. Für Zufahrten und den Flug habe ich extra immer Wollsocken dabei. Für meine Reise in ein Land, dessen Durchschnittstemperatur momentan der Einsteigersaunatemperatur entspricht. Und dann sind wir angekommen. Ich habe mir einen Wecker auf 45 min vor Ankunft gestellt und bin dann auch aufgestanden. Habe gerade die Zähne gepuzt und mich einigermaßen frisch gemacht, da sind wir auch schon angekommen. 30 min zu früh?! Dieses neue indische Zeitmanagement bringt mich völlig aus der Bahn. Es kam schon des öfteren vor, dass mein Zug die ursprünglich angepriesene 12-h-Fahrt auf 20 h ausgeweitet hat. Auch eine kostenlose Verlängerung des Fahrerlebnisses um 3-5 h war nicht ungewöhnlich. Und nun kommen wir zu früh an. Ich bin mir noch unsicher, was ich davon halten soll. Wie gut, dass ich nach dem gestrigen Aussetzer wieder besser vorbereitet war. Während der Rest des Wagens hektisch seine Sachen zusammengeräumt hat, konnte ich ganz entspannt mit meinen 4 Gepäckstücken aussteigen und meinen Weg zu den Rikshas bahnen. Nach relativ offensichtlichen Anspielungen habe ich gedacht, dass mich Mili abholt, aber da niemand meinen Namen gerufen hat, bin ich dann so mit einer Autoriksha los. Ich war mir zum Einen nicht sicher, ob sie mich abholt und zum Anderen halte ich die Aussicht, am Bahnhof eine junge Frau zu finden, die wie der Großteil der weiblichen Bevölkerung in Varanasi traditionelle Kleidung trägt und schwarze Haare hat, nicht für sonderlich erfolgreich. Das ist wir ein Wimmelbuch extrem. Im Gegensatz dazu tut sie sich ja extrem leicht, mich zu finden. Einfach schauen, wer die Masse um einen Kopf überragt und dazu auch noch bunte Haare hat. Easy. Jedenfalls habe ich dann, wie abgesprochen, an der Kreuzung in der Nähe ihrer neuen Wohnung gewartet, weil wir uns da treffen wollten. Sie kam dann auch kurz später-allerdings nicht wegen mir, sondern weil sich zufällig gerade was zu essen geholt hat. Die gute war tatsächlich am Bahnhof-allerdings am anderen Ausgang. Sie habe extra einen Polizisten gefragt, ob er eine große Ausländerin gesehen hat und der hat verneint. Da ich keine Sim-Karte habe und somit zeitweise nur sehr eingeschränkt kommunikativ bin, ist sie dann einfach wieder heim gefahren. Ihre Einschätzung zum Nutzen des besagten Polizeibeamten fällt übrigens eher negativ aus.

Jedenfalls hat es ja doch geklappt und wir haben uns gefunden. In dem Viertel, in dem ich mich am ehesten auskenne, hat sich auf den ersten Blick nicht viel verändert. Einige Shopbesitzer haben mich erkannt und begrüßt. Die Begrüßung des Tages war „Hello Germany, how are you?“ Als Sprachrohr der Bundesrepublik Deutschland habe ich stellvertretend geantwortet, dass es uns gut geht. Ich hoffe, das geht so in Ordnung 😀

2022, Tag 2

Es ist Mittwoch Mittag. In der Nacht auf Dienstag bin ich gegen 3 Uhr in Delhi gelandet. Der Flug war ok, ich war so in mein Buch vertieft, dass ich nicht einmal dazu gekommen bin, den Film Cyrano anzuschauen-der Film zu meinem letzten Stück, das ich im Theater betreut habe. Ich setze daher auf den Rückflug.

Ich bin nun glaub ich zum 6. mal in Indien, wenn man die 10 Monate mit kurzen Unterbrechungen für Visa als 1 zählt. Indien ist für mich besonders das Land der Extreme. Extrem laut, extrem voll, extrem scharf, extrem süß, extrem religiös, extrem ungerecht, extreme Familienstellungen.

Diese Eindrücke fangen auch eigentlich schon vor der Ankunft an. Im Flugzeug von Bahrain nach Delhi sind etwa 85% der Passagiere Inder und ich finde, das ist auch schon ein anderes Flugerlebnis. Woran mache ich das aus? Am Gate wurden mehrere Leute unabhängig voneinander weggeschickt, weil sie ein anderes Flugticket haben (Flugnummer und Ziel stimmten nicht überein). Beim Einstieg herrscht mehr Tumult, weil Großfamilien den Gang als idealen Ort für sich auswählen, um zunächst die optimale Sitzplatzverteilung auszudiskutieren. Im besten Fall erdreistet sich dann eine externe Person (ich) auf einen der Plätze zu wollen, der bereits von ihnen eingenommen wurde. Diese sture Person (immernoch ich) möchte sich nicht einfach irgendwoanders hinsetzen. Anmerkung: da treffen natürlich auch 2 Kulturen aufeinander. Die Kultur der Leute, die das Aufstellen und Befolgen von Regeln liebt (ich) und die Kultur derer, die Regeln eher für unverbindliche Vorschläge hält (nicht ich. Dafür vermutlich alle Nichtdeutschen). Dieser Kulturclash führt dazu, dass die gesamte Sitzplatzordnung neu eruiert werden muss. Und welcher Ort wäre dafür besser geeignet als der Gang? Es ist ein Ort der Begegnung und Kommunikation. Und das ist doch prinzipiell was gutes. Weiter geht es mit dem Flug an sich. Während meine Herangehensweise zum Lösen des Problems ist, zunächst einmal verschiedene Optionen abzuwägen und gegebenenfalls meine Umgebung zu beobachten, hat ein großer Anteil meiner Mitpassagiere einen deutlich pragmatischeren Weg hierfür. Die Knöpfe, die Steward*essen rufen, werden in einer deutlich höheren Frequenz verwendet, als ich es von anderen Flügen gewohnt bin. Und wenn es nur darum geht, nachzuforschen, warum der Nebenmann bereits sein Essen erhalten hat und man selbst noch nicht (weil die Spuialanfragen, wie vegane Mahlzeiten zuerst verteilt werden). Der Knopf scheint keinen Filter zu haben, um nur bei wichtigen Problemstellungen auszulösen.

Angekommen in Delhi möchten mich etwa 20 Taxifahrer für den doppelten bis dreifachen Preis zum Gasthaus bringen,  aber ich habe Übung darin, sie abzuschütteln. Der Taxifahrer meiner Wahl (oder besser der Wahl der Station, bei welcher ich die Fahrt buche) ist nett und hält 4min nach Fahrtbeginn erstmal an einem kleinen Stand, um sich eine Zigarette zu kaufen. Unsere Unterhaltung ist relativ eintönig. In jeder zweiten Straße erwähnt er, dass Delhi so grün sei und ich antwortete, dass ich das toll finde (finde ich auch wirklich, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob das, was wir auf der Fahrt ins Stadtzentrum sehen, wirklich repräsentativ für die gesamte Stadt ist). Ich habe auch versucht, etwas anderes zu sagen, aber seine Antwort lautete dann immer „ok no problem, mam“ und das widerum halte ich nicht für eine adäquate Antwort auf wirklich jede Aussage oder Frage. Daher blieb das Thema bei der Begrünung Delhis.

Im Gasthaus angekommen habe ich in der ersten Nacht (Spoiler, ich werde auch die zweite Nacht hier verbringen) ein Zimmer mit eigenem Bad, Doppelbett, Deckenventilator und Klimaanlage (!!!). Die ist allerdings auf 16° gestellt. Es gibt auch eine Fernbedienung, aber die scheint mir nicht zu dem Gerät zu gehören. Jedenfalls friere ich natürlich bei so viel kalter Luft und schalte sie aus. Vorerst hat es nur 38°, der Ventilator reicht mir.

Mein Kreislauf hat beschlossen, die Periode zum Anlass zu nehmen, sich erstmal auf ein Minimum an lebenserhaltenden Maßnahmen zu reduzieren.
Soll das ein reboot sein? Ich weiß es nicht aber was ich schnell merke ist, dass zu einem Minimum an Lebensfähigkeit scheinbar kein aufrechtes Sitzen oder Stehen gehört. Liegen ist also das neue Sitzen! Gut, dass ich das Buch im Flugzeug nicht fertig gelesen habe. Und dass das Internet zwischendurch doch auch mal funktioniert.

Heute früh war ich dann um 8 mit Naresh verabredet. Wir wollen zusammen backen. Wo bei das wir eher positiv ausgelegt ist. Ich backe an sich gerne, muss jetzt aber nicht umbedingt zu einer Zeit dafür aufstehen, die mein Körper aufgrund der noch europäischen Eichung für 4 Uhr morgens hält. Das war eh ein Abwägen. Naresh ist Inder und lebt in Indien, daher liegt die Vermutung nahe, dass er erst weit nach 8 Uhr kommen wird. Vielleicht gegen 11 Uhr? Andererseits arbeitet er seit Jahren für einen Deutschen (wobei Micha schon sein halbes Leben in Indien lebt, also zählt er rein kulturell garnicht mehr richtig als Deutscher) und muss sich da vielleicht ja auch an Zeitangaben halten. Naja, machen wir es kurz. Ich war um 5 nach 8 unten im Gasthaus, wo er mich abholen wollte. Um viertel nach habe ich ihm geschrieben, dass ich warte und um 20 nach kam seine Antwort, dass er gleich jemanden schickt, um mich abzuholen. Der kam dann um dreiviertel 9 und um 10 vor 9 war ich in der Bäckerei. Die ist seit meinem letzten Besuch umgezogen, weshalb ich sie nicht finden hätte können. Um 9 war dann auch Naresh in der Backstube. Es gibg also deutlich schneller, als ich erwartet hätte. Mein Auftrag war, mit ihm zusammen vegane und glutenfreie Brownies zu backen. Mit vegan kenne ich mich zwar mittlerweile echt gut aus und auch glutenfrei habe ich schon öfter ausprobiert. Aber es ist eine Herausforderung. Unsere erste Fuhre wurde sehr trocken und bröselig. Meiner Meinung nach war der Teig aber auch zu lange im Ofen. Außerdem verdächtige ich das Buchweizenmehl, mehr Wasser zu benötigen. Der nächste Versuch wurde mit Kichererbsenmehl gemacht. Da bin ich noch gespannt auf das Ergebnis. Da mein Kreislauf mitten beim Backen wieder eine Auszeit genommen hat, musste ich mich schnell hinlegen und habe das Resultat nicht mehr mitbekommen. Naja, gleich schaue ich wieder in der Bäckerei vorbei. Den Weg habe ich mir gemerkt, zum Glück wurde ich mit einen sehr guten Orientierungssinn ausgestattet. Außerdem habe ich hier immernoch kein Internet und mein Buch ist jetzt auch fertig gelesen. Da unterhalte ich mich lieber mit den Bäckern.

Die Idee war gut (außerdem war ich auch zum Mittagessen eingeladen. Yummi!), nur wollten sie mir Bescheid geben, wenn es fertig ist. Dabei ist nur problematisch, dass unsere Kommunikation internetbasiert ist und das im Gasthaus immernoch nicht funktioniert. Also bin ich so hin, aber die Bäckerei war abgesperrt und ich vermute, die Leute waren schon in der Mittagsruhe. Das machen sie zwar nur 1-2 Stockwerke drüber aber da ich als Ausländerin eh schon überqualifiziert im Bereich der Auffälligkeit bin, wollte ich nicht auch noch rufen oder laut gegen die Tür schlagen. Die Nachbarn haben eh schon neugierig geschaut. Müsste ich bewerten, wie diskret sie beim Tratschen über mich waren, würde ich ihnen wohlwollende 3/10 Punkten geben.

Eine Freundin hat vor kurzem erzählt, dass sie meine Mutter getroffen hat. Sie habe wohl Unverständnis dafür zum Ausdruck gebracht, dass ich bei den Temperaturen freiwillig nach Indien möchte. Mama ist da auch nicht die einzige mit den (zugegebenermaßen nicht abwägigen) Bedenken. Aber. Momentan ist Mango-, Melonen- und Litschisaison! Ich denke, damit ist klar, dass es quasi keinen besseren Zeitpunkt gibt. Und ich war schon fast ein wenig traurig, dass ich dieses Jahr erst einmal unser deutsches Hoheitsgemüse Spargel (gehört Spargel zum Gemüse?) gegessen hatte (danke Vio!). Aber was ist Spargel schon gegen das allerbeste im Obstsalat?
Jedenfalls bin ich wieder zurück im Gasthaus und habe auf dem Weg Litschis besorgt (1kg für 2€). Das war jetzt mein Mittagsessen. Das Frühstück war eine Mango (1kg für 1,80€). Mein Körper muss sich bei den ungewohnt angenehmen Temperaturen darauf einstellen, wieder Appetit zu bekommen. Scheinbar lautet die Devise in etwa „wir frieren nicht, also benötigen wir keine Energie“. Man würde ja meinen, dass der Körper dann eher signalisiert, dass eine Energiezufuhr wünschenswert wäre. Wie das mit dem Kreislaufshutdown zusammenpasst, mag sich mir noch nicht ganz erschließen.
Heute hat es übrigens 42°. In der Sonne ist es schon arg warm (ich friere nicht), aber ich bin ja auch nicht zum Ski fahren gekommen. Passt.

Hallo zusammen,

ich bin seit Donnerstag wieder in Augsburg. Die letzten Tage war noch viel los und in Delhi, passend zum Rückflug, bin ich wieder krank geworden… deshalb gab es keinen Bericht mehr 🙂

Ich bin gespannt, wann ich wieder nach Varanasi kommen kann und werde dann weiterberichten!

LG Julia

Festival

In der Nachbarschaft ist seit ein paar Tagen der Brunnen im Teich an und sie gehen besonders oft in den Tempel. Die Gassen drum rum haben lauter Stände mit Götterstatuen, Opfergaben wie Kokosnüsse, Bananen und Blüten und es herrscht eine nette Atmosphäre 🙂

Chips, Bonbons und Shampoo Day

Noch knappe 3 Tage, die mir im wundervollen Varanasi bleiben. Und und dann geht’s wieder zurück in das Leben, in dem mein größtes Problem ist, mit der Unfähigkeit meiner FH klarzukommen.

Milis Schwester Taniya (17) geht es momentan gesundheitlich leider garnicht gut, weshalb ich mit Mili heute Abend raus bin, damit Taniya mal ihre Ruhe bekommt. Sonst sind wir immer alle bei ihnen zuhause: eine Wohnung im Erdgeschoss mit rechteckigem Grundriss, die in 3 Räume aufgeteilt ist. Den Tempel mit Götterstatuen (dient auch als Stauraum und Wäschekammer), den Wohnraum und die Küche. Der Wohnraum ist etwa 10qm groß, es stehen 2 Betten (ein Einzel- und ein großes Einzelbett) drin, außerdem ein Schrank, ein Regal, in dem der Fernseher steht und ein Gartenstuhl für den Vater (wegen motorischer Probleme, nicht weil er wichtiger ist oder so). Außen ist noch ein kleines Bad angebaut. Das gesamte Leben der 5-köpfigen Familie + Oma, die seit einem Jahr ein Bett in der kleinen Küche stehen hat, weil sie krank ist und sich kein anderer um sie kümmert, spielt sich im Wohnraum ab, es ist also etwas eng.
Und Mili (18) ist hibbelig und für ihre Schwestern nervig, wie ein Kleinkind. Sie hat vorgeschlagen, etwas zu laufen. Wenn Inder vorschlagen, etwas zu gehen, sollten Alarm läuten. Inder hassen jegliche Art der Bewegung, wenn es sich nicht um Cricket handelt. Ich bin mit ihr also 250m gelaufen, bis sie eine Riksha angehalten hat, die uns wenige Kilometer weiter nach Assighat gebracht hat. Und es ist nicht zu fassen, selbst sie, deren Familie jeden Monat zu kämpfen hat, die 38€ Miete und Riyas (22) Studiengebühren zahlen zu können, hat es jedes mal woeder geschafft, Riksha und Chips und Getränke für uns zu zahlen. Sie meinte „Julia, heute wirst du nichts bezahlen, weil sonst immer du diejenige bist, die zahlt“ was schlichtweg komplett falsch ist. Meena hat in ihrem Dorf alles für mich gezahlt, selbst Riksha und Zugfahrkarten. Außerdem hab ich immer was von ihren leckeren Essen bekommen und dafür Saft oder Snacks mitgebracht. Bei Nitin darf ich rein garnichts zahlen, weil ich seine kleine Schwester bin und da der große Bruder IMMER zahlt. Nur arbeitet  die kleine Schwester halt und hat deutlich mehr Geld. Ich glaub, das glaubt er mir aber einfach nicht, weil er jedes mal, wenn es zum Beispiel darum geht, das Geld für Riyas Studiengebühren zusammenzubekommen, sagt, ich soll nichts dazugeben und lieber für den nächsten Infienflug sparen. Was ich echt süß finde, weil vermutlich jeder mit normalem Verstand Geld von einem deutlich reicheren nehmen würde, wenn der es anbietet und man es braucht. Aber nicht Nitin. Wobei ich mich gefreut habe, weil ich zu Riyas Gebühren 20€ dazugeben darf. Sonst sind selbst 25ct für Lemon Tea zu viel. Ich zahle also nur, wenn ich irgendwo alleine bin.

Aber darauf wollte ich eigentlich garnicht hinaus. Als wir uns dann mit einer kleinen Tüte Chips an den Ganges gesetzt haben-an eine für mich normale Stelle, wo aber eigentlich nur Jungs sitzen (wir Rebellen)- haben wir über den Unterschied von Partnerschaften und Ehen und der Rolle der Familie dabei gesprochen. Diese Gespräche finde ich immer am interessantesten, weil ich vor allem sie alles direkt fragen kann und über alles rede. Mit den meisten anderen Inderinnen bleibe ich relativ oberflächlich bzw traue mich nicht, genauer nachzuhaken, weil dies sehr schnell verletzend werden kann (einmal hat eine Lehrerin begeistert erzählt, dass sie wundervolle Neuigkeiten hat und weil sie direkt davor vom Sohn ihres Mannes sprach und ich nicht nachgedacht hab, meinte ich „oh, du bist schwanger?“ Das hat sie ziemlich verletzt, da sie nicht verheiratet und demnach Jungfrau war. Ich hab ihr dann erklärt, dass es in Deutschland eben auch oft vorkommt, dass unverheiratete Paare Kinder bekommen und ich damit auf keinen Fall meinte, dass sie eine schlechte Frau ist, weil sie vor der Ehe Sex hatte. Sie hat das dann zum Glück als Entschuldigung angenommen.)
In den offenen Gesprächen erfahre ich viel mehr über die Kultur und bin mit Mili natürlich auch enger befreundet.

Dann jedoch kam ein Mädchen, 5 Jahre alt, zu uns um Spielzeug und Luftballons zu verkaufen. Mili hat mir dann gesagt, dass sie vermutlich die Tochter einer Prostituierten ist und gezwungen wird, so Geld für den Zuhälter einzutreiben. Geld ist also das letzte, was wir geben wollten, dafür haben wir ihr aber Chips angeboten und als wir gesehen haben, wie gierig sie sie verschlingt, haben wir ihr die Tüte in die Hand gedrückt. Ich hatte noch ein paar Bonbons und Kaugummis dabei, die wir ihr alle miteinpackten und leider war in der Nähe kein Laden für ordentliches Essen, sonst hätte ich ihr gerne was richtiges besorgt. Ein paar Chips und Bonbons sind ja nicht umbedingt ein nahrhaftes Abendessen… sie hat kaum gesprochen, Mili hat sie ein bisschen geneckt, aber dieses Mädchen ist alles andere als ein normales Kind. Sie hat schließlich geantwortet, dass sie keine Eltern hat, sondern bei der Großmutter lebt. Ich hoffe für sie, dass es stimmt. Auf die Kaugummis war sie ganz besonders wild, hat im Eifer sogar eines der Plastikspielzeuge bei uns vergessen. Als wir ihr hinterherriefen, kam sie nochmal mit einem leichten Lächeln zurück und ist dann weitergezogen.

Ich weiß kaum, was ich sagen soll. Es ist unglaublich. Jedes mal, wenn ich hier bin fühle ich mich, als wäre mein Leben in Europa sinnlos. Ich habe keine Geldprobleme, obdachlos bin ich schon garnicht, wenn ich krank bin, wird für mich gesorgt/gezahlt.
Ich habe eine Familie und Freunde, die hinter mir stehen und auf die ich mich verlassen kann. In meinem Zimmer ist immer genug Essen und falls nicht, muss ich trotzdem nie Angst haben, zu hungern.
Ich verbringe meine Zeit mit studieren, um später einen Job als Bauingenieur zu finden, womit ich vermutlich einfach nur Geld verdiene, deutlich mehr, als ich zum Überleben benötige. Und in meiner Freizeit mache ich nur Dinge, die mir Spaß machen, jedoch nichts, womit ich jemandem helfe. Ich lebe also für mein eigenes Wohl. Und dabei ist Wohl deutlich untertrieben. Gerade weiß ich nicht, wie ich nächste Woche so weitermachen kann.

Und weil ich euch nicht nur deprimieren will, sondern auch die skurril witzigen Ding nicht vorenthalten werde, kommen wir jetzt zum ersten dieser Dinge.
Gestern im Gasthaus meinte einer vom Personal zu mir, ich würde ja so groß und laut lachen. Gut, das hab ich schon öfter gehört. Aber ein anderer Deutscher würde auch so lachen, es wäre also einfach eine deutsche Lache.
Seid also darauf vorbereitet, in Varanasi nur groß und laut zu lachen, wenn ihr authentisch deutsch wirken wollt.

Micha, der das alles hier aufgebaut hat, hat mich gebeten, die Massage seines Gasthauses zu testen, was ich heute gemacht habe. Keine besonders gute Idee, wenn man bedenkt, dass auch auch jeglicher Mückenstich massiert wurde. Sie waren not amused. Aufgrund dieser Tatsache konnte ich mich nicht wirklich entspannen. Und deshalb, weil mir im Kopf selbige Formulierung rumschwirrte, was mich zum Grinsen gebracht hat. Die Frage, ob ich eine harte Massage möge, habe ich leider vollkommen falsch verstanden und schön ja gesagt. In der nächsten Sekunde hat meine Wirbelsäule geknachst, als wäre das ein neuer Trend, den sie nicht verpassen wollte. Seltsamerweise tut mir jetzt aber nichts weh, sondern ich fühl mich eigentlich ganz gut. War also garnicht so schlecht 🙂

Und noch eine erfreuliche Nachricht: ich habe 210 Packungen Läuseshampoo gekauft und am Freitag, dem von mir selbst ernannten Shampoo Day alle über 100 Kinder einshampooniert und ausgekämmt.
Ein Großteil der Kids war richtig begeistert, dass ich Shampoo für alle besorgt habe und konnte es garnicht erwarten, im Garten des Kindergarten die Haare zu waschen. Und dann gab es noch den anderen, kleinen Teil der Truppe, die mich begeistert gefragt haben, ob wir jetzt in den Wasserpark fahren. Sie hatten gestern gesagt, dass sie nicht kommen würden, weil sie sich nicht ihre Haare waschen wollen, deshalb hat Sarika ihnen einfach geantwortet „gut, wenn ihr nicht mit in den Wasserpark wollt, müsst ihr nicht mit, wir haben auch ohne euch unseren Spaß“ 😀
Raffinierte Aktion, das muss ich ihr lassen. Ich habe jene Kids enttäuschen müssen, letztendlich wurden sie aber doch noch von der Euphorie angesteckt und es hat relativ gut geklappt. Wobei mich manche Lehrer die meisten Nerven gekostet haben, weil sie die Kinder nicht kämmen wollten, aus Angst selbst Läuse zu bekommen. Es hat lange gedauert, bis sie endlich ich mitgeholfen haben, weil ich mit den Härtefällen zu kämpfen hatte, in denen die Haare nur so voll mit Krabbelviechern und deren Eiern waren.
Weil ich vor 2 Jahren selbst von den Kindern welche abbekommen hatte, bin ich schon relativ erfahren gewesen. Jeden Tag hatte ich mich einshampooniert und ausgekämmt, damit auch wirklich keine Laus mehr übrig bleibt. Hat ja letztendlich auch gewirkt. Nach dem gestrigen Tag würde ich behaupten, dass ich Expertin bin. Und auch wenn es das bis jetzt nicht hat, juckt es mich gerade doch 😅🙈 aber das kommt vermutlich von den Mückenstichen im Nacken. Bestimmt.
Am Ende des Tage hatte ich sogar einen Sonnenbrand, den ersten in Indien. Dabei hatten wir echt Glück mit dem Wetter, es war die ganze Zeit über bewölkt und nicht übertrieben heiß. Trotzdem hab ich nen Sonnenbrand. Die Wolken sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Meena geht es übrigens besser, ich bin gestern mit Aditya los, um ihr die neu verschriebenen Medikamente zu besorgen. Haben ne Weile gebraucht, bis wir eine Apotheke gefunden hatten, die es vorrätig hatte. Ein neuer Arzt hat ihr gesagt, sie muss nicht operiert werden, es reiche aus, die Tabletten zu nehmen. Ich hoffe, er hat recht. Aber immerhin geht es ihr heute schon deutlich besser.
Als ich so bei ihr war, ist ihr Sohn und Neffe mit einem auf einen Stock aufgespießten
Trillerpfeife rumgelaufen. Irgendwann hab ich nachgefragt: es war eine Selfiekamera, mit der er sich fotografiert hat.
Das spielen Kinder heutzutage also. Interessant 😀

Ich habe nur noch 3 Tage und die sind vollgestopft. Weil ich die Zeit mit allen Freunden verbringen möchte und erst jetzt mehr Aufgaben von Micha bekommen habe.

Hier noch ein Bild

Der ist heilig und wenn er bock hat, in dem Laden zu chillen, dann chillt er da. Einen Bullen zu vertreiben, traut sich keiner.

Also bis bald 🙂
LG Julia

Badi Asha School

Hier hat der Kindergarten Unterricht. Das Gitter dient zum Schutz vor den Affen. Auf dem Bild haben sie gerade Klamotten bekommen 🙂 und nicht wundern, hier finden Jungs pink und Prinzessinensachen fast cooler, als Mädchen. Die rosa T-Shirts waren heiß begehrt 😀

Kein Firstworldproblem in Varanasi

Natürlich gibt es Neuigkeiten. In meinem Zimmer gabs nen großen Kabelbrand, alles an Elektrizität ist durchgeschmort und hat die Farbe und Plastikumhüllung der Kabel mitgerissen. Ich komme also heute Abend (Montag, Internet geht nicht) von Meena heim, es hatte geschüttet und ich war froh, heim zu kommen und duschen zu können. Da sagt Shiva (viele nennen Ihre Kinder nach Göttern und sonstigen positiven Dingen, wie Sonne, Gebet, Wasserfall, Mond,…), dass es in meinen Zimmer gebrannt habe, ich soll mir aber keine Sorgen machen, all meine Sachen sind heile, nur mussten sie deshalb in mein Zimmer. Shiva kenne ich seit meinem ersten Tag in Varanasi, da er in dem Restaurant, in dem ich anfangs häufig gegessen habe, arbeitete und wir uns aus Mangel an Kunden und aus Langeweile unterhalten haben. Er ist echt nett und gibt gerne Tipps, wie man an was gut und günstig rankommt. Hat mir aus dem Restaurant auch für 9 Monate Besteck ausgeliehen, damit ich mal Salat oder so machen kann. Und er war es, der mir die Neuigkeit überbracht hat. Auch wenn viele Inder keine Ironie verstehen, macht es ihnen Spaß, Ausländer zu verarschen (find ich ein cooles Hobby), weshalb ich mir nicht so sicher war, wie ernst ich das jetzt nehmen soll. Will ja als Indienerfahrene nicht auf die ollen Ausländerverarschen reinfallen.
Joa. War keine, mach die Tür zu meinem Zimmer auf und alles bis zum Bett ist voll mit abgebröckelter Farbe, Plastikstücken und verkohlten Kabelresten. Also noch chaotischer, als vorher.
Meine erste Reaktion war wieder, zu lachen, weil es einfach so typisch ist. Weil es geschüttet hatte und der Boden dann ein reines Dreckschlaraffenland ist, hat der Elektriker auch den gesamten Boden mit Dreck vollgeschmiert. Ist also nicht umbedingt der Ort, an dem man dann ruhig schlafen geht. Obwohl schon wieder neue Kabel verlegt waren, da waren sie echt schnell. Keine Ahnung, wie sie das so schnell geregelt haben ^^ der Elektriker meinte auch zu mir, dass Ventilator und eine Lampe funktionieren, morgen früh würde er auch beide Steckdosen, das Nachtlicht und die Notstromlampe richten. Freundlicherweise wurde mir ein neues Zimmer angeboten, hab ich auch angenommen. Voll gut, hier hab ich mein eigenes Bad und muss nicht einen Stock tiefer in die Gemeinschaftsdusche. Was hauptsächlich deshalb blöd ist, weil ich immer irgendwas vergessen habe.
Ich hab jetzt also ein noch größeres Bett und ein eigenes Bad.

Meena, die Freundin, mit der ich im Dorf war, hat sich das Handgelenk gebrochen und trägt jetzt einen Gips. Weil es die rechte Hand ist, kann sie weder in ihrem Laden Henna malen, noch kochen oder sonst irgendwas tun. Sie wohnt ja mit ihrem Sohn, ihrer Schwester und deren Kinder bei ihrem Vater, man sollte also meinen, dass es kein Problem ist, weil es ja noch genügend andere Familienmitglieder gibt, die kochen und waschen können. Falsch gedacht, ich hab ja schonmal erwähnt, dass ihre Familie blöd ist. Ihre kleine Schwester erlaubt ihr seit über einem Jahr nicht, die Küche zu benutzen, weshalb sie sich eine kleine Kochstelle im Aufenthaltsraum eingerichtet hat. Sie hat zwar den Vater drauf angesprochen, der meint aber, sie soll auf ihre Schwester hören. Wtf?! Außerdem darf auch ihr Sohn seitdem nicht mehr überall in der gemeinsamen Wohnung spielen…
Naja, jedenfalls kann Meena nicht mehr kochen, am ersten Tag hat eine gute Freundin ihr und ihrem Sohn gekocht und Essennvorbwigebracht. Weil Anshika, ihre Schwester (Lehrerin an unserer Schule) nur für sich, ihre Kinder und den Vater kocht. Am nächsten Tag ist besagte Freundin dann zum Vater und hat ihn gebeten, doch bitte für seine Tochter und Enkel zu kochen, da Meena ja gehandicapt ist und gnädigerweise hat er ja gesagt. Wow. Eine Ehrenmedallie an diesen Vater. Gestern zum Beispiel aber war er bis Nachmittags unterwegs und hat Anshika gebeten, für Meena und Aditya mitzukochen. Was sie natürlich erst nachmittags gemacht hat, als ich da war und der Vater kam. Und in Indien ist es den Leuten mega wichtig, jede Mahlzeit einzunehmen und das mehr oder weniger zur selben Zeit.
Als ich wegen meiner Verdauung mal mit Megs in Bangalore zum Arzt bin, hat er mich als erstes gefragt, ob ich regelmäßig und genug esse. Hier ist es also ein riesen Ding, wenn man bis nachmittags nichts isst. Und da Meena leider keinen Geldscheißer hat, kann sie es sich nicht leisten, im Restaurant zu essen. Sie kann ihrem Sohn nichtmal Pausenessen mitgeben, sondern 5Rs, was 7ct entspricht und davon kann man sich gerade mal ein Samosa (frittierte Teigtasche mit Kartoffelfüllung) kaufen. Nicht umbedingt ein Frühstück oder Mittagessen.
Sie ist halt jemand, der nicht streitet und deshalb ihre Schwester walten lässt.
Dann hat sie ihren Mann gefragt, ob er nicht herkommen kann.
Ihr Arm muss nämlich eigentlich operiert werden, jedoch weigert sich Meena, weil sie ihren Arm dann 3 Monate nicht belasten darf. Und dabei geht es 1. darum, dass der Vater niemals so oft kochen wird und sie ihren Laden nicht betreiben kann, also keinerlei Einnahmen hat und nichtmal Essen kaufen kann. Außerdem hat sie das Geld für die OP nicht. Krankenversicherung gibt’s jedenfalls in der Kaste nicht. Die Reichen haben sowas bestimmt.
Sie hat also ihren Mann gebeten, mit ihrer Tochter herzukommen und sie zu unterstützen. Macht er aber nicht. Er war seit 3 Jahren nicht in Varanasi, da solange der Streit herrscht und er dann nicht kommen will. Meena soll mit Aditya in sein Dorf kommen. Er soll also nicht mehr zur Schule gehen und dadurch mindestens ein Jahr verlieren, außerdem ist es dann nicht leicht, wieder einen Platz in der Schule zu bekommen. Und das alles, nur weil er sich nicht wohl fühlt bei der angespannten Situation in Varanasi.
So ein scheiß Weichei. Sie sagt es zwar, ich glaube es aber nicht, dass sie ihn liebt. Es war eine klassische „arranged marriage“. Es gibt zwar durchaus Ehen, die daraus tatsächlich entstehen, wie bei Megs Bruder und seiner Frau. Sie wurden auch verheiratet, ohne sich zu kennen und jetzt sind sie ein echt tolles Paar. Aber das passiert vermutlich bei gerade mal 0,3% der Fälle. Bei Meena ist es nicht so. Ich hab ja schon erzählt, wie bescheuert, ihre Schwiegerfamilie ist, und der Mann schert sich nen Dreck um sie. Dabei hat sie als Frau die Looserkarte gezogenen. Sie musste zu ihrer Schwiegerfamilie ziehen (wegen der Schulbildung der Kinder und damit der Vater nicht allein ist, kann sie zum Glück in Varanasi leben), sich von ihm schwängern lassen (sie liebt Kinder und ihre ganz besonders, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass sie ohne aufgeklärt worden zu sein mit 20 in ihrer Hochzeitsnacht von einem Mann, den sie bis Dato 3x gesehen hat, ohne zu reden, entjungfert werden wollte.) und ohne jegliche Hilfe die beiden Kinder großziehen. Ehepaare, wie sie es sind, sind in meinen Augen, wie ich es erlebe, fremde Leute, die sich über die Jahre zwar kennen lernen und evtl sogar etwas Zuneigung empfinden und intim werden, weil es zur Kultur gehört, früh viele Kinder zu bekommen. Die Frau hat eindeutig das schlechte Los gezogen und Meenas Mann hat nichtmal genug Wille, ihr, SEINER verdammten Familie zu helfen, wenn sie es mal braucht. Den kann sie in die Tonne kloppen.

Was ich nicht vergessen werde ist, dass mir Meena auf dem Weg mit der Riksha vom Bahnhof nach Hause nach dem Kurztrip gesagt hat, dass ihr Mann ein guter Mann ist, weil er für mich eine Riksha organisiert hat, um mich die Straße runterzufahren (wäre zwar lieber gelaufen, aber das verstehen Inder nicht. Sie leben ganz nach dem Motto ‚Sport ist Mord‘) und in Ayodhya hat er ja ein Taxi gebucht, das uns zu den ganzen Tempeln gebracht hat (ihr wisst, wie begeistert ichdavon war). Da hat sie mir auch gesagt, dass sie zum ersten mal die Tempel gesehen hat. Sie wollte zwar schon oft hin, aber es sei dann immer was dazwischen gekommen. Seit 12 Jahren. Wenn ihr Mann sie auch nur etwas kennt, weiß er, wie wichtig ihr die Religion und damit auch die Tempel sind. Und er bringt es erst auf die Reihe, wenn ich da bin. Und auch nur, um es mir zu zeigen. Meena war ja nur dabei, weil ich zufällig ihre Freundin bin.
Was finde ich diese Familie scheiße.

Seit mir bewusst geworden ist, dass es für sie das erste mal in den tempeln war, fühle ich mich schlecht, sie gegen Ende hin gedrängt zu haben, nicht den Zug verpassen zu wollen. Wir waren immerhin bei Tempeln, die für Hindus ungemein wichtig sind, zum Beispiel einer an einer Badestelle, an der der Gott Rama sein Bad genommen haben soll. In dem Moment dachte ich, sie ist ständig dort, weil sie sehr oft in dem Dorf ist. Aber dass sie zum ersten mal in diesen heiligen und ihr so wichtigen Tempeln ist, war mir nicht bewusst.
Ich finde es halt besonders traurig, dass Sanjay nicht etwa seiner Frau die Tempel zeigt, sondern dass sie sie quasi zufällig, weil ich Shrea treffen will und deshalb im Dorf sein kann, da bin und sie mir gezeigt werden.

Jetzt hat Meena also ihren Gips und jedes mal, wenn der Arzt sagt, dass sie operiert werden muss, sagt sie, dass es nicht geht, weil sie 2 kleine Kinder hat und es in der Familie niemanden gibt, der sie unterstützt. Das tut mir echt weh. Es wäre vermutlich kein Problem für mich, ihr die OP zu zahlen, da ich kaum glaube, dass die über 200€ kostet. Die HüftOP ihres vaters vor 3 Jahren hat knapp 300€ gekostet. Aber was bringt es, wenn sie operiert wird und am Ende mit ihrem Sohn hungert? Ich wünschte, das wäre passiert, als ich Zeit hatte. Dann hätte ich sie unterstützen können und es hätte funktioniert. Aber so ist sie ziemlich verzweifelt, weil sie auch ganz schön Schmerzen hat und weiß, dass eine OP besser wäre.

Übrigens wurden wir im Zug doch kontrolliert, als Meena kein Ticket hatte. Auf dem Weg zur Toilette ist sie dem Schaffner begegnet und hat erklärt, dass sie ihr Ticket verloren hat. Sie hat ihm 100Rs (statt 70Rs fürs Ticket) gegeben, damit er sie nicht offiziell die Strafe zahlen lässt. Sie hat dann erwähnt, dass die Touristin (also ich) zu ihr gehört, dass ich aber ein Ticket habe. Irgendein Typ aus dem Zug hat dann bezeugt, dass auch er gesehen habe, dass ich ein Ticket habe.
Keine Ahnung, warum die da so ein Drama draus gemacht haben, immerhin hätte ich es ihnen auch einfach zeigen können. So sind sie 2x im Wagon vorbei und haben vermutlich 10 Minuten über mich gesprochen. Ich hab davon nichts mitbekommen, hab wahrscheinlich gerade den Blogbeitrag geschrieben.

Das war also eine lange Story über Meena und ihr Leben.
Was ich noch loswerden möchte: falls irgendwann jemals nach Varanasi kommen und meine Freunde kennen lernen sollte. Es ist viel zu intim, was ich aus ihren Leben berichte, außerdem extrem beleidigend (zum Beispiel meine Meinung zu Meenas Mann. Das könnte ich ihr nie sagen), also nie darüber sprechen, was ich erzähle. Außer sowas, wie die Tempelbesuche (aber auch dazu nur die Tatsache ohne Wertung) könnt ihr gerne erwähnen, das wird sie stolz machen. Dass ich mich so für ihre Kultur interessiere und sie sie mir zeigen konnten.

LG Julia

PS: beinah hätte ich es vergessen: Sophie kam mich wieder besuchen, sie hatte sich wohl wieder beruhigt. Ich hoffe nur, dass ihr bei dem kleinen Unfall nichts passiert ist… aber sie ist schlau und flink, bestimmt hat sie sich in Sicherheit gebracht 🙂

PPS: mittlerweile ist ja Dienstag abend und ich habe 2 ehemalige Schüler, Ity und Abishek auf der Straße getroffen. Hat mich riesig gefreut, sie zu sehen. Die Geschwister waren das Grauen eines jeden Lehrers, sind aber natürlich trotzdem liebenswert. Wo ich ihnen nichts mehr beibringen muss 😀

Tempelhopping auf dem Land

Es ist Montag Abend, ich sitze jetzt im Zug auf der Rückfahrt von meinem kleinen Ausflug mit Meena und Aditya in ihr Dorf.
Es ist echt interessant, wie unterschiedlich die Kultur innerhalb eines Staates sein kann. Gerade, weil ich noch vor ein paar Tagen in Bangalore, der modernen Großstadt war, war es jetzt ein umso größerer Kontrast zu sehen, was mir Meena in ihrem Dorf gezeigt hat. Zuerst sind wir 4St mit dem Zug nach Malipur gefahren. Das erste, was dabei jetzt erst bewusst geworden ist, ist dass sämtliche Züge auch in Käffern halten. Sowas, wie eine Einteilung in Nah- und Fernverkehr gibt es bei den Zügen nicht, nur halten die Züge nicht alle in allen Käffern, sondern in unterschiedlichen. Manche in mehreren, manche in weniger.
Als wir angekommen sind, hat uns Meenas Mann vom Bahnhof abgeholt und allein der 100m lange Weg zum Haus hat mich in diesem Ort zum absoluten Hit gemacht. Ich bin die erste Ausländerin, die den Ort betreten hat und falls es sowas, wie ein Buch für Ehrengäste gegeben hätte, stünde ich da jetzt mit ziemlicher Sicherheit auf Platz 1 (hier verirrt sich garantiert kein Bollywoodstar oder der Premierminister hin, und cooler als ich wird sonst kaum ein Inder sein) ^^
Allerdings hat Meena auch von verheiratete aber relativ freie Frau in den Modus ‚Schwiegertochter‘ gewechselt, da dies hier ihre Rolle ist. Und dazu gehört als erstes, den Kopf incl Gesicht weitesgehend mit dem Saree zu bedecken, sobald andere, als der Ehemann und weibliche Verwandschaft incl eng befreundete Freundinnen, anwesend sind. Also immer, wenn man nicht gerade daheim ist und kein Gast/männliches Familienmitglied da ist. Zu dieser Rolle gehört auch, sich den Schwiegereltern und Männern der Familie Untertan zu machen, oder wie man hier so nett dazu sagt „respektieren“. Dieser Respekt ist so eine Sache. Einseitig und auslegbar auf jeden Wunsch/Befehl.
Wenn die Schwiegermutter sagt, dass sich Meena nur in ihrem Zimmer, ihrem Bad und natürlich der kleinen Abstellkammer=Küche ohne Licht aufzuhalten hat, dann tut sie das. Und zwar die vollen 12 Jahre lang, in denen sie dort gelebt hat.
Als sie mir mit einer Riksha das Dorf gezeigt hat (eine Straße 1km lang runterfahren), meinte sie, das sei das 2. mal, dass sie die Straße betritt. Ihre Schwiegermutter hat es ihr verboten, nur musste sie einmal ins Krankenhaus. Und jetzt ist die ja in einer anderen Stadt und da ich ja ihre Freundin bin, wurde es ihr wohl doch gestattet. Erst hatte sie mich aber gefragt, ob es OK ist, wenn ihr Mann mitkommt. Ich hab zwar ja gesagt, wäre aber nicht umbedingt begeistert gewesen, weil ich ihn da seit 5min kannte und er so gut wie kein englisch spricht.

Und wie wir auf der Riksha saßen, war endlich mal sie die coole im Dorf. Alle schauten zu uns auf, Kinder liefen hinter der Riksha her, alle zeigten mit dem Finger auf mich, wer nicht im Shop oder auf der Straße war, stand oben am Rand des Hausdaches und winkte von da. Sie hat dann nach ein paar Metern den Saree soweit runtergleiten lassen, dass nur ein Teil ihrer Haare bedeckt war und hat staunend wahrgenommen, wie plötzlich sie ganz klar im Mittelpunkt steht. Weil sie vermutlich die einzige ist, die sich richtig mit mir unterhalten kann und weil ich IHRE Freundin bin.
Ein Junge kam auf dem Fahrrad vorbeigefahren, schaute ständig zur anderen Seite. Beinahe hatte ich den Drang, ihn aufzuhalten. Ich mein Junge, du verpasst gerade die Sensation des Jahres, wenn du dich nicht endlich umdrehst. Wer weiß, vielleicht hatte er schlechtes Karma gesammelt, er ist vermutlich der einzige des Dorfes, der alles verpasst hat.

Das Haus hat ca 45qm, aufgeteilt in 4 Zimmer und 2 Badezimmer. In jedem Zimmer steht ein 1,40m Bett (heißt hier ja Platte auf 4 Beinen mit einer dünnen Decke, um das Schlaferlebnis  irgendwie zu einem zu machen), einem Schrank und einem Spiegel. Es ist das Haus der Familie von Meenas Mann, jedoch wohnen die Eltern nur ein paar Monate vom Jahr hier, hauptsächlich halten sich also der Schwager mit Frau und Kind auf. Und die 2 Kühe, die aus einem mir nicht ganz begreiflichen Grund in einem Unterstand zur draußen sich (unter einem Dach) befindlichen Küche und Aufenthaltsraum hin untergebracht sind. Im so entstehenden Innenhof spielt sich das Leben ab. Zusammen mit 1000 Fliegen und dem zehnfachen an Mücken. Und Kröten, Mäusen. Hier wurden nachts die Betten aufgestellt und Mückennetze drübergespannt, damit man bei Stromausfall wenigstens theoretisch die Möglichkeit hat, etwas Wind abzubekommen.

Ich sitze also im Zug, denke über Meenas Leben nach, darüber, wie viel Glück ich mit meiner Familie, meinem Land und meiner Kultur habe. Wie ungerecht mal wieder alles ist.
Und dann schaue ich raus, sehe Reisfelder, Palmen, Hirten mit Ziegen oder Büffeln, Schwärme von Vögeln, Häuser aus Ästen mit Plastikplanen oder Ziegeln, Zuckerrohrplantagen, Bauern, die auf ihren Feldern arbeiten. Ab und zu habe ich Glück, der Zug fährt sehr langsam und es wird friedlich. Ruhig nicht, solange Inder im Zug sind, aber friedlich. Und das entspannt 🙂

 

Nach einer Übernachtung sind wir dann um 5 geweckt worden, damit wir um kurz nach 6 mit dem Taxi zu irgendeinem berühmten Tempel fahren können. Der Plan für denTag war lange und der Tempel ist nur um diese Uhrzeit nicht überfüllt. Wobei Tempel eine nette Beschreibung ist. Es ist ein riesiger Baum, um den quasi rundum eine Terasse gefliest ist. Und darauf geht man dann Runden um den Baum, hängt Glocken auf, wenn man einen besonderen Wunsch an die Götter hat, der erfüllt werden soll (es hängt ein Menge Glocken an dem Baum) und schüttet Milch mit Blütenblätter auf den Baum und die kleinen Götterstatuen, die dabei stehen.

Danach sind wir zurück, die Frauen haben gekocht und dann ging es mit dem Zug nach Ayodhya, dem jetzigen Wohnort der Schwiegereltern und des Mannes mit Shrea. Da haben wir Tempelhopping gemacht. Den ganzen Mittag und Nachmittag. Tempel find ich zwar in Ordnung, aber sooo toll jetzt auch wieder nicht. Die meisten finde ich hässlich und dreckig. Aber Meena ist es sehr wichtig, deshalb hab ich brav mitgespielt. Bei fast allen Tempeln kam ein „Julia, you can take a picture if you want“ was hieß ‚Julia, mach ein Foto‘, also hab ich Fotos gemacht. Ich glaube, dass sie sich in die Religion flüchtet, weil ihre eigene und auch die Schwiegerfamilie sie nicht gut behandeln und sie es auch sonst nicht umbedingt leicht hat. Es ist ja generell so, dass sich Leute besonders dann an Gott/die Religion wenden, wenn es ihnen schlecht geht und ich würde mal behaupten, dass es die Hoffnung in Karma und die Wiedergeburt ist, was vielen Leuten hier im täglichen Dasein ein großer Trost ist. Was ihnen den Antrieb gibt, weiterzumachen.

Das Tempelhopping ging dann sogar soweit, dass Meena meinte, dass wir den Zug nach Varanasi nicht mehr bekommen und wahrscheinlich erst am nächsten Morgen los können. Fand ich garnicht geil, weil ich die Familie nicht leiden kann (zu mir sind sie aber natürlich durchaus nett) und vor allem, weil ich bestialisch von Mücken attackiert werde. Den Viechern ist auch egal, ob ich Repellent benutze, ich bin komplett verstochen. Und in einem Land, in dem Malaria und Denguefieber gerade nach der Regenzeit verbreitet sind, finde ich das nicht so toll… In Varanasi ist es aber nicht halb so schlimm. Einen Tempel später hat der Mann im Internet gelesen, dass der Zug eine knappe Stunde Verspätung hat und wir ihn evtl doch bekommen. Und wir fahren in den nächsten Tempel. Und in den übernächsten (der schönste:)

Und dann muss ich ja umbedingt noch den Fluss sehen, bis wir endlich zurück fahren. Sie haben das gemacht, weil sie wollen, dass ich sehe, was ihnen wichtig ist. Weil sie davon ausgehen, dass ich all die Tempel umbedingt sehen muss.

Zurück im Haus hatte die Schwiegermutter dann die Schwägerin angerufen und gefragt, ob ich alles essen würde, und ob es etwas gebe, das ich besonders gern mag. Die hat zwar keine Ahnung, machte aber auch keine Anstalten, Meena zu fragen. Wenn ihr mich fragt, alles Idioten in der Familie. Der Mann scheint zwar OK, aber der könnte sich ja wohl auch mal für seine Frau einsetzen. Tut er aber nicht. Die Schwiegermutter macht dann einen Snack mit Ghee, hat schon alles in den Topf geworfen (als letztes das Ghee), da hab ich Meena dann gesagt, dass ich das nicht essen werde, weil Ghee nicht vegan ist. Sie hat mich zwar gefragt, ob ich nicht ein bisschen nehme, ist ja schließlich nur wenig Ghee drin. Ist mir aber egal, hätte die mal Meena gefragt. So hat sie das ganze halt nochmal mit Öl zubereitet und danach nicht mehr gelächelt. Gibt schlimmeres ^^ dabei müssten die es doch sehr wohl verstehen, immerhin sind sie vegetarisch und essen kein Ei, und wenn ich ihnen was mit Ei drin gegeben hätte, hätten sie das auch niemals gegessen.

Shrea, Meenas Tochter, wollte mich zwar umbedingt treffen, aber Meena hat die Hälfte ihrer Geschenke vergessen und mein Handy hat sie auch fast nie bekommen. Sollen die Kinder die Handys ihrer Eltern zerstören. Dafür, dass meins kaputt geht, kann ich sehr gut selbst sorgen ^^ sie war also doch nicht allzu begeistert von mir.

Letztendlich waren wir rechtzeitig am Bahnhof, weil wir aber so spät dran waren und Meena ihr Portemonnaie nicht gefunden hat, hat sie nur ein Ticket für mich besorgt, als sie zu uns kam und Geld holen wollte, kam aber der Zug und nur ich hatte ein Ticket.
Also hat sie ihrem Schwager Bescheid gegeben, dass er ihr 2 Tickets geben soll und zum Bahnhof bringt (der glücklicherweise der übernächste Halt auf unserer Strecke war). Hat er auch gemacht, außerdem hat ihr Mann der Schwägerin gesagt, sie solle uns bitte was kochen. Als wir am besagten Bahnhof ankamen, hat der Schwager Meena eine Tüte Essen gegeben. Ihr war nämlich auch so richtig unangenehm gewesen, dass wir für die Fahrt kein Essen hatten. Dabei war mir das vollkommen egal. Sie kam zurück zu uns, setzt sich erleichtert hin, der Zug fährt los, ich frage, ob sie auch die Tickets bekommen hat und… nein. Am Bahnsteig steht eine Frau, die verzweifelt „Mera chota batcha“ (mein kleiner Sohn) ruft, ihr Junge ist im Zug, sie aber nicht. Der Zug hält ein Stück weiter wieder an und irgendwie findet sie ihren Sohn noch. Das ganze war wohl der Grund dafür, dass der Schwager die Tickets vergessen und nur Essen gebracht hat. Man muss eben Prioritäten setzen 😀
Wir wurden auf der gesamten Fahrt nicht kontrolliert, also ist alles gut gegangen. 500m vor Varanasi hat der Zug dann gehalten und stand erstmal. Und da es gut sein kann, dass der sich erstmal 45min nicht von der Stelle bewegt, bis er endlich in den Bahnhof einfährt, beschließen wir auszusteigen und mit meiner Taschenlampe an den Gleisen entlang zum Bahnhofzu laufen. Das ist kein Problem, weil die Türen sowieso immer offen sind. 100m bevor wir das Ziel erreicht haben, ist der Zug dann in den Bahnhof eingefahren. Joa, des hatte sich also nicht zu sehr gelohnt, machen wir auch nicht mehr.

Das war’s zum Kurztrip aufs Land 🙂

Letztens, als ich in der Nähe der Schule in einer Gasse war, ist mir eine Frau entgegengekommen und fing direkt an, sich zu beschweren, dass ihr Sohn keine Schuluniform hat. Ich hab die Frau noch nie vorher gesehen, vermute aber mal, dass ihr Sohn in unseren Kindergarten geht. Die Schuluniformen wurden erst diese Woche geliefert, die Kindergartenkinder bekommen zuletzt welche, da viele nur zur Schule kommen, um die gratis Uniform, Schulbücher und Stifte zu holen und dann nie wieder erscheinen. Um das zu vermeiden, bekommen sie sie erst spät, wenn man einen ersten Eindruck davon hat, wie regelmäßig sie zum Unterricht kommen.
Die Frau hat natürlich auf hindi auf mich eingeredet, ich hab also nicht mehr verstanden, als dass sie eine Uniform für ihren Sohn will und hab sie auf Purnima, die stellvertretende Leiterinverwiesen.
Und dann gibt es in der Gasse noch ein Mädel (etwa mein Alter), die mich am 2. Schultag mit „Hello Julia“ begrüßt hat, und jedes mal, wenn ich sie sehe, ruft sie mir zu und holt ihre Schwester, damit die mir auch hallo sagen kann. Ich hab keine Ahnung, woher sie weiß, wer ich bin und dann auch noch meinen Namen kennt. Aber in Stille Post wäre der Durchschnittsinder wohl Weltmeister. Bestimmt kennt ein Nachbar von ihr nen Freund, dessen Schwägerin nen Sohn in der Schule hat oder so. Die wissen immer über alles Bescheid. Aber gut, wenn man den Tag nichts macht, als den Haushalt, braucht man ja auch Ablenkung.
Im Moment ist ein Amerikanischer Lehrer im Kindergarten dabei und am Tag, als er im Gasthaus ankam und ich gerade zur Schule bin, hat er mich angesprochen und gefragt, ob ich nicht Julia, ein ehemaliger Volunteer in der Schule sei. Jo. Bin ich 😀
Mein Berühmtheitsgrad hat sich also nicht verringert ^^

LG Julia